Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Reichsfreie.

Ich saß auf dem Molo von Triest, und sah es Abend werden. Der abgeschlossene Himmel kam mir vor wie eine große Taucherglocke, sammt allem in eine unbekannte Tiefe herabgelassen, und in der ich mit saß. Aber wie mir eng um das Herz war, wie es in meinem Magen rief: Brot! und in meinem Gehirn rief: Luft! Licht! so hätt' ich bald die Hand nach dem neben mir hangenden Schiffs-Seil ausgestreckt, wie nach der Klingelschnur, um dem Wächter über mir das Zeichen zu geben, daß er mich sammt der Glocke hinaufzöge in Luft und Licht. Der Bauch lachte. Ich lächelte die Welt an, die bunt schimmerte wie eine Seifenblase. Die zarte Linie, welche blauen Himmel und blaues Meer am Horizonte scheidet, war verflossen in Duft, die goldene Abendgluth glänzte droben und drunten, das Gewölk hing nahe vor mir wie ein Vorhang, den man in den Zwischenacten niederläßt; die Schiffe, die draußen auf der Höhe des noch unangezündeten Leuchtthurms vor Nacht noch den Hafen zu erreichen strebten, kamen mir nur, wie hinter den Wolken daher aus dem Glanz und dem Feuer, oder gar aus der Sonne die sie ausgesetzt hatte, wie kleine sich wiegende Wasservögel oder Meerspinnen vor. Denn die schöne zitternde große Mutter-Sonne, die wie ein ziehender Schwan zur Nachtruhe eingefallen war in den Meerteich, lag so nahe, so nah anschaubar, ja wie erreichbar vor den Augen, daß ein Kind neben mir seinen Vater bat, ein Boot zu nehmen und das Viertelstündchen zur Sonne hinaus zu fahren. Der unpoetische Vater schlug es auf den Mund.

»Armes Kind!« sprach mein Bauch. Schweig, du Plagegeist, sagt' ich selbst mit meiner Kopfstimme – schweig! Willst du mich wieder verspotten, daß du selbst dem seines Vaters wegen von mir beneideten Kinde das Wort in den Mund legtest, ihm Schläge zuzogst, und bist doch mein einziger Freund, mein Du in der Welt. Ich selber bin das arme Kind! »So mein' ich es auch – sprach der Bauch – denn die Sonne dort hat weder Vater noch Mutter, und Du desgleichen nicht, aber sie geht lächelnd zu Bett, und Du nicht; und doch hat sie nicht, wo sie ihr Engelsköpfchen ohne Engelsleib hinlegt, wie Du nicht! –« Du hast auch nicht, wo du dich hinlegst, lieber Bauch, sprach ich selbst; sei nur ruhig, wir werden bei Signora Sala gut zu Abend essen, und du sollst deine Flasche Rifosco haben. – Der Bauch lachte recht innerlich. Unthier! sprach ich, stand auf, und ging mit ihm redend auf dem Molo spatzieren, wie weiland Münchhausens Mutter, noch ehe er geboren war.

Ist das denn nun gar so ein großes Leid: nicht Vater und Mutter zu kennen, Du elender Patron! begann mein Dämon wieder; ich dächte, es wäre nobler, sich für einen Erdgebornen, für ein Sonnenkind, ja nur für ein Mondkalb ausgeben zu können! Siehe nur die Blumen und Bäume, die Wellen und Wolken! die Herrlichen, Freien! Was für ein Geschrei nach Vater und Mutter erschölle, wären die Göttlichen alle Memmen wie Du, und riefen pip, pip, pip! in ihren Nestern. Was ist denn nun Vater und Mutter? und wer ist es eigentlich? Willst Du nicht lieber ein Unmittelbarer, ein Reichsfreier sein! Könntest Du jetzt noch der Mutter auf dem Schooße spielen? Ertrügst Du noch die Lehren des Vaters? Bedarfst Du noch Stützen und Pfähle wie ein erst gesetzter Baum? Bist Du nicht selbststämmig! Und dann der Jammer, wenn wir die Mittelbaren verlieren!

Der tiefe Schmerz eröffnet uns die Augen, wie eine innere Sonne und hebt uns in einen höhern Horizont, wenn der niedere, menschliche mit tödtlichen Nebeln bedeckt ist; erwiederte ich; dann ist es gut ein Unmittelbarer zu werden! Bist du es denn aber, du mein Hausmännchen, meine Bauch-Unke! O der Mensch ist so erbärmlich nicht, daß er an Vater und Mutter hängt, und wünscht die Kräfte verkörpert und menschlich gekannt zu haben, von denen er stammt. Wozu haben wir Arme und Brust, als an die Brust zu drücken, und wozu Thränen, als sie zu weinen?

So weine denn! rath' ich Dir, spottete mein Dämon. Wenn Du so kläglich denkst, und anders leben willst, als Du kannst, möcht' ich lieber ausfliegen aus meinem Neste, wäre ich nicht an Dich gebannt. –

Ein Mensch vergißt das Menschliche nicht; wer es nie besaß und genoß, der sehnt sich ewig darnach. Du bist ein Kobold, Jonas! schalt ich.

Und Du bist doch mein Väterchen, Wallfisch! antwortete Jonas.

Auf der Spitze des Molo stand ich still. Hinter mir hatte ich Fußtritte gehört von zwei Männern, wovon, dem Schritte nach, der Eine lahm war, und ein süßes » dimmi!« von einem Mädchen oder Weibe. Sie stellten sich mir links zur Seite, und das Weib streckte einen weißen reizenden Arm nach den Schiffen deutend aus, und auf ihrem Finger blitzte ein großer Rosendiamant, so daß ich von der rosigen Fingerspitze anfangend, an dem Arme zurück sah, und dann mit dem Auge wie ein Goldkäfer, an dem ganzen Weibe langsam und gleichgültig hinunter lief, von dem schwarzen Haar bis auf den Fuß; dann schlich mein Blick am Boden von ihr weg und glitt wie eine Libelle auf den Wellen hinaus.

Ich glaube, sprach mein Geist leise, der Abendthau ist der Niederschlag der Thränen, die das Auge der Sonne weint, daß so viel Schönes unter ihr täglich vergeht. Auch über sie wird bald die Sonne weinen! Kann man es Menschen verdenken? Siehe sie wenigstens an! das freut ein schönes Weib. – Ich wandte mich so, daß sie wahrnehmen konnte, daß meine Lippen sich nicht bewegten. So gestellt, sah ich sie mit unverwandten Augen an. Mit so süßer Stimme, als nur irgend ein Bauch jemals in seiner Gewalt gehabt, sprach ich nun so, daß die Worte ihr wie aus der Erde tönen mußten: »Du bist ein Engel!«

Vielleicht glaubte sie nur die Stimme ihres eigenen Selbstbewußtseins zu vernehmen, und ihr Mund lächelte ein wenig. Einige Umstehende aber betrachteten sie nun bewundernd und verlegen. Da nahm sie eine edle Stellung an. Das Bewußtsein: ich bin schön, hat keine Grenzen und die Seele verschwebt in himmlischen Gefühlen – Nein! – fuhr der Bauch fort – ich sage dir, du bist ein Engel, ich der Stein worauf du stehst. Ich glühe ganz! so glühte nicht der Stein, worauf die schönste Venus stand!

Sie trat einen Schritt zurück, schlug die Augen nieder, und ihr Erröthen war in dem Rosenlichte der untergehenden Sonne noch bezaubernder. Die Männer sahen sich um, sie sahen auf mich, und so fuhr ich gesichert fort: Aber was ist es nun mehr: schön sein? Lieben, beseligen was uns liebt, das ist die Sache!

– Das ist der Bauchredner! sprach Einer der Männer. Komm' Athalia, sprach der Andere; und als sie dennoch süßbefangen stehen blieb, und mich betrachtete, setzte er mit leisem Vorwurf hinzu: liebes Weib! – Dabei sah er mich nicht eben bös an, doch verdrüßlich, und etwas befangen.

Sie gingen. In der Bedienten Entfernung von zehn Schritten folgte ich, ohne alle arge Gedanken; denn um acht Uhr des Abends ging meine Akademie an, deren es nun überall in der Welt giebt, nur in Athen nicht, und worin jetzt statt des Platon, eben oft nur ein hungriger Bauch spricht. Auch dacht' ich nichts weniger, als durch mein Nachfolgen, hier an der Schwelle von Italien etwas Unschickliches zu begehen, wo der Mann eines schönen Weibes ganz andere Dinge stillschweigend erdulden muß, wo sich die jungen Herrn vor den Kirchthüren in Reihe und Glied stellen, und die Frauen und Mädchen unter lauten, einzelnen Belobungsworten und Blicken gleichsam unter das Joch schicken.

So üppig nun dieses Weibes Wuchs war, daß ihres Ganges schwebende Bewegung widerwillen meinen Puls scheinbar zu gleichen Schlägen mit ihren Schritten zwang, so unbemerkt sie das Köpfchen einmal umwandte, so wenig achtete ich eigentlich mehr auf sie, sondern blickte auf die Götter Griechenlands, die oben vom Palast Carciotti hinaus in das Meer schauen, nach ihrem verlorenen Königreich.

Desto mehr verdroß mich in meiner ganzen Stimmung die Anrede des andern Herrn, der zurückblieb und ohne Einleitung zu mir sprach: Junger Mann; sie ist eine Jüdin! Ich warne sie! – dabei hob er den Zeigefinger auf.

Mittler Mann! antwortete ich ihm, das gleich zu sehen, dazu gehört nicht ganze Menschenkenntniß, nur Nasenkenntniß.

Freilich! fuhr er seufzend fort; denn wie unaussprechlich schön auch eine ächte Salomotochter sei, so trägt sie doch das Zeichen an der Nasenspitze, wo der alte Vater im Garten einst Eva mit dem Finger angerührt und ihr gesagt: laß deinen Vorwitz, liebes Näschen! Aber mein Sohn, Du bist auch ein Jude, Deine Nase verräth dich, und das schwarze, lockige Haar, und das morgenländische Auge. Nicht Bennoni?

»Schlag' ihn nicht!« – sprach es ganz eigen in mir; so daß ich nur fortfuhr: Und Du bist ein Edelmann oder Graf, daß Du gleich den Juden Du nennst, wie Deinen armen Bauer! – Bei dem Worte Bauer, sah ich auf einmal so viele zerrissene Leinwandkittel, wie eine Bettler-Garderobe vor meinen Augen hängen, sah stumme Schaaren zur Frohne ziehen, sah den gedeckten Sonntagstisch, worauf nichts lag als schwarzes Brot und Kartoffeln, und eine magere Katze wollte dem kranken Kinde die Butter weghäkeln, daß ich ergrimmt mit der Hand ausholte. – »Schlag' ihn nicht!« flehte die Stimme wieder, mir unwillkürlich und laut.

Was fahren Sie mit der Hand durch die Luft, Herr Illonda? fragte er.

– Ich versichere Ihnen, ich wollte die Katze vom Tisch werfen, die Sie wahrscheinlich nicht gesehen, erwiederte ich. – Schlagen? Mich schlagen? wiederholte er entrüstet. Ja, aber uns schlagen! und nicht boxen! denn Sie haben es getroffen – ich bin ein Edelmann, ein Graf, Herr Bauchredner, oder Herr Psophia crepitans!

Aber Sie haben fehl geschossen, sprach ich, denn ich bin keiner vom Stamm Juda, sondern vom paradies-alten Geschlecht des Trompetervogels, wie Sie mich sehr unwahr auf lateinisch zu nennen belieben, – Wann ist es gefällig?

Morgen, wenn die Sonne aufgeht; sagte er wohl nur, weil sie eben unterging; wir fahren irgend wohin an die Küste.

Zu Befehl! erwiederte ich, wenn Sie kommen wollen; denn ich reise morgen ab, und ich weiß Ihren Namen nicht. Also wie Sie wollen. – –

Das soll man keinem Ungar nachsagen, nicht nachdenken, versetzte er, ich heiße Eperies.

Ich verneigte mich höflich vor ihm, aus wahrer Verehrung der immer tapfern freigesinnten Ungarn, die allein den Türken widerstanden, als sie noch die Türken waren; ich griff in die Tasche, und bot ihm drei Freibillets zu meiner Akademie.

– Das überraschte ihn bis zum Lächeln.

Drei? bemerkte er; Sie sollen sie sehen! – So verließ er mich und ging dem Paare nach, das ihn erwartete.



 << zurück weiter >>