Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Wie ein Springquell entströmte dem jugendlichen Munde die Flut der Wissenschaft. Auch in der Astronomie war er bewandert; das Lob Zoroasters von Baktrien und des Königs Ptolemäus von Ägyptenland mußte der Oheim geduldig anhören, über Form und Vollendung des Astrolabiums ward ihm scharf auf den Zahn gefühlt;Die damaligen Studien erstreckten sich auch auf die Sternkunde. In der sanktgallischen Handschrift Nr. 18 p. 43 findet sich das Bild eines Mönches, der durch ein Fernrohr nach den Gestirnen schaut. Notker Labeo beschreibt ausführlich einen im Kloster aufgestellten Himmelsglobus. Die astronomischen Schriften der Alten, z. B. Aratus, kannte und las man. Vgl. I. v. Arx, Geschichten usw. I. 265. auch begann der braungelockte Schwestersohn auseinander zu setzen, wie faselnd die Meinung derer sei, die da glauben, daß auf der Rückseite des Erdglobus das ehrenwerte Geschlecht der Antipoden.. Antipodes nulla ratione credendi sunt, quia nec soliditas patitur, nec centrum terrae, sed neque hoc ulla historiae cognitione firmatum, sed hoc poetae quasi ratiocinando conjectant. Wörterbuch des Bischofs Salomo. hause – vor fünf Tagen hatte er all die schönen Sachen gelernt. Aber schließlich erging es dem Oheim wie dem tapfern Kaiser Otto, da der weltweise Bischof Gerbert von Rheims und Otrich, der Domschulmeister von Magdeburg, vor ihm und viel hundert gelehrten Äbten und Scholastern ihren Wettkampf über Einteilung und Grund der theoretischen PhilosophieDiese berühmte Disputation beschreibt ausführlich der fränkische Mönch Richer im dritten Buch seiner Geschichten Kap. 65. Der Kaiser gab Befehl, das gelehrte Turnier einzustellen, denn »der Tag war darüber beinah zu End gegangen und die Zuhörer von den vielen und langen Reden ermüdet«. abhielten – er gähnte.

Jetzt kam Praxedis mit einem herrlichen Kirschkuchen und einem Körbchen Früchte, das gab den Gedanken des fünfzehnjährigen Weltweisen eine Wendung zum Natürlichen; als wohlerzogener Knabe sprach er erst den HymnusDie klösterliche Disziplin war bemüht, mit den mannigfachsten Akten des gewöhnlichen Lebens ein Gebet oder einen Hymnus zu verbinden. Die sanktgallische Handschrift 134 enthält eine Sammlung folgender Hymnen, z. B. Hymne beim ersten Hahnenruf (ad gallicinium), beim Fasten, vor und nach dem Imbiß, beim Anzünden der Nachtlampen usw. Vgl. Hattemer, Denkmale usw. I. 273 u. ff. vor dem Essen, wie er in der Klosterschule üblich, dann vertiefte er sich ganz in des Kuchens Aufzehrung und überließ die Frage von den Antipoden einer späteren Zukunft...

Praxedis wandte sich zu Ekkehard. Die Herzogin läßt Euch kund tun, sprach sie mit verstelltem Ernst, daß sie gesonnen, zum Studium des Virgilius zurückzukehren; sie ist begierig zu vernehmen, wie der Königin Dido Geschicke sich weiter abspinnen. Heute abend beginnen wir; Ihr sollt ein freundlich Gesicht dazu machen, fuhr sie leiseren Tones fort, es ist eine zarte Aufmerksamkeit, Euch zu beweisen, daß trotz der Schriften gewisser Herren das Vertrauen auf Eure Wissenschaft nicht geschwunden.

Es war so. Ekkehard aber erschrak. Wieder in der alten Weise mit den zwei Frauen zusammen sein: schon der Gedanke tat ihm weh. Er konnte noch immer nicht vergessen, daß einst ein Karfreitagmorgen gewesen.

Da schlug er seinen Neffen auf die Schulter, daß der zusammenfuhr. Du kommst hier nicht in die Ferien zum Fischfangen und Vogelstellen, Burkard! sprach er, heute nachmittag lesen wir Virgil mit der gnädigen Herzogin, du wirst dabei sein.

Er gedachte, den Knaben als schirmende Abwehr zwischen die Herzogin und seine Gedanken zu stellen.

Wohl! sprach Burkard mit kirschrotblauen Lippen, Virgilius ist mir lieber als Jagen und Reiten, und ich werd' die Frau Herzogin bitten, mir von ihrem Griechischen etwas zu lehren. Nach jenem Besuch, wo sie Euch mit fortgenommen, haben die Klosterschüler oftmals gesagt, sie wisse mehr griechisch als alle ehrwürdigen Väter des Klosters zusammen, sie habe es durch Zauberei erlernt... Und wenn ich auch im Griechischen der erste bin...

Dann kann dir's nicht fehlen, daß du in fünf Jahren Abt und in zwanzig Jahren heiliger Vater zu Rom wirst, sprach Praxedis spottend. Einstweilen fließt dort der Burgbrunnen, das Blau deiner Lippen zu tilgen...

Um die vierte Abendstunde harrte Ekkehard im säulengetragenen Gemach seiner Gebieterin, die Lesung der Aeneide wieder aufzunehmen. Über ein halb Jahr war abgelaufen, daß Virgilius Ruhe gehabt. Ekkehard war beklommen, er hatte die Fenster weit aufgetan. Wohltuende Kühle des Abends strömte herein.

Der Klosterschüler blätterte in der lateinischen Handschrift.

Wenn die Herzogin mit dir spricht, sei fein artig, sprach Ekkehard.

Er aber antwortete mit Selbstgefühl: Mit einer so vornehmen Frau red' ich nur in Versen. Sie soll sich überzeugen, daß ein Zögling der innern Schule vor ihr steht.

Jetzt trat die Herzogin ein, gefolgt von Praxedis. Sie grüßte mit leichtem Kopfnicken. Ohne daß sie Ekkehards hoffnungsvollen Neffen zu bemerken schien, ließ sie sich im schnitzwerkverzierten Lehnstuhl nieder. Burkard hatte sich zierlich verneigt und stand am Ende des Tisches.

Ekkehard schlug den Virgilius auf. Da fragte die Herzogin gleichmütigen Tones: Was soll der Knab?

Ein demütiger Zuhörer, sprach Ekkehard, dem die Sehnsucht, das Griechische zu erlernen, Mut gibt, so erlauchter Lehrerin sich zu nahen. Er wird glücklich sein, wenn er von Eueren Lippen...

Aber bevor Ekkehard seine Rede geendet, war Burkard vor die Herzogin getreten, befangen und keck zugleich sprach er mit niedergeschlagenen Augen und genauer Betonung des Silbenmaßes:

Esse velim Graecus, cum vic sim, dom'na, Latinus.Der ich kaum ein Lateiner bin, ein Grieche möcht' ich werden... Altera dein die.. magistrum lectura adiit. Et cum sedisset, ad quid puer ille venerit, ipso astante inter cetera quaesivit. Propter Grecismum, ille ait.. domina mi! ut ab ore vestro aliquid raperet, alias sciolum vobis illum attuli. Puer autem ipse pulcher aspectu, metro cum esset paratissimus, sic intulit: Esse velim Graecus usw. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10 bei Pertz, Mon. II. 125.

Es war ein tadelloser Hexameter.

Frau Hadwig hörte ihm halb erstaunt zu. Ein braunlockiger Knabe, der einen Hexameter sprach, war in alemannischen Landen etwas Ungewohntes. Und er hatte ihr zu Ehren die Daktylen und Spondäen aus dem Stegreif ersonnen. Darum ergötzte sie sich an dem jungen Verseschmied.

Laß dich einmal näher beschauen, sprach sie und zog ihn zu sich. Er gefiel ihr; es war ein lieblich Knabenantlitz, durchsichtig Rot auf den Wangen, so fein und zart, daß das blaue Geäder in leichtem Umriß drunter zu erschauen war, üppig wallten die Locken um die Stirn, eine kecke Adlernase ragte über den gelehrten jungen Lippen wie ein Hohn auf das, was unter ihr gesprochen werde, in die Luft. Da schlang Frau Hadwig ihren Arm um den Knaben, hob ihn empor und küßte ihn auf Lippe und Wange und tat schier kindisch mit ihm; dann schob sie den gepolsterten Schemel hart an ihre Seite und setzte ihn drauf. Einstweilen sollst du von meinen Lippen etwas anderes pflücken als griechisch, sprach sie scherzend und küßte ihn noch einmal, – jetzt sei aber so brav wie vorhin und sag schnell noch ein paar leichthingleitende Verse.

Sie strich ihm die Locken zurück. Der Klosterschüler war errötet, aber seine Metrik kam durch einer Herzogin Kuß nicht aus der Fassung. Ekkehard war ans Fenster getreten und schaute nach den Alpen, Burkard aber sprach, ohne sich zu besinnen:

Non possum prorsus dignos componere versus,
Nam nimis expavi duce me libante suavi.
Ich finde keinen Vers mehr, es stockt der Rede Fluß
     Zu tief hat mich erschreckt der Herrin süßer Kuß.

Es waren wiederum zwei tadellose Hexameter.

Die Herzogin lachte laut auf. Du hast sicher schon das Licht der Welt mit lateinischem Vers begrüßt; das klingt und strömt ja, als wäre Virgil aus dem Grabe gestiegen. Warum erschrickst du denn, wenn ich dich küsse?

Weil Ihr so vornehm und stolz und schön seid, sprach der Knabe.

Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit frisch glühendem Kuß auf den Lippen so regelrechte Verse aus dem Ärmel schüttelt, dem hat der Schreck nicht tief ins Herz geschlagen. Sie stellte ihn sich gegenüber. Warum begehrst du so eifrig, das Griechische zu erlernen?

Sie sagen, wenn einer griechisch versteht, kann er so gescheit werden, daß er das Gras wachsen hört, war des Klosterschülers Antwort. Seit mein ältester Mitschüler Notker mit der großen Lippe sich gerühmt hat, er wolle dereinst den ganzen Aristoteles auswendig lernen und verdeutschen, läßt mir's keine Ruhe mehr.

Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Antiphon: Ihr Meere und Flüsse, lobet den Herren!

Ja, erwiderte Burkard.

So sprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion! Der Knabe sprach's nach.

Jetzt sing es! Er sang es.

Ekkehard schaute vorwurfsvoll auf die Gruppe herüber. Die Herzogin verstand den Blick.

So, nun hast du bereits sechs Worte gelernt, sprach sie zu Burkard. Wenn du wieder in Hexametern darum bittest, soll dir ein Mehreres verabreicht sein. Setz dich jetzo mir zu Füßen und hör andächtig zu. Wir werden Virgilius lesen.

Da begann Ekkehard mit der Aeneide viertem Gesang und las die Sorgen der Dido, wie immerdar der Gedanke an den edeln Trojaner Gast sie umschwebt und fest im innersten Busen sein Antlitz haftet und Wort. Und sie klagt ihr Leid der Schwester:

»Wenn's nicht fest in der Seele und unabänderlich stünde,
Keinem wollt ich hinfort durch ehliches Band mich gesellen,
Seit mit dem Erstgeliebten mir Freud' und Hoffnung dahinstarb,
Wenn nicht verhaßt Brautkammer und Hochzeitfackel mir wäre:
Dieser einen Versuchung noch könnt' ich erliegen.

Anna, ich will es gestehn: nachdem mein armer Sichäus
Sank, der Gemahl, und troffen in Bruderblut die Penaten,
Hat er allein mir gewendet den Sinn und die wankende Seele
Mir bewegt, ich erkenne die Spur vormaliger Flammen.«

Aber Frau Hadwig war wenig ergötzt von den Schmerzen der karthagischen Königswitwe. Sie warf sich in ihren Lehnstuhl zurück und schaute zur Decke empor. Sie fand keine Beziehungen mehr zwischen sich und der Frauengestalt des Dichters.

Haltet an! rief sie dem Vorlesenden zu, man merkt wieder, daß ein Mann das geschrieben. Er will die Frau demütigen. Alles falsch. Wer wird sich so in einen fremden Gast vernarren!

Das mag Virgilius verantworten, sprach Ekkehard. Die Geschichte wird's ihm so überliefert haben.

Dann lebt jetzt ein stärker Frauengeschlecht, sagte die Herzogin und winkte ihm weiterzulesen. Sie war fast beleidigt von Virgilius' Schilderung, vielleicht daß sie sich selber didonischer Anwandlungen erinnerte. Es war nicht immer gewesen wie heute.

Und er las, wie Anna der Schwester zusprach, nicht vergeblich wider gefällige Liebe zu streiten, wie an der Götter Altären Friede und Heil durch Opfer erfleht wird, dieweil die geschmeidige Flamme fortzehrt im Mark und die alte Wunde nicht vernarbt. Und wieder will die Betörte von den Kämpfen um Ilium vernehmen und hängt am Mund des Erzählers –

»Wenn sie darauf sich getrennt und ihr Licht die erdunkelnde Luna
Jetzo gesenkt und zum Schlaf die sinkenden Sterne ermahnen,
Trauert sie einsam im leeren Gemach – aufs verlassene Lager
Wirft sie sich, jenen entfernt den Entferneten hört sie und schaut sie
Oft den Ascanius auch, von des Vaters Bilde bezaubert,
Hält sie im Schoß, um zu täuschen die unaussprechliche Liebe.«

Ein leises Kichern unterbrach die Vorlesung. Der Klosterschüler war aufmerksam zu der Herzogin Füßen gesessen, schier angeschmiegt an ihr wallend Gewand; jetzt hatte er gekämpft, ein aufsteigend Lachen zu unterdrücken, es mißlang, er platzte heraus und hielt die Hände vergeblich vors Antlitz, sich zu decken.

Was gibt's, junger Versemacher? sprach Frau Hadwig.

Ich habe denken müssen, sprach der Junge verlegen, wenn meine hohe Herrin die Königin Dido wäre, so wär' ich vorhin der Ascanius gewesen, da Ihr mich zu herzen und küssen geruhtet.

Die Herzogin schaute scharf auf den Knaben herab. Will man ungezogen werden? Kein Wunder – schalt sie mit einem Fingerzeig auf seine Locken, die junge Altklugheit trägt ja schon graue Haare auf dem Scheitel.

... Das ist von der Nacht, da sie den Romeias erschlugen, wollte der Klosterschüler sagen.

Das ist vom Fürwitz, der törichte Dinge redet, wo er schweigen sollte, fuhr die Herzogin drein. Steh auf, Schülerlein!

Burkard erhob sich vom Schemel und stand errötend vor ihr. So, sprach sie, jetzt geh zu der Jungfrau Praxedis und melde ihr, es müßten dir zur Strafe alle grauen Haare abgeschnitten werden, und bitte schön, daß sie dir's tue. Das wird gut sein für unzeitig Lachen.

Dem Knaben standen die hellen Tränen in den Augen. Er wagte keine Widerrede. Er ging zu Praxedis hin, die hegte Teilnahme für ihn, seit sie gehört, daß er des Romeias Gefährte bei seinem letzten Gange gewesen. Ich tu' dir nicht weh, kleiner Heiliger, flüsterte sie ihm zu und zog ihn zu sich. Das junge Haupt in ihren Schoß gebeugt, mußte er vor ihr knien, da griff sie eine mächtige Schere aus ihrem strohgeflochtenen Nähkorb und vollzog die Strafe.

Betrüblich klang erst des Klosterschülers Schluchzen, – wer sein Haupthaar von fremder Hand berühren ließ, galt eigentlich für schwer beschimpftGrimm, deutsche Rechtsaltertümer p. 702 s. v. Scheren. – aber Praxedis' weiche Hand fuhr ihm streichelnd über die Wangen, nachdem sie das Gelock zerzaust hatte, da ward ihm bei aller Strafe so seltsam zu Mut, daß sein Mund lächelnd die letzte niederrollende Träne auffing.

Ekkehard sah eine Weile stumm vor sich hin. Das Spiel leichtfertiger Anmut macht den Traurigen trauriger. Er war verletzt, daß die Herzogin so sein Lesen unterbrochen. Aus ihren Augen las er keinen Trost; sie spielt mit dir, wie sie mit dem Knaben spielt, dachte er und schlug seinen Virgilius zu und erhob sich.

Ihr habt recht, sprach er zu Frau Hadwig, es ist alles falsch. Dido sollte lachen und Aeneas sollte hingehen und sich ins Schwert stürzen, dann wäre es richtig.

Sie blickte unstet auf. Was habt Ihr? fragte sie.

Ich kann nicht weiter lesen, erwiderte er.

Die Herzogin war aufgestanden.

Wenn Ihr nicht mehr lesen möget, sprach sie mit scheinbar gelangweiltem Ausdruck, es gibt noch mannigfache Mittel und Wege, uns Kurzweil zu schaffen. Wie wär' es, wenn ich Euch aufgäbe, uns etwas Anmutiges zu erzählen, – Ihr möget dabei auslesen, was Euch gefällt, es gibt so viel Liebreizendes und Gewaltiges außer Euerem Virgil. Oder gehet hin und dichtet selber etwas. Euch drückt irgend eine Last, Ihr mögt nicht erklären, Ihr mögt nicht aufs Land gehen, alles tut Euern Augen weh, Eurem Geist fehlt eine große Aufgabe, wir wollen sie Euch setzen.

Was sollt' ich dichten? erwiderte Ekkehard. Ist's nicht schon Glück genug, das Echo eines Meisters, wie Virgilius, zu sein? Er sah mit umflortem Auge auf die Herzogin. Ich wüßte nur Elegien zu singen, sehr traurige.

Sonst nichts? fragte Frau Hadwig vorwurfsvoll. Haben unsere Vorfahren keine Kriegszüge getan und ihr Heerhorn mit Sturmschall durch die Welt erklingen lassen und Schlachten geschlagen, so viel wert wie die des Landfahrers Aeneas? Glaubt Ihr, der große Kaiser Karl hätte die uralten Lieder der Völker sammeln und singen lassen, wenn nur leeres Stroh darin steckte! Müßt Ihr zu allem Eure lateinischen Bücher haben?

Ich weiß nichts, wiederholte Ekkehard.

Ihr sollt aber etwas wissen, sagte die Herzogin. Es stünde doch zu verwundern, wenn nur wir Hausgenossen der Burg einen Abend zusammensäßen und von den alten Geschichten und Sagen plauderten, ob da nicht mehr zusammenkäme, als in der ganzen Aeneide steht? Des Kaisers Karl frommer Sohn hat freilich vom alten Heldensang nichts mehr wissen wollenSiehe Thegani vita Hludowici imp. I. 19 bei Pertz, Mon. II. 594. und lieber schnurrendem Psalmodieren sein Ohr geliehen und ist an Leib und Seele verkümmert gestorben, aber uns allen haften von Kindesbeinen noch jene Geschichten an. Erzählet uns eine solche, Meister Ekkehard, dann erlassen wir Euch den Virgil samt der liebesiechen Königin Dido.

Aber Ekkehards Gedanken flogen anderwärts. Er schüttelte sein Haupt wie ein Träumender.

Ich sehe, Ihr brauchet Anstoß, sprach die Herzogin. Es soll Euch von allen ein gut Beispiel gegeben werden. Praxedis, halte dich bereit und künde es dem Kämmerer Spazzo an, wir wollen uns morgen an Erzählung alter Sagen erfreuen. Ein jedes sei gerüstet.

Sie griff den Virgilius und warf ihn feierlich unter den Tisch, als Zeichen, daß eine neue Ära beginne. Ihr Gedanke war gut und anregend. Nur dem Klosterschüler, der während der Herzogin Rede sein Haupt in Praxedis' Schoß hatte ruhen lassen, war es nicht ganz deutlich. Wann darf ich weiter griechisch lernen, gnädige Herrin? sagte er. Thalassi ke potami...

Wenn die grauen Haare wieder gewachsen sind, sprach sie heiter und küßte ihn wiederum.

Ekkehard ging mit großen Schritten aus dem Saal.


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