Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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So standen sie im Handgemeng. Staunig hatten die Hunnen die herannahenden dunkeln Scharen erschaut, Geheul und der zischende teuflische Ruf: hui! hui!.. haud mora, bellum incipitur atque ex Christianorum parte sancta mirabilisque vox »kyrie«, ex eorum turpis et diabolica »hui, hui!« frequenter auditur. Luitprand von Cremonade reb. imp. et regum lib. II. cap. 9. war ihre Antwort auf die media vita, auch Ellak teilte seine Reiter zum Angriff und ringsum tobte der Kampf. Drein gespornte Rosse durchbrachen das schwache Häuflein derer von Sankt Gallen, grimmes einzelnes Streiten begann, es rang die Kraft mit der Schnelle, germanische Ungelenkheit mit hunnischer List.

Da trank die Hegauer Erde manch frommen Mannes Blut. Tutilo, der Starke, lag erschlagen, er hatte eines Hunnen Roß unterlaufen, den Reiter an den Füßen heruntergerissen und schwang den Krummgesichtigen durch die Lüfte, ihm das Haupt an einem Feldstein zerschmetternd – aber ein Pfeil flog dem greisen Künstler durch die Schläfe, wie Siegsgesang himmlischer Heerscharen ertönte es durchs wunde Gehirn, dann sank er auf den erschlagenen Feind. Sindolt, der Böse, sühnte mit der Wunde auf der Brust manch schlimme Tücke, die er sonst an den Gefährten geübt; nichts frommte es dem Schotten Dubslan, daß er sich dem heiligen Minwaloius vergelübdet, barfuß gen Rom zu wallfahren, wenn er ihn heut beschütze – durchschossen trugen sie ihn aus dem Getümmel.

Wie's von Hieben auf die Helme prasselte, gleich Hagelschlag auf lockres Schieferdach, da zog Moengal, der Alte, die Kapuze übers Haupt, daß er nicht zur Rechten schaue und nicht zur Linken; sein Speer war verworfen. Heraus jetzt, alte Cambutta! rief er ingrimmig und schnallte die Keule los, die über den Rücken gefestigt ihn begleitet, und stand im Gewühl wie ein Drescher in der Tenne. Lang schon war ein Reiter um ihn geschwärmt, kyrie eleison! sang der Alte und schlug des Rosses Schädel entzwei, mit gleichen Füßen sprang der Reiter zur Erde, ein leichter Hieb von krummem Säbel streifte Moengals Arm. Hoiho! schrie er auf, im Lenzmonat ist gut Aderlassen, sieh dich für, Ärztlein! und er tat einen Keulenschlag, als wollt' er seinen Gegner klaftertief in die Erde hineinschlagen. Der Hunnenkämpe bog dem Hieb aus, da fiel der Helm – ein rotbackig Gesicht schaute zu dem Keulenschwinger hinüber, wallendes Haupthaar quoll drüber vor, von rotem Band durchflochten; eh' er einen zweiten Hieb führte, sprang's an Moengal hinauf wie eine Tigerkatze, das junge Gesichtlein hob sich vor dem seinen, als sollt' ihm in alten Tagen noch eines Kusses Gelegenheit beschert sein – da fuhr ein Biß in seine Wange, scharf und gut; er umfaßte den Angreifer – das war wie weibliche Hüften. Weiche von mir, Unhold, rief er, hat die Hölle auch Teufelinnen ausgespien? da saß ein zweiter Biß auf der linken Wange, gestörtes Gleichmaß herzustellen. Er fuhr zurück, sie lachte ihn an, ein ledig Roß sprang vorüber – eh' Moengal, der Alte, die Keule wiederum gehoben, saß Erica im Sattel und ritt davon wie ein Traum der Nacht, wenn der Hahn kräht...

Beim Heerbann im Mitteltreffen focht Herr Spazzo, der Kämmerer, als Führer einer Rotte. Das langsame Vorrücken hatte ihm behagt, wie der Kampf aber gar kein Ende nehmen wollt' und alles ineinand verbissen war, wie Meute und Edelwild auf der Hetzjagd, da ward's ihm schier zu viel. Eine idyllische Stimmung kam über ihn mitten unter Tod und Todesnot. Erst wie ihm einer im Vorbeireiten den Helm als Beutestück abriß, ward er aufgerüttelt aus seiner Betrachtung, und wie derselbe, den Versuch erneuernd, ihm auch noch den Mantel wegzerren wollte, rief er unwillig: ist's noch nicht genug, du Scharfschütz des Teufels? und tat einen Stich nach ihm, daß des Hunnen Schenkel von der langen Schwertklinge an sein Roß angeheftet ward. Jetzt gedachte er, ihm den Todesstoß zu geben, doch wie er sein Antlitz schaute, war es also häßlich, daß er beschloß, ihn als lebendige Erinnerung des Tages seiner Gebieterin mitzubringen. Da machte er den wunden Mann zum Gefangenen; er hieß Cappan und schmiegte seinen Hals unter Herrn Spazzos Arm, als Zeichen der Unterwerfung, und grinste mit den weißen Zähnen, wie ihm sein Leben geschenkt ward.

Gegen die Brüder der Reichenau führte Hornebog seinen Schwarm. Dort hielt der Tod reiche Ernte. Des Klosters Mauern glänzten fern aus dem See herüber zu den Streitern, wie eine Mahnung zu wuchtigem Dreinschlag, und der Hunnen mancher, der in Schwertes Bereich kam, merkte, daß er auf schwäbischem Boden stund, wo der Streiche gediegenste wild wachsen, wie die Erdbeeren im Wald. Doch auch in der Brüder Reihen ward's Lichter; da ruhte Quirinus, der Schreiber, für immer vom Schreibkrampf, der die Lanze in seiner Rechten zittern gemacht, da sank Wiprecht, der Sternkundige, und Kerimold, der Meister im Forellenfang, und Wittigowo, der Bauverständige – wer kennt sie alle, die Namenlosen, die freudigen Todes starben?

Nur einem gedieh ein hunnischer Pfeil zum Heile; das war der Bruder Pilgeram. Zu Köln am Rhein war er geboren und hatte seinen Wissensdurst und einen mächtigen Kropf auf Pirmins Eiland getragen, der frömmsten und gelahrtesten Mönche einer, doch wuchs sein Kropf und über Aristoteles' Ethik war er tiefsinnig geworden, daß Heribald oft mitleidig zu ihm gesagt: Pilgeram, du dauerst mich! Jetzt durchschnitt ihm ein Pfeil des Halses Überhang. Fahr wohl, Freund meiner Jugend! rief er und sank! Doch war's keine schwere Wunde, und wie er wieder erwachte, war's leicht am Halse und leicht im Kopf, und seinen Aristoteles schlug er zeitlebens nimmer auf.

Um das sanktgallische Feldzeichen war ein erlesen Häuflein geschart. Noch flatterten die schwarzen Wimpel vom Bild des Gekreuzigten, aber der Kampf war hart. Mit Wort und Tat feuerte Ekkehard die Genossen an, Widerpart zu halten; es war Ellak selber, der gegen sie anritt. Leichen erschlagener Männer und Rosse lagen in wildem Durcheinander; wer überlebte, hatte seine Schuldigkeit getan, und wo alle brav, ragte keine Einzeltat besonderen Ruhm erheischend aus dem Geschehenen herfür. Herrn Burkhards Schwert hatte in Ekkehards Händen neue Bluttaufe errungen, doch vergeblich war er auf Ellak, den Heerführer, eingedrungen, nur wenige Hiebe wechselten sie, da trennte das Wogen der Schlacht die Streitenden. Schon wankte das hochgehaltene Kreuz, von unablässigen Geschossen umschwirrt – da ging durch die Reihen ein Schrei des Staunens; vom Hügel, der den Turm von Hohenfridingen trägt, kamen zwei Reiter gesprengt, fremd an Gestalt und Rüstung. Schwerfällig und mächtigen Umfanges saß der eine zu Roß, von veralteter Form war Schild und Harnisch, doch verblichene Vergüldung zeigte den vornehmen Kriegsmann. Ein goldner Reif schlang sich um den Helm, vom roten Busch umwallt. Der Mantel flog im Wind, den Speer eingelegt, ritt er einher, ein Bild aus alten Zeiten, wie der König Saul in Folkards Psalmenbuch, da er ausritt wider David.Folchardi codex aureus (Bibliothek zu St. Gallen) p. 39. Sorgsam ihm zur Seite ritt der andere, zu Schirm und Deckung bereit als getreuer Dienstmann.

Der Erzengel Michael! rief's in der christlichen Heerschar, und sie faßten zu neuer Kraft sich zusammen. Die Sonne leuchtete auf des fremden Reitersmannes Gewaffen wie Verheißung des Siegs – itzt waren die zwei im Getümmel, als wollte der Goldgerüstete einen Gegner suchen. Der blieb ihm nicht aus. Wie ihn des Hunnenführers scharfes Auge erschaut, war auch schon sein Roß ihm entgegen gewandt, des fremden Rittersmannes Speer fuhr an ihm vorüber, schon hub Ellak das Schwert zu tödlichem Hieb. Doch der Dienstmann warf sich dazwischen, sein breites Schlachtschwert erreichte nur des Hunnen Roß, da beugte er sein Haupt vor und fing den Schlag, der dem Gebieter galt; in den Hals getroffen ging der treue Schildknappe in den Tod.

In klirrendem Fall rasselte Ellaks Pferd zu Boden, doch eh' der Schall verhallt war, stund der Hunne wieder aufrecht, der unbekannte Kämpe schwang den Streitkolben, ihn zu zerschmettern, Ellak, den linken Fuß auf den erschlagenen Renner gestemmt, preßte ihm mit nerviger Faust den Arm zurück und strebte ihn vom Gaul zu reißen. Mann an Mann hub sich ein Ringen der beiden Gewaltigen, daß die Kämpfer ringsum die Schlachtarbeit einstellend hinüberschauten.

Jetzt hatte Ellak in listiger Wendung das kurze Halbschwert gegriffen, das ihm nach hunnischem Brauch zur Rechten hing, aber wie er zu neuem Stoß ausholte, senkte sich schwer und langsam seines Gegners Streitkolben auf sein Haupt – noch führte die Faust des Getroffenen den Stoß, dann fuhr sie zur Stirn, Blut überströmte sie, auf sein Streitroß taumelte der Hunnenführer nieder und verhauchte unwillig sein Leben.

Hie Schwert des Herrn und Sankt Michael! scholl's brausend itzt von Mönch und Heerbannleuten, zu letztem verzweifeltem Angriff drangen sie vor, noch war der Goldgerüstete der vorderste im Treffen. Des Anführers Fall schuf den Hunnen panischen Schreck, rückwärts wandten sie sich, rückwärts in toller Flucht.

Schon hatte die Waldfrau des Feldstreites Ausgang erspäht, die Rosse standen geschirrt, sie warf einen zornmütigen Blick auf die anrückenden Mönche und ihren heimatlichen Fels, und scharfen Trabes fuhr sie dem Rheine zu, der Troß ihr nach – zum Rhein! war die Losung der fliehenden Reiter; zuletzt und ungern kehrte Hornebog mit den Seinen der Schlacht und dem hohen Twiel den Rücken. Auf Wiedersehen übers Jahr! rief er höhnend zu den Reichenauer Männern.

Der Sieg war errungen. Doch der, den sie als Erzengel wähnten, vom Himmel niedergestiegen aufs hegauische Blachfeld, neigte sein schweres Haupt auf des Streitrosses Rücken, Zügel und Kolben entsanken den Händen, war's des Hunnen letzter Stoß, war's Erstickung in Hitze des Kampfes – sie huben ihn als einen Toten vom Roß. Sein Visier war gelüftet, ein freudig Lächeln schwebte um das runzelgefurchte mächtige greise Haupt... von dieser Stunde hatte des Alten aus der Heidenhöhle Kopfweh ein End. Er hatte in ehrlichem Reiterstod die Schuld vergangener Zeiten gesühnt, das schuf ihm ein fröhlich Sterben.

Ein schwarzer Hund lief suchend über die Walstatt, bis er des Alten Leichnam gefunden, und leckte ihm wehmütig heulend die Stirn, und Ekkehard stand dabei, die Träne im Aug', und sprach das Gebet ums Heil seiner Seele...

Mit Tannenreis am Helm zogen die Sieger auf ihre Bergfeste zurück. Der Mönche zwölf ließen sie unten im Tal, Totenwache auf der Walstatt zu halten; und waren im Streit gefallen der Hunnen einhundertundachtzig, des schwäbischen Heerbanns sechsundneunzig, derer von Reichenau achtzehn, derer von Sankt Gallen zwanzig, der Alte und Rauching, sein Dienstmann.

Mit verbundener Wange schritt Moengal übers Feld, auf seine Keule wie auf einen Wanderstab sich stützend. Er beschaute die Erschlagenen. Hast du keinen Hunnen drunter getroffen, der eigentlich eine Hunnin ist? fragte er einen der wachehaltenden Brüder.

Nein! war der Bescheid.

Dann kann ich heimgehen! sprach Moengal.


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