Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Achtes Kapitel

Audifax

In jener Zeit lebte auf dem Hohentwiel ein Knabe, der hieß Audifax. Er war eigener Leute Kind, Vater und Mutter waren ihm weggestorben, da war er wild aufgewachsen, und die Leute hatten sein nicht viel acht, er gehörte zur Burg wie die Hauswurz, die auf dem Dach wächst, und der Efeu, der sich um die Mauern schlingt. Man hatte ihm aber die Ziegen zu hüten angewiesen. Die trieb er auch getreulich hinaus und herein und war schweigsam und scheu. Er hatte ein blaß Gesicht und kurz geschnitten blondes Haupthaar, denn nur der Freigeborene durfte sich mit wallenden Locken schmücken.Siehe Grimm, deutsche Rechtsaltertümer, 1. Aufl. p. 339.

Im Frühjahr, wenn neuer Schuß und Trieb in Baum und Strauch waltete, saß Audifax vergnüglich draußen und schnitt Sackpfeifen aus dem jungen Holz und blies darauf; es war ein einsam schwermütiges Getön, und Frau Hadwig war einmal schier eines Mittags Länge oben auf dem Söller gestanden und hatte ihm gelauscht, vielleicht, daß ihre Stimmung der Melodie der Sackpfeife entsprach – und wie Audifax des Abends seine Ziegen eintrieb, sprach sie zu ihm: heische dir eine Gnade! Da bat er um ein Glöcklein für eine seiner Ziegen, die hieß Schwarzfuß. Der Schwarzfuß bekam das Glöcklein, seither war in Audifax' Leben nichts von Belang vorgefallen. Aber er ward zusehends scheuer, im letzten Frühjahr hatte er auch sein Pfeifenblasen eingestellt.

Jetzt war ein sonniger Spätherbsttag, da trieb er seine Ziegen an den felsigen Hang des Berges und saß auf einem Steinblock und schaute hinaus ins Land; hinter dunklem Tannenwald leuchtete der Bodensee, vorn war alles herbstlich gefärbt – dürres rotes Laub trieb im Winde. Audifax aber saß und weinte bitterlich.

Damals hütete, was an Gänsen und Enten zum Hofe der Burg gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten Magd Tochter und hatte ihren Vater nie gesehen. Es war Hadumoth ein braves Kind, rotwangig, blauäugig, und ließ das Haar in zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänse hielt sie in Zucht und guter Ordnung, sie reckten manchem den langen Hals entgegen und schnatterten wie törichte Weiber, aber der Hirtin trotzte keine; wenn sie ihren Stab schwang, gingen sie züchtig und sittsam einher und enthielten sich jeglichen Lärmens. Oft weideten sie vermischt zwischen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den kurzgeschorenen Ziegenhirten nicht ungern und saß oft bei ihm und schaute mit ihm in die blaue Luft hinaus – und die Tiere merkten, wie ihre Hüter zusammenstanden, da hielten auch sie Freundschaft miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänse auf die Berghalde herunter, und da sie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, sah sie sich nach dem Hirten um. Und sie erschaute ihn, wie er weinte, und ging hinüber, setzte sich zu ihm und sprach: Audifax, warum weinst du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um seine Schulter, wendete sein lockenloses Haupt zu sich herüber und sprach betrübt: Audifax, wenn du weinst, so will ich mit dir weinen.

Audifax aber suchte seine Tränen zu trocken: Du brauchst nicht zu weinen, sagte er, ich muß. Es ist etwas in mir, daß ich weinen muß.

Was ist in dir, daß du weinen mußt? frug sie. Da nahm er einen der Steine, wie sie von den Twieler Felswänden abgelöst dalagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn und gab einen Klang.

Hast du's gehört?

Ich hab's gehört, sagte Hadumoth, es klingt wie immer.

Hast du den Klang auch verstanden?

Nein.

Ich aber versteh' ihn, und darum muß ich weinen, sprach Audifax. Es ist schon viele Wochen her, da bin ich drüben gesessen auf dem Felsen im Tale, da ist's zuerst in mich gezogen, ich kann nicht sagen wie, aber es muß aus der Tiefe gekommen sein, jetzt ist mir's oft, als wär' Aug' und Ohr anders geworden, und in den Händen flimmert's wie fliegende Funken; wenn ich übers Feld geh', so hör' ich's unter meinen Füßen rieseln, als flösse ein Quell unten; wenn ich am Fels steh', so sehe ich durchs Gestein, da ziehen viele Arme und Adern hinunter, und drunten hämmert's und pocht's, das müssen die Zwerge sein, von denen der Großvater erzählt hat, und von ganz unten leuchtet ein glühroter Schein empor... Hadumoth, ich muß einen großen Schatz finden, und weil ich ihn nicht finden kann, drum weine ich.

Hadumoth schlug ein Kreuz. Dir ist was angetan worden, sprach sie. Du hast nach Sonnenuntergang auf dem Boden geschlafen, da hat einer der Unterirdischen Macht über dich bekommen... Wart, ich weiß dir was Besseres als Weinen.

Sie sprang den Berg hinauf, in kurzem kam sie wieder herab und hatte ein Töpflein mit Wasser und ein Stücklein Seife, das ihr Praxedis einst geschenkt, und etliche Strohhalme. Und sie schlug eine hellen Schaum auf, nahm sich einen Halm, gab dem Audifax einen und sprach: Laß uns mit Seifenblasen spielen, wie ehedem. Weißt du noch, wie wir beisammen saßen und um die Wette geblasen haben, und zuletzt konnten wir's so schön, daß sie groß und farbig übers Tal flogen und glänzten wie ein Regenbogen, und 's war schier zum Weinen, wenn sie platzten...

Audifax hatte schweigend den Strohhalm genommen, duftig wie Tautropfen hing der Seifenschaum am Ende, er hielt ihn in die Luft hinaus, die Sonne glänzte drauf.

Weißt du auch, Audifax, fuhr die Hirtin fort, was du einmal gesagt hast, wie wir unsern Schaum verblasen hatten und es war Abend und Nacht geworden, und die Sterne zogen am Himmel auf? Das sind auch Seifenblasen, hast du gesagt, der liebe Gott sitzt auf einem hohen Berge, der bläst sie und kann's besser als wir...

Das weiß ich nicht mehr, sprach Audifax.

Er neigte sein Haupt zur Brust herab und fing wiederum an zu weinen. Wie muß ich's anfangen, daß ich den Schatz gewinne? klagte er.

Sei gescheit, sprach Hadumoth, was wolltest du auch mit dem Schatz beginnen, wenn er gewonnen ist?

Dann kauf' ich mich frei, sprach er gelassen, und dich auch, und der Frau Herzogin kauf' ich ihr Herzogtum ab und den ganzen Berg mit allem, was drauf steht, und dir laß ich eine güldene Krone machen und jeder Ziege ein gülden Glöcklein und mir eine Sackpfeife von Ebenholz und lauterem Golde...

Von lauterem Golde – scherzte Hadumoth, weißt du denn, wie Gold aussieht?

Da deutete Audifax mit dem Finger nach dem Mund: Kannst du schweigen? Sie nickte bejahend. Gib mir die Hand drauf. Sie gab ihm die Hand. So will ich dir zeigen, wie Gold aussieht, sprach der Hirtenknabe, griff in seine Busentasche und zog ein Stücklein hervor, rund wie eine mäßige Münze, aber gewölbt wie eine Schale, und waren etliche unverständliche Zeichen darauf, es gleißte und glänzte und war wirklich Gold. Hadumoth wog das Stück auf dem Zeigefinger.

Das hab' ich auf dem Feld gefunden, weit da drüben, sprach Audifax, nach dem Gewitter. Wenn der Regenbogen mit seinem Farbenglanz sich zu uns niederwölbt, dann kommen zwei Engel, wo seine Enden sich auf die Erde senken, halten sie ihm ein gülden Schüsselein unter, daß er nicht auf dem verregneten rauhen Boden aufstehen muß – und wenn er ausgeglänzt hat, dann lassen sie die Schüsselein im Felde stehen, zweimal dürfen sie's nicht brauchen, das würde der Regenbogen übel nehmen...Siehe Grimm, deutsche Mythologie, 3. Ausg. p. 695.

Hadumoth begann an den Beruf ihres Gespielen zum Schatzfinden zu glauben. Audifax, sprach sie, und gab ihm das Regenbogenschüsselein zurück, das frommt dir alles nichts. Wer einen Schatz finden will, muß den Zauber wissen – in der Tiefe unten wird alles gut gehütet, sie geben's nicht los, wenn sie nicht niedergezwungen werden.

Ja, der Zauber, sagte Audifax mit tränendem Aug' – wer ihn wüßte...

Hast du den heiligen Mann schon gesehen? frug Hadumoth.

Nein.

Seit vier Tagen ist der heilige Mann in der Burg, der weiß allen Zauber. Ein großes Buch hat er mitgebracht, das liest er unserer Herzogin vor, da steht alles drin geschrieben, wie man die in der Luft zwingt und die in der Erde und die im Wasser und Feuer, die lange Friderun hat's den Knechten heimlich erzählt, die Herzogin hab' ihn verschrieben, daß das Herzogtum fester werde und größer, und daß sie jung und schön bleibe und ewig zu leben komme...

Ich will zum heiligen Mann gehen, sprach Audifax.

Sie werden dich schlagen, warnte Hadumoth.

Sie werden mich nicht schlagen, sagte er, ich weiß etwas, das biet' ich ihm, wenn er mir den Zauber weist...

Es war Abend geworden. Die Kinder standen von ihrem Steinsitz auf – Ziegen und Gänse wurden zusammengerufen, wohlgeordnet, wie eine Heerschar, zogen sie den Burgweg hinauf und rückten in ihren Ställen ein. –

Desselben Abends las Ekkehard der Herzogin den Schluß des ersten Buchs der Aeneide, den Herr Spazzo tagszuvor unterbrochen: wie die Sidonierin Dido erstaunt bei des Helden Anblick ihn und die Seinen unter ihr gastlich Dach einladet, und beifällig nickte Frau Hadwig zu Didos Worten:

Mich auch hat ein gleiches Geschick durch mancherlei Trübsal
Umgeschüttelt und endlich im Lande hier ruhen geheißen;
Fremd nicht blieb ich dem Kummer und lernt' Unglücklichen beistehn.

Jetzt sendet Aeneas den Achates zu den Schiffen, daß er's dem Sohn Ascanius ansage, denn ganz auf Ascanius ruht die zärtliche Sorge des Vaters. Frau Venus aber bewegt neue List im Busen, in Didos Herz soll der Liebe Flamme entzündet werden, da entrückt sie den Ascanius weit in den Hain Idalia und wandelt den Gott der Liebe in Ascanius' Gestalt, die Flügel legt er ab, an Schritt und Gang ihm gleich stellt er sich mit den Troern in Karthagos Königsburg und eilt zur Königin hin –

                                mit den Augen an ihm, mit der Seele
Haftet sie, oft auch im Schoß erwärmt ihn Dido und weiß nicht,
Welch ein Gott ihr genaht, der Elenden! Er, sich erinnernd
Dein, acidalische Mutter, vertilgt des Sichäus Gedächtnis
Allgemach und mit lebender Glut zu gewinnen versucht er
Ihr längst kühleres Herz und der Seel' entwöhnete Regung.

Haltet ein, sprach Frau Hadwig. Das ist wieder recht schwach ausgesonnen.

Schwach? frug Ekkehard.

Was braucht's den Gott Amor selber, sprach sie. Könnt' es sich nicht ereignen, daß auch ohne Trug und List und sein Einschreiten des ersten Gemahls Gedächtnis in einer Witib Herzen zurückgedrängt würde?

Wenn der Gott selber das Unheil anstiftet, sprach Ekkehard, so ist Frau Dido entschuldigt und sozusagen gerechtfertigt – das hat wohl der Dichter andeuten wollen... Ekkehard mochte glauben, er habe eine feine Bemerkung gemacht. Frau Hadwig aber stand auf. Das ist etwas anderes, sprach sie spitzig, sie bedarf also einer Entschuldigung. An das habe ich nicht gedacht. Gute Nacht!

Stolz ging sie durch den Saal, vorwurfsvoll rauschte ihr langes Gewand. Sonderbar, dachte Ekkehard, mit Frauen den teuern Virgilius lesen, hat Schwierigkeit. Weiter gingen seine Gedanken nicht...

Andern Tags schritt er durch den Burghof, da trat Audifax, der Hirtenknabe, zu ihm, hob das Ende seines Gewandes, küßte es und sah fragend an ihm hinauf.

Was hast du? frug Ekkehard.

Ich möcht' den Zauber haben, sprach Audifax schüchtern.

Was für einen Zauber?

Den Schatz zu heben in der Tiefe.

Den möcht' ich auch haben, sprach Ekkehard lachend.

O, ihr habt ihn, heiliger Mann, sprach der Knabe. Habet Ihr nicht das große Buch, aus dem Ihr unserer Herrin des Abends vorleset?

Ekkehard schaute ihn scharf an, er ward mißtrauisch und gedachte der Art, wie er auf den hohen Twiel eingeführt worden. Hat dir's jemand eingegeben, fragte er, daß du so zu mir redest?

Ja!

Wer?

Da fing Audifax an zu weinen: Hadumoth! sprach er. Ekkehard verstand ihn nicht.

Wer ist Hadumoth?

Die Ganshirtin, sprach der Knabe schluchzend.

Du redest Torheit, geh deiner Wege...

Aber Audifax ging nicht.

Ihr sollt mir's nicht umsonst geben, sagte er, ich will Euch was Schönes zeigen. Es müssen viele Schätze im Berg sein, ich weiß einen, der ist aber nicht der rechte. Ich möcht' den rechten finden.

Ekkehard ward aufmerksam: Zeig mir, was du weißt! Audifax deutete bergabwärts. Da ging Ekkehard mit ihm zum Burghof hinaus und die Stufen des Burgwegs hinunter; auf des Berges Rückseite, wo der Blick zu des hohen Stoffeln tannigem Haupt hinüberstreift und zum hohen Höwen, bog Audifax vom Weg ab, sie gingen durchs Gebüsch, kahl, in verwittertem Grau strebte die Felswand vor ihnen zur Himmelsbläue empor.


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