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Die Verschleierte.

Wir stiegen hinauf und fanden schon frühe Herren und Damen unter den zugewölbten Laubgängen, an den einfachen Tischen. Der Graf forschte mit den Augen unter den leicht und desto anziehender geputzten Damen umher, und fand Athalien; ihr Mann saß neben ihr, und am andern Ende derselben Tafel saß ein verschleiertes Weib und spielte auf der Harfe. Athalie lud uns ein, und es war schon für uns servirt. Es fiel kein Wort von unserer Sache, und doch mußte der Graf ihr gestern davon gesagt haben. Davon zeugte mein Rosendiamant, den ich am Finger trug, und ihn erst bemerkte, wie ich nach der Tasse langte. Auch Athalie sah ihn, ward ernst, und die zarte Röthe trat einen Augenblick von ihren Wangen, und unter ihrem Hut deuteten ihre seitwärts blickenden Augen nach ihrem Manne; sie legte dann leis, wie nachdenkend, den Finger an den Mund. Das alles schien mir verständlich. Aber sie legte die Hand auf den Tisch, und ich gewahrte, fast betreten, den Rosendiamant an ihrem Finger, und sie lächelte, aber nicht mich, sondern ihren Mann an, der gleichfalls einen Blick nach meinem Ringe gethan, und jetzt nach ihrem – und ich oder er, oder wir beide waren getäuscht. Ich zog den Handschuh an, um ihn zu verbergen, aber der Graf nahm das für ein Zeichen zum Aufbruch, und eilte. Indeß hing Athalie mit ihren Augen glühend an meinen und mein Herz regte sich und zitterte wie der Magnet unter dem Gewitter, und ich mußte sie anblicken, als wär' ich ein Bild. Da nichts Schöneres zu sehen sein konnte, als sie, so wollte ich mich noch recht satt an ihr schauen, um, auf einen schlimmen Fall, die Erde in gutem Andenken zu behalten. Denn man hätte das Weib wirklich als eine Probe, welch' ein schönes Geschöpf die Erde hervorzubringen vermöge, nach dem Mond oder der Sonne in jener leichten Kiste, die man Sarg nennt, verschicken können! aber es wäre Jammerschade um sie gewesen, wenn die dortigen Ontologen nicht mehr mit ihr anzufangen gewußt hätten, als sie in ihrer Menagerie in einen goldenen Käfig zu sperren, wie die unsrigen einen schönen Ara. Hier unten war sie mehr, ja Alles, in was die mütterliche Erde sich verwandeln mochte. Aber die weiten Gedanken, unter welchen ich gestern diese arme Erdbewohnerin zuerst hatte wandeln sehen, waren meiner Meinung von ihr auf immer schädlich. Darum bezauberte mich ihr Lächeln nicht, und entzündeten ihre Augen nicht Flammen der Liebe in mir. Hauptsächlich aber darum, weil sie zufällig mir also gegenüber saß, daß die Diana, die keusche Göttin, auf Carciotti's Palast aus der Ferne klein wie eine Penate erscheinend, grade über ihrem Haupt schwebte, und die Lockung, das Spiel der Liebe unter ihr gradezu vernichtete und mir anstößig machte. Ja, wie jene Götter und Göttinnen dort aus ihrem Himmel, aus ihrem Vaterlande vertrieben, da standen als eitle Zierde, so saß die schöne Salomotochter Athalia vor mir, ohne Tempel, ohne Vaterland, um so mitleidswürdiger je schöner, ja götterhafter sie war! Sie aber ahnete nichts von meinen Gefühlen – und wie sehr überall der Ort und die Umgebung in Acht zu nehmen sei! Ein einziger Engel oder Teufel, ad libitum, der sichtbar in der Welt umher schwebte, und vor dem Niemand sicher wäre, wie vor dem Blitz, könnte viel Böses verhüten. Soll wohl nicht sein, da keiner schwebt!

Am wenigsten aber ließen die bewegenden Klänge der Harfe, welche die Verschleierte spielte, und ihr Gesang unerlaubte Gefühle in mir wie Krystalle anschießen und sich befestigen. Die Stimme that mir so wohl, sie schien mir so bekannt, aber ich sann umsonst in mir, wo ich sie einst gehört, und alles Schöne kommt uns ja so heimathlich vor, so vertraut, so eingeweiht in unser Leben und alle unsere Gedanken, daß ich mich ihren weichen Melodien hingab, und einige Minuten selbst vergessen, gern auf der Welt war. Zuletzt sang sie:

    So lebst du fort, geliebte Brust,
Verstoßen von der Welt,
Ohn' aller Menschen Glück und Lust,
Was Einem nur gefällt;
Mit stiller himmlischer Geduld
Erträgst du Bittres ohne Schuld.

    Und fragte Jemand wohlgemeint:
»Was hast Du hier gemacht? –«
Die Tage hab' ich öd' durchweint,
Die Nächte bang durchwacht;
Still, wie ein abgeschiedner Geist,
Die Lieben ungesehn umkreist.

    Nicht jene Sonne, die da brennt,
Nicht dieser Erde Pracht,
O nicht des Himmels Firmament
Nicht heil'ger Liebe Macht
Nicht mich, noch Menschen klag' ich an,
Was mich gestürzt, war – nur ihr Wahn!

Dies ihr Lied paßte sich übel zu dem frischen heitern Morgen, aber der Graf rief dennoch: bravo! und ich – ich weinte – innerlich.

Jetzt schieden wir; und der feuchte Blick Athalia's, die aufgestanden war und mir düster nachsah, zwang mich, ihr zu verzeihen und sie im mildern Lichte zu sehn. Denn was muß, was kann ein Weib von sich denken, die solche Blicke wegwerfen kann zu Tausenden, wie die Sonne Tage; die solche süße Worte hat, wogegen die Nachtigall Unsinn plaudert, und Worte nicht allein! Kurz, ich zürnte auf mich, wie man auf sich selber nur zürnen kann – verzweifelt wenig!



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