Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Da sprach sie daheime wieder zu Herlindis: O weh mir, nun hege ich Tag und Nacht Sorgen und habe keine Ruh', bis meine Augen den tugendsamen Mann erschaut. Der möcht' einen schönen Botenlohn verdienen, der mir den Helden zur Kammer führen wollt'.

Herlindis aber lachte und sprach: Den Botengang will ich in Treuen tun, ich geh' zu seiner Herberg. Und die Vielschlaue legte ihr zierlichstes Gewand an und ging zu dem Herrn Dietrich. Der empfing sie frömmiglich und sie setzte sich viel nahe zu ihm und sprach ihm ins Ohr: Meine Herrin, des Kaisers Tochter, entbeut dir viel holde Minne; sie ist der Freundschaft zu dir untertan, du sollst dich aufmachen und hingehen zu ihr.

Aber Dietrich sprach: Frau, du sündigest dich. Ich bin in andern Tagen zu mancher Kemenate gegangen, da es wohl sein mocht', was spottest du itzt des heimatlosen Mannes? An des Kaisers Hofe ist edler Herzoge und Fürsten eine große Zahl; nie gedachte deine Frau der Rede.

Und als Herlindis ihm minniglich zuredete, sagte Herr Dietrich: Hier sind der Merker so viele; wer seine Ehr' behalten will, muß wohlerzogen tun: Konstantinus möcht' mir das Reich verbieten. Darum wär' es mißhellig, so ich deine Frau sehen wollte. Vermelde ihr das, so sehr ich ihr zu dienen begehre.

Herlindis wollte von dannen gehen, da hieß der König seine Goldschmiede zwei Schuhe gießen von Silber und zwei von Golde, und schenkte ihr von jedem Paar einen, dazu einen Mantel und zwölf güldene Spangen, denn er war artigen Gemütes und wußte, daß man einer Fürstin Kammerfrau, die in Sachen der Minne Botengang tut, wohl ehren soll.

... Praxedis hielt eine Weile an, denn Herr Spazzo, der seit einiger Zeit mit seines Schwertes Scheide viel großnasige Gesichter in den Sand gezeichnet, hatte ein vernehmlich Räuspern erhoben. Da er aber keine weitere Einsprache tat, fuhr sie fort:

... Und Herlindis sprang fröhlich heim und sprach zu Hause zu ihrer Herrin: Hart und fleißig pflegt der gute Held seiner Ehren, ihm ist des Kaisers Huld zu lieb. Aber schauet her, wie er mir Liebes tat: die Schuhe, den Mantel, die zwölf Spangen; o wohl mir, daß ich zu ihm kam! Ich mag wohl auf der weiten Erde keinen schöneren Ritter erschauen. Gott verzeih mir, daß ich ihn angaffete, als wär' er ein Engel.

O weh mir! sprach die Kaiserstochter, soll ich denn nimmermehr selig sein? So sollst du mir zum mindesten die Schuhe geben, die dir des edlen Degens Huld verlieh, ich füll' sie dir mit Golde.

Da ward der Kauf geschlossen. Sie zog den güldenen Schuh an und nahm auch den silbernen, doch der ging an denselben Fuß. O weh mir! klagte die Holde, es ward ein Mißgriff getan, ich bring ihn nimmer an, du mußt wiederum gehen und Herrn Dietrich bitten, daß er dir den andern gebe und selber komme.

Das wird die Lästerer freuen, lachte Herlindis. Was tut's? Ich gehe – und sie hob ihr Gewand schier bis ans Knie und schritt, als hätte sie fraulichen Ganges vergessen, über den regenfeuchten Hof zu Dietrich. Und der werte Held wußte wohl, warum sie kam, er tat aber, als sähe er's nicht. Herlindis sprach zu ihm: Ich muß noch mehr Botengänge tun, es ist ein Mißgriff geschehen; itzt heißt dich meine Herrin mahnen, daß du den andern Schuh gebest und sie gesehest selber. Hei, wie tät' ich's gerne! sprach er, aber des Kaisers Kämmerer werden mich melden. O nie! sagte Herlindis, die tummeln sich im Hofe und schießen den Speerschaft, nimm du zwei Diener und heb dich leis mir nach, bei Schall und Kampfspiel misset dich keiner.

Jetzt wollte die Getreue von dann gehen. Doch der Held sprach: Ich will erst nach den Schuhen fragen. Da rief Asprian draußen: Was liegt an einem alten Schuh! Viel tausend haben wir geschmiedet, die trägt das Ingesinde; ich will den rechten suchen. Und er brachte ihn, und Dietrich schenkte der Kammerfrau wiederum einen Mantel und zwölf Spangen.

Da ging sie voraus und kündigte ihrer Herrin die erwünschte Märe. Herr Dietrich aber hieß im Hippodromushofe einen großen Schall anheben und hieß die Riesen ausgehen; da fuhr Widolt mit der Stange heraus und gebärdete sich schreckentlich, und Asprian schlug einen Purzelbaum in die blaue Luft, und Abendrot warf einen ungefügen Stein von viel hundert Pfunden und ersprang ihn zwölf Klafter weit, so daß keiner der Merker Herrn Dietrich wahrnehmen mochte.

Der ging züchtiglich über den Hof. Am Fenster erschaute ihn die harrende Königstochter, da schlug ihr Herz und die Kemenate ward ihm aufgetan und sie sprach zu ihm: Willkomm', edler Herr! wie seh' ich Euch gerne. Nun sollt Ihr mir die schönen Schuhe selber anziehen.

Mit Freuden! sprach der Held und setzte sich zu ihren Füßen, und sein Gebaren war gar schön und sie stellte ihren Fuß auf sein Knie, der Fuß war zierlich und die Schuhe paßten wohl, da fügte sie Herr Dietrich ihr an. Nun sage mir, vieledle Jungfrau, begann drauf der Listige, dich hat sicher schon gebeten manch ein Mann, du sollest zu seinem Willen stahn, welcher unter allen hat dir am besten gefallen?

Da sprach des Kaisers Tochter ernsthaft: Herr! auf die Seele mein, so wahr ich getauft bin, so man alle Recken der Welt zusammenstehen hieße, es möchte keiner wert sein, dein Genosse zu heißen. Du bist der Tugend ein ausgewählter Mann, – und doch, so die Wahl bei mir stünde, so nähme ich einen Helden, des muß ich denken mit jedem neuen Tag; seine Boten hat er ausgeschickt, um mich zu werben, die liegen itzt in tiefem Kerker. Er heißt Rother und sitzt über dem Meer'; – wird mir der nicht, so bleib ich eine Maid immerdar.

Eia, sprach Dietrich, willst du den Rother minnen, den schaff' ich dir zur Stelle. Wir haben als Freunde fröhlich gelebt, er war mir gnädig und gut, wenngleich er dann mich des Landes vertrieb.

Da sprach die Kaiserstochter: Höre, wie kann dir der Mann lieb sein, wenn er dich vertrieben? Ich merke wohl, du bist ein Bote, hergesandt von König Rother, nun sprich und verhehle mir nichts; was du mir heut auch sagest, ist wohl bei mir vertaget bis an den jüngsten Tag.

Da tat der Held einen festen Griff nach ihr und sagte: Nun stell' ich alle meine Dinge Gottes Gnade und der deinen anheim. Wohl denn! es stehen deine Füße in König Rothers Schoß.

Hart erschrak die Vielholde; den Fuß zuckte sie auf und klagte: O weh mir, nun war ich so ungezogen, mich trog der Übermut, daß ich den Fuß gesetzt auf deinen Schoß. Hat dich Gott hergesendet, das wär' mir innig lieb. Doch wie mag ich dir getrauen? So du die Wahrheit probtest, noch heute wollt' ich mit dir meines Vaters Reich räumen; es lebet kein Mann, den ich nähme, so du König Rother wärest genannt – aber vorher bleibt's wohl ungetan.

Wie soll ich's besser proben, erwiderte der König, als durch meine Freunde im Kerker? So die mich erschauen könnten, dir würde bald kund, daß ich wahr geredet.

So will ich meinen Vater bereden, daß er sie heraus lasse, sprach des Kaisers Tochter. Aber wer wird Bürge sein, daß sie nicht entrinnen?

Ich will sie über mich nehmen, sprach er.

Da küßte des Kaisers Tochter den Helden und er schied mit Ehren aus ihrer Kemenaten und ging auf seine Herberge und war ihm gar wonniglich zu Mute. Als aber der Morgen graute, nahm die Jungfrau einen Stab und schlüpfte in ein schwarz Trauergewand und legte einen Pilgerkragen über die Achsel, als wolle sie aus dem Lande abscheiden, und sah bleich und betrübt drein und ging zum Kaiser Konstantinus hinüber, klopfte an seine Tür und sprach listig zu ihm: Mein lieber Herr Vater, nun muß ich bei lebendem Leib ins Verderben. Mir ist gar elend, wer tröstet meine Seele? Im Traume treten die eingekerkerten Boten des Königs Rother vor mich und sind abgezehrt und elend und lassen mir keine Ruhe; ich muß fort, daß sie mich nimmer quälen, es sei denn, Ihr lasset mich die Armen mit Speisung, Wein und Bad erquicken. Gebet sie heraus, wenn auch nur auf drei Tage.

Da antwortete der Kaiser: Das will ich dulden, so du mir einen Bürgen stellest, daß sie am dritten Tage wieder niedersteigen zum Kerker.

Dieweil man nun zu Tische ging im Kaisersaal, kam auch der vermeinte Herr Dietrich mit seinen Mannen, und als die Mahlzeit vollendet und man die Hände wusch, ging die Jungfrau um die Tische, als wolle sie unter den reichen Herzogen und Herrn den Bürgen suchen, und sprach zu Dietrich: Nun gedenke, daß du mir aus der Not helfest, und nimm die Boten auf dein Leben.

Er aber sprach: Ich bürge dir, du allerschönste Maid.

Und er gab dem Kaiser sein Haupt zum Pfand, und der Kaiser schickte seine Mannen mit ihm, daß sie den Kerker öffneten.

Drin lagen die Gesandten elend und in Unkräften. Als man die Kerkertüren einbrach, schien der helle Tag ins Verließ, der blendete die Armen, denn sie waren sein nicht mehr gewohnt. Da nahmen sie die zwölf Grafen und ließen sie aus dem Kerker gehen; jedwedem folgte sein Rittersmann und das Gehen fiel ihnen sauer. Voran schritt Lupolt, ihr Führer, der hatte ein zerrissen Schürzlein um die Lenden geschlungen, und sein Bart war lang und struppig, der Leib aber zerschunden. Herr Dietrich stund traurig und wandte sich zur Seite, daß sie ihn nicht erkenneten, und hielt mit Gewalt die Tränen an, denn noch niemals war ihm das Leid so nah gestanden. Er hieß sie zur Herberge führen und pflegen und die Grafen sprachen: Wer war der, der seitab stand? der will uns sicher wohl. Und sie lachten in Freud und Leid zugleich, aber kannten ihn nicht.

Anderen Tages nun lud die Kaiserstochter die Vielgeprüften zu Hofe und schenkte ihnen gute funkelnde Gewänder und ließ sie in die warme Badestube setzen und einen Tisch richten, sie zu atzen. Wie nun die Herren saßen und ihres Leids ein Teil vergaßen, nahm Dietrich seine Harfe und schlich hinter den Umhang und ließ die Saiten erklingen; er griff die Singweise, die er einst gegriffen am Meeresstrand. Lupolt hatte den Becher erhoben, da entsank er seiner Hand, daß er den Wein niedergoß auf den Tisch, und einer, der das Brot schnitt, ließ sein Messer fallen und alle horchten staunend; voller und heller erklang ihres Königs Singweise. Da sprang Lupolt über den Tisch und alle Grafen und Ritter ihm nach, als wär' ein Hauch alter Kraft plötzlich über sie gekommen, und sie rissen den Umhang nieder und küßten den Harfner und knieten vor ihm und des Jubels war kein Ende. Da wußte die Jungfrau, daß er treu und wahrhaft der König Rother von Wikingland war und tat einen lauten Freudenruf, daß Konstantinus, ihr Vater, herzugelaufen kam – er mochte wollen oder nicht, so mußte er sie zusammengeben, und die Gesandten stiegen nimmermehr in ihren Kerker und Rother hieß nimmermehr Dietrich und küßte seine Braut und fuhr mit ihr heim übers Meer und war ein glückseliger Mann und hielt sie hoch in Ehren, und wenn sie in Minne beisammen saßen, sprachen sie: Gelobet sei Gott und Mannesmut und kluger Kammerfrauen List!

Das ist die Mär vom König Rother!Siehe Maßmann, Gedichte des XVI. Jahrhunderts, Band II. Das Heldengedicht, wie es hier teilweise nacherzählt ist, hat die Bearbeitung, in der es vorliegt, erst im zwölften Jahrhundert erhalten; der Inhalt aber ist entschieden alt und weist auf frühere Sagen zurück, die füglich zu Praxedis' Zeit ihren Weg an den griechischen Kaiserhof gefunden haben mochten.

... Praxedis hatte lang erzählt.

Wir sind wohl zufrieden, sprach die Herzogin, und ob der Schmied Weland den Preis davon tragen wird, scheint uns nach Rothers Geschichte ein weniges zweifelhaft.

Herr Spazzo ward drob nicht böse. Die Kammerfrauen in Konstantinopel scheinen die Feinheit mit Löffeln gegessen zu haben, sprach er. Aber sollt' ich auch besiegt sein, der letzte hat noch nicht gesungen.

Er sah auf Ekkehard hinüber. Aber der saß wie ein Traumbild in sich versunken. Er hatte vom König Rother wenig vernommen, der Herzogin Stirnband mit der Rose war das Ziel seiner Augen gewesen, dieweil Praxedis erzählte.

... Übrigens glaub' ich die Geschichte kaum, fuhr Herr Spazzo fort. Vor Jahren bin ich im Bischofshof zu Konstanz drüben beim Wein gesessen, da kam ein griechischer Reliquienverkäufer, der hieß Daniel und hatte viel heilige Leiber und Kirchenschmuck und künstlich Geräte bei sich. Dabei war auch ein altertümlich Schwert mit edelsteinbesetzter Scheide, das wollt' er mir aufschwatzen und sprach, es sei das Schwert des Königs Rother, und wären die güldenen Taler bei mir nicht ebenso dünn gesät gewesen wie die Haare auf des Griechen Scheitel, ich hätt' es gekauft. Der Mann erzählte, mit dem Schwert hab' Herr Rother mit dem König Ymelot von Babylon gestritten um des Kaisers Tochter, aber von goldenen Schuhen und Kammerfrauen und Harfenspiel hat er nichts gewußt.

Es wird noch vieles auf der Welt wahr sein, ohne daß Ihr Kenntnis davon habt, sprach Praxedis leicht.

Der Abend dunkelte. Mit gelbem Schein war der Mond auf gestiegen, würziger Duft durchströmte die Lüfte, im Gebüsch und am Felshang flimmerte es von Leuchtkäfern, die sich anschickten, auszufliegen. Ein Diener kam herab und brachte Windlichter; von ölgetränktem Linnen wie von einer Laterne umfangen, brannten die Kerzen. Es war lind und lieblich im Garten. Der Klosterschüler saß vergnügt auf seinem Schemel und hielt die Hände gefaltet wie in Andacht.

Was meint unser junger Gast? fragte die Herzogin.

Ich wollte mein schönstes lateinisches Buch geben, sprach er, wenn ich es hätte mit ansehen können, wie der Riese Asprian den Löwen an die Wand warf.

Du mußt ein Recke werden und selber auf Riesen und Drachen ausziehen, scherzte die Herzogin.

Aber das leuchtete ihm nicht ein. Wir bekommen mit dem Teufel zu streiten, sagte er, das ist mehr.

Frau Hadwig war noch nicht gestimmt, aufzubrechen. Sie knickte ein Zweiglein vom Ahorn in zwei ungleiche Stücke und trat zu Ekkehard. Der fuhr verwirrt auf.

Nun, sprach die Herzogin, ziehet! Ihr oder ich.

Ihr oder ich! sprach Ekkehard stumpf. Er zog das kürzere Ende. Es gleitete ihm aus der Hand; er ließ sich wieder auf seinen Sitz nieder und schwieg.

Ekkehard! sprach die Herzogin scharf.

Er schaute auf.

Ihr sollet erzählen!

Ich soll erzählen! murmelte er und fuhr mit der Rechten über die Stirn. Sie war heiß; es stürmte drin.

Ja wohl, – erzählen! Wer spielt die Laute dazu?

Er stand auf und sah in die Mondnacht hinaus. Verwundert schauten die andern sein Gebaren. Er aber hub mit klangloser Stimme an:

Es ist eine kurze Geschichte. Es war einmal ein Licht, das leuchtete hell und leuchtete von einem Berg hernieder und leuchtete in Regenbogenfarben und trug eine Rose im Stirnband...

Eine Rose im Stirnband?! brummte Herr Spazzo kopfschüttelnd.

... Und es war einmal ein dunkler Nachtfalter, fuhr Ekkehard in gleichem Ton fort, der flog zum Berg hinauf und flog um das Licht und wußte, daß er verbrennen müsse, wenn er hineinfliege, und flog doch hinein, und das Licht verbrannte den Nachtfalter, da ward er zur Asche und vergaß des Fliegens. Amen!

Frau Hadwig sprang unwillig auf.

Ist das Eure ganze Geschichte? fragte sie.

Meine ganze Geschichte! sprach er mit unveränderter Stimme.

Es ist Zeit, daß wir hinaufgehen, sagte Frau Hadwig stolz. Die Nachtluft schafft Fieber.

Sie schritt mit verächtlichem Blick an Ekkehard vorüber. Burkard trug ihr die Schleppe. Ekkehard stand unbeweglich. Der Kämmerer Spazzo klopfte ihm auf die Schulter; der Nachtfalter war ein dummer Teufel, Herr Kaplan! sprach er mitleidig. Ein Windstoß kam und blies die Lichter aus. Es war ein Mönch! sprach Ekkehard gleichgültig, schlafet wohl! –


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