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Die Schule der Geduld.

Diese Lösungen hatten nun Alles verwandelt. Im Hafen lag ein Schiff, das ein Engländer verkaufen wollte, der ruhig darauf die Mißverhältnisse abgewartet, die ihn vom Vaterlande geschieden. Es war schön gebaut, mit mehrern Zimmern, alle bequem, ja kostbar eingerichtet und so neu, um noch zwanzig Jahre See zu halten. Mein Vater sprach mit ihm, und sie verstanden sich über den Preis. So war die Schule der Geduld denn unser, sammt ihrem großen Beischiff der Erfahrung.

Denn viele Gründe bewogen uns Alle, das sogenannte feste Land zu verlassen und ganz auf der See zu leben. Mein Vater, nur einzig bedacht, mich glücklich und ungekränkt zu wissen, rieth mir, um der schönen guten, reichen Gabriele willen, die doch die verfinsterte Sonne blieb, die Augen der Menschen zu meiden. Uebrigens erhielt sie nur Entschädigung durch Geld, nicht Ersatz durch die Güter des – Duchateau! Auch die Aerzte riethen mir, meiner Brustwunde wegen, zu langem Aufenthalt auf dem Meere. Aber auch der Vater wollte mich nicht entbehren – so mußt' ich bleiben, wo Er blieb! Er wollte meiner Mutter ihre Leiden , dazu mußt' er sie um sich haben. Um aber dieß zu können, ohne neue Kränkung oder die Meinung: man tadle sie und ihn, mußten sie beide einsam leben, und das geschahe wiederum im Schiffe am besten. So war auch ich in das schimmernde Schloß verzaubert, und mit mir Gabriele! – Vielleicht aber selber durch Herr, der nie der Seinigen vergaß, hatte auch Baruch erfahren, daß sein Weib – eines Christen Tochter sei. Hatte er auch unnöthige Eifersucht empfunden, als sein Weib nur den Bruder liebte, so hatte dies doch sehr bitter auf ihn gewirkt. Um desto weniger vermochte der redliche, aber fest und altgläubige Mann die Tochter eines Christen, wenn auch, noch obendrein, eine uneheliche Prinzessin zur Frau zu behalten, die ihm zu seinem Glück keine Kinder gebracht, welche ihn in die Verwirrung mit menschlichen Trieben festgebannt hätten. Also mit einer Art religiöser Freude übersandte er Athalien ihre Mitgift in offenen Wechseln.

So hatte die schöne Athalia nun für den Gemahl nur: Mutter, Bruder und Vater; und ich weiß nicht, ihr schien das Entschädigung, ja Ersatz. Und bei der bestimmten Art unserer Reise: alle schönen Länder, alle vorzüglichen Küstenstädte zu besuchen, ohne sie je zu bewohnen, glaubte sie bei ihrer Schönheit und Jugend und ihrem Reichthum Jemand zu finden, den sie endlich lieben möge, oder der sie liebe, wo möglich aber einen Geliebten-Liebenden! Sie zog ihn dann, wie des Fischers feuchtes Weib, in das feucht-verklärte Blau, halb zog sie ihn, halb sank er hin, und ward nicht mehr gesehen. Ihr Vater hatte kaum ein Recht, sie irgend zu beschränken, und er schien darauf nie Ansprüche machen zu wollen.

Denn nachdem er den ersten Schreck überwunden, und sich in ein unabänderliches Schicksal ergeben, war ihm ordentlich leicht um das Herz. Voll Geist und Kenntnisse wie er war, hatte er nur um so blinder und feiger geschienen, daß er sich nie die Mühe genommen, nachzudenken, wie er fehle. Aber er hatte das Bessere wohl gekannt, nur wie einen todten Schatz in sich getragen; die Gewohnheit hatte ihn in ihrem ehernen Gängelbande gehalten, er hatte jeden andern Morgen weise werden wollen; und jeder Tag hatte ihn in sein altes Gleis gerissen – aus holder Bequemlichkeit. Das Geschick nun hatte die Anstrengung für ihn gemacht; alle Genüsse, die er verloren, weil er aus abgeschnittener – Eitelkeit nicht mehr ihrer fähig war in seinen Augen, und in der Meinung der Welt, waren ihm längst nicht mehr so viel werth, als seine Jagd danach es voraussetzen ließ; seine Phantasie und sein Verstand zeigten ihm nun, wo er hingerathen, welchen schönen Weg er versäumt zu gehen! Der wie vom Himmel gefallene Gewinn einer höchst liebenswürdigen Tochter, wie ein Engel, gleich groß und artig, verwandelte und betäubte ihn ganz, zum Beweis, wie menschlich und weich der Kern seines Herzens war. Ihm hatten nur Kinder gefehlt zu einem bedingten, menschlichen, gefaßten Streben. Dadurch, daß er Vater war, war er plötzlich ein Mensch geworden, und Gefühl für Menschen, so stark wie das für sein Kind, war kostbar in seinem Herzen aufgeblüht, wie eine Rose in einer Nacht aufbricht. Und Niemand kann gegen Alle nicht fühlen und haben, was er für Ein Geschöpf empfindet! Darum vergab er nicht nur meinem Vater, er dankte ihm selbst; und so durfte Jonas die Worte wagen: war die bloße kleine pointe der Nasenspitze der Sitz alles Unheils, welcher Edle wollte sich nicht diesen verruchten Theil des Menschen abschneiden, in welchem der Sitz des Teufels ist, wie man sieht! – Da nun Athalie bei uns blieb, so blieb er bei Athalien.

Herr war der Stamm unserer Familie, unser Noah. Wir wollten ihn nicht auf gemeine, aus Ehre – unehrliche Weise der Welt, ablohnen und fortschicken, um den nicht mehr vor Augen zu haben, dessen Blut wir im Herzen behalten; wir wollten das vierte Gebot erfüllen, das keinen Unterschied macht. Blieb er nun bei uns, so wollt' er nicht ohne sein christliches Lottchen, seine Kinder sein, die er unsere posthumischen Geschwister nannte. Darum reiste er, sie zu holen. Ich gab ihm Auftrag, meine Mama Hadriane mitzubringen, die eine vortreffliche Krankenpflegerin war. Ich mußte ihre Ehrlichkeit durch Gewährung eines – Ausgedinges belohnen, denn durch dieselbe war ich der Sohn meines Vaters geworden! Sie hatte gewiß gleich nach den ersten Worten gemerkt, daß Jonas rede, aber es war ihr einerlei gewesen, ob ein Todter oder Ungeborner sie laut an die Pflicht erinnert. Denn alles Unrecht geschieht meist nur heimlich, uns selber wo möglich verborgen, geschweige Andern!

Mein Vater hatte in einem herzlichen Briefe Abschied von seiner Mutter genommen, und wir waren überrascht, als sie selber kam, um bei uns zu bleiben, um in der Einsamkeit sich ihre Sünden nicht todt vorzustellen, sondern unter uns – lebendig, wie wir waren! Sie aber kam wiederum nicht ohne Beiwagen – mit ihrem Getreuen Magdalena Knecht, und dieser nicht ohne Zeiselwagen mit seiner Getreuen, und den zwei und zwanzig niedlichen Füßchen und Patschchen. Fast zu gleicher Zeit kam Herr mit den Seinigen und mit Mama Die Freude war also vollkommen!

Und als die Quarantaine überstanden war, zogen wir Alle sogleich in das Schiff. Und es kann nicht rührender gewesen sein, da Noah in seinen Kasten gezogen, mit allen, nicht des Ertrinkens werthen, höchst liebenswürdigen Personen, als wir, wie Kinder, in die Schule der Geduld, Paar und Paar, je ein Männlein und ein Fräulein zogen – Buffalora ausgenommen, der zwischen dem Koch und dem Doctor ging. Nur Becco, der sich nicht geschämt, wieder Protestant und Schnabel zu werden und zu heißen, folgte uns einsam, und malte uns schon in Gedanken.

Das Schiff flaggte. Abends war es erleuchtet mit bunten Laternen bis hoch in die Masten, und tief an das Meer. Mein Vater feierte seine silberne Hochzeit. Selbst Buffalora traute ihn, da er ihn vermocht, wieder zu seiner Kirche – in den Bildersaal seiner Jugend zurück zu treten, wie Sulamith wieder zu ihrem alten Gott geflüchtet war. Ich war nicht getauft, sagte meine Mutter, und so trat ich zu dem Bekenntniß, das ich hatte bekennen wollen, und hielt mir und Papa Wort. Es ist Alles verloren, was man in alte Säcke schüttet, flüsterte Knecht mir zu, mit Hinblick auf Herr und uns Alle. Dann feierten wir mit Gabriele die diamantene Hochzeit, die erste, die beste! Sie trug Annunciadens Diadem, nur das wasserhelle Perlenhalsband fehlte – die Mutter hatte Perle für Perle dem Vater Jahr für Jahr, ihm unbewußt, was er esse und trinke, zufließen lassen. Jeder trank nun des Andern Gesundheit, und unsere Kanonen machten die Toasts beinahe so feierlich, daß die Damen etwas Weniges in den Wein weinten. Wir blieben die Nacht auf. In der Morgendämmerung wurden die Anker gelichtet. Dann faßte mein Vater mich, auf dem Verdeck unter freiem dämmernden Himmel, an den Händen, und sprach gerührt: Mein Sohn, wir wollen nun sehen, ob die Liebe die beste Religion ist, oder etwas Anderes, und noch etwas außer ihr! Wir wollen uns lieben, weil wir Alle Menschen mit Fehlern sind, die Jeder kennt und Jeder Jedem vergiebt – sonst wär' es im Schiff, auf dem Meere, nicht auszuhalten; es ist ja nicht das feste Land! Dort hätten wir uns zerstreut; hier in der Schule der Geduld versammelt, können wir uns vorbereiten, mit Menschen zu leben, sowohl unser willen, als ihrer willen. Nur der Menschen Fehler zwingen sie, einen andern Himmel, einen bessern Vater zu suchen. Wer aber sich und Andere zu lieben versteht, oder nur lieben will, der hat ihn gefunden! Wir aber, die wir nöthig haben, uns zu verbergen, um glücklich oder nur ruhig zu sein, wir wollen abwarten, bis uns die Zeitungen die Einführung der Liebe gemeldet. So lange wird das Schiff wohl halten, denk' ich. Sind aber Deine Kinder klug, und bringt eine Taube uns nur einen Oelzweig vom festen Lande, dann landest Du sie!

Ich weinte; nun hatte ich Aeltern! Die Sonne ging auf, der Kiel rauschte in den Wogen – und die Schule der Geduld war angegangen!



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