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Quarantaine.

Mein Vater wollte die Güter verkaufen. Zwischen ihrem bis jetzigen Nominalherrn, dem Grafen Alibonar und den Unterthanen hatte kein herzliches Band, kein Vertrauen statt gefunden, da er sich nicht zu ihrem Cultus bekannt vor der Welt – als gebe erst derselbe Glaube denselben Gott, denselben Himmel, und als sei ohne denselben selbst unser Vater nicht unser Vater; und eine unerklärliche, aber unläugbare Kluft ist zwischen den Herzen befestigt, über welche kaum die Liebe, menschlicher Sinn und kindlicher Gehorsam die befangenen Kinder der Erde trägt. Alibonar war übergetreten, um große Güter dadurch zu erwerben, die für ihn ein kleines Königreich galten; und nun verlor er diese, und von seinen ersten bekam er nur, wie zur Strafe, zur Muße: den Fehltritt zu bereuen, sein Stammschloß zurück, kinderlos, beerbt von Kindern eines Fremden. Aber auch mein Vater befand sich in demselben Verhältniß zu den Menschen, die von ihm ihr Glück hoffen sollten, und nicht hofften, und aus dem Grunde wollte er lieber, für Geld, einem andern, mit Leib und Seele ihnen angehörigen Herrn das Recht abtreten – sie glücklich zu machen. Prinzessin Lätizia, schon längst vom Prinzen Victor geschieden, wollte sie kaufen. Buffalora, Herr und Magdalena Knecht bekamen Vollmacht und Auftrag.

Wir übrigen Drei reiseten nach Alessio, nachdem ich vor Allem von dem Saale Abschied genommen, aus dem meine Mutter mit mir geflohen. Gabriele verließ mich nicht, und behielt ihre männliche Kleidung bei. Die dürftige Stadt liegt herrlich am Meer. In einem elenden Hause wohnten Talmon und Eliada. Sie wunderten sich: Uns nach ihrer Sulamith fragen zu hören, und läugneten, je eine Tochter gehabt zu haben! Alles Bitten, alles Eindringen war umsonst. Eperies offenes Geständniß sogar bestätigte sie nur noch mehr in ihrem zuletzt erbitterten Schweigen. Es war deutlich: Sulamith hatte im Elend ihre Aeltern aufgesucht – sie hatte sich entdeckt, und war verstoßen worden!

Ein Zufall belehrte uns in unserer Rathlosigkeit. Ich hatte meine Brieftasche geöffnet; jener Streifen Papier mit den Worten: »Adoni« u. s. w. war heraus gefallen – der Vater erkannte die Handschrift seiner Annunciade. Also war sie jene Verschleierte gewesen, an jenem Morgen, an dem ich meinen Vater ermorden konnte! der uns aber vereinigt! Sie war es gewesen, welche dicht verschleiert zur Harfe gesungen, wie ein abgeschiedener Geist die Lieben ungesehn umkreist; aus meiner Erzählung von Lajos, die ihr Athalia vielleicht wieder vertraut, hatte sie deutlich erfahren: der kranke arme Illonda sei ihr Sohn! Nun hatte das Mutterherz sie gedrängt, mich zu sehen, selbst als ich noch krank war; sie hatte gefürchtet, von ihrem Gemahl erblickt, erkannt zu werden, und so war sie die Nacht an mein Bett gekommen; sie hatte mich auf die Stirn geküßt, von ihren Thränen war sie mir feucht gewesen, und sie war als die weiße Gestalt verschwunden – das Alles schien nun deutlich zu sein, und vielleicht hätte Herr uns mehr verrathen können, wenn er zugegen war, wenn er selbst das Alles deutlicher wußte.

So schifften wir denn nach Triest; immer Italien gegenüber, durch die schönen unzähligen Inseln Dalmatiens, einen zweiten herrlichen Archipelagus, zwanzig Königreiche groß, wie Odysseus und wie Antinous einst sie besaßen. Nach sechstägigem Surin auf der Rhede, da wir ans türkische Gebiet kamen, gelangten wir zur Quarantaine. Wir wollten sie nicht im Schiffe halten, sondern stiegen ans Land, wohnten uns ein und erhielten unsern eigenen Guardian. Mein Vater war überrascht, als wir aus den Fenstern unsers abgesonderten Zimmers sahen, und er den Prinzen Victor erblickte, dann auch den Maler Theobald erkannte, der wieder in neudeutschen Kleidern ging. Sie waren aus Griechenland gekommen; ein wundervoll-schönes, nur noch zu junges griechisches Mädchen war bei ihm, das der Prinz wahrscheinlich auf seine Hand sich erziehen wollte; und was er mitgebracht, bezeugte, weßwegen er dort gewesen, selbst noch so spät in seinen vorgerückten Jahren. Es war fast unmöglich, in einen schmalen langen Hof zusammen eingeschlossen, Bekanntschaft zu vermeiden: denn sie mußten uns sehen, wenn wir vorüber gingen, uns Bewegung zu machen, oder zum Brunnen. Die erste war eine frostige Begrüßung, eine steife Unterhaltung, die nur der Maler belebte durch Vorzeigung seiner gesammelten meisterhaft gearbeiteten Bilder. Wir durften sie anrühren; denn wir hatten acht Tage weniger im Lazareth zu bleiben, als er; er war schon acht Tage darin, und so waren wir uns gleich an Verdacht der Pest und aller Uebel, und an einem Tage wurden wir nach vier Wochen frei. Also bedurft' es noch lange Geduld!

Eperies schickte dem Banquier seine Schuld. Er zählte das Gold in ein Gefäß mit Wasser; das Billet dazu wurde im Rohr über Kohlen geräuchert, dann gleich in die Stadt gesandt; und beim Sinken der Sonne war er und Athalia da, uns in dem ersten Hofe zu sprechen. Er brachte das Geld wieder, weil er bezahlt sei, und Athalia war erfreut – mich hübsch wieder zu sehn. Gabrielen mißfiel das schöne Weib, oder die junge – alte Bekanntschaft; sie wollte mich fortziehen, aber desto länger spann Athalie das Gespräch aus, während Eperies dem alten Freunde die Vorfälle in der Heimath auf schonende Weise erzählte, und Athalie sehr erfreut hinüber horchte. Beim Abschied entfiel Athalien der Handschuh; – ich bückte mich und hob ihn auf – ich streifte dabei ihr Kleid, ich bot ihr ihn dar, sie zog ihn an, und in diesem Augenblick gab mir ein zwischen uns fahrender grober Stock einen heftigen Schlag auf die Hand, daß ein Mädchen geschrien hätte, und daß Gabriele wirklich schrie. Er kam vom Guardian, der nur seine strenge Pflicht geübt. Baruch ließ sogleich seine Athalie los vom Arm und trat weit von ihr. Nun ist sie unser! sprach Prinz Victor, der näher getreten, nicht ohne uns zuvor beobachtet zu haben. Athalie stand erröthet, überrascht, hielt die Hände vor die Augen, aber sie lächelte mich durch die Finger an. Prinz Victor wünschte sich Glück zu dem Vergnügen: vier Wochen in ihrer Gesellschaft zu sein. Der Guardian war ergrimmt auf uns und erklärte: Wer hier von Jemand angerührt wird, der wird dadurch so schlecht als der Andere, dreißig Tage schlecht, vierzig Tage schlecht, nachdem der Schlechtere ist! Aber es war geschehn. Der Prinz ergriff ihre Hand, zog die sanft sich Sträubende auf unsere Seite, und nun sprach sie, wie eine Fremde, ihrem Mann Trost zu, den Zufall zu entschuldigen, und ja sie täglich zu besuchen! Baruch hatte bloß gelächelt, und wäre gern bei seinem Weibe geblieben, wenn sein Geschäft das erlaubt. Der Fall ist nicht unerhört, doch ärgerlich, meint' er. – Eine neue Art – rendez vous! bemerkte Jonas. – Sie verdiente bekannt zu sein! sprach der Banquier, und verließ uns, ohne sein Weib, mit ganz ergebenen Schmerzen. Athalie erhielt ihr eigenes Zimmer; aber vor Nacht noch schickte ihr gütiger Mann für sie eine vollständige kleine Einrichtung, Eiderdaun-Betten, einen Korb mit Kleidern, einen kostbaren Spiegel darauf, einen zweiten Korb, worauf eine Harfe lag, und zugleich folgte – ihre Gesellschafterin.

Ich aber mußte meiner Gabriele weibliche Kleider bestellen; und morgen schon sollten sie fertig und hier aus der Stadt sein. »Gehorsam ist die erste Pflicht!« erwiederte mein Geist von Herzen.

Am Morgen war Aufruhr im Hofe, wir hörten Flehen und Weinen, Drohen und Schelten. In der Einsamkeit reizt Alles. Wir gingen hinab. Der Guardian erzählte uns , Athaliens Gesellschafterin habe durchaus fortgewollt, und am Thore gerissen. Doch es stehe der Tod darauf, von hier zu entspringen. Der Prinz habe bei Athalien einen Morgenbesuch abgestattet, und gleich darauf sei Jene zum Thore geeilt. Und so eben – sahen wir – führten zwei Männer ein blasses Weib in tödtlicher Angst, das Gesicht zur Erde gesenkt, unter den Armen nach Athaliens Wohnung. Vor der Thür stand sie, erhob das Haupt zum Himmel, als ergebe sie sich, und seufzte doch tief – mein Vater sah ihr Gesicht, sprang hinzu, umschloß sie, sie stieß einen Schrei aus, ich half ihm, wir drängten die Wächter fort, und indem wir sie die Treppe hinauftrugen, stöhnte mein Vater: arme, arme Sulamith! Und als sie auf dem Bett lag, ohne Regung, mit bleichem Antlitz, sprach er bebend und weich mir zum Ohr hin: Adoni! das ist Deine Mutter!

Ob sie vor ihm geflohen, oder vor dem Prinzen, das war nicht abzunehmen, denn sie konnte auch ihn schon des Morgens erblickt haben. Darum, jetzt sie zu schonen, verließ uns der Vater. Er schickte mir Gabrielen, als Mädchen gekleidet, und wir nun standen der sich erholenden Mutter bei. Sie schlug die Augen auf, und erblickte mich, und ein mildes Lächeln schwebte um ihren Mund. Aber sie blickte von mir scheu unter den Augenliedern im Zimmer umher, als sei einer der Männer zugegen; da sie aber nur Athalien und Gabrielen sah, beruhigte sich ihr ganzes Wesen, sie stand auf, schwankte durch das Zimmer, und setzte sich wieder, verhüllte sich dicht, und weinte nun erst.

Auf meinen Wink verließen uns die beiden Frauen. Sie hatte die Tritte der Fortgehenden gehört, sie richtete sich auf, trat vor mich hin, sah mich lange an, und endlich hörte ich die Stimme des guten Weibes wieder!

Willkommen, mein Sohn, in dieser Welt! sprach sie bewegt; willkommen! Du hast eine Mutter entbehrt, und Deine arme Mutter den Sohn; o welches Wiedersehen! nein, welches erste Erblicken – wie staunst Du die Mutter an mit Thränen! Nun siehe Dich satt! Doch ach! Wer kann uns all jene tausend Freuden ersetzen, die Freuden der Mutter und des Kindes, die das Leben ausmachen; weil sie Liebe sind! O meine vergangenen Tage! o Deine verlorne Jugend! ohne die Liebe; die für das Leben und für die Liebe der Welt erzieht und zu allen Kämpfen stärkt und waffnet. Armes Kind, das die Noth und die Qual dahin gebracht, im Herzen zu seufzen und zu reden, und mit dem lebenslangen Nachhall jener ersten Klagen Dein saures Brot mit Possen zu verdienen! Athalie hat mir gesagt, Dein Vater kenne Dich, Ihr gehörtet einander, Du seist nun reich. Kannst Du Deine spätern Schätze zurücktragen in Deine früheren Jahre, und Dich damit wärmer kleiden, Dir eine fröhliche Stunde machen? Kaufst Du mir meine Thränen damit ab, oder mit allen Perlen des Meeres! Für gelittenes Elend ist keine Vergeltung, kein Trost als die Kraft des Herzens: daß wir nicht erlagen, und das klare Wissen: wir waren besser als unser Loos. Und dennoch, o mein Sohn, ich war noch glücklich, so lange ich Deinen Vater und Dich – – nicht wieder sah! Seit ihr glücklich scheint, bin ich erst elend, aber ach, nicht allein, nicht länger, als bis mein Leid in Euch übergeht und Euch dann doppelt ängstet, und das Eure dann wieder, wie ein vervielfachtes zurückschlagendes Echo, mich dreifach quält! o, mein Sohn! Und doch vor Deinem Anblick, in dieser heiligen Gegenwart sei Vergangenheit und sei Zukunft selig vergessen! –

Sie zog mich an sich, und ich ruhte zum ersten Mal an meiner Mutter Brust.

Dann setzten wir uns, wie tief ermüdet; wir hielten uns an den Händen, sie drückte die meinen sanft, und fuhr nach einiger Zeit erst fort: Sollt ich Deinem Vater Vorwürfe machen? O wie gut meinte er es! hatt' Er mich verstoßen? Oder mir – daß ich ihm geglaubt? Konnt' ich bleiben, ihm Fesseln anlegen, sich nicht eine Gattin zu nehmen, die in der Angst ausruft: o Gott! und wahrlich, so ruf' ich noch oft, und bin seiner nicht werth. Ach, ich floh, weil ich fürchtete – Er werde mich auch verschmähen! weil mich Vater und Mutter und eine Welt verschmäht, die da fragt: wie das Gute und Liebe heißt und wo es her sei, die nichts duldet, als was ihr gleich unduldsam ist. Ach, war er vielleicht nicht besser, nur verblendeter gewesen – verblendet über die Welt wie ich? Denn ich ahndete, fürchtete nichts, denn ich liebte berauscht und beseligt; ich hörte, empfand und verstand keinen Tadel, kein Unrecht. Ach, warum konnt' ich dies Alles überwältigende, niederhaltende Gefühl nicht immer herrschen lassen, warum konnt' ich es nicht wieder erwecken – ach – weil mein Gesichtskreis sich erweitert, weil ich mehr, Anderes, Schreckliches erfahren! So mußte mir geschehen, ich durfte nur kommen, ich kam, und mir geschahe so! – Aber auch die Erinnerung ist nicht wiederzuwecken seiner Liebe! denn ich, die ich sie wecke, bin eine Elende, sie erschrickt vor mir, und gleicht dem Echo, das mir antwortet, was ich frage. So ist denn für den Unglücklichen auch die Erinnerung schrecklich! Der lächelnde Glückliche aber kann selbst die alten furchtbaren Furien erwecken, wie ein reiner göttlicher Apoll, ohne daß sie die Schlangen gegen ihn schütteln dürfen. So hilft dem Glücklichen Alles zu seinem Glück! so drückt den Elenden Alles danieder! Immer wollte ich ihm schreiben, daß wir leben! denn nach dem, was geschehen, konnt' er glauben, wir lebten auch nicht mehr, wie wir nicht mehr bei ihm waren. Ach, wie gern wär' ich bei ihm gewesen! Und daß das Kind nach ihm nicht einmal verlangt; that mir umso weher! O, kann man so unwissend sein über etwas so Theures, so Heiliges, als ein Vater? Und doch ist es so! Darin sah ich auch eine Möglichkeit nicht Deine Mutter zu scheinen, damit nicht durch die Macht der Worte die Leiden Deines Vaters in Dich hinübergeleitet würden, oder gesäet wie ein Saamen in frischen Boden. Denn wieviel Kinder würden glücklicher sein, wenn sie nicht um die Fehler und Leiden der Aeltern wüßten, sie nicht trügen und tragen müßten, eben als ihre Kinder. Denn das Wort Kind schließt alle Zukunft der Aeltern ein. So abgeschlossen, wollt' ich leben in Ihm, dem Freunde – Gemahl wag' ich nicht ihn zu nennen – und so lebt' ich in ihm, wie er war, wenn ich fern blieb! Und – Alles zu sagen – ich mochte nicht seine Gnade, seine Ueberwindung. So viel Werth hat Jeder immer, als das Gefühl ihm giebt: ein menschliches Wesen zu sein. Und aus der Hand des Gottes ging ich rein und werth des Lebens hervor, wie jedes seiner Kinder! O wie schadete mir der Rauch des Alterthums, der mich wie ein Gemälde umschleierte, daß ich dadurch kein neues Werk bedeuten konnte. Aber, o Gott, wie schadet' er mir ein zweites Mal, bei einem Andern, der das Bild um seines Alterthums willen – schätzte. Schätzte! – was sag' ich? – sprach sie verwirrt.

Sie hätte mir alles entdeckt – aber sie vermochte vor Wehmuth nicht wieder anzufangen, nicht die rechten Worte zu finden. Und als sie es versuchte – hörten wir Athalien nahen. Und mit schneller Rede sagte sie mir nur noch leis und düster: Auch Athalie ist Deine Schwester! Du hast sie verkannt! das edle, schöne Mädchen, so möcht' ich sie nennen. Sie wußte, seit Deiner Erzählung, daß Du mein Sohn seist. Und erweicht vom Geschick, und Dich missend, gestand ich ihr erst – ihre Amme, ihre Erzieherin sei ihre Mutter. Und nun, seit gestern, seit Du Eperies Sohn bist, hält sie den Grafen für ihren – Vater. O Gott! –

Sie mußte aufhören. Athalie kam herauf. Die Mutter führte uns einander zu. Das junge Weib umschlang mich, sie küßte mich innig, ohne Wort, ich küßte sie; – endlich, endlich ließen wir uns los! Und ich sprach mit lächelndem Blick in ihr feuchtes zärtliches Auge: Vergieb, daß ich wähnte – Du liebtest mich! und Sie erwiederte hold: Vergieb, daß ich wähnte – Du liebtest mich nicht! Denke von Deiner Gabriele nicht schlechter; als von Deiner Athalie.

Ich ging, mein Herz auszuschütten, zum Vater. Er saß mit gefalteten Händen. Er war freundlich und froh, so sehr die Erinnerung ihm es vergönnte. Er hörte mit stiller Wehmuth mich an. – Aber Athalie Deine Schwester? meine Tochter? Das hat mir die Mutter verschwiegen, eh sie entfloh, oder wußte das nicht. Doch Athalie ist ja unglaublich – jünger! – Auch mir nun blieben die letzten Worte der Mutter dunkel, und je länger ich daran deutete, je unheimlicher wurden sie mir. Der Prinz ließ sich nicht sehen; die Mutter vermied ihren Freund, den Vater; nur Athalie kam zu uns, aber auch sie schwieg über alles Neue und Vorige, und zeigte sich nur sehr hold, ja unterthänig gegen Eperies, sehr zärtlich gegen mich.

In dieser Crisis trafen Buffalora und Herr bei uns ein, und blieben bei uns wohnen. Sie brachten bedeutende: Wechsel mit, die Güter waren verkauft an Lätizia. Bei den Unterhandlungen nun war vielfach die Rede von uns Allen gewesen, und die herrliche Frau hatte sich einst offener gegen Buffalora erklärt; und dieser vertraute dem Vater und mir, noch ohne zu wissen, daß er seine Sulamith wieder gefunden, daß sie nur durch eine Mauer von ihm getrennt lebe, gleich am ersten Tage die vertraute Mittheilung. Sie hatte vom Prinzen sich scheiden lassen, weil er die schöne Sulamith in jenem Dorfe durch seine Leute nicht nur entdeckt, sondern als Reisender war er des Nachts vor ihr Haus gekommen, war eingedrungen und bei ihr verweilt, als sei ein Rad gebrochen. Er hatte ihr erzählt, ihr Graf sei todt, und er sei von seiner Tristezza geschieden. Vielleicht hatte sie zuerst sein Mitleid mit ihr gerührt; dann seine Liebe zu ihr, seine Beschwörung, die Eitelkeit, ihr Vorsatz, das Kind, sich selber unbekannt, aufwachsen zu lassen – sie wanken gemacht. Und dennoch war sie nur durch Gewalt, trotz ihres überraschten, gebeugten Sinns, ihm gefolgt auf ein Schloß im Tyrol. Dort hatten die Thränen sie nicht erlöst; die Scham, von ihm zu entfliehen, hatte sie bei ihm gehalten. Ob Victor sie sich antrauen lassen, wußte Lätizia nicht gewiß; doch es schien nur so erklärbar, daß die betrogene Sulamith ihm ein Mädchen geboren. Während seines, alle Winter wiederholten Besuches von Rom war Lätizia auf das Schloß gekommen, wo Sulamith wohnte, von vertrauten Leuten des Prinzen umgeben. Sie war zu ihr eingedrungen – sie hatten sich Beide wieder erkannt, sich erklärt, sich ausgeweint! Aber die edelgesinnte Lätizia, der getäuschten Annunciade nur eine leichte weibliche Schuld beimessend und billig vergebend, hatte das arme, zweimal unglückliche Weib getröstet; das kleine Mädchen mit einer großen Mitgift ausgestattet, und aus dem besten Herzen ihr jeden guten Rath ertheilt, vor dem Prinzen sich heimlich in die Ferne zu retten. Mit tausend Thränen haben die beiden durch einen Mann unglücklichen Frauen sich dann getrennt. Annunciade habe geäußert, sie wolle das Mädchen bei guten Menschen unterbringen, als sei es ein fremdes, oder ihrer gestorbenen Schwester Kind. Das Vermögen des Mädchens, das sie freudig hingeben wolle, werde jeden Zweifel ersticken! So sei es geschehen; und wie Lätizia vermuthet, und Sulamith aus dunklen Worten voraus errathen lassen, habe sie sicher das Mädchen in eines Israeliten Haus gegeben, und sei von den neuen Göttern zurückgekehrt zu ihrem alten Gott. Darum rathe er nicht, schloß Buffalora, sie weiter aufzusuchen, da Herstellung, Herstellung in alles alte Glück Unmöglichkeit sei; er solle von keiner-Hoffnung träumen, denn in welcher Zukunft wolle seine Seele mit leis versuchenden Gedanken dauern! Sein Weib sei verloren!

Aber den Prinzen hab' ich gefunden! sprach der Vater; fürchterlich frohlockend; darum sah er nur mit feinem Lächeln mich an – weil er mich überlistet! mich um den Gedanken des Glücks betrogen, den ich jetzt noch fassen könnte! Er war untröstlich, und Buffalora ergoß sich gegen den Prinzen zu meines Vaters Trost. O Himmel, seufzte er, welche Befriedigung liegt doch in dem ewigen Betruge eines solchen Menschen – daß ich das Wort entweihe! Ist die höchste Wonne noch Wonne, die er im Gefühl des Betruges genießt! wenn er das schönste Mädchen, das herrlichste Weib umgarnt hat, umarmt, und ihrer Schönheit gegenüber nun heimlich unter ein Lächeln verborgen, doch laut in seiner Seele spricht: Du bist zwar ein Engel, du Herrliche, aber ich betrüge Dich doch um das reine Leben, um Deinen Himmel – und ich, ich kann das! Und Du, Du bist nur eine eitle verblendete Närrin – weiter nichts. Was ist dann ein Weib noch? Ja, dieß Gefühl ist kräftig genug, jedem Menschen – und der Abscheulichste bleibt noch eines Menschen dunkle Erinnerung – jeden Genuß zu zerstören, ja schauderhaft zu machen, und deutlich: wie tief er erst Alles erniedrigen muß, wie gemein und verächtlich, und von ihm selber verlacht und verachtet, ehe es seiner würdig wird! Was ist dann ein Mann noch? Aber das Schöne, das Edle und Reine, das er nicht kennt, als ihm ganz unbrauchbar nicht anerkennt mit Werk noch Gedanken, das ist ihm nicht, das soll nicht sein, er muß es zerstören oder sich, damit er zu dem weinenden Geschöpf des Gottes dann sagen kann: Du bist nicht besser als Ich! – Diese teufliche Eitelkeit, diese Rache der Verzweiflung ist der, noch den Himmel nicht ganz verläugnende, Grund der schnödesten Thaten! –

Darum, um Sulamith zu besitzen, erwachte mein Vater, wollte er sich sie gleich machen, ja geringer als er ist – aber vergaß nur ein Kleines: den guten Engel in jedem Weibe! Und doch – o meine Sulamith! – Ach, es ist nicht so leicht, ein ganzes Lebensglück zu verschmerzen; die Jugend ist Alles – aber das Glück ist doch auch Etwas! Ich bitt' Euch, ihr Menschen, sagt ja. sonst versagt mir der Arm, der den Kranken, den Rasenden heilen will, wie Er sich es nimmer vermuthet! Und sicher!

Buffalora und Herr waren in Angst über seine Wuth und sein Lächeln. Er nahm unsere zwei türkische Säbel unter den Mantel, und ging. Ich wollte für ihn gehen – aber er sprach: Du begreifst, Ich muß das selbst thun; Niemand wird satt, wenn ein Anderer ißt. – Er war fort; ich konnt' ihn nicht halten!

Gabriele, die mit Athalie und Theobald jetzt zurückkam, die Ueberraschung Buffalora, die Angst von Herr, mein innerer Zorn und mein sehnlicher Wunsch, legten uns finsteres Schweigen auf. Die Frauen wußten das nicht zu deuten und schwiegen wie wir, und hörten den Prinzen und meinen Vater sich heftig erklären. Der Maler, schon vorher nicht ohne Befürchtung, unterschied jetzt dumpfes Geklirr daneben; es ließ aber nach, und das griechische Mädchen kam, Angst in Aug' und Gesicht, hastig gesprungen; sie wollte reden; ihr fehlte der Athem, die Sprache; sie lehnte sich an die Thür, hielt mit einer Hand das stürmisch klopfende Herz, mit der andern winkte sie uns wie ein Geist.

Wir eilten Alle neben-hinan.

Eperies hatte sich angelehnt, bedeutete uns und lächelte fein uns entgegen.

Der Prinz stand mitten im Zimmer und hatte mit der linken Hand das Gesicht querüber bedeckt. Und der Mann, der gewiß in seinem Leben nie geweint, weil weder Freude oder Schmerz ihn gerührt, wie seine Freuden und Leiden gewesen – er weinte jetzt, so schien es. Und doch konnte ihm Nichts oder Wenig geschehen sein! Ich hob den Säbel auf, den er weggeworfen, und sah einen Tropfen Blut, und daneben kaum ein Quentchen vom Leide des Prinzen, aber wenn ich nicht irrte, so war es die einzige Spitze des ganzen Gesichtes.

Ich hoffe, mein Prinz, sprach Eperies streng, Sie werden nun nicht mehr an sich allein denken, noch die Welt bloß für Ihren Spiegel betrachten, sondern die Dinge, wozu auch ehrliche Männer und Weiber gehören, werden ihren Augen auch selbst als Etwas hervortreten, und Ihnen einigen Werth bekommen, zu welchem Glück die unseligen Dinge bisher nicht gelangen können! Und haben sie einmal ihr eigenes Dasein vor Ihnen erlangt, dann werden Sie mit Ihrem scharfen Verstande sie auch unterscheiden! zum Beispiel: einen Croupier von einem Priester, Ehe von Ehebruch, eines Andern Weib von Ihrer Hetäre. Ein Gemüth, das seinen moralischen Krankheitsstoff noch stark genug ist auszustoßen, ist noch errettbar. Tödtlich-krank, ja todt ist der, wer unter die Menschen, in die Welt hinaus, und Nachts in den gestirnten Himmel gleichgültig, interesselos, unterscheidungslos hineinstarrt; der folglich sich und allen Menschen Alles für ganz gleich hält, was sie thun oder lassen; wo jeder nur wählt und zu wählen das Recht hat, wozu ihn eben die Lust anwandelt, und wozu er Geld hat, es sich zu verschaffen. Da nun alles Schlechte vor Allen in der Welt käuflich ist, so kauft er sich zu Tode; und da er ewig Geld, nichts als Geld bedarf, so windet er es selbst dem Kranken, dem geplagten Tagelöhner aus den Händen. – Aber Sie sehen, es giebt noch lebendige, beseelte, mit Ehre begabte – Dinge in der Welt! –

Der Prinz hatte zu betäubt gestanden, um meinem Vater wenigstens ein Federmesser in den Leib zu stoßen. Jetzt that er es! Aber ich hatt' ihn im Auge gehalten, und ich hatte das Glück, daß er mich traf.

Dadurch erschien er zum ersten Mal in seiner bisher verborgenen Gestalt. Er wurde gebändigt; er blickte in den Spiegel und schäumte vor Wuth auf das Bett geworfen.

Wenn mein Sohn nicht stirbt, sprach heftig bewegt der Graf zu ihm, so thut mir nur Ihre schöne Tochter Athalie leid – und doppelt, weil sie die Tochter meines Weibes ist.

Die Frauen waren uns gefolgt. Selbst Annunciade hatte nicht Ruhe gehabt; sie stand wie ein Geist nun auf einmal im Zimmer, und wir Alle waren besänftigt durch sie. Athalie sank ihr zu Füßen und verbarg das Gesicht an ihren Knien.

Wir bewohnten den Hof allein; er war verschlossen gewesen; die Wächter hatten Speisen und Wein geholt, und kamen jetzt erst wieder. Wir trennten uns schweigend und leidend.



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