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Wie ich ein Bauchredner worden.

Der Vorältern Thaten können wir uns doch nicht zuschreiben, ich bekümmere mich also, wie jener Deutsch-Franzose, sehr wenig um – mes Anes !

– Der Graf rückte noch einmal mit dem Stuhle, und sagte: so viel ich weiß, hat noch niemand wissen oder gestehen wollen, daß Viele auch nur die alten Pergamente von ihren Aeltern erben. – Von Aeltern kann ich nicht sprechen, nahm ich das Wort; denn ich überlasse Ihnen zu beurtheilen, ob ein alter Mann, der heut 99 Jahr alt ist, wenn er lebt, und eine junge Frau, die etwa erst 34 wäre, meine Aeltern sein können, da ich 25 Jahr alt bin. Wir wohnten in einem großen Dorfe in Ungarn, dessen Kirche – ich hätte bald gesagt: an der Sau lag, aber sie liegt ja noch daran. Denn von vergangenen Dingen, wozu wir auch die geschehenen und gehörten rechnen, spricht man einfältiger Weise immer in der vergangenen Zeit, ohne das zu bedenken, was bleibt; und es bleibt so ziemlich alles, nur wir nicht.

Der alte Vater Lajos war der einzige evangelische Geistliche in der Gegend, und rings von Römischen, wie von Wölfen umgeben, die ihn umschnaubten und zu verschlingen drohten. Aber der in allem übrigen höchst ehrwürdige Greis begriff durchaus nicht den edlen Geist jenes Mottos des Papstes Alexander des Sechsten: man kann sich die Welt nicht dumm genug denken; und alles Mögliche, es sei auch noch so übel imaginirt, muß man ohne alle Rücksicht noch immerfort thun, Jahrhunderte lang, so wird es höchstehrwürdig durch das Alter, und man kann sich später darauf berufen, als auf etwas Heiliges, ja Gesetzmäßiges. Er hingegen mit seinem Gemüth, selig durch die treuste Erfüllung einfacher Lehren, meinte: die Menschheit könne die einmal erkannte Wahrheit nie mehr verlieren, noch für gleichgültig halten; Wahrheit selbst zwinge Jedermann, auch das zu thun, was sie gebiete. Sie sehen also, der alte Mann war wieder ein Kind geworden! Doch Ernst bei Seite – ein Menschenalter redlichen Kampfes verdient wohl einen Augenblick Erwähnung

Seine erste Frau war gestorben; ein Alter verlangt seine Bequemlichkeit, er hatte schon mehrere Jahre eine Nichte im Hause gehabt, und um nicht der Erste zu sein, der vielleicht jener Römischen unverheiratheten Geistlichkeit ein übles Beispiel gebe durch Haltung einer hübschen bethulichen Capaunenmästerin, hatte er das junge Mädchen, was man sagt, geheirathet. Nun hatte der alte Vater Lajos gewiß gedacht wie Viele: du kannst heirathen, ohne eine Frau zu haben, oder ohne einen Mann zu haben, wenn es eine Frau denkt; aber das muß doch nicht möglich sein; denn zuletzt und schon im Anfange fühlt sich gewiß Jeder so gebunden und bedingt durch eine Geheirathete, wie durch die aus vollster Liebe genommene Frau, und er macht ganz dieselben Ansprüche an sie, und sie an ihn, daß es ein wahres Elend ist, für Einen gewiß, und dadurch für Beide. Denn es ist bis dato noch nicht entschieden, wer übler thut und schlimmer daran ist, ob ein junger Mann, der einen betagten Eheschatz hat, oder ein bejahrter Herr, der eine junge lose Frau hat. Der betagte Eheschatz kommt mir vor wie eine alte Henne, die ein Entchen ausgebrütet, das nun immer in sein Element – in das Wasser geht, und drinnen umher schwimmt wonniglich, indessen Frau Mama Henne am Ufer auf- und abläuft und ruft und gluckt ängstiglich, daß es ja nicht ertrinke, und die zuletzt gar mit in den Teich fliegt. Die arme Henne! Einen alten Mann mit einer jungen Ehrendame kann ich aber mit niemand besser vergleichen als mit dem Prediger Lajos und seiner Hadriane. Nämlich: –

Der Herr der Güter war ein aus Gallizien herüber gewechselter Starost von Niedzwiedz, oder Bär. Da man den Ersten seiner Söhne, seiner Leidenschaft wegen, den Tanzbär nannte, und ich weiß nicht, wie der Zweite und Dritte ihrer Qualitäten halber beigenannt wurden, so war es natürlich, daß der Alte der Brummbär hieß und war, und der Informator der jungen noch ungeleckten Bären – seiner Enkel – mußte nun freilich der Bärenführer sein! Unter diese junge hoffnungsreiche Zucht gehörte nun ich, denn ich lernte Violine bei dem Herrn Informator Maros auf dem Schlosse, der mich alle Wochen regelmäßig in ein anderes Quartier des weitläufigen Gebäudes beim Exerciren einschloß, wahrscheinlich um nach und nach aus allen Theilen desselben die Ratten und Mäuse zu vergeigen. Dafür lagen die Starosten von Bär täglich im Pfarrhause, regelmäßig aber unter der Predigt, das heißt, während dem der alte Lajos, und wenn Feuer im Dorfe gewesen, nicht von der Kanzel durfte. Einst aber ward dem armen Manne doch unwohl, und die Kirchväter brachten ihn nach Hause. – Seit der Zeit mußte Hadriane allemal seine Predigt anhören und sollte er das Essen noch einmal so schlecht und so angebrannt zu Mittag essen, als wenn Hadriane gekocht. Dem guten Manne schmeckte alles, denn er hatte den Geschmack verloren, und ich nicht.

Dafür begleitete Hadriane ihn redlich auf alle Hochzeit- und Kindtaufenschmause auf die Filiale, ja sie half ihm Kranke berichten, und Sterbende ausbeten, und war, als geistliche Frau, wirklich der Tyrann des ganzen Kirchspiels. Sie nahm die Zinseier ein, und verwarf die Klunkrigen; sie maaß das Zinsgetreide, und flickte das alte große Kirchenviertel, versteht sich niemals inwendig, sondern nur auswendig mit Papier, daß es am Raume nicht verlor, sondern nach und nach durch Hamstertaschen gewann. Sie mästete und schlachtete Alles selbst, und machte die Wurst. Sie ging in Stiefeln, und trug in der Sonnenhitze im Felde bei der Erndte einen dreieckigen aber niedergekrämpten Hut, damit sie nicht noch schwärzer werde, als sie schon war. Ja bei den Maskeraden, wo die Fräuleins verkleidet als Officiere, und die Starosten als Fräuleins die benachbarten Edelhöfe besuchten, machte sie einst den Trompeter und blies vom Bocke, welches ihr aber Papa hart verwies; das einzige Mal, daß ich ihn höchst anzüglich fand, denn er sagte: Mama! laß doch das Trompeten den Trompetern! Sie aber sagte: haben die Kinder Israel vor Jericho nicht auch trompetet, daß die Mauern eingefallen sind? Antworte, Papa! –

»Ja, das ist biblisch!« beschloß der alte Mann den einzigen Hausstreit, den ich gehört.

Er war aber nicht so simpel, wie er hieraus erscheint, sondern er war bloß geduldig, vollkommen geduldig. Denn einst äußerte er vor ihr stehend: es ist bös fischen in einem Wasser, worin mehr Schlangen als Fische sind. Wer ein Weib nehmen will, der muß 6 Augen und 12 Ohren haben – (nämlich sich leihen) – vor allem aber die Gnade Gottes und ein reines Herz, daß keine Schuld an ihm gerächt werde! denn die Weiber gleichen den Engeln, durch welche uns Gott segnen oder aus dem Paradiese treiben läßt. Auch dazu werden sie gebraucht. Usus est multiplex. Das ist biblisch. Ich aber, der ich mir keiner Schuld bewußt bin, habe dich von Gott: Geduld zu lernen, in der Geduld zu bleiben, welche die Menschen gewöhnlich so lange haben, als sie derselben nicht bedürfen, und dann nicht! Sie haben nur die Ungeduld, die auf die erste Gelegenheit wartet, hervorzubrechen. Meinetwegen aber thue alles, alles was du willst, nichts ausgenommen; mich soll kein Weib und ihr Beginnen aus meinem Frieden bringen, und von dem guten Pfade zum Herrn. Der ist mir Freude und Ersatz für Alles. Das sagte er aber so muthig nur als sie schlief – und ich nicht.

Daß seine Worte keine Gascognaden waren, vernahm ich einst deutlich, als ich wiederum nicht schlief, aber schon in der Stubenkammer neben den Kindern des Lajos im Bett lag. Denn Mama wenigstens hatte schon mehrere geboren, die sie wie den Augapfel im Auge bewahrte, und denen auf dem Kopfe nie die Fallmütze fehlte, und an den Füßen die kleinen Schellchen, um Ottern und Schlangen damit zu verscheuchen, wenn eine dergleichen ja dennoch wo in dem Grase verborgen sein sollte, ob es gleich in unserm ganzen Kirchspiele keine gab.

Eines Abends nun hatte sie Backfaß, Mulden mit feinem Mehl, Rosinen, Eier, Tortenbleche und Spieße zu Stangenkuchen bereitgestellt, und begann ihr Wesen zu treiben. Papa aber, der, seine lange türkische Pfeife rauchend, um sein Blut vor Schlafengehen zu beruhigen, schon lange im Zimmer auf- und abgegangen, und mehrere Male schweigend vor ihr stehen geblieben war, faßte endlich Muth, sie wie ein Nachtgespenst anzureden und fragte sanft: Mamachen; – da sie nicht antwortete: Papa – so ging er wieder auf und ab, dann stand er und fragte noch sanfter: Mamachen! was wirst Du denn machen – Mamachen knetete fort im Backfaß. – Nun sagen kannst Du mir es doch! fuhr er schmeichelnd fort. – Das hast Du ja lange gesehen! – Nun was wirst Du denn machen? – Ei, wenn Du es nun durchaus wissen mußst – Kindtaufen! Papa. – Dabei nahm er nur einen Augenblick die Pfeife aus dem Munde, und sagte, daß kaum eine Verwunderung in dem Tone seiner Stimme zu merken war: Kindtaufen? ei, ei, ei! – Dann besah er die großen Rosinen, aß Eine davon mit Erlaubniß, um den Schmaus zu kosten, und sprach gelassen: nun, nun, nun! Kindtaufen! sei nur nicht böse! Mamachen. Eine Frage steht ja frei. Und so ging er wieder im Zimmer auf und ab, bis seine Pfeife aus war, ohne seine Hadriane zu fragen, wen sie würde zu Gevattern bitten. –

Sie sind also in einer guten Männer-Schule gewesen! denn solche Schulen fehlen noch! unterbrach mich der Graf. Athalia aber getraute sich nicht, mich anzusehen. – Und das wollt' ich ja eben, ich Edler! – Liebloser! und darum edel!

Und doch bin ich daraus entlaufen, nahm ich wieder das Wort; denn für einen Knaben von meinem Temperamente war die Tyrannei der allervollkommensten Hadriane nicht auszuhalten. Durchaus aber gar nicht, als ich mir ihren Haß durch meine Naschhaftigkeit zugezogen. Sie kam nämlich unter vier Wochen noch nicht in die Wochen, und um das Brot zu ersparen, mußte alles im Hause das altbacken gewordene Eingebackene essen – den Stangenkuchen ausgenommen. Ich suchte mich nun in der Obstkammer zu erholen, die im Oberstock war und immer offen stand, weil Mama sich für so gefürchtet im Hause hielt, daß es niemand wagen dürfe, selbst vom angeschnittenen Brote einen Schnitt zu stehlen. Wie ich aber desto dreister eines Vormittags nach der Kammer gehe, sitzt die Frau Pastorin auf einem Schemel, eine Serviette vor, fertig eingeseift, um sich heimlich von dem Bader Theophilus barbieren zu lassen. Das hatt' ich noch nicht gesehen, und war der Mühe werth. Dabei hörte ich, während sie vor seinem Messer die Augen zugeschlossen hielt, daß sie ihn fragte, wie das Kind heißen solle? Er sagte ihr also nach dem Alphabet mehrere Namen zur Auswahl. Adam, Bernhard, Celsus, Dietrich, Emanuel und dergleichen. Also Sie meinen ein Sohn! fragte sie ihn. Dazu strich er lächelnd aufs neue das Messer auf dem Riemen, und während dem that sie die Augen auf, und erblickte mich. Wem ich nun sagte, daß sie nicht vom Stuhle aufgesprungen wäre, und mir keine Ohrfeigen gegeben hätte, der würde mich doch für einen Lügner halten. Nach diesen also nahm sie mich fest und fragte mich noch: gottloser Bube, seit wenn steckst du schon in der Obstkammer? Schon vor Adam – antwortete ich unüberlegt. An den Adam sollst du gedenken! rief sie höchst aufgebracht; wer einen Bart hat, muß sich barbieren lassen! – Besonders eine so hübsche junge Frau! setzte Theophilus hinzu; doch das braucht das ganze Dorf nicht zu wissen! mein Söhnchen, liebkosete er mich. – An den Adam soll er gedenken! beruhigte sie ihn. – Und Sie hören, ich denke noch heute daran. Denn alles, was ich geworden bin, nämlich ein Bauchredner, das verdank' ich dem Adam. Sie können nun denken, daß meine Qual im Hause groß war, besonders da ich es dem guten Papa entdeckt hatte, daß die Mama sich rasiren lasse. Er aber antwortete nur: Schweig, Adoni! das thun ja viele Weiber; und das ist ja ein christlicher Gebrauch, – freilich biblisch nicht; und dieß Gespräch hatte ihr der Papa wiedergesagt, als er ihr ein feines englisches Rasirkästchen heimlich hingesetzt, worüber sie Rechenschaft von ihm gefordert hatte!

Meine Geige ward sogleich dem Theophilus geschenkt, und von nun an mußte ich den ganzen Tag in die Schule, theils zu dem Herrn Informator, theils zu dem Marquis Duchateau, einem alten ausgewanderten Franzosen; zu Hause aber mußte ich Gemüse lesen, Strümpfe stricken lernen, und stricken, Abends aber bis punkt zehn Uhr Federn schleißen, den Abendsegen lesen, das Lied ganz allein singen, wobei mir Mama nur einhalf, wenn ich falsch sang; am Kindtaufen ward ich unter dem Vorwand eines Vergehens in den Taubenschlag gesperrt; dann mußte ich das Kind wiegen und warten, und Schnuller oder Zulpe machen. Kurz ich war Simson in der Mühle durch Delila.

Damals konnte ich noch nicht die weibliche Tyrannei entschuldigen, deren Hauptwerk nicht Unterdrückung ist, sondern Sucht nach eigenem Wohlleben; nur die Furcht, es zu verlieren durch Unvernünftige und Unverschämte, bewirkt, daß sie abstoßend wird, und in elenden Beschäftigungen und Lasten den Geist fesseln will, um freies Spiel zu haben; daher ist sie, wie alles Schlechte, ohne wahre Kraft und langen Nachhall, und nur aufzudecken, nicht zu fürchten.

Nun konnte sie mich zwar äußerlich unterdrücken, meiner Hand, meinem Fuß, meiner Zunge gebieten; aber der Grimm schlug nach innen! denn ich war schon klüger und freier gewesen, als ich jetzt auf einmal sein sollte, ihrer Sünden und Schwachheit willen; und so begann eine Gährung in mir, wie in einem verspündeten Fasse Champagner voll Geist; und eine Pressung, wie in dem Kolben einer Windbüchse; nur einige Schläge durfte sie noch pumpen, und ich sprang ihr um die Ohren. Aber diese höchste Spannung vermied sie weislich. Ich war nur erst ein Knabe, dennoch weint' ich nicht Wehmuthsthränen, sondern Thränen der verhaltenen Wuth; ich fühlte einen Schmerz in der Kehle, und schluckte meinen Jammer hinunter. Einst als ich mich niedergelegt hatte, und auch im Bett nicht seufzen durfte, um den Papa nicht zu stören, hörte ich auf einmal eine Stimme unter meiner Bettdecke stöhnen: »ach Gott, ach Gott!« Ich hörte erschrocken, dann deckte ich mich bis über den Kopf zu, und da hörte ich wieder »du armes Kind!« Vor Angst schlief ich die ganze Nacht nicht. Ich fürchtete mich am andern Abend zu Bett zu gehen! Und wirklich sprach der Geist da wieder zu mir: »Laufe davon!« Ich sprang aus dem Bett, die Nachtlampe brannte, ich sahe Niemand als einen Schatten an der Wand – alles schlief. Und wie ich auf den schwarzen Schatten sah, hörte ich wieder: »die Frau ist der Satan!« Das Wort Satan, der schwarze Schatten, brachten mich auf den Gedanken, ein böser Geist stehe vor mir; doch furchtlos wie ich sonst war, streckte ich die Hand aus, ihn anzurühren – er streckte die Hand aus, und doch ging ich ihm zu Leibe, bis ich mit der Faust an die Wand stieß. – Die folgende Nacht war ich sehr aufmerksam und ward, aber mit Entsetzen inne, daß der Geist in meiner Brust, oder in meinem Leibe sei; und ich wagte kaum die Hand darauf zu legen. Ich bin ein Besessener! rief ich laut. Das hatte Mama gehört, doch nicht recht, und frug mich wieder: was bist du? Ich schwieg, und dennoch sprach es vernehmbar: »ein Besessener!« – Gott sei bei uns! rief sie, und weckte den Papa und ihre Kinder, und ich mußte vor Allen laut den Glauben und das Vaterunser beten. Papa begriff das nicht, und sagte: er hat geträumt; aber umsonst; er kehrte sich auf die andere Seite, die Kinder schliefen wieder ein, aber ich mußte mein Bett in eine Oberstube tragen.

Nun halten wohl andere Leute als Kinder Etwas für ausgemacht, wovon sie solche spectaculöse und handgreifliche Folgen an sich und Andern sehen. Das neue Testament war mir bekannt, ich schlug mir alle Stellen von Besessenen auf, und las sie mit Schaudern. Ich war nicht im Zimmer zu erhalten, und als ich im Dorfe einer gewissen Heerde begegnete, bekam ich einen unaussprechlichen Trieb, den ich aber – zu meinem Leidwesen – nicht ausführen konnte! Ich wußte mir also nicht zu rathen, und beschloß, den Geist in mir auszuhungern, wie einen lebendig Begrabenen, und ich hielt diesen Vorsatz einige Tage, bis ich ganz schwach und matt war, bis mich der Appetit überwältigte, und ich tüchtig einhieb, allen Geistern zum Trotz. Da seht ihr nun! sprach die Mama – ißt er nicht wie ein Besessener? – In stillen Stunden sann ich dann nach, was ich etwa gegessen, oder vielleicht Lebendiges mit getrunken? Aber konnte das reden! Auch fiel mir schon ein, daß ich doch ein Knabe war, denn wär' ich ein Mädchen gewesen, ich hätte mich vielleicht gehangen. Aber wird doch der Hase den Löwen gewohnt – und ich ward sogar neugierig auf das Wiedersprechen des Geistes, und ich hörte ihn; aber was er sagte, war alles zu meinem Besten, aus meines Herzens Grunde gesprochen! So fing mir es an Trost zu gewähren, ihn zu hören, zuletzt Vergnügen, und ich bemerkte sogar, daß mein Wille Einfluß auf ihn habe, daß er rede, ja reden müsse, wann ich wolle. Von dieser Erfahrung war die andere nicht weit, daß er reden müsse, was ich wolle; und nach einiger Zeit hatte ich endlich weg, daß ich selbst der Geist sei. Nun war mir geholfen, nun war mir ein Stein vom Herzen! Ich kletterte vor Freuden auf den Baum, unter welchem ich gerade stand, und schüttelte ihn so durch, daß ich mit Schrecken sah, daß ich alle seine unreifen Aepfel abgeschüttelt hatte. Das kam nun wieder auf den Besessenen! Kurz darauf hatten wir bei dem Informator den Homer, worin oft vorkommt: er sprach in seinem Herzbeutel; und ich übersetzte das so wörtlich; aber er verbesserte mich und sagte, das heißt heut zu Tag: er dachte bei sich! Also dacht' ich bei mir: alles Denken ist Sprechen im Herzbeutel! Was mir aber noch mehr Licht über mein Talent gab, war die Fabel im Livius, die Menenius Agrippa dem Volk erzählt, wo die Glieder sprachen zum Bauch, und der Bauch sprach! Ja ich verstand besser als alle Lateiner die Worte des Seneca, im dritten Buche vom Zorn: potest dici, merito devorasse verba. Jetzt war ich ein gemachtes Männchen! und vollends, da ich in dem, damals bis zum Buchstaben B zuerst erschienenen Conversationslexicon fand, daß alle Menschen Bauchredner sein können! Die armen Menschen! seufzte ich damals; wenn ihnen allen die Bauchsprache so theuer zu stehen kommt, wenn sie nur um solche Qual und Hudelei zu Bauchrednern werden können, wie ich erduldet. Denn nun fühlte ich keine mehr, da ich einen Freund hatte! und wo? ich war außer mir!

Ich brachte darauf die Stimme in meine Gewalt, besonders aber dazu: anderer Menschen und Thiere Stimmen täuschend nachzureden, zu bellen und meckern. Ich übte nun Schalkheit und Rache, so viel ich konnte. Wenn die jungen Bäre in der Stunde bei dem Informator lasen, und etwa bei germana soror im Virgil anhielten, übersetzte es Jonas: »Schwester aus Deutschland« für sie, oder schob erklärende Sätze ein, z. B. in der Brief-Dictirstunde, nach Ew. Wohlgeboren: – »aber schlecht erzogen«; – oder nach »ausgesuchter Bibliothek« erklärte er: »aus welcher die besten Bücher verkauft sind.« Denn das hatte der Informator gethan, um sich heimlich Wein zuzulegen. Das kam nun auf die jungen Bäre oder die kleine Bärin, die mit lateinisch lernte, wie in Ungarn alle Fräuleins; und sie mußten dafür mit dem Esel, oder der Gans an der Thür stehen, jedes nach seiner Art.

Diese Rache aber übt' ich an ihnen, weil sie auch mit mir in das Gesindehaus zu dem Marquis Duchateau in die französische, italienische und englische Stunde gingen, und den armen alten blinden Mann verspotteten, der, weil er blind war und nicht mehr sauber an der Tafel essen konnte, in die Gesindestube logirt worden war. Dort hatte er nichts als einen gepolstert gewesenen Großvaterstuhl, in welchem er mit seinem lichtblauen verschossenen Rocke saß, gestickt mit allerhand anderm neuen und bunten Tuch, was er nicht sah, aber ein Loch litt er nicht, denn er fühlte es. Dabei durften die Manschetten nicht fehlen, und die Jungemagd, welche er Demoiselle nannte, mußte ihm alle Morgen die alte Perücke pudern, welches dann mit Suppenmehl geschahe, daß er kein Augenlied aufmachen konnte. Das war allemal eine Bärenfreude! Auf den Patten seiner langen, gemalten Weste, saßen noch Affen, seine Schuhe waren roth vor Alter, und er mußte faute de mieux einen erbärmlichen Tabak in die Luft blasen, was er geduldig that; und wenn er sich Tabaksfeuer angeschlagen und ihm der Schwamm entfallen war, glimmte und rauchte der alte Mann selbst, und daher stammten die Brandflecke und Löcher in seinen Kleidern. Wenn ich ihm nun manchmal sagte, daß es die Magd sei, welche er Demoiselle oder Comtesse nenne, so erwiederte er mir: mein lieber Sohn, das gilt mir gleich; ich behandle die Welt wie ich bin: nobel und höflich; – wie sie mich behandelt, und behandelt hat, das wird bald vergessen sein. Dabei traten ihm die Thränen in die wunderlich nach Oben gerichteten Augen. Das heilige Ludwigsfest feierte er besonders, und ging in die Kirche, auch wenn den Tag keine war, und ich führte ihn dann am liebsten. Mittags bekam er vom Tische des Herrn dann einen Becher sauern Ofener, den er auf einen Zug austrank, und das Brrr! was darauf folgte, sollte entweder den Paukenwirbel beim Vivat oder den schauderhaften Geschmack ausdrücken; auch war ihm dann ein grobes Tischtuch aufgedeckt.

Wie gern hätte ich dem Mann meinen Rock geschenkt, wenn er ihm nur gepaßt hätte! oder meine Stiefeln, meinen Hut, aber es war ihm ja alles zu klein, weil ich zu klein war, und Neues, Großes konnte ich nicht machen lassen. Dafür faltete ich ihm weiße postpapierne Manschetten, oder brachte ihm eine Tasche voll guten Ungarischen Tabak aus Papas Büchse, den ich aber nur heimlich mit dem seinigen vertauschen durfte, so daß ich nichts merke, daß er es gemerkt habe. Wenn er nun seufzte: Mon Dieu, mein Gott! – denn das war sein refrain – jetzt in meinen letzten Tagen würde mir ein gutes Glas Wein wohl thun! und er sich dabei mit der flachen Hand über den Leib hinunter strich; oder: jetzt thäte mir ein weiches Bett Noth, da ich nicht mehr schlafen kann! – da sah ich die Welt zum ersten Male in ihrer Eisenbahn hinrollen, die gehen läßt wie es geht, die Alles hat und Alles gewährt, aber wem die Menschen es lassen und gönnen – so daß der Eigensüchtige, der Geizige, der Gewaltige das Meiste hat; der Gönnende, der Gute, Bescheidene, Unglückliche – Nichts! als seine fromme Seele. Aber auch der Besitz wird drückend dem Herzen; nun ich ihm könnte einen feinen Rock machen lassen, nun hat er seinen hölzernen Schlafrock angezogen, robe d'été, robe d'hiver! nun ich ihm Schuhe geben könnte, nun wandelt er nicht mehr auf Erden! Aber ist das nicht besser? Und wie wohl war es ihm dennoch geworden, daß er so in der Fremde gestorben, daß niemand von seinen Anverwandten, kein liebes Weib, kein Bruder sein elendes Sterbebett gesehen, noch ihm das Kopfkissen zurecht gelegt, das aus ungeschlissenen Tauben- und Hühnerfedern bestand; niemand ihm den letzten Schweiß mit dem groben wergnen Handtuch voll Ahnen und Hacheln von der Stirn getrocknet. O das Elendeste: in der Fremde sterben, kann noch eine Wohlthat werden, wenn wir elend sind! – Sie weinen, Athalia? – Wer wissen will, wie viel Edles in der Welt geschieht, wie licht es in den Herzen und Köpfen ist, der darf nur auf die kleinen Edelhöfe gehen; der darf nur die Bauern sehen, welche lieber die Frau sterben lassen, als die Kuh – denn eine Frau bekommen sie umsonst wieder, und vielleicht noch Heirathsgut; aber eine Kuh mit dem Kalbe ist desto theurer. – Aber auch der Marquis war nicht ohne Grausamkeit, aus Herzensadel gewiß nicht, sondern aus Geburtsadel. Sein Sohn hatte in Domingo sich mit einer Mohrin verheirathet, und war gestorben, wie es hieß; das Kind, ein Mädchen, hatte man ihm gesandt, und sie war gerade an dem Tage gekommen, an dem er aus Frankreich fliehen mußte. Er hatte sie mitgenommen, sie war hier im Schloß, aber sie durfte ihm nicht vor die Augen kommen, das hieß seitdem er blind war nur: vor die Ohren – denn sie war mit dem Schleier der Natur umgeben, ohne teint, nämlich mit zu viel teint jener Sonne, und – aus keiner Familie. Wenn nun doch die arme Gabriele heimlich kam, ihre kleinen Schuhe auszog, leis in die Gesindestube trat, indeß ich laut sprach; wenn ich ihm nahte, und wenn dann sie statt meiner die Hand ihres Großvaters küßte, und darauf weinte, wenn sie mich dann ansah mit ihren großen schönen Augen, wenn ich sie fortführte und sie auf der Schwelle des Hauses, den Kopf in ihre kleine Schürze gewickelt, noch lange weinte – dann liebt' ich das Mädchen, wie ein Knabe lieben kann – aber ich haßte dennoch nicht den Mann – denn ich wußte damals nicht, daß Gabriele seine Enkelin sei! Auch führte er eine Reihe Sprüchwörter im Munde, als: Niemand ist ohne Gebrechen, Niemand kann Jedermann recht thun, Niemand ist zu allen Zeiten klug, Niemand ist zufrieden mit dem Seinen, Niemand kann Geld und Ehre mitnehmen aus dieser Welt – so verstand ich das in meinem Sinn, und dachte: o wie glücklich ist doch der Niemand! wenn ich doch Niemand wäre!

Ich aber war ein verrufener Mensch, und ich will mich auch sonst nicht loben. Während einer Krankheit des Papa brach nun die Verschwörung gegen mich aus. Ich sollte und mußte »einen Geist« haben, und mir wäre lieber gewesen, sie hätten bloß gesagt: ich hätte Geist. Geist haben ist besser als einen haben! Besonders aber da, auf Mamas Anstiften, der Barbier mit einem benachbarten römischen, will heißen: katholischen Pfarrherrn gesprochen, der in dem Rufe stand, er könne jeden Geist austreiben, aus Macht seiner Kirche, und den Besessenen geduldig machen wie ein Schaaf. Diese Art werde nur durch Fasten und Gebet geheilt, hatte er geantwortet. Ich mußte daher allemal bei Tisch fragen: Mama, bin ich nun satt? oder bekomme ich noch Etwas? Aber Mama sagte allemal: mein Sohn, Du bist satt! und las mir jeden Tag eine Hexenpredigt aus David Mederus vor, und Christophorus Irenaeus Höllenspiegel mußte ich selbst lesen. Auch erfuhr ich beiläufig von ihr, daß die letzte Hexe noch eben so lange nicht verbrannt sei! Und: Du sollst nicht zaubern, ist nicht umsonst ein Gebot! Das machte mich schwanken. Theophilus setzte mir Blutigel, und hatte für drei Ducaten Wiener Tränkchen verschrieben. Daß ich vor ihren sichtlichen Augen bellte, und meine Stimme aus dem Kamin, oder aus dem Keller unter uns schallen ließ, verstärkte sie nur in ihrer rachsüchtigen oder wohlmeinenden Cur. Denn es ist noch nicht überall Tag, wo die Sonne am Himmel steht, und Wunder zu thun läßt sich ein Pfaffe nicht nehmen, so lange Jemand eins glauben will.

Ich aber hatte nicht Lust, mir den Geist austreiben zu lassen, denn ich glaubte damals, daß das doch vielleicht möglich sei, und stellte mir grausame Dinge unter dem Geistaustreiben vor. Daher begab ich mich den Abend vor dem Morgen, an welchem mich Theophilus zu dem Wundermann führen und exerciren lassen wollte, wie er exorcisiren nannte, auf die Flucht. Ich hatte aber meinen Vorsatz Gabrielen zuvor mitgetheilt, und das arme gepeinigte Kind, welches im Schlosse nur »die verfinsterte Sonne« hieß, bat mich mit Thränen, sie mit zu nehmen! Ihr Großvater war todt, ich mußte ihm jetzt in der Geschwindigkeit noch ein Bauernkreuz aus Holz machen; wir pflanzten es am letzten Abend, sie band einen mit Goldflittern durchflochtenen Kranz darauf, und die Sonne hatte die Güte, die Inschrift in hohen Augenschein zu nehmen:

Le Marquis Duchateau
Gît ici en repos;

wovon Gabriele den ersten Vers erdacht. Sie war also Dichterin! – Wir weinten, und sie schwur mir kindisch, einmal meine Frau zu werden. Ich nahm das mit Dank an; und ohne daß ich daran dachte ahmte meine verborgene Stimme die Stimme des guten Alten nach, und er segnete uns aus dem Grabe herauf, daß Gabriele darüber blaß ward, zitterte, und doch Freudenthränen weinte. –

Am Spätabend der Flucht nun schlich ich mit schwerem Herzen aus dem Pfarrhause, und bedauerte den alten Lajos herzlich, daß Er bleiben mußte! Wir wollten uns am Ende des Dorfes bei einem Häuschen treffen, wohin wir sonst manchmal am Sonntag gehen durften. Eine schöne, junge Frau bewohnte es ganz allein; alles war äußerst sauber, aus so geringen Stoffen es auch bestand, das Gärtchen wohlbestellt, und was reif war, durften wir alles pflücken. Auf dem Kamin fand ich mein Spielzeug, die Trompete und das Pferd, und wenn ich von ihr mußte, hob sie es dort wieder auf. Im Dorfe hieß sie nur »die gute Frau,« und selbst die Frau Pastorin nannte sie so, wenn sie zu Zeiten uns besuchte, und das geschah doch gewiß Weihnachten, wo sie den andern Kindern und vorzüglich mir von ihren Handarbeiten reichlich bescheren kam. Seit vielen Jahren war sie nicht mehr gekommen, sie war fort, ich wußte nicht wohin, und als ich jetzt auf Gabrielen wartend mich an ein Fenster schlich, und in die vom Kaminlicht erleuchtete Stube sah, da standen kleine Kinder im Hemdchen auf der Ofenbank und spielten am Feuer, und eine andere Frau setzte das Abendessen auf den Tisch. Mir waren die Thränen nahe – aber Gabriele war indeß gekommen, sie zupfte mich, und wir eilten fort, in den Wald.

Ich hatte kaum eine Mütze auf dem Kopfe, Gabriele aber hatte ein kleines weißes Tuch voll kindischer Herrlichkeiten: Strickzeug, ein nur vergoldetes Kettchen, Ohrringe mit buntem Glas, und im Busen ihren Canarien-Vogel Sie war also schon klüger als ich!

Wir kamen glücklich davon, denn wer einen Andern jagt, wird selber müde.

Wenn ich an Etwas mit herzlicher Freude, mit Sehnsucht, ja mit Bangigkeit zurück denke, so ist es an die Wanderungen mit Gabrielen! Ihre ewig-bewegliche Zunge verschwatzte den Weg; regnete es, so setzten wir uns unter dicht belaubte Bäume unterhalb des Windes, sahen uns stundenlang freundlich an, und lächelten uns zu. Sie schlief keine Nacht ein, ohne daß ich noch einige Worte wie ihr Großvater sprechen mußte; sie hörte kaum meine eigene Stimme so gern, mit der ich sie weckte. Wir betrachteten uns selbst als Bruder und Schwester, und die Leute in den Dörfern waren so gut, es uns zu glauben; ob Gabriele gleich mehr einem sehr gebräunten schönen Zigeunermädchen ähnlich sah, als ich einem Zigeunerknaben. Es that mir wohl, daß ich sie ernährte; aber sie liebte mich so, daß sie alles von mir angenommen hätte, selbst für sie in das Wasser zu springen, denn sie sahe ja, daß es mich auch glücklich machte! Meine kleinen Künste, die ich ungebeten vorbrachte, verschafften uns Unterhalt, und in jener glücklichen Jugendzeit nahm ich nicht mehr dafür an, als wir eben bedurften. Wer irgend eine Sache recht kann, dem macht sie Vergnügen, und ich begreife jetzt recht gut, warum gar Viele so wenig Vergnügen genießen! Ich war nicht ohne Selbstgefühl, und es ward immer stärker, je mehr ich mich Andern, besonders meines Alters, überlegen fühlte. Manchmal verdroß mich das Gelächter, das mein Jonas erregte, und ich begriff damals das Sprüchwort noch nicht: »Wer mit der Katze spielt, mit dem spielt die Katze desgleichen.« Wenn Prozessionen bei Marienbildern am Wege vorüber gingen und sie grüßten, dankte ich der Prozession statt des stummen Bildes, und das Bild kam in Ruf, daß es geredet habe. An den Kirchthüren bedankten sich die Stummen für ihre Gaben, daß oft ein Aufsehen darüber entstand, oder ich machte den Müttern das Vergnügen, ihre kleinen Wickelkinder schon schwatzen zu lassen. Ein Geistlicher, der meine Kunst bemerkte, wollte mich mit Gewalt in seinem Kloster erziehen, und versprach mir in jenen Zeiten des Verfalls der Kirche goldene Berge. Doch wie hätte ich mich können von Gabrielen trennen, der vor dem Stande ein natürlicher Widerwille beiwohnte, der sich kein Weib antrauen lassen darf; schon meine Locken thaten ihr leid!

Und doch verlor ich meine Gabriele auf immer! Denn ein lustiger Herr hatte mich auf einige Tage von Fünfkirchen zu einem Feste auf sein Schloß mitgenommen, während Gabriele sich unwohl befand – und als ich wieder kam, und schon vor der Thür unseres Wohnzimmers im Gasthause mit dem Gelde in der Tasche klimperte und abwechselnd des Herrn von Bärs und ihres Großvaters Stimme von Außen hören ließ – als ich endlich öffnete, war das arme Kind verschwunden! Ein Herr hatte sie mitgenommen in seinem Wagen; und als ich erzürnt in jenes Zimmer trat, in welchem er gewohnt, fand ich eine vornehme Dame, der ich in meinem Leid und meinem Zorne so gefiel, daß sie mir nach langem Troste vorschlug, mich auf ihr Schloß zu nehmen, dessen Namen sie mir nannte. Sie hatte, wie sie sagte, ihren Jockei so eben unter die Grenadiere gesteckt – er mußte also ziemlich groß und unartig bei ihr geworden sein – und ich sollte seine Stelle ersetzen. Sie versprach mir, was man einem ziemlich herangewachsenen Knaben versprechen kann, um ihn anzulocken. Sie war gewiß achtzehn Jahr schon vor dreißig Jahren gewesen, und mehr als nur lang und mager, daß man befürchtete, sie klappern zu hören, wenn sie sich regte, – aber so wohl angezogen, sie sah so jugendlich-roth aus, und ihre Stimme war so wohlklingend, ihr Haar so voll, daß ich viel erfahrener hätte sein müssen, um Toilettenwerke und Künste von Jugend und Natur zu unterscheiden. Mir aber lag nur Gabriele im Sinn, und ich beschloß bei mir, sie aufzusuchen, und wenn es sein müßte, mein ganzes Leben lang.

Ich begann es sogleich; ich wandte mich an die Donau, hinauf bis nach Ofen und Pesth. Wo ich nach meiner Schwester Gabriele fragte, die ich zu großem Leidwesen und tiefer Scham, wie eine Zigeunerin beschreiben mußte, da erhielt ich keine, oder falsche Antwort; ja oft ward ich ausgelacht. Nur auf einem Caffeehause fand ich einst ein altes Blatt Zeitungen – in welchem nach Gabrielen geforscht ward. An mich hatte Niemand gedacht. Aber sollte ich mich wieder vor Mama sehen lassen? Ohne zu wissen, ob Gabriele wieder bei ihrer Herrschaft sei, gab ich sie auf, als ob sie dort wäre, und bezwang mein Herz; was mir seit diesem ersten Mal in allen andern Dingen nun leicht, nur ein Scherz dagegen ist!

Warum sollte ich nun nicht auf das Schloß der Gräfin gehen? Die Fahrt zurück die Donau hinab, war ja so bald gemacht. Dann wandte ich mich von Peterwardein landeinwärts.

Um nun die Stimme im Volke, welche schon seit langen Jahren über die Familie auf dem Schlosse herrschte, zu bezeichnen, und zugleich alle jetzigen Edelleute zu trösten, die in ihrer Noth gleichsam den Bauch ihrer Vorfahren – fahren müssen, muß ich eine kleine Sage einschalten.

Am letzten Nachmittag meiner Wanderung dahin, traf ich nämlich einen Mann unterwegs, der nach dem Orte zog, und der neue Schulhalter auch Haideläufer war. So ging ich mit ihm. Es ward Abend, als wir in den hohen Fichtenwald kamen; und es ward Nacht darin über und um uns. Wir hörten das Rauschen in dem weiten unabsehlichen Walddach, das Knarren der Stämme, und das Durchbrechen des Wildes in seiner Angst durch den Unterwuchs und die dürren Aeste. Denn schwebende Blitze erleuchteten die schweigende schwarze Waldnacht, die auf einmal von Stämmen flirrte, als baue ein Zauberer plötzlich einen unübersehbaren Tempel auf, und stürze ihn in demselben Augenblicke auch wieder zusammen. Der Donner rollte fern und schwach, wie ein Wagen im Gebirg. Während eines Blitzes sahen wir eine wunderliche Gestalt, einem verirrten Scheerenschleifer oder Siebmacher ähnlich, die im Walde seitwärts dahin fuhr.

Hast Du ihn gesehen? fragte mein Führer. Wen denn fragte ich zurück.

Hm! der arme Mann; er thut mir doch leid! Er sprach jetzt weiter nichts, und wir schritten emsig weiter. Erst als wir gegen den Ausgang des Waldes kamen, und von fern einige Lichter sahen, die lange Strahlen durch den Nebelregen uns entgegen streckten, sprach er von selbst: jetzt will ich Dir die Geschichte von dem Edelmann erzählen, der seinen Bauch fahren muß:

»Es ist einmal – und das ist eine wahre Wohlthat, daß es Nicht zweimal geschehen – ein Edelmann oder ein Graf gewesen – mit Namen Podegrai, der hat viele Schlösser und Güter; jedoch – nacheinander besessen; erst eine große Herrschaft, dann eine kleinere, und immer kleinere, zuletzt eine kleine, die ihn noch gerade ernährt. Aber dazu hat nicht etwa wenig gehört, sondern viel. Wenn nur ein gemeiner menschlicher Esser auf einmal zusammen vor sich hätte, was er alle seine Lebetage nach einander, wie gar nichts, gegessen hat, der könnte, wenn er noch grün wäre, mit dem bloßen Salat einen Heuwagen voll beladen; die Schöpse machten eine ziemliche Heerde aus, und die Kälber einen Kälberstall voll. Wer Wasser getrunken, der könnte ein hübsches Bächlein fließen lassen; wer sich aber zu Biere gewöhnt, für das hätte ein Böttcher ein ganzes Jahr Tonnen zu donnern; und wer ein gut Weingefälle gehabt, für den müßte ein Glasmacher sein ganzes bratendes Leben sich ganz pausbäckig und schwindsüchtig blasen, wenn er den ganzen Tisch- und Nebentrunk auf einmal auf Flaschen ziehen wollte, und noch einmal könnte! Daher ist mein Großvater wohl kein Passatwindbeutel, nur ein Zephyrbeutel gewesen, wie wir alle, der erzählt hat, daß Podegrai so viel junge Hasen, Lämmer und Spanferkel zermalmt habe, daß die Häsinnen nicht genug haben setzen, die Schaafe nicht genug lammen, und die Säue nicht genug ferkeln können auf seinen Gütern. Denn von allen Gerichten und Braten hat er nur die Leckerbissen ausgestochen, die die Katze ihren Jungen nicht giebt; von Gold- und Silberfasanen nur den Croupier, und vom Champagner nur das erste Spitzglas. Der Koch hat in der Küche immer müssen französisch reden und turniren. Die Küche selbst aber hätte ihrer gewölbten Größe wegen besser eine Kettenbombe geheißen, und hat das ganze Reh der Chaussee eingenommen, weil darin so viel schmale und breite Thiere und Unthiere zugleich geschmort und gebraten werden müssen, daß die Bratenwender, die je nach ihrem Braten je verschiedene Glöcklein gehabt, einen ordentlichen Wind und ein Küchenconzert gemacht, damit Podegrai zu jeder Stunde des Abends oder der Nacht hat zu Mittag essen können, und alles immer brühsiedend heiß vom Bratspieß und vom Feuer weg, das von lauter Butter gebrannt hat. Die edle Gans, in der Collecte gesprochen, von der doch jetzt die halbe Welt lebt, selber wir Schulmeister, die ist niemals tafelfähig gewesen bei Podegrai als zu dumm dazu, gegessen zu werden; auch keine Kartoffel, die obendrein damals noch gar nicht soll gewachsen sein. Dagegen ist nichts auf seine Tafel gekommen, als: Canapees mit Kräutern, Galanten von Aal, Sand-Thee-Suppe mit Pic-As, Krapfen und Karpfen, Wuchteln und Wachteln, Ortholahme, dressirte Fische, maskirte Kalbsköpfe, Englische Kuh-Latschen, Wespennester mit Coulissen, Bomben, Grenadiere von Kälbern, ganze Hammel-Quarrés, Bastillen, Sosüßes von Farce mit Gemüse aus Marienbad, gefrorene Mosaik, und was weiß ich alles, was noch auf einem alten Küchenzettel steht, den Podegrai ausstudirt wie eine Heilsordnung. Einen noch bessern Straußenmagen hat er gehabt, als einen Kirchenmagen; denn Er hat nach und nach den ganzen Eisenstein aus seinen Wiesen, wie Trüffeln, die Steine aus seinen Steinbrüchen, wie Sanct Marci panem, die dicksten Wellbäume und Brettklötzer aus seinem Walde, wie gerollte Plinsen, die geschnittenen Bretter wie eine gebackene Mandel Späne – ja zuletzt als er hinter den Appetit gekommen, die Brett-, Wasser- und Windmühlen sammt Flügeln, Rädern und Mühlsteinen und Inventarien wie Souper-Inventarien Alles richtig aufgezehrt, und noch einen außerordentlichen Magen gehabt, und einen Hannibalischen Hunger. Darauf hat er angefangen, Menschen zu veressen, die er zum Glück nur an andere Unmenschen verkauft, sammt Haus und Hof, Stall und Scheune, Acker und Vieh. Das haben sie aber mit Freuden sich gefallen lassen; denn um seine Haupt- und Magenküche vollauf zu versorgen, haben sich die Leute auf Hasen-, Reh- und Schweinejagd-Dienste bald die baarfüßigen Beine müssen weglaufen, und in die Bäuche schießen lassen von den lateinischen Schützen; denn die Lateiner sollen nicht recht mit dem Gewehr umgehen können, und zu hitzige Menschen sein; selbst Cäsar soll haben keine Pistole abfeuern können! Im Winter haben sie müssen das Eis aufhacken und frische Fische fischen, die er ohne Schuppen verspeiset hat, oder die Augen nur schüsselweise von Schüsselhechten, wie Erbsen, als ein apartes Gericht; wie denn der Koch, der französisch hat reden müssen, aus allen Theilen des Leibes von Thieren aus allen Elementen aus aller Welt einzelne Gerichte zu machen verstanden hat, aus Hahnenkämmen, daß kein Hahn mehr in der Gegend gekräht, und aus Nachtigallzungen, daß keine Nachtigall mehr gepfiffen. Gegen das Ende hat Podegrai sogar Homeletten, also von Menschenfleisch, nach Weise der Jesuiten bereitet, zu sich genommen, denn homo heißt der Mensch, und Letten sollen gewisse Menschen sein; zuletzt hat er selbst einen Teufel gefressen! So weit kann der Mensch sinken aus bloßem verdorbenen Magen!

Sollte sich Mancher vielleicht nun einen so kostbaren Bauch wünschen! Aber der Herr und König aller Esser und Veresser auf Erden hat, ihnen zum Beispiel, Podegrai's Bauch nun durch einen, und leider zwar durch seinen Bauch bestraft, der piano, piano, crescendo bis zum fortissimo sforzando ganz unmaaßgeblich geworden. Erst hat er seine Kniee aus den Augen verloren, und nur noch im Spiegel gesehen, darauf selber im Spiegel nicht mehr; dann hat er die Fußspitzen nicht mehr gesehen, die vorher, wenn er einen weiten Schritt gemacht, doch noch von ihm zu erblicken gewesen. Einen Großvaterstuhl hat er haben müssen mit Kutschen-Stahlfedern, und so geräumig wie Abraham, der so viel Juden muß auf seinem Schooße sitzen lassen. Aus dem Tische hat der Tischler müssen einen Bauch ausschneiden, daß er hat den Teller erlangen können; zuletzt hat er dennoch müssen auf seinem eignen Bauche essen, auf dem er nie mehr zu einem de Deo laudamo oder Patri nostro hat die Hände falten können, denn es hat noch eine Elle gefehlt von Fingerspitze zu Fingerspitze. An einem Paar Hosen für ihn haben viertehalb Schneider eine Woche zu thun gehabt, oder drei Wochen ein fleißiger Schneider, – denn viertehalbe sind drei Fleißige und ein Fauler. Wenn sie auf der Wäschleine gehangen, nämlich nicht die Schneider, sind allemal die Kinder im Dorfe zusammen gelaufen, und die alten Weiber, auch mitunter junge, und man hätte können zwei Bettler darein kleiden, die auf der Schwelle seiner Schloßthür um einen Bissen trockenes Brot gebettelt. Podegrai aber hat nur gesagt, wenn er das arme hungrige Volk gesehen: Kinder, wenn Ich werde satt sein, dann will ich euch helfen! Ich thue, wie ihr seht, mein Mögstlichstes um – euch bald – ach bald zu helfen, aber – aber. – Dann ist ihm von der langen Rede der Athem ausgegangen, und er hat müssen in sein Ungeheuer von Bett gebracht werden, wozu zwölf Schwitzer aus Rom sind wohl bezahlt worden, um ihn nicht plumpen zu lassen; auch eine reformirte Kirche neben der katholischen Kapelle habe haben dürfen, und die sich einander selber zu Grabe getragen, damit sie nicht von Eiern und Steinen noch gelber und mürber wie andere Ketzer zur Grube gelangten. Nun hat Podegrai bloß müssig gehen, essen, und in der Welt Menschen nichts als eine, d. h. seine Zunge vorstellen wollen, und hat die Welt nun für eine gebratene Taube angesehen – denn die Altgläubigen sollen sogar eine rohe Taube für noch mehr als die ganze Welt ansehen, und also aus Respect gar keine essen – aber er hat sich eine solche Arbeit mit und an seinem Bauche zugezogen, daß ihm immer der Angstschweiß ausgebrochen, wenn er nur ist zu Tische gefahren worden. Darauf hat ihm sein wirklicher bloßer Leibdoctor vorgeschrieben, er soll Essig trinken, und hat ihm einen ausländischen kostbaren Essig, der »Grünberger« heißt, verschrieben. Dadurch ist er so weit herab gekommen, daß er wieder hat stehen, und seinen Schatten in der Sonne betrachten können, was sein einziges Vergnügen gewesen. Ja spatzieren hat er fahren wollen, nämlich sich selber oder seinen Bauch, und hat lassen eine Art großen Kinderkarren machen, auf welchem er seinen Abgott im Saal, im Angesichte seiner Vorfahren, umhergefahren, und auf den Bauch hat er alle seine verdienten Orden, wohl an zwanzig Stück Sonnen, Monde, Sterne, Kreuze und allerlei Geflügel, versteht sich von Gold und Silber, dazu scheinen und spielen lassen. Soll eine Pracht gewesen sein! Ist aber zuletzt verhungert, da er statt eines Koches mit seinen fünf Unterköchen für Suppen, Gesottenes, Gebratenes, Gebackenes und Gefrorenes, nur eine einzige dicke faule Köchin zu halten im Zustande gewesen, die es höchstens bis zu einer fetten Gans oder einem Stockfisch habe bringen können; denn bis auf Teller, Löffel, Messer und Gabel ist alles rein aufgezehrt gewesen. Zum Kehraus hat sie müssen den alten Schwan aus dem Teiche rupfen und braten, und abermals kochen, der ihm dennoch nicht wohl bekommen. Ist blos am Liegen gestorben, und hat immer im Schlafe geächzt: wälzt mir den Alp vom Leibe!

Mein Großvater hat ihn auf dem Paradebette gesehen, aber von vorn und von unten Nichts von ihm wahrgenommen, als die Schuhsohlen, wie ein Paar kleine spitzbogige Thüren in ein Kesselgewölbe, da der Bauch, Brust und Kopf und alles verdeckt. Ganz oben auf demselben hat gelegen das Crucifix wie auf einem Calvariberg. Es hat aber die Nacht gewaltig gedonnert, und am Morgen ist Podegrai vom Paradebett verschwunden gewesen – und auch der Bauchwagen.

Das war er vorhin im Walde: wir haben ihn gesehen; denn er muß nun zur Strafe seinen Bauch auf dem Karren fahren im Schweiß seines Angesichts; und nicht nur die Mücken verfolgen und stechen ihn, die er sich nicht abwehren kann, wie ein Portechaisenträger, der einen großen Herrn trägt, sondern auch die Hirsche, wilden Schweine, Enten, Gänse und Schnepfen, die er bei seinem Leben um ihr Leben gebracht. Nachts fährt er in den Teich, wo er einige Erleichterung hätte, da er darin seinen Bauch getragen fühlt vom Wasser, und darin schwimmt, wie ein Ochsenhof, ohne zu sinken, und gehen kann wie ein Wassertreter; aber da kommen wieder die Aale, die Hechte und Krebse, so daß er weder Ruh noch Rast hat überall und nirgends.

So muß er fahren, bis er erlöst wird, bis er nämlich einem ganz magern Herrn begegnet, der sich nur halbsatt gegessen, bis alle seine Untergebenen ganz satt worden; sich nicht eher in ein Bett gelegt, bis sie alle ein Bett gehabt; der nicht eher einen Liebesbrief gelesen oder geschrieben, bis seine liebe Jugend in der Bibel lesen, und ihren Namen hat schreiben können. So einer kann ihn erlösen. Also ein bloßer schlechter Christ. Ist daher abzusehen, daß Podegrai seinen Bauch kein Weltende weit mehr wird fahren dürfen.«

Im Schlosse ward ich von der überraschten Gräfin liebreich aufgenommen. Ich erstaunte aber nicht wenig, im Eßsaale am andern Mittag den Tisch mit dem Ausschnitt für den Bauch zu finden! ja ich hätte bald die Flucht ergriffen, als ich wirklich einen dicken Herrn, etwa wie Podegrai's Sohn, zur Tafel fahren sah. Aber der Scherz bekam mir übel: hinter seinem Stuhl stehend, seinen Bauch reden zu lassen; denn die Gräfin sprach erblassend: am Ende glaub' ich, Du hast wirklich recht mit Deiner fixen Idee, guter Alibonar. – –



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