Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Der Kaiser, sprach Ekkehard, zieht in Welschland zu Felde und erwirbt großen Ruhm.

O Welschland, Welschland! fuhr der Alte fort, das wird noch ein schlimmer Pfahl im deutschen Fleische werden. Jenes einemal hat sich der große Karl...

Den Gott segnen möge! fiel Rauching ein

... einen blauen Dunst vormachen lassen. 's war ein schlimmer Tag, wie sie ihm in Rom die Krone aufsetzten, und hat keiner gelacht, wie der auf Petri Stuhl. Der hat uns nötig gehabt – aber was haben wir mit Welschland zu schaffen? Schaut hinaus: ist die Gebirgsmauer dort für nichts himmelan gebaut? Das jenseits gehört denen in Byzantium, und von Rechts wegen; griechische List wird dort eher fertig als deutsche Kraft; aber die Nachfolgenden haben nichts zu tun, als des großen Karl Irrtum ewig zu machen. Was er Vernünftiges gewiesen, haben sie mit Füßen getreten, in Ost und Nord war vollauf zu tun, aber nach Welschland muß gerannt werden, als säß' in den Bergen hinter Rom der große Magnetstein. Ich hab' oft drüber nachgedacht, was uns in die falsche Bahn gewiesen; – wenn's nicht der Teufel ist, kann's nur der gute Wein sein.Diese Auffassung der vielbesprochenen und folgenschweren Krönung Karls des Großen in Rom am Weihnachtsfest 800 zum Kaiser und Schirmherrn der römischen Kirche entspricht der Ansicht, die die Zeitgenossen von der Sache hatten. Der Papst, der dadurch das lästige Schutz- und Aufsichtsrecht seiner byzantinischen Oberherrn loswerden wollte, hatte seinen bestimmten Plan, wenn er auch die Tragweite und Folgen des Ereignisses nicht im Auge hatte. Seitens des fränkischen Herrschers aber war die Annahme dieser Kaiserwürde ein Akt der Usurpation den legitimeren Byzantinern gegenüber, und es ist wohl zu erklären, warum die Berichterstatter erzählen, er würde an jenem Tage keinen Fuß über die Schwelle der Peterskirche gesetzt haben, wenn er des Papstes Absichten hätte erraten können, siehe den Monachus San Gallensis und Einhardi vita Karoli M. cap. 16 und 28.

Ekkehard war betrübt geworden ob des Alten Reden. Der schien es zu merken. Laßt Euch nicht anfechten, was ein Begrabener sagt, sprach er zu ihm, wir in der Heidenhöhle machen's nicht anders, aber die Wahrheit hat schon manches Mal in Höhlen gehaust, wenn draußen der Unsinn mit großen Schritten durchs Land ging.

Ein Begrabener? sprach Ekkehard fragend.

Deshalb könnt Ihr doch mit ihm anstoßen, sprach der Alte scherzend. 's war nötig, daß ich vor der Welt gestorben bin, das Kopfweh und die Schurken haben mich in Unehren gebracht. Braucht mich darum nicht so anzusehen, Mönchlein. Setzt Euch her auf die Steinbank, ich will Euch eine schöne Geschichte erzählen – Ihr könnt ein Lied zur Laute darüber machen...

Es war einmal ein Kaiser, der hatte wenig frohe Tage, denn sein Reich war groß und er selber war dick und stark und das Kopfweh plagte ihn, seit daß er auf dem Thron saß. Darum nahm er sich einen Erzkanzler, der war ein feiner Kopf und konnte mehr denken als sein Herr, denn er war dünn und hager wie eine Stange und hatte kein Kopfweh. Und der Kaiser hatte ihn aus dunkler Herkunft emporgehoben, denn er war eines Hufschmieds Sohn, und erwies ihm Gutes und tat alles, was er ihm riet, und schloß sogar einen elendigen Frieden mit den Nordmännern, denn der Kanzler sagte ihm: das sei unbedeutend, er habe wichtigere Geschäfte, als sich um ein paar Seeräuber zu kümmern. Der Kanzler ging nämlich in selber Zeit zu des Kaisers Ehgemahlin und berückte ihr schwaches Herz und vertrieb ihr die Zeit mit Saitenspiel und ließ nebenbei der edlen Alemannen Töchter entführen und verschwor sich mit seines Kaisers Widersachern. Und wie dieser endlich einen Reichstag ausschrieb, um der Not zu steuern, stund sein hagerer Kanzler dort unter den ersten, die wider ihn sprachen, mit neque enim begann er seine Rede und bewies, sie müßten ihn absetzen, und sprach so giftig und schlangenklug gegen den Nordmännerfrieden, den er selber geschlossen, daß sie alle von ihrem rechtmäßigen Herrn abfielen wie welke Blätter, wenn der Herbstwind die Wipfel schüttelt. Und sie schrien, die Zeit des Dicken sei vorbei und setzten ihn ab, mit dreifacher Krone auf dem Haupt war der Kaiser in Tribur eingeritten, wie er von dannen zog, nannte er nichts Mehres sein, als was er auf dem Leibe trug, und saß zu Mainz vor des Bischofs Pfalz und war froh, da sie ihm eine Suppe hinausreichten.

Der brave Kanzler hat Luitward von Vercelli geheißen – Gott lohn' ihm seine Treue nach Verdienst und der Kaiserin Richardis auch und allen zusamm!Siehe Hincmar von Rheims Annalen ad ann. 862 bei Pertz, Mon. I. 458.

Wie sie aber in Schwabenland sich des Verstoßenen erbarmten und ihm ein notdürftig Gütlein schenkten, sein Leben zu fristen, und wie sie daran dachten, mit Heeresmacht für sein gekröntes Recht zu streiten, da sandte der Luitward auch noch Mörder wider ihn. 's war eine schöne Nacht im Neidinger Hofe, der Sturm brach die Äste im Forst und die Fensterladen klapperten, der abgesetzte Kaiser konnte vor Kopfweh nicht schlafen und war aufs Dach gestiegen, daß ihm der Sturm Kühlung zublase: da brachen sie ein und fahten auf ihn. 's ist ein anmutig Gefühl, sag' ich Euch, mit schwerem Haupt auf kaltem Dach zu sitzen und zuhören, wie sie drunten bedauern, einen nicht strangulieren und am Ziehbrunnen aufknöpfen zu können...

Wer das erlebt hat, der tut am besten, er stirbt.

Und der dicke Meginhart zu Neidingen war grad zu rechter Zeit vom Baum herab zu Tod gefallen, daß man ihn auf den Schragen legen konnt' und im Land verkünden, der abgesetzte Kaiser sei des Todes verblichen. Es soll ein schöner Leichenzug gewesen sein, wie sie ihn in die Reichenau trugen; der Himmel tat sich auf, ein Lichtstrahl fiel auf die Bahre, und sie haben eine rührende Leichenrede gehalten, da sie ihn einsenkten rechts vom Altar: »daß er seiner Würden entblößt und seines Reiches beraubt ward, war eine Fügung des Himmels, ihm zur Läuterung und Probe, und da er's geduldig trug, steht zu hoffen, daß ihn der Herr mit der Krone des ewigen Lebens für die belohnt, die er hienieden verloren...« so predigten sie in der KlosterkircheSiehe Hermanns des Lahmen von Reichenau Chronik ad ann. 888 bei Pertz, Mon. V. 109. und wußten nicht, daß in derselben Stunde der, den sie zu begraben meinten, mit Sack und Pack und einem Fluch auf die Welt in der Einsamkeit der Heidenhöhlen einzog.

Der Greis lachte: Hier ist's sicher und ruhig, um an alte Geschichten zu denken; stoßt an: die Toten sollen leben! Und der Luitward ist doch betrogen; wenn sein Kaiser auch einen alten Hut trägt statt güldenem Reif und Sipplinger trinkt statt goldigem Rheinwein, so lebt er doch noch: dieweil die Hageren und ihr ganzes Geschlecht vom Tode gerafft sind. Und die Sterne werden ihr Recht behalten, in denen bei seiner Geburt gelesen ward, daß er im Tosen der Reiterschlacht aus der falschen Welt abscheiden werde. Die Hunnen kommen... komm bald auch, du fröhlich Ende!

Ekkehard hatte mit Spannung zugehört. Herr! wie wunderbar sind deine Wege! rief er. Er wollte vor ihm niederknien und seine Hand küssen, der Alte litt's nicht: Das gilt alles nicht mehr! nehmt Euch ein Beispiel...

Deutschland hat Euch und Eurem Stamm große Unbill angetan... wollte Ekkehard trösten.

Deutschland! sprach der Alte, ich bin ihm nicht gram, mög' es gedeihen und blühen, von keinem Feinde bedräut, und einen Herrscher finden, der's zu Ehren bringt und kein Kopfweh hat, wenn die Nordmänner wieder kommen, und keinen Kanzler, der Luitward von Vercelli heißt. Nur die, die seine Kleider unter sich geteilt und das Los um sein Gewand geworfen –

Möge der Himmel strafen mit Feuer und schwefligem Regen!.. vel, ut perturbatores reipublicae dignum est pati, usque ad cinerem concremati et in omnem ventum dispersi cum nominibus vel potius ignominia et memoria sua condemnentur in secula! Erchanberti breviarium ad ann. 880 bei Pertz, Mon. II. 330. sprach Rauching im Hintergrund.

Welchen Bescheid bring' ich meiner Herrin von Euch, fragte Ekkehard, nachdem er seinen Becher geleert.

Von wegen der Hunnen? sagte der Greis. Ich glaube, das ist einfach. Sagt Eurer Herzogin, sie soll in den Wald gehen und sehen, wie es der Igel macht, wenn ihm ein Feind zu nahe kommt. Er rollt sich auf wie eine Kugel und starrt in Stacheln, wer nach ihm greift, sticht sich. Das Schwabenland hat Lanzen genug. Macht's ebenso. Euch Mönchen kann's auch nicht schaden, wenn ihr den Spieß tragt.

Und wenn Eure Herrin noch mehr wissen will, so sagt ihr den Spruch, der in der Heidenhöhle gilt. Rauching, wie heißt er?

Zwei Mannslängen vom Leib oder wir schlagen euch die Schädel entzwei! ergänzte der Gefragte.

Und wenn von Frieden die Rede ist, so sagt ihr, der Alte in der Heidenhöhle hätt' einmal einen schlechten geschlossen, er tät's nicht wieder, trotzdem ihn sein Kopfweh noch plagt wie damals; er wollt' itzt lieber selber seinen Gaul satteln, wenn die Schlachtdrommeten blasen – lest eine Messe für ihn, wenn Ihr seinen letzten Ritt überlebt.

Der Alte hatte gesprochen mit seltsamer Lebendigkeit. Plötzlich stockte die Stimme, sein Atem ward kurz, fast stöhnend, er neigte sein Haupt. Es kommt wieder! sprach er.

Rauching, der Dienstmann, sprang ihm bei und brachte einen Trunk Wassers. Die Beklemmung ließ nicht ab.

Wir müssen das Mittel anwenden, sprach Rauching. Er wälzte aus der Höhlentiefe einen schweren Steinblock vor, von eines Mannes Höhe, der trug Spuren von Bildhauerwerk; sie hatten ihn in der Höhle als unerklärtes Denkmal früherer Bewohner vorgefunden. Er stellte ihn aufrecht an die Felswand; es war, als sei eines Menschen Haupt dran angedeutet und eine Bischofsmitra. Und Rauching griff einen gewaltigen knorrigen Stock und gab dem Alten einen zu Handen und begann auf das Steinbild einzudreschen und sprach einen Spruch dazu, langsam und ernst wie eine Litanei: Luitward von Vercelli: Reichsverräter, Ehebrecher, neque enim!... Dicht fielen die Streiche, da legte sich ein Lächeln um des Alten welke Züge, er erhob sich und schlug mit matten Armen ebenfalls drauf.

Es steht geschrieben: ein Bischof muß tadellos sein, sprach er in Rauchings Ton, – das für den Nordmänner-Frieden! das für der Kaiserin Richardis Verführung, neque enim! Das für den Reichstag zu Tribur, das für Arnulfs Kaiserwahl! neque enim!!

Die Höhle widerhallte vom dumpfen Klang; fest stand das Steinbild im Hagel der Schläge, dem Alten ward's leicht und leichter, er hieb sich warm am alten Haß, der ihm seit Jahren ein dürftig Leben fristete.

Ekkehard verstand den Hergang nicht ganz. Es ward ihm unheimlich. Er empfahl sich und ging.

Habt wohl schöne Kurzweil gefunden beim alten Narren droben, sprach der Meier von Sernatingen zu ihm, da er sein Roß gesattelt vorführte: vermeint er immer noch, er hab' eine Krone verspielt und ein Reich? Ha ha!Die Gestalt des Alten in der Heidenhöhle möchte historisch etwas anzuzweifeln sein. Alle Merkmale deuten auf Karl den Dicken, aber der war eigentlich längst gestorben, bevor die erste Stunde des zehnten Jahrhunderts schlug. indes, was die Geschichte trennt, fügt die Sage wieder zusammen, und wie sie einst dem ostgotischen Dietrich von Bern im Nibelungenlied eine Stellung verschaffte, auf die er seinen historischen Präcedentien nach gar keine nachzuweisenden Ansprüche hat, so gefällt es ihr, den letzten Träger des karolingischen Weltreichs an einen stillen Ort zu entrücken und ihm eine Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, die ihm die Mitlebenden versagten.

Eines Gerüchtes, daß der alte Kaiser nicht gestorben, sondern von seinen Feinden stranguliert worden sei, erwähnt der Mönch von Vaast in seinen Jahrbüchern bei Pertz, Mon. II. 203. Das Volk aber, das von ihm ein ganz ander Bild im Herzen trug, als der Haß der Parteien, die ihn mit entstellten Zügen der Nachwelt geschildert, und das in dem hereingebrochenen Jammer der nächsten Jahrzehnte keinen Grund fand, seine Absetzung als den Anbruch besserer Zeiten zu begrüßen, hielt in Alemannien an dem Glauben fest, daß er gar nicht gestorben sei und noch, wie früher und später manch ein anderer Held, in irgend einer Höhle verborgen sitze, um zu rechter Stunde wieder herauszutreten und die Zügel seines Reiches zu Handen zu nehmen. Mehrere Aufstände in Alemannien gegen den durch Karls des Dicken Sturz empor gekommenen Kaiser gaben Zeugnis von dem Anteil, den man für seinen abgesetzten Vorfahr hegte.

Ekkehard ritt von dannen. Im Buchwald sproßte das junge Grün des nahenden Frühlings. Ein jugendlicher Mönch aus der Reichenau ging desselben Weges. Keck, wie Waffenklirren, tönte sein Sang durch die Waldeinsamkeit:

»O tapfre junge Landeskraft, nun halt dich brav!
Mit Wächterruf und Feldgeschrei verscheuch den Schlaf,
Und mach die Rund zu jeder Stund um Tor und Turm!
Der Feind ist klug und schleicht mit Trug heran zum Sturm.
Von Wall und Zinnen schalle laut dein: Halt werda!
Das Echo widerhalle: eia vigila!!« 
»Fortis juventus, virtus audax bellica,
Vestra per muros audiantur carmina,
Et sit in armis alterna vigilia,
Ne fraus hostilis haec invadat moenia.
Resultat echo comes: Eja, vigila!
Per muros eja dictat echo vigila!«

Gefahr lehrt Verse machen! Der Gesang der Nachtwachen von Modena, dessen ganzen Text Muratori antiqu. Ital. III. 709 mitteilt, wetteifert an Wärme und rhythmischem Schwung mit den Kriegsliedern aller Zeiten. – Einen Bittgesang an den heiligen Geminianus um Schutz und Schirm wider die Hunnen in gleichem Metrum siehe bei Muratori antiqu. Ital. I. 22.

Es war das Lied, das die Nachtwachen zu Mutina in Welschland sangen, da der Hunnen Heer vor der Bischofsstadt lag. Der Mönch hatte selber vor drei Jahren dort Schildwache gestanden am Tor des heiligen Germinianus und kannte das Zischen der hunnischen Pfeile: wenn die Ahnung neuen Kampfes durch die Luft zieht, fallen einem die alten Lieder wieder ein. –


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