Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Handbub streifte sein rauhes Flachshemd zurück und wies Ekkehard seinen Rücken. Der trug in großem Lapidarstil mit schwarzer Wagensalbe aufgetragen die Inschrift:

Abbatiscellani, homines pagani,
vani et insani, turgidi villani.

Die bei des Abtes Zellen
Sind heidnische Gesellen,
Grobe ungescheite
Hochmüt'ge Bauersleute.

Es war ein Klosterwitz. Ekkehard mußte lachen. Laß dich's nicht verdrießen, sprach er, und denke, daß du selber schuld bist, weil du zu tief in den Weinkrug geschaut.

Der Handbub war nicht beruhigt. Meine schwarzen Ziegen sind mir lieber als all die Herrlein, sprach er und knüpfte sein Hemd wieder zu. Aber wenn mir so ein Hasenfuß, so ein Lappi auf die Ebenalp kommt, dem schreib' ich mit ungebrannter Asche ein Wahrzeichen auf die Haut, daß er zeitlebens dran denken soll, und wenn's ihm nicht recht ist, kann er den Bergtobel hinabsausen wie ein Schneesturz im Frühling.

Brummend ging der Bub von dannen.

Ekkehard aber nahm die Harfe und setzte sich unter das Kreuz vor die Höhle und griff eine fröhliche Tagweise; er hatte lange nimmer die Saiten gerührt, es tat ihm wundersam wohl, der mächtigen Einsamkeit gegenüber in leisen Tönen auszusprechen, was ihm im Herzen lebte, und die Musica war ein guter Verbündeter dem Werke der Dichtung; das Waltharilied, das erst wie ferner Nebel ihm vorgeschwebt, verdichtete sich und nahm Gestaltung an und zog in lebendurchatmeten Bildern an ihm vorüber; er schloß die Augen, um besser zu sehen, da sah er die Hunnen anreiten, ein reisig fröhlich Reitervolk und minder abscheulich als die, gegen die er selber vor wenig Monaten in der Feldschlacht gestanden, und sie nahmen die Königskinder in Franken und Aquitanien als Geiseln mit und jung Hiltgund, die Wonne von Burgund – und wie er stärker die Saiten anschlug, da erschaute er auch den König Etzel, der war ein leidlich Menschenbild, zu Glimpf und Becherfreuden wohl aufgelegt, – und die Königskinder wuchsen an der Hunnen Hofburg auf, und wie sie groß geworden, kam ein stilles Heimatsehnen über sie, und sie gedachten, daß sie von alters einand verlobt – jetzt hub sich ein Klingen und Drommeten, die Hunnen saßen beim Bankett und König Etzel trank den großen Humpen und alle folgten seinem Vorbild, Schlummer trunkener Männer tönte durch die Hallen – jetzt sah er, wie im Mondschein der junge Aquitaner Held das Streitroß waffnete, und Hiltegunde kam und brachte den hunnischen Goldschatz, er hub sie in den Sattel – hei! wie prächtig entritten sie der Gefangenschaft...

Und fern und ferner wogte es noch wie Fährlichkeit und Flucht und Fahrt über den Rhein und schwerer Kampf mit dem habsüchtigen König Gunther. In großen markigen Zügen stund die Geschichte vor ihm, die er in schlichtem Heldengesang zu verherrlichen gedachte. Noch in derselbigen Nacht blieb Ekkehard beim Kienspanlicht sitzen und begann sein Werk, und eine Freude kam über ihn, wie die Gestalten unter seiner Hand Leben annahmen, eine ehrliche große Freude, denn in fröhlicher Arbeit der Dichtung erhebt sich der Mensch zur Tat des Schöpfers, der eine Welt aus dem Nichts hervorgerufen.

Der nächste Tag fand ihn vergnüglich über den ersten Abenteuern, er konnte sich selber nicht Rechenschaft geben, nach welchem Gesetz er die Fäden seines Gedichtes ineinander wob, – es ist auch nicht nötig, von allem das Warum und Weil zu wissen; der Wind wehet, wo er will, und du hörest sein Getöse, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht; so verhält es sich auch mit jedem, der im Geiste geboren ist – sagt das Evangelium Johannis.Ev. Jos. III. 8.

Und wenn es zwischenein wieder dunkelte vor den Augen des Geistes und Zagheit ihn beschlich – denn er war ängstlich von Natur und vermeinte noch manchmal, es sei kaum möglich, etwas zustand zu bringen ohne Hilfe von Büchern und gelahrtem Vorbild – dann wandelte er auf dem schmalen Fußsteig draußen auf und nieder und ließ den Blick auf den Riesenwänden seiner Berge haften, die gaben ihm Trost und Maß und er gedachte: Bei allem, was ich sing' und dichte, will ich mich fragen, ob's dem Säntis und Kamor drüben recht ist. Und damit war er auf der rechten Spur; wer von der alten Mutter Natur seine Offenbarung schöpft, dessen Dichtung ist wahr und echt, wenn auch die Leinweber und Steinklopfer und hochverständigen Strohspalter in den Tiefen drunten sie zehntausendmal für Hirngespinst verschreien.

Etliche Tage vergingen in emsigem Schaffen. In lateinischen Vers des Virgilius goß er die Gestalten der Sage, die Pfade deutscher Muttersprache deuchten ihm noch zu rauh und zu wenig geebnet für den gleichmäßig schreitenden Gang des Heldenliedes. Mehr und mehr bevölkerte sich seine Einsamkeit; er gedachte, in ununterbrochenem Anlauf Tag und Nacht fort zu arbeiten, aber der leibliche Mensch hat auch sein Recht. Darum sprach er: Wer arbeitet, soll sein Tagewerk richten nach der Sonne. Und wenn die Schatten des Abends auf die nachbarlichen Höhen fielen, brach er ab, griff seine Harfe und klomm durch die Höhlenwildnis zur Ebenalp hinauf. Der Platz, wo der erste Gedanke des Sangs in ihm aufgestiegen, war ihm vor allen teuer.

Benedicta freute sich, wie er zuerst mit der Harfe kam. Ich versteh' Euch, Bergbruder, sagte sie, weil Ihr keine Liebste haben dürfet, habt Ihr Euch die Harfe eingetan und sprechet zu der, was Euch das Herz schwellt. Aber umsonst sollt Ihr kein Spielmann geworden sein. Sie pfiff durch die Finger und tat einen schönen Lockruf zu der niedern Hütte auf den Klus hinüber, da kam ihr Liebster, der Senn, das Alphorn umgehangen, ein frisches junges Blut, im rechten Ohr trug er den schweren silbernen Ring, des Sennen Ehrenzeichen, die Schlange, die an silbernem Kettlein den schwanken Milchlöffel hält, und um die Lenden glänzte der breite Gürtel, drauf in getriebenem Metall ein kuhähnlich Ungetüm zu schauen war;Die sehr ins Auge fallende innerrhodische Kleidungsart ist unzweifelhaft die alte des appenzellischen Volkes. Tobler, Appenzell. Sprachschatz p. 25. scheu neugierig stund er vor Ekkehard, aber Benedicta sprach: jetzt spielet uns einen Tanz auf, Bergbruder; wir haben uns schon lang geärgert, daß wir's nicht selber können, aber wenn er das Alphorn bläst, kann er mich nicht zugleich fassen und lustig umherschwingen, und wenn ich die Schwegelpfeife tönen lasse, hab' ich auch keinen Arm frei.

Und Ekkehard erquickte sich an der gesunden Fröhlichkeit der Kinder vom Berg und griff wacker in die Saiten, und sie tanzten im weichen Gras der Matten, bis der Mond in gelber Schöne sich über die Maarwiese hob, den grüßten sie mit Jauchzen und ZaurenDer Zaur ist ein einzelnes kurzes Gejauchze, das mit uhó oder ubuhuhuihui! bezeichnet werden kann. Tobler a. a. O. p. 453. und tanzten weiter in vergnüglichem Wechselgesang:

Und das Eis kam gewachsen
Bis zur Alpe daher,
Wie schad' um das Mägdlein,
Wenn's eingefroren wär'!

summte Benedictas Tänzer in den leichthinschwebenden Reigen;

Und der Föhn hat geblasen,
Kein Hüttlein mehr steht –
Wie schad' um den Buben,
Wenn's auch ihn hätt' verweht!

sang sie antwortend in gleicher Tonart. Und wie sie müde vor dem angehenden Dichter ausruhten, sprach Benedicta: Ihr sollt auch Euern Lohn überkommen, herzlieber Harfeniste. Es geht ein alt Gerede auf unsern Bergen, daß alle hundert Jahr' auf kahlem Hang eine wundersame blaue Blume blühe, und wer die Blume hat, dem steht plötzlich Ein- und Ausgang des Berges offen, drinnen glänzt es mit hellem Schein und die Schätze der Tiefe heben sich zu ihm herauf, davon mag er greifen soviel sein Herz begehrt, und seinen Hut bis zum Rande füllen. Wenn ich die Blume finde, bring' ich sie Euch, dann werdet Ihr ein steinreicher Mann, ich kann sie doch nicht brauchen – sie schlang ihren Arm um den jungen Senn – ich hab den Schatz schon gefunden.

Aber Ekkehard sprach: Ich kann sie auch nicht brauchen!

Er hatte recht. Wem die Kunst zu eigen ward, der hat die echte blaue Blume; wo für andere Stein und Fels sich auftürmt, tut sich ihm das weite Reich des Schönen auf; dort liegen Schätze, die kein Rost verzehrt, und er ist reicher als die Wechsler und Mäkler und Goldgewaltigen der Welt, wenn auch in seiner Tasche oftmals der Pfennig mit dem Heller betrüblich Hochzeit feiert.

Ja, was fangen wir dann mit der Wunderblume an? sprach Benedicta.

Gib sie den Ziegen zu fressen oder dem großen Stierkalb, lachte der Senn, denen ist auch etwas zu gönnen.

Und wiederum hoben sie die Füße zum Tanz und schwangen sich im Mondschein, bis Benedictas Vater heraufgestiegen kam. Der hatte nach vollbrachtem Tagwerk den seither von der Sonne gebleichten Schädel des Bären über die niedere Tür seiner Sennhütte genageltAppenzellischer Landbrauch. Noch vor wenig Jahrzehnten war die große Haustüre des Amtmanns Tanner von Herisau voll der Köpfe von Gewild, wodurch das Volk ihm Liebe und Achtung erzeigen wollte. und ihm mit einem Tropfstein den Rachen aufgesperrt, daß Ziegen und Kühe scheu vor der neuen Wandverzierung davon liefen.

Ihr gumpet und rugusetGumpen, gompela = hüpfen, mutwillig springen, ruggûßa (rujauchzen) = den Ruggußler singen, ein landeseigentümliches Hirtenlied in holperigen Reimen, aber mit einer um so angenehmeren weicheren Weise, die zwischen den Worten aus dem Gaumen bisweilen üppig spielt und ergötzt. Siehe Tobler a. a. O. p. 233 und 373. ja, daß der Säntis zu wanken und schüttern anhebt, rief der alte Alpmeister schon von weitem, was ist das für ein Gelärme? Gutmütig scheltend trieb er sie in die Hütte.

Das Waltharilied schritt rasch vorwärts. Wenn das Herz erfüllt ist von Sang und Klang, hat die Hand sich zu sputen, dem Flug der Gedanken nachzukommen.

Eines Mittags wollte Ekkehard seinen schmalen Felssteig entlang wandeln, da kam ihm ein sonderbarer Gast entgegen. Es war die Bärin, die er aus dem Schnee gegraben, langsam stieg sie den Pfad herauf, sie trug etwas in der Schnauze. Er sprang zur Höhle zurück und griff seinen Speer, aber die Bärin kam nicht als Feind, achtungsvoll machte sie Halt am Höhleneingang und legte auf die vorspringende Felskante ein fettes Murmeltier, das sie beim Spielen im sonnigen Gras erschnappt. War's ein Geschenk für die Lebensrettung, war's Ausdruck anderweiter Anwandlungen, wer weiß es? Ekkehard hatte freilich mitgeholfen, die sterblichen Reste des Ehgemahls der Verwitibten zu verzehren; – ob dadurch ein Stück Neigung auf ihn übergelenkt werden konnte? – wir kennen die Gesetze der Wahlverwandtschaft zu wenig. Die Bärin setzte sich schüchtern vor der Höhle nieder und schaute unbeweglich hinein. Da ward Ekkehard gerührt, er schob ihr, immer den Speer in der Faust, ein hölzern Schüsselein mit Honig in die Nähe, aber sie schüttelte gekränkt das Haupt, der Blick aus ihren kleinen Augen, denen das Augenlid fehlte, war traurig und erheiternd, so daß Ekkehard seine Harfe von der Wand holte und anfing, den Reigen zu spielen, den sich Benedicta von ihm erbeten. Das labte der Verlassenen Gemüt, sie erhob sich und ging aufrecht in rhythmischer Grazie bald vorwärts, bald zurück, und Ekkehard spielte schneller und stürmischer, aber da blickte sie verschämt zur Erde; zu tanzen gestattete ihr dreißigjähriges Bärengewissen nimmer, sie streckte sich wieder wie zuvor vor der Höhle, als wollte sie das Lob verdienen, das der Verfasser des Hymnus zu Ehren des heiligen Gall einst den Bären gezollt, da er sie Tiere von bewundernswerter Bescheidenheit nannte.Panem Gallus bestiae mirandae dat modestiae, mox ut hunc voravit, in fugam festinavit usw. Ratperts Lobgesang auf St. Gallus in der lateinischen Übersetzung Ekkehards des Vierten bei Hattemer, Denkmale usw. I. 342.

Wir passen zu einand, rief Ekkehard, du hast dein Liebstes im Schnee verloren, ich im Sturm, – ich will dir noch eines harfen. Er spielte eine wehmütige Weise, deß war sie wohl zufrieden und brummte beifällig; er aber, immer seiner Dichtung gedenkend, sprach: Ich hab' mich heut eine lange Zeit auf den Namen besonnen für die Hunnenkönigin, in deren Obhut jung Hiltgund zu stehen kam, itzt weiß ich ihn: sie soll Ospirin heißen, die »göttliche Bärin!«Eigentümlich heißt Attilas Gemahlin »Ospirin«, was »göttliche Bärin« bedeutet und in altdeutscher Form Anspirin lauten sollte. Der Name ist echt, alt und auch sonst vorhanden. Grimm und Schmeller, lat. Gedichte usw. p. 119, wo auch eine Reihe anderer mehr auf sprachliche Gründe gestützter Konjekturen über die Aufnahme des Namens Ospirin ins Waltharilied nachzulesen ist. Verstehst du mich?

Die Bärin sah ihn an, als wäre sie einverstanden, da griff Ekkehard seine Pergamentblätter und fügte den Namen ein. Das Bedürfnis, einer lebenden Seele die Schöpfung seines Geistes mitzuteilen, war schon lange rege in ihm; hier in der ungeheuren Bergwelt, dachte er, mag auch eine Bärin die Stelle einnehmen, zu der sonst ein gelehrtes Haupt erforderlich wäre, und er trat an sein Blockhaus, und auf den Speer gestemmt las er der Bärin die Anfänge des Waltharilieds und las mit lauter Stimme und begeistert, und sie lauschte mit löblicher Ausdauer.

Da las er denn weiter und weiter, wie die Wormser Recken den Walthari verfolgend im Wasgauwald nachritten und an seiner Felsburg mit ihm stritten – noch horchte sie geduldig, aber wie des Einzelkampfes gar kein Ende ward, wie Ekkefrid von Sachsen erschlagen ins Gras sank zu seiner Vorgänger Leichen, und Hadwart und Patafrid, des Hagen Schwestersohn, das Los der Genossen teilten, da erhub sich die Bärin langsam, als wäre selbst ihr des Mordens zu viel für ein lieblich Gedicht, und schritt würdigen Ganges talab.

Auf der Sigelsalp drüben in einsamer Felsritze stund ihre Behausung; dorthin entkletterte sie, sich zum Winterschlaf vorbereiten.

Das Heldenlied aber, das von allen sterblichen Wesen zuerst die Bärin auf der Sigelsalp vernommen, hat der Schreiber dieses Buches zur Kurzweil an langen Winterabenden in deutschen Reim gebracht, und wiewohl sich schon mancher anderer wackerer Verdeutscher derselben Aufgabe beflissen, so darf er's doch im Zusammenhang der Geschichte dem Leser nicht vorenthalten, auf daß er daraus ersehe, wie im zehnten Jahrhundert ebensogut wie in der Folge der Zeiten der Geist der Dichtung sich im Gemüt erlesener Männer eine Stätte zu bereiten wußte.


 << zurück weiter >>