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Die Spinnerin.

Gabrielens Besitz machte mich freudetrunken. Nur daß sie reich war, schlug mir alle Wonne nieder! »Wo das Weib den Mann reich macht, da ist nichts als Zank und Hader;« wenigstens heimlicher Stolz, sich »eigen« Dünken des Weibes, oder nimmermehr reine ganze Hingebung. Schon die Schöne muß ihre Schönheit für einen Schatz halten, oder das Weib bloß als Weib mit Recht sich schon für einen Juwel für den Mann; denn die Meisten glauben ihren Mann reich gemacht zu haben; sonst müßte wenigstens mehr reine Ergebung herrschen, nicht obiges Sprichwort. – In dieser Angst verließ ich also meine gute Gabriele und eilte nach dem Gegengewicht ihres Schatzes, nach meinem, besonders jetzt, gar nicht zu verachtenden Schmuck!

Wer edel von den Frauen denkt, nur der hat Recht; diese so eben an der treuen Gabriele gemachte Erfahrung hatt' ich so eben vergessen! Aber ich wollte ja nur, daß sie sicher ein gutes Weib sei! – Und so sehr ich sie liebte, so sehr nun eilt ich!

Es war noch nicht sehr spät. Der Mond war herauf. Durch die entlaubten Kirchhoflinden sauste der Herbstwind, und die Sterne schimmerten durch die wunderlich verschlungenen dunkelen Aeste, als wären sie nur, gegen den Himmel, aufgerichtete Schatten. Lajos Zimmer war hell von Lichtern der Candelaber. Auf der steinernen Bank vor den Fenstern saß ein alter, alter Mann in Bauerkleidern und stöhnte, und schien zu weinen. Das rührte mich. Ich frug theilnehmend, ob ihm der alte Vater da drin so leid thue? – Soll mir mein Sohn nicht leid thun? sprach er weich. Und seine Wittwe läßt mich ihn todt auch nicht mehr sehen, um nicht die Leute daran zu erinnern, ein Bauerssohn sei ihr Mann gewesen. Ach, wie gern käm' er zu mir heraus, wenn das ginge! – Wir wollen hineingehen, sagte ich, und unterstützte den Alten, der zaghaft das Weib noch fürchtete.

Drinnen stand nun der alte Vater, betete, die Hände in der Mütze, sein Vaterunser, schlich dann näher, und sah seit zwanzig Jahren an seinem Sohne sich wieder, und zum letzten Male satt. Hadriane trat aus dem Nebenzimmer herein. Sie gewahrte den Alten – aber ich hatte den rechten Muth erlangt, mich ihr zu erkennen zu geben! Sie erschrack, ließ den Großpapa bei Papa und zog mich mit sich hinein. Sie setzte sich aber gleich wieder an ihr Spinnrad, um zu spinnen. Und so vom Rocken verschattet, daß sie mich nur mit einem Auge manchmal ansah, verbarg sie sich gleich – in Klagen. – Papa Emeritus hat mir nichts verlassen; nach dem halben Jahre muß ich fort, wer weiß wohin, und doch muß ich fort. Ach wir armen evangelischen Prediger-Wittwen! So lange der Mann lebt, langt es nur kaum zum Leben. Die Einkünfte sind seit Jahrhunderten schon sich gleich geblieben, und in den neuesten Zeiten gar: gleich schlecht, wenn man nicht den Substituten auch heirathen kann! Man ist so an das Pfarrhaus gewöhnt, als wär's unser eigen. Ein geistlicher Herr mit dem Rosenkranz hat viermal so viel, denn er hat die drei Viertheile selbst, die bei Uns Weib und Kinderchen brauchen. Aber achtmal so viel, wenn er zweimal so viel hat. Und das hat er. Welcher Herr Pastor bei uns sein Glas Bier und seinen Taback mehr liebt als eine Frau, der kann nicht heirathen, oder er muß sein Weib mehr lieben, als Bier und Taback, und es dann Gott befehlen. Wer sich selber hilft, dem hilft Gott. Drum nehm' ich noch Alles zusammen und sitze und spinne; das hatte Papa so gern, wenn er schlief! Wenn ich nun spinne, so denk' ich »er schläft!« – Und nun schnurrte das Rad, sie zupfte am Flachs, und trocknete sich die Thränen am Rocken.

Es that mir leid jetzt den Schmuck zu verlangen! Wie sollt' ich beginnen? Sie frug nicht, wo ich gewesen, wie mir's ergangen, was ich bringe oder wolle, und öffnete ich den Mund zu einer Frage, so klagte sie wieder, und ließ das Rad sausen, daß Papa sich freue! Zuletzt wünschte sie mir – sehr unglücklich – Glück zu Gabrielen! denn wie konnte ihr so etwas einen Tag verborgen bleiben?

Nun war kein anderer Rath, als – –

Im Zimmer rief es auf einmal: »Mama! – Mama!«

Das Rad stockte, die Augen standen, das Ohr horchte.

»Mama!« rief es wieder.

Mamas kleines Hündchen boll, lief und winselte an der Thür. Mama stand auf, öffnete die Thür, sahe erblaßt und erschrocken, doch furchtlos hinein, und frug dem im Sarge Schlafenden: Hast Du gerufen? Papa! um Himmels willen, was willst Du denn noch?

Ich trat mit hinein in das Zimmer.

Da sprach der alte Lajos mit seiner sanften, liebreichen Stimme: »Meine Mama! gieb doch dem Adoni den Schmuck von der guten Frau! Gott wird für Dich sorgen! –«

Nun schwieg die Stimme.

Den Schmuck? von der guten Frau? dem Adoni! wiederholte Mama, die zuerst in der Angst oder durch die Zeit meinen Geist vergessen. Dann schüttelte sie den Kopf und setzte hinzu: Papa, Du bleibst doch ein ehrlicher Mann bis in dein kühles Grab! Du hattest immer ein gutes Gedächtniß – ich hatte noch nicht daran gedacht. Gott wird für mich sorgen.

Lajos Vater mußte zuvor davon geschlichen sein. Niemand war sonst im Zimmer.

Es kommt Niemand mehr, Dich zu sehen, Papa; es ist spät, sagte Mama, löschte die Lichter um Lajos aus, und wünschte Papa »gute Nacht« zum letzten Mal im Hause. –

Mir war ganz wunderlich zu Muth. Wir gingen wieder in das Seitenzimmer und Mama brachte aus dem Schranke ein Kästchen, schloß es auf, ließ mich erst sehen, hob dann den Schmuck heraus und gab ihn mir mit geschlossenen Augen. Nun geh' aber auch, Adoni! sprach sie dabei, und laß mich in Ruh.

Hab' ich denn keinen Vater? frug ich sie leis. Vom Himmel fallen die Kinder nicht! antwortete sie. Ich weiß aber nichts von ihm.

Auch keine Mutter? vielleicht die gute Frau?

Die Frau war gut, aber ob gewiß auch die Mutter, das hat sie mir nie gestehen wollen, und ich weiß doch sonst jedes Geheimniß von einem Weibe auszuholen. Die Frau war gut, denn der Schmuck sollte einmal Dein sein. Aber in alle Welt konnte Papa Dir ihn unmöglich nachschicken!

Wo ist sie hin?

Seit der Nacht, wo ein Wagen vor ihrem Hause ein Rad zerbrochen, das der Schmied gemacht, weiß keine Seele von ihr. Und so war sie fort, so wie sie gekommen. Nun weißt Du Alles, Adoni, nun geh', und laß mich spinnen.

Ich wollte den Schmuck zerbrechen, so leid er mir that, um Mama ein Geschenk zu lassen; aber er widerstand, oder hatt' ich vor Wehmuth nicht Kraft. Sie leuchtete mir nicht hinaus; ich ging bewegt durch das aus Sparsamkeit nur vom Mond erhellte Zimmer; ich stand, ich hörte und sah. Sie spann, und Papa schlief ruhig.

Als ich nach Hause gekommen, sagte mir Herr, der auf mich gewartet: »Gabriele schläft!« nur leis! Das Wort erschreckte mich fast! aber sie schlief ja noch anders! sie schlief noch für mich! So schlich ich auf mein Zimmer und dankte im Herzen Athalien! Die Diamanten, die ich hervorgezogen, funkelten mich an. O geheimnißvolle Sprache der Dinge, wer sie verstände! sie sehen uns an und wollen reden, wie Wickelkinder, und regen die Augen. Ach, ich hatte eine Mutter gehabt! Dieser Schmuck hatte ihr Haupt umfangen. Kindlich, nicht nur kindisch, wand ich ihn mir um das Haupt, legte mich schlafen und wähnte: ich müsse im Traume ihre Gestalt sehen! Aber ich schlief – und hörte im Schlaf das Spinnrad surren!



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