Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Auf der Ebenalp

Sechs Tage lang war Ekkehard krank gelegen. Die Sennen pflegten ihn, ein Trank aus blauem Enzian gekocht schwichtigte das Fieber. Die Alpenluft tat das Ihre. Eine starke Erschütterung war ihm notwendig gewesen, um an Körper und Geist das gestörte Gleichgewicht herzustellen. Jetzt war's in Ordnung. Er hörte keine Stimmen und sah keine Phantasmen mehr. Lindes Gefühl von Ruhe und aufsprossender Gesundheit durchströmte ihn; es war jener Zustand sanfter Unkraft, der schwermütigen genesenden Menschen so wohl ansteht. Sein Denken war ernst aber nimmer bitter.

Ich hab' von den Bergen was gelernt, sprach er zu sich selber, Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichste Maid vor uns sitzt, der Mensch muß von Stein werden, wie der Säntis, und kühlenden Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht soll wissen, wie es drinnen kocht und glüht, das ist besser.

Und mählich ward ihm die Trübsal der letzten Vergangenheit in mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und alles, was auf dem hohen Twiel geschehen, es tat ihm nimmer weh. Und das ist das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß sie nicht nur sich selber als ein mächtig wirkend Bild vor den Beschauenden stellt, sondern den Geist überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verschwundene Zeit im Gedächtnis wieder heraufbeschwört. Ekkehard hatte lange nimmer auf die Tage seiner Jugend zurückgeschaut, jetzt flüchtete sich sein Denken am liebsten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre in der Klosterschule zu Lorsch am Rheine verbracht; damals ahnte er nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Glut verborgen glimmt, die alten Pergamente waren seine Welt.

Aber eine Gestalt stand ihm schon damals fest ins Herz geschrieben, das war der Bruder Konrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre älteren, hatte Ekkehard die erste Neigung junger Freundschaft geheftet; ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachsen über die Tage von Lorsch, jetzt tauchten sie strahlend vor der Betrachtung auf, gleich dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgensonne ihre Strahlen drauf geworfen.

Es ist mit des Menschen Geist wie mit der Rinde der alten Erde; auf den Anschwemmungen der Kindheit türmen sich in stürmischer Hebung neue Schichten auf, Fels und Grat und hohe Bergwand, die bis in den Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, drauf sie ruht, ist mit Trümmern überschüttet und vergessen, – aber wie die starren Gipfel der Alpen oft sehnsüchtig zu Tale schauen und sich heimwehbewältigt hinabstürzen in die Tiefe, der sie entstiegen, so fährt die Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die sie unbeachtet beim tauben Gestein zurückließ.

Jetzt flog Ekkehards Denken oftmals zu seinem treuen Gespan, er stund wieder mit ihm unter der rundbogigen säulengetragenen Vorhalle, er betete mit ihm an den alten Königsgräbern und am Steinsarg des blinden Herzogs Thassilo, er wandelte mit ihm durch die schattigen Gänge des Klostergartens und lauschte seinen Worten, – und was Konrad damals gesprochen, war hehr und gut, denn er schaute mit dem Aug' eines Dichters in die Welt, und es war, als müßten Blumen am Wege aufsprießen und die Vögel lustig begleitend drein schmettern, wenn sein Mund sich auftat zu honigsüßer Rede.

Schau auf, Kind Gottes! hatte Konrad einmal zum jungen Freund gesagt, da sie von der Warte des Gartens hinabschauten ins Land, dort, wo die weißen Sanddünen aus dem Feld aufragen, ist ehemals Fluß gewesen und Strömung des Neckars; so geht die Spur vergangener Menschengeschichten durch die Felder der Nachkommen und es ist schön, wenn sie deß acht haben. Und hier am Rhein ist heiliger Boden, es wäre Zeit, daß wir das sammeln, was drauf gewachsen, eh' uns das leidige Trivium und Quadruvium den Sinn dafür abtötet.

Und an fröhlichen Vakanztagen war Konrad mit ihm in den Odenwald gewandert, da rieselte im grünen Birkental versteckt eine Quelle, draus tranken sie und Konrad sprach: Neige dein Haupt, hier ist der Totenhain und Hagens Buche und Siegfrieds Bronn, hier ward dem besten aller Recken vom grimmen Hagen der Speer in den Rücken gerannt, daß die Blumen allenthalben vom roten Blut ertauten, dort auf dem Sedelhof hat Chriemhildis um den Erschlagenen getrauert, bis des Hunnenkönigs Boten kamen, um die junge Witib zu werben – und er erzählte ihm all die alten Mären von der Königsburg zu Worms und vom Nibelungen Schatz und von Chriemhildis' Rache, und seine Augen sprühten. Schlag ein! rief er dem jungen Freunde zu, wenn wir Männer sind und des Sanges geübt, wollen wir ein Denkmal setzen den Geschichten am Rhein; es gärt und braust schon in mir wie ein gewaltig Lied von Heldentapferkeit und Not und Rache und Tod, und die Kunst des hörnen Siegfried, sich zu festen und zu feyen, weiß ich, wenn's auch keine Drachen mehr zu erschlagen und kein Blut mehr abzukochen gibt; wer mit heiligem Sinn die Waldluft schlürft und die Stirn mit dem Morgentaue netzt, dem geht das gleiche Verständnis auf, er hört, was die Vögel von den Zweigen singen und was der Sturmwind von alten Mären kündet, und wird stark und fest, und wenn er das Herz am rechten Fleck hat, schreibt er's nieder zu Nutz und Frommen der anderen.

Ekkehard aber hatte schier furchtsam den fröhlich Übermütigen angeschaut und gesagt: Mir wird schier schwindlig, wenn ich dir zuhöre, wie du ein anderer Homerus zu werden gedenkst. Und Konrad sprach lächelnd: Eine Ilias soll keiner singen nach Homerus, aber das Lied der Nibelungen ist noch nicht gesungen und mein Arm ist grün und mein Mut ist stark, und wer weiß, was die Folge der Zeiten bringt!

Und ein andermal gingen sie am Gestade des Rheines und die Sonne spiegelte sich über den Bergen des Wasgauwaldes herunter in den Wellen, da sprach Konrad: Für dich wüßt' ich auch einen Sang, der ist einfach und nicht allzuherb und paßt zu deinem Gemüt, denn du horchst lieber dem Schalle des Jagdhorns als dem Rollen des Donners. Schau auf! so wie heute hat einst die Zinne von Worms herübergeglänzt, da der Held Walthari von Aquitanien aus der Hunnengefangenschaft fliehend ins Frankenland ritt; hier hat ihn der Ferg' übergefahren samt seiner Liebsten und seinem Goldschatz, nach dem Walde ist er geritten, der dort blaudunkel ragt, das gab am Wasichenstein ein hartes Fechten und Funkensprühen von Helm und Schilden, da ihm die Wormser nachrückten, aber die Lieb' und ein gut Gewissen hat den Walthari stark gemacht, daß er sie alle bestand, den König Gunther und Hagen selbst, den Grimmen.

Und er hatte ihm die Sache weitläufig erzählt; um große Riesenbäume treibt allerhand wilder Schoß, sprach er, so ist auch um die Nibelungensage ringsum viel ander Buschwerk aufgesprießt, aus dem sich etwas zuschneiden läßt, wenn einer Freude dran hat; sing du den Walthari!

Aber Ekkehard ließ damals Kiesel über die Rheinflut tanzen und verstand seinen Freund nur halb; er war ein frommer Schüler und sein Sinn aufs Nächste gerichtet. Die Zeit trennte die beiden, und Konrad mußte die Klosterschule fliehen, weil er einst gesagt, des Aristoteles Logica sei eitel leeres Stroh, und war in die weite Welt gegangen, niemand wußte wohin, und Ekkehard kam nach Sankt Gallen und hatte fort und fort studiert und war ein verständiger junger Mann geworden, den sie zum Professor tauglich fanden, und dachte an den Alzeyer Konrad oft schier mit einem vornehmen Mitleid.

Aber ein triebkräftig Samenkorn kann in des Menschen Herz lange verborgen ruhen und geht zuletzt doch auf, wie der Weizen aus den Mumiensärgen Ägyptenlands.

Daß Ekkehard jetzo freudig jene Erinnerungen pflegte, war ein Zeichen, daß er seither auch ein anderer geworden.

Und es war gut so. Die Launen der Herzogin und Praxedis' unbefangene Grazie hatten sein blödes, schwerfällig gründliches Wesen geläutert, die große Zeit, die er durchlebt, das Sausen der Hunnenschlacht hatten Schwung in seine Gesinnung getragen und ihn das Getrieb kleinen Ehrgeizes verachten gelehrt, jetzt trug er einen großen Schmerz in sich, der ausgetobt sein mußte – so war der Klostergelehrte trotz Kutte und Tonsur in der glücklichen Umwandlung zum Dichter begriffen und schritt einher gleich der Schlange, die sich aus der alten Umhäutung losgerungen und nur der Gelegenheit wartet, ihre ganze Hülle wie einen abgetragenen Rock an der Hecke abzustreifen.

Täglich und stündlich, wenn er die allezeit schönen Gipfel seiner Berge anschaute und die reine Luft mit vollen Zügen einsog, kam es ihm mehr als ein Rätsel vor, daß er seines Lebens Glück erst im Erklären und Deuten vergilbter Schriften gesucht und hernachmals an einer stolzen Frau schier den Verstand eingebüßt; laß stürzen, Herz, sprach er, was nicht mehr stehen mag, und bau dir eine neue Welt, bau sie dir tief innen, luftig, stolz und weit, strömen und verrinnen laß die alte Zeit!

Er ging wieder vergnügt in seiner Klause umher; eines Abends hatte er die Vesperzeit geläutet, da kam der Senn von der Ebenalp; er trug etwas sorgsam in einem Tuche. Gott grüß, Bergbruder! sprach er, es hat Euch ordentlich geschüttelt, hab' heute was für Euch aufgelesen zur Nachkur, aber Eure Backen sind rot und Eure Augen fröhlich, da ist's nimmer nötig. Er öffnete sein Tuch, es war ein wimmelnder Ameisenhaufen, alt und jung, samt trockenen Fichtennadeln; er schüttete das fleißige Völklein die Felswand hinunter.

Ihr hättet sonst heute nacht drauf schlafen müssen, sprach er lachend, das beizt die letzte Spur von Fieber hinweg.

Es ist vorbei, sprach Ekkehard, ich dank' Euch für die Medizin.

Aber macht Euch warm ein, sagte der Senn, es streicht eine schwarze Wolke über den Brülltobel her und die Kröten schleichen aus den Steinritzen vor, das Wetter will umschlagen.

Am andern Morgen glänzten alle Gipfel in frischem blendendem Weiß. Es war ein starker Schnee gefallen. Aber für Winters Anfang war's noch viel zu früh. Die Sonne stieg lustig drüber auf und peinigte den Schnee mit ihren Strahlen, daß es ihn schier gereute, gefallen zu sein. Wie Ekkehard abends beim Kienspanlicht saß, schlug ein Krachen und Dröhnen an sein Ohr, als wollten die Berge einstürzen. Er fuhr zusammen und legte die Hand an die Stirn, ob das Fieber nicht wieder komme.

Aber es war kein Spuk kranker Einbildung.

Dumpfer Widerhall wälzte sich gegenüber durch die Schluchten der Sigelsalp und Maarwiese, dann klang's wie ein Zusammenbrechen mächtiger Baumstämme und schütternder Fall – und verklang. Aber ein leis klagendes Brummen tönte die ganze Nacht durch vom Tal herauf.

Ekkehard schlief nicht. Seit er am Seealpsee herumgeirrt, traute er sich nimmer. In aller Frühe ging er zur Ebenalp hinauf. Benedicta stand vor der Sennhütte und warf ihm einen Schneeball in die Kutte. Der Senn lachte, als er ihn ob des nächtlichen Lärms befragte.

Die Musik werdet Ihr noch oft hören, sprach er, es ist eine Lawine zu Tal gestürzt.

Und das Brummen?

Wird Euer eigen Schnarchen gewesen sein.

Ich hab' nicht geschlafen, sagte Ekkehard. Da gingen sie mit ihm hinunter und horchten. Es war ein fernes Stöhnen im Schnee.

Sonderbar, sprach der Senn, es ist etwas Lebendiges verschüttet.

Wenn der Pater Lucius von Quaradaves noch lebte – sagte Benedicta, der hat so eine sanfte Bärenstimme gehabt.

Schweig, du wilde Hummel! drohte ihr Vater. Sie holten Schaufel und Bergstock, der Alte nahm sein Handbeil mit, so stiegen sie mit Ekkehard den Spuren der Lawine nach. Die war von der Felswand zum Äscher herabgefahren über Grund und Steingerölle und hatte die niedrigen Fichtenstämme geknickt wie Strohhalme; drei mächtige Blöcke, die gleich Schildwachen ins Tal hinabschauten, hemmten den Sturz, dort hatte sich der wandernde Schnee zürnend aufgebäumt, weniges war auch über diese Schranke weggesaust, der Kern, zerbröckelt von der Wucht des Anpralls, lag in trümmerhafter Masse getürmt. Der Senn legte sein Ohr an die Schneedecke, dann trat er etliche Schritte hinein, stieß den Bergstock ein und rief: Hier graben wir!

Und sie gruben eine gute Weile und gruben einen Schacht, also, daß sie tief drinnen standen und über ihren Häuptern die Schneemauer sich erhob, und bliesen oftmals in die Hände bei der kalten Arbeit. Da jodelte der Senn hell auf und Ekkehard tat einen Schrei – ein schwarzer Fleck kam zum Vorschein, der Senn sprang zum Beil, noch etliche Schaufelstöße, da hob sich's in zottiger Schwerfälligkeit und richtete sich brummend auf und reckte seine Vordertatzen weit empor gen Himmel, wie einer, der sich schweren Schlaf aus den Gliedern bannen will, und stieg langsam zu dem Fels und setzte sich drauf.

Es war eine mächtige Bärin, die auf nächtlichem Gang zu den Forellen des Seealpsees samt ihrem Ehgemahl dort überschüttet worden. Aber der Bär rührte sich nimmer, der war an ihrer Seite erstickt und lag in kühlem Todesschlaf, einen trotzigen Zug um die Schnauze, als wär' er mit einem Fluch auf allzufrühen Schneefall vom süßen Dasein geschieden.


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