Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Wo ist Ekkehard? fragte die Herzogin, nachdem sie, vom Zelter gestiegen, die Reihen ihrer Leute durchwandelt hatte. Praxedis deutete hinüber nach einem schattigen Rain. Eine riesige Tanne wiegte ihre schwarzgrünen Wipfel, ihr zu Füßen im verschlungenen Wurzelwerk saß der Mönch. Lauter Jubel und Menschengewühl preßte ihm beklemmend die Brust, er wußte nicht weshalb – er hatte sich seitab gewandt und schaute hinaus über die waldigen Rücken in die Alpenferne.

Es war einer jener duftigen Abende, wie sie hernachmals Herr Burkart von Hohenvels auf seinem riesigen Turm überm See belauscht hat, »da die Luft mit Sonnenfeuer getempert und gemischet«.Rüdiger Manesses Sammlung I. 87. Die Ferne schwamm in leisem Glanz. Wer einmal hinausgeschaut von jenen stillen Berggipfeln, wenn bei blauem Himmel die Sonne glutstrahlend zur Rüste geht, purpurne Schatten die Tiefen der Täler füllen und flüssiges Gold den Schnee der Alpen umsäumt, dem muß noch spät im Nebeldunst seiner vier Wände die Erinnerung tönen und klingen, lieblich wie ein Sang in den schmelzenden Lauten des Südens.

Ekkehard aber saß ernst, das Haupt gestützt in der Rechten.

Er ist nicht mehr wie früher! sagte Frau Hadwig zur Griechin.

Er ist nicht mehr wie früher! sprach Praxedis gedankenlos ihr nach. Sie hatte auf die hegauischen Weiber zu schauen und ihren Festschmuck und überlegte an diesen hohen Miedern und faßartig gestreiften Röcken und der unnennbaren Haltung beim Tanz, ob der Genius guten Geschmacks händeringend für immer dies Land verlassen oder ob sein Fuß es noch gar nie betreten habe.

Frau Hadwig trat vor Ekkehard. Er fuhr auf seinem Moossitz empor, als wär' ihm ein Geist erschienen.

Einsam und fern von den Fröhlichen? frug sie. Was treibet Ihr?

Ich denke darüber nach, wo das Glück sei, sprach Ekkehard.

Das Glück? sprach Frau Hadwig, das Glück kommt von ohngefähr wohl über neunzig Stunden her, heißt's im Sprichwort. Fehlt's Euch?

Es wäre möglich, sprach der Mönch und schaute ins Moos hinab. Erneute Musik und Jauchzen der Tanzenden tönte herüber.

Die dort das Erdreich stampfen, fuhr er fort, und mit den Füßen auszusprechen wissen, was ihnen das Herz bewegt, sind glücklich; es gehört wohl wenig dazu, um's zu sein, vor allem, – er deutete nach den schimmernden Häuptern der Alpen – keine Fernsicht auf Höhen, die unser Fuß niemals erreichen darf.

Ich versteh' Euch nicht, sagte die Herzogin trocken. Ihr Herz dachte anders als ihre Zunge. Wie geht es Eurem Virgilius? sprach sie, die Rede ablenkend; es hat sich wohl Staub und Spinnweb über ihn gesetzt in der Not der vergangenen Tage?

In meinem Herzen ist er wohl geborgen, sprach Ekkehard, wenn das Pergament auch modert. Erst vorhin sind mir seine Verse zum Lob des Landbaus durch die Gedanken gezogen: Dort das waldumschattete Häuslein, am Bergeshang der Felder schwarzfettes Erdreich, ein neu vermählt Paar mit Hacke und Pflug, der Mutter Erde den Unterhalt abzwingend – neidig mußt ich des Virgilius Bild vor mir sehen

                                »– ein truglos gleitendes Leben,
Reich an mancherlei Gut. Und Muße bei räumigen Feldern,
Grotten und lebende Teich', ein Kühlung atmendes Tempe,
Rindergebrüll und unter dem Baum sanft winkender Schlummer.«

Ihr wißt sinnig zu erklären, sprach Frau Hadwig. Des Cappan Lehenspflicht, ringsum den Maulwurf zu fahen und die nagende Feldmaus, hat Euer Neid wohl übersehen. Und die Winterfreuden! wenn der Schnee mauergleich bis an das Strohdach sich türmt, daß der helle Tag sich verlegen umschaut, durch welchen Spalt er ins Haus schlüpfen soll...

Auch in solche Not wüßte ich mich zu finden, sprach Ekkehard. Virgilius weiß es auch:

»Mancher verbleibet dann lang beim späten Geflimmer des Feuers
Wach im Winter und schnitzt sich Fackeln mit schneidendem Eisen,
Während sein Weib mit Gesang sich der Arbeit Weile verkürzend
Rasch des Gewebs Aufzug durchschießt mit sausendem Kamme.«

Sein Weib? sprach die Herzogin boshaft. Wenn er aber kein Weib hat?

Drüben erscholl ein brausend Jubelgelächter. Sie hatten den hunnischen Vetter auf ein Brett gesetzt und trugen ihn erhoben, wie einst den Heerführer auf dem Schild bei der Königswahl, über die Wiese. Er tat etliche Freudensprünge über ihren Häuptern.

– und kein Weib haben darf? sprach Ekkehard zerstreut. Seine Stirn glühte. Er deckte sie mit der Rechten. Wohin er schaute, schmerzte ihn das Aug'. Dort das Gewirre des Hochzeitjubels – hier die Herzogin, fern die leuchtenden Gebirge. Es war ihr unendlich weh, aber seine Lippen blieben geschlossen. Sei stark und still! sprach er zu sich selber.

Er war in Wahrheit nicht mehr wie früher. Der stille Bücherfriede der Mönchsklause war von ihm gewichen, Kampf und Hunnennot hatten sein Denken geweitet, der Herzogin Zeichen von Huld sein Herz entzweit. Im Gang des Tages, im Traum der Nacht verfolgte ihn das Bild, wie sie ihm Reliquie und Schwert des Gatten umgehangen, und in bösen Stunden zogen Vorwürfe nebelgleich durch seine Seele, daß er's so schweigend hingenommen. Frau Hadwig ahnte nicht, was in ihm kochte; sie dachte gleichgültiger von ihm, seit vermeintliches Nichtverstehen ihres Zuvorkommens sie gedemütigt; aber wenn sie ihn wieder sah, Kummer auf der hohen Stirn und fragend Schwermut im Aug', so erneute sich das alte Spiel.

Wenn Ihr solche Freude am Landbau habt, sprach sie leicht, ich wüßt Euch Rat. Der Abt von Reichenau hat mich geärgert, die Perle meiner Hofgüter mir abschwätzen wollen, als wär's eine Brotkrume, die man vom Tisch schüttelt, ohne umzuschauen!

– Es rauschte im Gebüsch, sie nahmen es nicht wahr. Ein dunkler Schimmer zog sich durch die Blätter – war's ein Fuchs oder eines Mönchs Gewand?

Ich will Euch als Verwalter drauf setzen, fuhr Frau Hadwig fort, da habt Ihr all die Herrlichkeit vollauf, deren Anblick Euch heute schwermütig macht, und noch mehr. Mein Saspach liegt fröhlich am Rhein, der alte Kaiserstuhl rühmt sich der Ehre, daß er zuerst in all unsern Landen die Weinrebe trug, – und sind ehrliche Leute dort, wenn sie auch eine unfeine Sprache sprechen.

Ekkehard sah vor sich nieder.

Ich kann's Euch ausmalen, ohne daß ich zu schildern weiß wie Virgilius. Denkt Euch, es ist Herbst – Ihr habt ein gesund Leben geführt, mit der Sonne heraus, mit den Hühnern zu Bett – jetzt kommt die Weinlese, von allen Bergrücken steigen Knechte und Mägde zu Euch hernieder, den Hängkorb gefüllt mit Trauben, Ihr steht am Tor...

Es rauschte wieder im Gebüsch.

... und denket darüber nach, wie der Wein wird, und besinnt Euch, auf wessen Wohl Ihr ihn trinken wollt, der Vogesenwald schaut so licht und blau zu Euch herüber wie hier die Hörner der Alpen, da kommt's mit Roß und Wagen vom alten Breisach her, die Heerstraße stäubt, Ihr hebet das Haupt, nun, Meister Ekkehard, wer wird angezogen kommen?

Der Gefragte war kaum der Schilderung gefolgt. Wer? fragte er scheu.

Wer anders als Eure Gebieterin, die sich ihr herzoglich Recht nicht vergeben wird zu prüfen, wie ihre Diener schalten.

Und dann? fragte er weiter.

Dann? dann werd' ich Erkundigungen einziehen, wie Meister Ekkehard seiner Pflicht oblag, und sie werden alle sagen: Er ist brav und ernst, und wenn er nicht so viel denken und sinnen und in seinen Pergamenten lesen wollte, wär' er uns noch lieber...

Und dann? fragte er noch einmal. Sein Ton war seltsam.

Dann werd' ich sprechen mit den Worten der Schrift: Wohl, du guter und getreuer Knecht! Du warst treu über weniges, ich will dich über vieles setzen. Zeuch ein zum Freudenmahl deines Herrn.

Ekkehard stand gleich einem Betäubten. Er hob seinen Arm, er ließ ihn wieder sinken, eine Träne zitterte in seinem Aug'. Er war sehr unglücklich.

... Zu selber Zeit schritt ein Mann vorsichtig aus dem Gebüsch heraus. Wie er wieder Wiesengrund unter den Füßen fühlte, ließ er die gehobene Kutte niederfallen. Er schaute bedeutsam auf die beiden zurück und nickte mit dem Haupte wie einer, der eine Entdeckung gemacht. Er war auch nicht hingegangen, um Veilchen zu pflücken.

Das Hochzeitsfest war in stufenweiser Entwicklung bis dahin gediehen, wo Chaos einzubrechen droht. Der Met wirkte in den Gemütern. Einer hing sein Obergewand an einen Baumast und fühlte unwiderstehliche Neigung, alles zu zertrümmern, ein anderer hingegen strebte, alles zu umarmen, ein dritter, der vor zehn Jahren manchen Kuß von Frideruns Wangen gepflückt zu haben sich erinnerte, saß trübsinnig am Tisch und hatte viel getrunken und sah den Ameisen zu, die ihm zu Füßen wimmelten, und sprach: Kling, klang, gloria! Keine ist was nutz... Die jungen Leute, die in der Frühe so verschämt als Hochzeitbitter bei der Herzogin waren, führten mit ihrem hunnischen Anverwandten ein germanisches Schalkspiel aus. Sie hatten ein großes linnenes Laken aus einer der Hochzeittruhen gerissen, den Cappan drauf, an den vier Ecken hielten sie's starr und schleuderten den Unseligen von der prallenden Decke empor, daß er in die blauen Lüfte hinaufwirbelte wie eine Lerche.Siehe Grimm, Rechtsaltertümer p. 726. s. v. Prellen. Er hielt's für den landesüblichen Ausdruck verwandtschaftlicher Hochachtung und schwang sich gewandt auf und nieder.

Da plötzlich tat die lange Friderun einen lauten Schrei. Alle Köpfe wandten sich, schier ließen die Vettern den Aufgeschnellten hinab ins kühle Erdreich sausen, ein Freudenjubel brach aus, ungeheuer und dröhnend, daß es schien, als wollten selber die verwitterten Basaltfelsen im Tannwald verwundert umschauen, und die hatten in Sturm und Wetter schon manch tüchtigen Lärm gehört. Audifax und Hadumoth kamen auf ihrer Flucht aus hunnischer Hand des Wegs gezogen. Audifax führte den Gaul mit der Schatztruhe am Zügel, glückselig gingen die Kinder nebeneinander, sie hatten heut zum erstenmal den Gipfel des hohen Twiel wieder erschaut und mit frohem Aufjauchzen begrüßt. Erzähl ihnen nicht alles! flüsterte Audifax seiner Gefährtin zu und flocht dichtes Weidengezweig um die Körbe. Schon war die lange Friderun herbeigesprungen und trug die Hadumoth halb auf den Armen weg. Grüß Gott, verloren Söhnlein! Trink Sackpfeifer, trink Sturmläufer! rief's aus aller Mund dem Audifax zu – sie wußten von des Jungen Gefangenschaft und reichten ihm die großen Steinkrüge zum Willkomm.

Die Kinder hatten unterwegs beredet, wie sie der Herzogin zu Haus entgegen treten wollten. Wir müssen ihr schön danken, hatte die Hirtin gesagt, und ich muß ihr den Goldtaler zurückgeben, ich hab' den Audifax umsonst bekommen, werd' ich ihr sagen.

Nein, hatte Audifax erwidert, wir legen vom Hunnengold noch die zwei größten Münzen darauf und bringen ihr die dar. Sie möcht' uns gnädig bleiben wie bisher, das sei unser Dank und die Buße in den Herzogsschatz, daß ich die Waldfrau erschlagen.

Sie hatten das Gold schon gerüstet.

Jetzt sahen sie die Herzogin bei Ekkehard unter der Tanne stehen. Der tobende Lärm der Mannen unterbrach das landwirtschaftliche Gespräch der beiden. Praxedis kam gesprungen und kündete die wunderbare Mär. Jetzt kamen die jungen Flüchtlinge selber, sie führten sich. Vor Frau Hadwig knieten sie nieder. Hadumoth hielt ihren Taler empor, Audifax zwei große güldene Schaumünzen; er wollte sprechen, die Worte blieben aus... Da wandte sich Frau Hadwig mit stolzer Anmut zu den Umstehenden:

Die Narretei meiner zwei jungen Untertanen schafft mir Gelegenheit, ihnen meine Gnade zu beweisen. Seid dessen Zeugen.

Sie brach einen Haselzweig vom Strauch, tat einen Schritt vor, schüttelte dem Hirtenknaben und seiner Gefährtin die Münzen aus der Hand, daß sie weit hinüberflogen ins Gras und berührte beider Scheitel mit dem Zweig. Stehet auf, sprach sie, keine Schere soll von heut an euer Haupthaar mehr kürzen, als der Burg Hohentwiel eigene Leute seid ihr gekniet, als freigesprochene und freie erhebt euch und behaltet einand so lieb in der Freiheit wie ehedem.

Es waren die Formen der Freilassung nach salischem Recht.Siehe lex Ripuariorum cap. 57. Der auf solche Weise Freigelassene hieß homo denariatus. Schon der Kaiser Lotharius hatte seiner alten Magd Doda den güldenen Denar aus der Hand und damit das Joch der Sklaverei vom Nacken geschüttelt. Audifax aber war fränkischer Abstammung, darum hatte sich Frau Hadwig nicht nach ihrem alemannischen Landrecht gerichtet.

Die beiden standen auf. Sie begriffen, was vorgegangen. Dem Hirtenknaben wollte es schwarz vor den Augen werden, der Traum seiner Jugend, Freiheit, Goldschatz... alles Wahrheit geworden, dauernde Wahrheit für jetzt und immerwährendes Immer!... Er sah Ekkehards ernstes Antlitz und warf sich mit Hadumoth vor ihm nieder. Vater Ekkehard, rief er, wir danken auch Euch, daß Ihr's wohl mit uns gemeint!

Wie schade, daß es schon zu spät worden, rief Praxedis herüber, Ihr könntet gleich noch ein Paar mit dem Band der Ehe zusammenschmieden oder wenigstens feierlich verloben, die taugen so gut zu einand, wie die zwei da drüben.

Ekkehard ließ sein blaues Aug' lange auf den beiden ruhen. Er legte ihnen die Hand auf und machte das Zeichen des Kreuzes über sie. Wo ist das Glück? sprach er leise vor sich hin. – –

In später Nacht ritt Rudimann, der Kellermeister, in sein Kloster zurück. Die Furt war trocken, er konnte zu Roß hinüber. Von des Abts Zelle glänzte noch ein Lichtschimmer in den See nieder. Er klopfte bei ihm an, öffnete die Tür halb und sprach: Meine Ohren haben heute mehr hören müssen, als ihnen lieb war. Mit dem Hofgut zu Saspach am Rheine wird's nichts! Sie setzt das Milchgesicht von Sankt Gallen drauf...

Varium et mutabile semper femina! Wankelmütig und veränderlich stets ist das Weib!Siehe Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 10 bei Pertz, Mon. II. 135. murmelte der Abt, ohne sich umzuschauen. Gute Nacht!


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