Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Er begann ein Lied zu singen, womit er oftmals die Klosterschüler ergötzte, wenn sie in seine Turmstube entwischten, ihn am Bart zu zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu spielen. Es war eine jener Kantilenen, wie deren, seit daß es eine deutsche Zunge gibt, auf freier Heerstraße, an Wegscheiden und Waldecken und draus auf weiter Halde schon manches gute Tausend in den Wind gesungen und wieder verweht worden, und lautete also:

Ich weiß einen Stamm im Eichenschlag,
Der steht im grünsten Laube,
Dort lockt und lacht den ganzen Tag
Eine schöne wilde Taube.

ich weiß einen Fels, draus schillt und schallt
Nur Krächzen und Geheule,
Dort haust fahlgrau und mißgestalt
Eine heisre Schleiereule.

Des Jägers Horn bringt süßen Klang,
Des Jägers Pfeil Verderben:
Die Taube grüß ich mit Gesang,
Die Eul' muß mir ersterben!

Romeias' Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen Feldstein in Wiborads Laden geworfen. Alsbald erschien eine Gestalt an der viereckigen Fensteröffnung, auf hagerem Halse hob sich ein blasses, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindselige Richtung aufwärts gegen die Nase genommen; von dunklem Schleier vermummt, beugte sie sich weit aus dem Fensterlein, die Augen glänzten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief sie.

Da trat Romeias vor und sprach mit gemütlichem Ausdruck: Der böse Feind weiß keine so schönen Lieder wie Romeias, der Klosterwächter. Beruhigt Euch, Schwester Wiborad, ich bring ein paar feine Jungfräulein, die Herren im Kloster lassen sie Euch zu annehmlicher Unterhaltung empfohlen sein.

Hebet euch weg, ihr Truggestalten! rief die Klausnerin. Wir kennen die Schlingen, die der Versucher legt. Weichet, weichet!

Praxedis aber näherte sich der Zelle und neigte sich sittig vor der dürren Bewohnerin: sie komme nicht aus der Hölle, sondern vom hohen Twiel herüber, setzte sie ihr auseinand. Ein wenig falsch konnte das Griechenkind auch sein, denn wiewohl ihre Kenntnis von der Klause im Schwarzatal sich erst von heute herschrieb, fügte sie doch bei, sie hätte von dem auferbaulichen Wandel der Schwester Wiborad schon so viel vernommen, daß sie die erste Gelegenheit genutzt, bei ihr anzusprechen.

Da schien es, als wollten sich einige Runzeln auf Wiborads Stirn glätten. Reich mir die Hand, Fremde! sprach sie und reckte ihren Arm zum Fensterlein hinaus. Die Kutte streifte sich ein weniges zurück, da war er in seiner ganzen fleischlosen Magerkeit dem Sonnenschein ausgesetzt.

Praxedis reichte ihr die Rechte. Wie der junge, lebenswarme Pulsschlag der weißen Hand an der Klausnerin dürre Finger anschlug, war sie langsam von der Griechin Menschlichkeit überzeugt.

Romeias merkte die Wendung zum Besseren, er wälzte etliche Felsstücke unter das Fenster der Zelle. In zwei Stunden hol' ich euch wieder ab; behüt' Gott, ihr Jungfräulein! sprach er. Und erschreckt nicht, wenn sie in Verzückung kommt, flüsterte er der Griechin zu.

Hiermit pfiff Romeias seinen Hunden und schritt ins Waldesdickicht. Er legte auch etwa dreißig Schritte ohne Hindernis zurück, aber dann drehte er sein struppig Haupt und wandte den ganzen Menschen um; auf den Spieß gestemmt, schaute er unverrückt nach dem Platz vor der Klause, als hätt' er etwas verloren. Hatte aber nichts zurückgelassen.

Praxedis lächelte und warf dem gröbsten aller Wächter eine Kußhand zu. Da machte Romeias kehrt, wollte seinen Spieß schultern, ließ ihn fallen, hob ihn auf, stolperte, erholte sich wieder und verschwand in gutem Trab jenseits der moosverwachsenen Stämme.

O Kind der Welt, das in Finsternis wandelt, schalt die Klausnerin herab, was soll die Bewegung deiner Hand?

Ein Scherz... sprach Praxedis unbefangen.

Eine Sünde! rief Wiborad mit rauher Stimme. Praxedis erschrak.

O Teufelswerk und Verblendung! fuhr jene predigend fort. Da lasset Ihr Eure Augen listig herumstreifen, bis sie dem Manne als wie ein Blitz ins Herz fahren, und werft ihm eine Kußhand zu, als wenn das nichts wäre. Ist das nichts, wenn einer rückwärts schaut, der vorwärts schauen sollte? Wer die Hand an den Pflug zu legen hat und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes!Lucas IX. 62. Ein Scherz?! O reichet mir Ysop, Euch zu entsündigen, und Schnee, Euch rein zu waschen.

Daran hab' ich nicht gedacht, sprach Praxedis errötend.

Ihr denkt noch an vieles nicht, sprach Wiborad. Sie schaute Praxedis mit einem musternden Blick von oben bis unten an. Ihr denkt auch nicht, daß Ihr heut ein grüngelb Gewand traget, und daß solch herausfordernde Farbe weltabgewandten Augen ein Greuel ist, und daß Ihr den Gürtel so lose und nachlässig darum geschlungen habet, als wäret Ihr eine landfahrende Tänzerin. Wachet und betet!

Die Klausnerin verschwand eine Weile, dann kehrte sie zurück und reichte einen grobgedrehten Strick heraus. Du dauerst mich, arme Lachtaube, sprach sie. Reiß ab die seidegestickte Umwindung und empfah' hier den Gürtel der Entsagung aus Wiborads Händen; der soll dir eine Mahnung sein, daß du unnützem Schwatzen und Tun den Abschied gebest. Kommt aber wieder eine Versuchung eitlen Herzens über dich, Wächtern Kußhände zuzuwerfen, so wende dein Haupt gen Sonnenaufgang und singe den Psalm: Herr, zu meinem Beistand eile herbei! – und will auch dann der Friede nicht bei dir einkehren, so brenn ein Wachslicht an und halt den Zeigefinger über die Flamme, so wirst du sicher sein zur Stunde... Castitatis, inquit, fili mi, tibi cingulum per hoc lineum meum a Deo accipe. Continentiaeque cingulum per hoc lineum meum a Deo accipe, continentiaeque strophio ab hac deinceps die per Wiboradam tuam te praecinctum memento. Cave autem, ne ullis abhinc colloquiis vanis mulierculis miscearis. Et si, ut facillime fit, aliquo carnis igne incensus fueris, loco in quofueris, mutato, »Deus in adiutorium meum intende. Domine ad adiuvandum me festina« mox cantaveris. Sin autem sic pacem aliquo alio lapsu tuo vetante non habueris, titionem sive candelam ardentem quasi aliud aliquid agas querens, digitum vel leviter adure, eodemque versu dicto securus eris. Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 107. Das Feuer heilt das Feuer.

Praxedis schlug die Augen nieder.

Eure Worte sind bitter, sprach sie.

Bitter! rief die Klausnerin, gelobt sei der Herr, daß auf meinen Lippen kein süßer Geschmack wohnt! der Mund der Heiligen muß bitter sein. Da Pachomius in der Wüste saß, trat der Engel des Herrn zu ihm und brach die Blätter des Lorbeerbaums und schrieb die Worte des Gebets drauf und gab sie dem Pachomius und sprach; verschling die Blätter; sie werden schmecken in deinem Munde wie Galle, aber dein Herz wird erfüllt werden vom Überschwall wahrer Weisheit. Und Pachomius nahm die Blätter und aß sie, und von Stund an blieb sein Mund bitter, sein Herz aber füllte sich mit Süße und er pries den Herrn... et accepit angelus folia lauri et scripsit in eis verba orationis et dedit ea Pachumio dicens; manduca ea, et erunt amara in ore tuo sicut fel, ventremque tuum implebunt obsecrationibus sapientiae, dabitur tibi forma orationis sanae doctrinae. Et accipiens Pachumius manducavit et factum est os ejus amarum, porro venter ejus dulcedine impletus est, et magnificavit Dominum valde.« Vita Pachumii St. abbatis in der Handschrift der Karlsruher Hofbibliothek.

Praxedis schwieg. Es blieb eine Zeitlang still. Die andern Frauen der Herzogin waren nicht mehr zu sehen. Wie die Klausnerin ihren Gürtel herausreichte, hatten sie einand mit dem Ellbogen angestoßen und waren leise um das Häuslein geschlichen. Sie pflückten einen großen Strauß Heidekraut und Herbstblumen im Walde und kicherten dazu.

Wollen wir auch einen solchen Gürtel umlegen? sprach die eine.

Wenn die Sonne schwarz aufgeht, sprach die andere.

Praxedis hatte den Strick ins Gras gelegt. Ich will Euch Eures Gürtels nicht berauben, sprach sie jetzt schüchtern zum Fenster der Zelle hinauf.

O harmloses Gemüt, sprach Wiborad, der Gürtel, den wir tragen, ist kein Kinderspiel wie der, den ich dir reichte; der Gürtel Wiborads ist ein eiserner Reif mit stumpfen Stacheln und klirrt wie eine Kette und schneidet ein; – deine Augen erschauerten seines Anblicks.de cilicio etiam, quo ipsa utebatur, cuius hodie asperitatem pro reliquiis id habentes horrescimus... Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II. 107.

Praxedis schaute nach dem Wald, als wolle sie spähen, ob Romeias nicht bald zurückkehre. Die Klausnerin mochte bemerken, daß es ihrem Gast nicht allzu behaglich war, sie reichte ein Brett aus ihrem Fensterlein, drauf war ein halb Dutzend rotgrüner Äpfel gelegt.

Wird dir die Zeit lang, Tochter der Welt? sprach sie. Greif zu, wenn die Worte des Heils dich nicht sättigen. Backwerk und Süßigkeiten hab' ich nicht, aber auch diese Äpfel gefallen dem Herrn wohl, sie sind die Speise der Armen.

Die Griechin wußte, was der Anstand erheischt. Aber es waren Holzäpfel. Wie sie den ersten zur Hälfte verzehrt, verzog sich ihr anmutiger Mund, und unfreiwillige Tränen perlten in den Augen.

Wie schmecken sie? rief die Klausnerin. Da tat Praxedis, als ob des Apfels Rest zufällig ihrer Hand entfalle. Wenn der Schöpfer allen solche Herbigkeit anerschaffen, so hätte Eva nimmermehr vom Apfel gekostet, sprach sie mit sauersüßem Lächeln.

Wiborad war beleidigt. Gut! erwiderte sie, daß du der Eva Angedenken nicht erlöschen lässest. Die hat denselben Geschmack gehabt wie du, drum ist auch die Sünde in die Welt gekommen.proferensque mala desilva acidissima, inhianti et de manibus ejus rapienti reliquerat. At illa vix unum dimidium ore et oculis contractis vorans, caetera projiciens: »Austera es, inquit, austera sunt et mala tua.« Et cum esset literata: »Si omnia, inquit, mala factor talia creasset, nunquam Eva malum gustasset!« »Bene, ait illa, Evam memorasti; enimvero quomodo et tu sic deliciarum avida erat, ideo in escula unius mali peccaverat.« Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10 bei Pertz Mon. II. 119.

Die Griechin blickte nach dem Himmel. Aber nicht aus Rührung. Ein Falke kreiste einsam über Wiborads Zelle. O könnt' ich mit dir über den Bodensee fliegen, dachte sie. Dann wiegte sie schalkhaft ihr Haupt.

Wie muß ich's anfangen, fragte sie, daß ich vollkommen werde, wie Ihr?

Der Welt gründlich entsagen, antwortete Wiborad, ist eine Gnade von oben; der Mensch kann sich's nicht geben. Fasten, Quellwasser trinken, das Fleisch abtöten, Psalmen beten, das sind nur Vorbereitungen. Das wichtigste ist ein guter Schutzheiliger. Wir Frauen sind ein gebrechlich Volk, aber eindringlich Gebet ruft die Streiter Gottes an unsere Seite, die helfen. Schau her ans kleine Fenster, da steht er oft in nächtlicher Stille, der Erlesene meiner Gedanken, der tapfere Bischof Martinus, und hält Schild und Lanze wider die anstürmenden Teufel; ein blauer Strahlenkranz geht von seinem Haupte aus, es zuckt durchs Dunkel wie Wetterleuchten, wenn er naht, und grunzend entfliehen die Dämonen. Und wenn der Kampf geendet, dann pflegt er gar traulichen Zwiespruch; ich klag' ihm, was das Herz bedrängt, all die Not, die ich mit den Nachbarinnen habe, und alles Leid, das mir die Klosterleute zufügen, und der Heilige nickt und schüttelt die wallenden Locken und nimmt alles mit sich himmelaufwärts und teilt es seinem Freund, dem Erzengel Michael, mit, der hat jeden Montag Wache am Thron Gott Vaters,Der Erzengel Michael war dem Mittelalter Gegenstand mannigfachen Aberglaubens. Man glaubte, daß er die Wache am Throne Gott Vaters halte, ja sogar, daß er Montags vor ihm die Messe celebriere. Bischof Rather von Verona eifert in seiner Predigt de quadragesima heftig gegen diese rohen sinnlichen Vorstellungen: Vgl. Vogel, Ratherius v. Verona und das 10. Jahrhundert. Bd. I. 293. so kommt's an den rechten Ort, und Wiborad, die letzte der letzten im Dienste des Hochthronenden, ist nicht vergessen...

Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron erwählen, sprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborads Lobspruch nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eifersüchtigen Blick auf die roten Wangen der Griechin. Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung, sprach sie mit gefalteten Händen; – glaubt Ihr, das ist mit einem leichtfertigen Wort und mit einem glatten Gesicht getan? Unerhört! Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Askesis wie Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begnadigt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es ist ein fürnehmer Heiliger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der schaut nur auf erprobte Streiterinnen.

Er wird mein Gebet nicht gröblich abweisen, warf Praxedis ein.

Ihr sollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig. Ihr dürft nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu schaffen? Für Euresgleichen sind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen sagen. Nehmt Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron.

Den kenn' ich nicht, sagte Praxedis.


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