René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Im Zeichen des Löwen

Die Wiese dröhnt vom Gesang der Bienen. Die Goldparmänen reifen.

Morgens, wenn der Baum sich im Frühlicht plustert und die Nachtfeuchte abstreift, hängen die Äpfel dickköpfig da und verstopfen sich alle Poren gegen die im Winde schaukelnden Sirenengesänge. Sie wollen vom Hochsommer und seiner Lustbarkeit nichts wissen . . . Ihre Zeit ist noch nicht da.

Selbst am Mittag, den das Steinobst auf der Maultrommel und die Birnen mit lustigem Geklingel feiern, bleiben sie kühl, ja, die Musik und der begleitende Singsang der Wiesen scheinen sie zu ärgern. Je höher die Wellen der mittäglichen Kirmes schlagen, um so tiefer verkriechen sie sich in den Schatten. Kaum, daß die im Blätterdickicht wühlende Sonne einen Zipfel ihres goldbraunen Rockes erwischt.

Im Zenit schwebt eine einzige kleine Wolke, rund wie ein Ballon. Sie steigt höher und höher und lockert sich zusehends.

97 Ich muß ins Dorf.

Links, hinter den spärlichen Bäumen (beim Anlegen der Straße haben sie auf dieser Seite nur die hundertjährigen Riesen stehn lassen), stürzt der Himmel in die Ebene ab, und da ich die Ebene von hier nicht sehn kann, ist es ein Sturz ins Bodenlose – aufregend, wie wenn man auf der Schaukel aus der Höhe zurückfährt . . .

Rechts ist tiefer Laubwald. Ein Wind, auf der Straße nicht spürbar, bewegt die Wipfel der Bäume. Die Bäume stehn so dicht, daß man den Himmel nicht sieht. Ihr Laub verbreitet ein grünes, bis tief ins Unterholz dringendes Licht. Wie feurig muß der Himmel auf dem Wald liegen, daß alles hier unten so durchsichtig ist! . . . Ein Eichhörnchen bewegt sich darin wie hinter Glas.

Wenn ein Vogel singt, sind es wenige, ganz innige Töne, ohne rechte Verbindung. Sie fallen vom Baum, kleine, runde Worte aus einem Traum . . .

In all der Helligkeit stehn einzelne Tannen. Sie schwenken ihre Äste und werfen mit düsteren Schatten um sich.

 

Die Goldziffern der Kirchenuhr verschwimmen zu einem einzigen Ring. Er muß glühend heiß sein, denn die Zeiger, die hineinragen, schmelzen von der Spitze herab. Man kann die Zeit nicht ablesen.

Aber da schlägt es drei – aus dem Kühlraum der Kirche.

 

98 Wir stehn im Zeichen des Löwen, und obwohl keine Rede davon sein kann, daß der Löwe aus seinem Käfig ausbricht, halten die Menschen sich in den Häusern verborgen.

Ein Huhn, das über die Straße geht, hebt die Beine, als schreite es auf einem glühenden Rost.

99 Die Wolke im Zenit verschwindet – ein Gärungsdämpflein, das durch den Spund entweicht . . .

Die Ebene hat die Grundfarbe des Himmels angenommen, den Satz seiner Bläue, ein dunkles Lila. 100

 


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