Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Daß einer für seine Grobheit freundlich zum Mittagsmahl eingeladen wird, machte dem Kämmerer einigen Eindruck. Er nahm seinen Helm wieder ab. Den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! sprach er noch einmal, aber der Abt deutete hinüber: da sah man die offene Klosterküche, der blonde Küchenjunge drehte den Spieß am Feuer und schnalzte mit der Zunge, denn ein lieblicher Bratenduft war in seiner Nase aufgestiegen – ahnungsvoll standen etliche verdeckte Schüsseln im Hintergrund, – ein Mönch wandelte mit riesigem Steinkrug vom Keller her durch den Hof. Das Bild war allzu lockend.

Da vergaß Herr Spazzo die amtlichen Stirnfalten und nahm die Einladung an.

Bei der dritten Schüssel strömten seine Grobheiten spärlicher. Wie der rote Meersburger im Pokal glänzte, versiegten sie ganz. Der rote Meersburger war gut. –

Unterdes ritt Rudimann, der Kellermeister, aus dem Kloster. Der Fischer von Ermatingen hatte einen riesigen Lachs gefangen, frisch und prächtig lag er im kühlen Keller verwahrt, den hatte Rudimann erlesen als Geschenk zur Beschwichtigung der Herzogin. Auf dem Schreibzimmer des Klosters hatte er auch noch zu schaffen, bevor er ausritt. Ein Laienbruder mußte ihn begleiten, das in Stroh verpackte Seeungetüm quer über sein Maultier gelegt. Herr Spazzo war hochmütig herübergeritten, demütig ritt Rudimann hinüber. Er sprach leise und schüchtern, wie er nach der Herzogin fragte. Sie ist im Garten, hieß es.

Und mein frommer Mitbruder Ekkehard? frug der Kellermeister.

Der hat den wunden Cappan in seine Hütte am Hohenstoffeln geleitet und pflegt ihn, er kommt vor Nacht nicht heim.

Das tut mir leid, sprach Rudimann. Höhnisch verzog er seine Lippen. Er ließ den Lachs auspacken und auf die Granitplatte des Tisches im Hofe legen; die Linde warf ihren Schatten drüber, die Schuppen des Seegewaltigen glänzten, es war, als ob sein kühles Auge noch Leben hätte und schmerzlich stumm vom Berggipfel nach den blauen Wogen drüben schaute. Der Fisch war über eines Mannes Länge; Praxedis hatte einen hellen Schrei getan, wie die Strohhülle von ihm genommen ward. Er kommt vor Nacht nicht heim! murmelte Rudimann und brach einen starken Lindenzweig und sperrte mit eingeschobenem Holze dem Lachs den Rachen, daß er weit aufgerissen hinausgähnte. Mit grünem Lindenblatt verzierte er das Fischmaul, dann griff er in seinen Busen, dort trug er die Pergamentblätter von Gunzos Schmähschrift, er rollte sie säuberlich zusammen und schob sie in den offenen Rachen. Neugierig sah ihm Praxedis zu; das war ihr noch nicht vorgekommen.

Jetzt nahte die Herzogin. Demütig ging ihr Rudimann entgegen, er bat um Nachsicht für die Klosterleute, es tue dem Abt leid, er sprach mit Anerkennung von dem Verwundeten, mit Zweifel vom Wetterzauber, mit Erfolg im ganzen. Und mög' Euch ein unwürdig Geschenk wenigstens den guten Willen des Euch stets getreuen Gotteshauses beweisen, schloß er und trat zurück, daß der Lachs in seiner vollen Pracht sichtbar wurde. Die Herzogin lächelte halb versöhnt.

Jetzt sah sie das Pergament dem Rachen entragen. Und das? sprach sie fragend.

Das neueste der Literatur!... sprach Rudimann. Er neigte sich mit Anstand, ging zu seinem Saumtier und beeilte sich des Heimritts. –

Der rote Meersburger war gut. Und Herr Spazzo nahm's nicht als eine leichte Sache, beim Wein zu sitzen, er dauerte aus vor den Krügen wie ein Städtebelagerer und saß festgegossen auf seiner Bank und trank als ein Mann, der sprudelnd Aufschäumen den Knaben überläßt, ernst aber viel.

Der Rote ist die verständigste Einrichtung im ganzen Kloster, habt Ihr noch mehr im Keller? hatte er den Abt gefragt, wie der erste Krug leer war. Es sollte eine Höflichkeit sein, ein Zeichen der Versöhnung, daß er weiter trank. Da kam der zweite Krug. Unbeschadet der landesherrlichen Rechte! sprach er grimm, wie er mit dem Abt anstieß. Unbeschadet! antwortete der mit einem Seitenblick.

Es war die fünfte Abendstunde, da schallte ein Glöcklein durchs Kloster. Verzeihet, sprach der Abt, wir müssen zur Vesper, wollet Ihr mit?

Ich werd Euch lieber erwarten, entgegnete Herr Spazzo und schaute in den dunkeln Hals des Steinkrugs. Es wogte drin noch sattsamer Bedarf für eine Stunde. Da ließ er die Mönche ihren Vespersang halten und trank einsam weiter.

Wieder war eine Stunde abgelaufen, da besann er sich, weshalb er eigentlich ins Kloster herüber geritten. Es fiel ihm nimmer deutlich ein. Jetzt kam der Abt zu ihm zurück.

Wie habt Ihr Euch unterhalten? fragte er.

Gut! sprach Herr Spazzo. Der Krug war leer.

Ich weiß nicht... begann der Abt.

Doch! sprach Herr Spazzo und nickte mit dem Haupt. Da kam der dritte Krug.

Inzwischen kehrte Rudimann von seinem Ausritt heim, die Abendsonne neigte sich zum Untergehen, der Himmel färbte sich glühend, purpurne Streiflichter fielen durchs schmale Fenster auf die Zechenden.

Wie Herr Spazzo wieder mit dem Abte anstieß, glänzte der Rotwein wie feurig Gold im Pokal, und er sah einen Schein der Verklärung um des Abts Haupt flimmern. Er besann sich. Beim Leben Hadwigs Per Hadewigae, ait, vitam! sic enim iurare solebat... Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. sprach er feierlich, wer seid Ihr?

Der Abt verstand ihn nicht. Was habt Ihr gesagt? fragte er. Da kannte Herr Spazzo die Stimme wieder. Ja so! rief er und schlug mit der Faust auf den Tisch, den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen!

Gewiß nicht! sagte der Abt.

Da fühlte der Kämmerer einen fliegenden Stich in der Stirn, 

ich hoere ein sueze stimme             
in mînem houbet singen
die hoere ich gerne klingen.
.
der Weinschwelg v. 268 u. ff.
den kannte er wohl und pflegte ihn den »Wecker« zu heißen. Der Wecker kam nur, wenn er beim Weine saß; wenn er durchs Haupt brauste, so war's ein Signal, daß in Frist einer halben Stunde die Zunge gelähmt sei und das Wort versage. Kam der Wecker zum zweitenmal, so drohte die Lähmung den Füßen. Da erhob er sich.

Die Freude sollen die Kutten nicht erleben, dachte er, daß vor ihrem Klosterwein eines herzoglichen Dienstmannes Zunge stille steht! Er stand fest auf den Füßen.

Halt an, sprach der Abt, des Abschieds Minne!

Da kam der vierte Krug. Herr Spazzo war zwar aufgestanden, aber zwischen Aufstehen und Fortgehen kann sich noch vieles zutragen. Er trank wieder. Wie er seinen Pokal absetzen wollte, stellte er ihn bedächtig in die blaue Luft hinein, daß er auf die Steinplatten des Fußbodens fiel und zerschellte. Da ward Herr Spazzo grimmig. Verschiedenes rauchte und rauschte ihm durch den Sinn.

Wo habt Ihr ihn? fuhr er den Abt an.

Wen?

Den Klostermeier! Gebt ihn heraus, den groben Bauer, der mein Taufpatenkind hat umbringen wollen! Er ging drohend auf den Abt los. Nur einen einzigen Fehltritt tat er.

Der sitzt auf dem Schlangenhofe, sprach der Abt lächelnd. Er sei Euch ausgeliefert. Ihr müßt aber selber ausziehen und ihn holen.

Mord und Weltbrand! wir werden ihn holen, polterte Herr Spazzo und schlug ans Schwert, indem er nach der Türe schritt. Aus dem Bett werden wir ihn greifen, den Bärenhäuter, und wenn er gegriffen ist, beim Tornister des heiligen Gallus! wenn er... dann... sag' ich Euch...

Die Rede kam nimmer zum Schluß. Die Sprache stand ihm still wie die Sonne in der Amorrhiter Schlacht, da Josua ihr gebot.

Er griff nach des Abtes Becher und trank ihn leer.

Die Sprache kam nicht wieder. Ein süßes Lächeln lagerte sich auf des Kämmerers Lippen. Er schritt auf den Abt zu und umarmte ihn. Freund und Bruder! vielgeliebter alter Steinkrug! wie wär's, wenn ich Euch ein Aug' ausstäche? wollte er mit kämpfender Zunge zu ihm sagen; es gelang ihm nimmer, verständlich zu sein. Er preßte den Abt fest und trat ihm dabei mit dem bespornten Stiefel auf den Fuß. Abt Wazmann hatte bereits den Gedanken überlegt, ob er dem Erschöpften ein Nachtlager wolle anweisen, die Umarmung und der Schmerz seiner Zehen änderte ihm den Sinn, er sorgte, daß des Kämmerers Rückzug beginne.

Im Klosterhof ward sein Roß gesattelt. Der blödsinnige Heribald schlich sich draußen herum, er hatte ein groß Stück Zunder in der Küche geholt und gedachte dasselbe brennend des Kämmerers Roß in die Nüstern zu legen, daß es ihn räche für den flachen Hieb. Jetzt kam Herr Spazzo heraus, er hatte die Reste seiner Würde zusammengerafft. Ein Diener mit einer Fackel leuchtete.

Der Abt hatte ihm an der oberen Pforte Valet gewinkt.

Herr Spazzo stieg auf seinen treuen Rappen Falada, ebenso schnell gleitete er auf der rechten Seite wieder herab. Heribald sprang bei, ihn aufzufangen, der Kämmerer fiel ihm in die Arme, des Mönchs Bart streifte stechend seine Stirn.

Bist du auch da, Elbentrötsch!Elpentrötsch, tölpentrötsch, trilpentritsch, hilpentrisch usw., ein linkischer einfältiger Mensch, dem die Elbe (Elfen) etwas angetan haben. Siehe Grimm, Mythol. 412. weiser König Salomo! lallte Herr Spazzo; sei mein Freund! Er küßte ihn, da hob ihn Heribald aufs Roß und warf seinen Zunder weg und trat darauf. Eia, gnädiger Herr, rief er ihm zu, kommt recht wohl nach Hause! Ihr seid anders bei uns eingeritten wie die Hunnen, darum reitet Ihr aber auch anders von dannen wie sie, und sie haben sich doch auch aufs Weintrinken verstanden.

Herr Spazzo drückte den Eisenhut aufs Haupt, fest griff er die Zügel; es preßte ihm noch etwas das Herz, er kämpfte mit der lahmgewordenen Zunge. Itzt kam ein Stück verlorener Kraft wieder, er hob sich im Sattel, die Stimme gehorchte.

Und den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! rief er, daß es durch die stille Nacht des Klosterhofs dröhnte.

Zu derselben Zeit berichtete Rudimann dem Abt über den Erfolg seiner Sendung zur Herzogin.

Herr Spazzo ritt ab. Dem Diener, der mit der Fackel leuchtete, hatte er einen güldenen Fingerring zugeworfen. Darum ging der Fackelträger noch weit mit ihm bis zum schmalen Pfad, der über den See führte.

Bald war er am jenseitigen Ufer. Kühl wehte die Nachtluft um das heiße Haupt des Reiters. Er lachte vor sich hin. Die Zügel hielt er gepreßt in der Rechten. Der Mond schien auf den Weg. Dunkel Gewölk ballte sich fern um die Häupter der helvetischen Berge. Jetzt ritt Herr Spazzo in den Tannwald ein. Laut und gemessen schallte des Kuckucks Stimme durch die Stille. Herr Spazzo lachte. War's fröhliche Erinnerung oder sehnende Hoffnung der Zukunft, die sein Lächeln so süß machte? Er hielt sein Roß an.

Wann soll die Hochzeit sein? rief er zum Baum hinüber, drauf der Rufer saß.Der Kuckuck ist bekannt als Orakelverkünder im frühlingsgrünen Walde. Viel merkwürdige Traditionen über ihn siehe bei Grimm, Mythologie, 640 u. ff. Eine sehr alte Sage erzählt, er sei ein verwünschter Bäcker oder Müllerknecht, der armen Leuten von ihrem Teig gestohlen, und trage darum fahles mehlbestaubtes Gefieder. Er zählte die Rufe, aber der Kuckuck war heute unermüdlich. Schon hatte Herr Spazzo zwölf gezählt, da begann seine Geduld auf die Neige zu gehen.

Schweig, schlechter Gauch! rief er.

Da tönte des Kuckucks Ruf zum dreizehnten Male.

Der Jahre fünfundvierzig haben wir schon, und dreizehn macht achtundfünfzig, sprach Herr Spazzo zornig. Das gäb' späten Brautstand.

Der Kuckuck rief zum vierzehnten. Ein anderer war vom Rufen wach geworden und ließ itzt auch seine Stimme erklingen, ein dritter stimmte ein, das hallte und schallte neckisch um den trunkenen Kämmerer herum und war nicht mehr zu zählen.

Da ging ihm die Geduld gänzlich aus. Lügner seid ihr und Ehebrecher und Bäckerknechte alle zusammen! schalt er die Vögel. Schert euch zum Teufel!

Er spornte sein Roß zum Trab. Der Wald schloß sich dichter. Jetzt zogen die Wolken herauf schwer und dunkel, sie zogen gegen den Mond. Es war stockfinster; geisterhaft ragten die Tannen, alles lag schwarz und still. Gern hätte Herr Spazzo itzt noch den Kuckuck gehört, der nächtliche Ruhestörer war fortgeflogen – da ward's dem Heimreitenden unheimlich; eine ungestalte Wolke kam gegen den Mond geschlichen und hüllte ihn ganz ein, da fiel Herrn Spazzo ein, was ihm die Amme in erster Jugend erzählt, wie der böse Wolf Hati und Managarm, der Mondhund, dem leuchtenden Gestirn nachjagen; er sah wieder auf, da sah er den Wolf und den Mondhund deutlich am Himmel; itzt hielten sie den armen Tröster der Nacht im Rachen... Herr Spazzo schauderte. Er zog sein Schwert. Vince luna! Siege, o Mond! schrie er mit heller Stimme und rasselte mit Schwert und Beinschienen, vince luna, vince luna!Siehe das Ausführliche über die abergläubischen Vorstellungen bei Verfinsterung des Mondes, die nach Tacitus Annal. I. 28 schon die Gemüter der aufrührerischen pannonischen Legionen beunruhigten, bei Grimm a. a. O. p. 668. – Es ist ein bemerkenswerter Zug der germanischen Vorzeit, daß sie sogar dem Mond in seinen vermeinten Nöten durch Geschrei abzuhelfen bestrebt war.

Sein Geschrei war laut und sein ehern Gerassel scharf, aber die Wolkenungetüme ließen den Mond nicht, nur des Kämmerers Roß ward scheu und sprengte sausend mit ihm durch die Waldesnacht.

Wie Herr Spazzo des andern Morgens erwachte, lag er am Fuß des hunnischen Grabhügels. Auf der Wiese sah er seinen Reitersmantel liegen, sein schwarzes Rößlein Falada erging sich fern am Waldessaum, der Sattel hing unten am Bauch, die Zügel waren zerrissen; es fraß die jungen Wiesenblumen. Langsam wandte der schlafmüde Mann sein Haupt und schaute sich gähnend um. Der Klosterturm der Reichenau spiegelte sich so ruhig und fern im See, als wenn nichts geschehen wäre. Er aber riß einen Büschel Gras aus und hielt die tauigen Halme an seine Stirn. Vince luna! sprach er mit bittersüßem Lächeln. Er hatte schwer Kopfweh.


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