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Abschied und Reise.

Der Augenblick dazu kam noch denselben Vormittag. Ihr Mann war nach Hause, er hatte dem Grafen im Nebenzimmer Geld gebracht, ich hörte es ihn mit seiner ehrlichen Stimme aufzählen. Athalie trat in mein Zimmer. Sie erröthete, als sie die Uhr sah, vielleicht nur aus Scham über meine Armuth – das schlug mich nieder. Sie war so schön, und wer möchte nicht lieber ein Engel, ein Gott vor einem schönen Weibe erscheinen, als ein armer Teufel? Aber sie war eine Jüdin – was schadete mir bei ihr ein kleiner Schacher, in welchem sie mir ihre Zuneigung gezeigt, und wobei sie nicht wissen konnte, ob ich dieselbe nicht gerade dadurch hatte auf die Probe stellen, ja herauslocken wollen? Ich weiß nicht, ich hatte den Morgen so viel Davidisches an mir, und auch dieses, daß ich ihre schöne, bebende Hand ergriff und an mich zog. Aber wie mir dadurch ihre Glieder näher schauerten, wie ihre Augen, groß geöffnet und voll Sehnsucht glänzten, wie ihre Lippe leis und schmachtend zuckte, und ihr feingebildetes Haupt halb gewendet, ihre göttliche Gestalt wie begeistert nur auf das einzige selige Wort vom Himmel horchte, das sie mit erdrückender, tödtender, sinnezerstörender und zugleich in den Himmel erhebender Wonnegewalt wie ein Feuerregen ganz überschütten sollte – denn ich sage das, da ich Sie so sah – da hatten sie meine Arme um den schlanken üppigen Leib umfaßt, da hatten die ihren meinen Nacken umschlungen, da küßten wir uns nicht, sondern Jedes ruhte mit den Lippen auf des Andern Schulter, und empfand sich als den Andern, und ich war nur ihr wallendes Haar, ihr vor Liebe bleiches Engelsantlitz, war: – pressende Arme! laut klopfender Busen! und eine Fülle wonnebetäubender Glieder, die sich zugleich auch in meinen Armen hinunter von mir in dem Boden verlief, und verscholl, wie ein Meerweib in Wellen! –

Wer, also überrascht und gebannt, nach einem alten Pastor fragen kann, dem erkenn' ich den Preis der Selbstüberwindung vor mir zu.

Athaliens Mann hatte ausgezählt, und trat mit noch nasser Quittung in das Zimmer. Vor ihm einige Augenblicke aber der alte hustende Herr. Athalie sprang ihrem Gemahl entgegen, umschlang ihn, küßte ihn – auf den Zehen schlank ausgedehnt, und ich konnte nun sehen, wie sie sich in der Scene mit mir dabei ausgenommen! Diese Falschheit ihrer Liebkosungen gab mir aber einen Stich in das Herz, der alle Weiber darin auf einmal todt stach. Und so empfand ich nun erst Athaliens Umarmung, zwar die Pracht, aber auch den Abscheu ihrer Glieder mit aller Kraft der reinen himmlischen Jugend, mich brannten ihre Arme noch um den Nacken, als habe mich Kreons brennende Tochter umschlungen, und mein Herz schien mir auf ewig entweiht. Ich kam mir vor wie ein räuberisches Luftgespenst, das schönen Wesen ihre eigene heilige Seele entzieht, davon führt, und eine andere, gemeine, sündhafte dafür hinein bannt. Der freundliche Gruß des Mannes zerriß mein Herz, sein offener, gutmüthiger, zutraulicher Blick verzehrte mein Mark. Meine Seele weinte, daß ich Unrecht gethan; daß er so häßlich und lahm war! Ich wünschte: ihn in einen Engel umschaffen zu können, damit Athalia vor ihm auf die Kniee sinken müsse! ich wünschte ein Teufel zu sein, daß der Getäuschte mich schwarz sähe, wie meinen Schatten, den die zu dem offenen Fenster hereinleuchtende Sonne von mir auf die Erde hin tuschte; ja, ich zog ihn am Boden durch meine Bewegung dahin, wo der Beleidigte mich mit Füßen treten mußte! Mit der äußersten Gewalt nur bezähmt' ich meinen Bauch; denn Jonas fing schon an, mich zu verrathen: »Dein Weib!.... Ich!... o Gott!...«

Sticht Sie der Hafer wieder? fragte der Graf. Athalie sahe zu Boden. Ihr Gemahl drückte mir die Hand und sprach: Glückliche Reise! und kommen Sie hübsch wieder nach Triest.

O hübsch ist er schon! lächelte Athalie.

Es ist doch ein Leiden, eine verliebte Frau zu sein; was die für Dinge thun und reden muß! – zischelte Herr mir ins Ohr, als der Graf Beide die Treppen hinunter begleitete.

Hier könnte ich nun Jedem, der ein Gewissen hat, den Rath geben, sich in gewisse Dinge niemals einzulassen, und dem, der keins hat, sich eins anzuschaffen. (Woher aber, weiß Gott!) Denn wer auch nur auf hohen süßen Genuß hält, der kann keinen markigern, himmlischern empfinden, als ein schönes Weib – zu verschmähen! Da wird Honig von Nectar, Wonne von Seligkeit, eine Sirene von einem Engel im entzückenden Kampfe besiegt, daß der Mensch Ichor blutet, und der Gott in ihm ihn Du nennt, und er ihn wieder. – Aber ich will es nicht thun. –

Wir reiseten ab; und am andern Mittag schon saßen wir alle Drei auf der Sau, und fuhren auf ihrem silbernen Rücken hinab.

Mehr oder weniger lag die Zukunft dunkel vor Jedem von uns, die Vergangenheit aber heller, und wir hatten die Absicht: das Alte an das Neue zu knüpfen, ja das Neue aus dem Alten zu entwickeln, und so unsern Lebensfaden weiter zu spinnen; und so saßen wir, Ich den Fluß hinabschauend, wo ich hin wollte, der Graf den Fluß hinauf, wo er her kam, Herr aber sahe links und rechts auf die schönen Ufer.

Sie schauen nur immer zurück? stellt' ich mich vor den Grafen. – Ich sehe dahin, wo mein Glück liegt, erwiederte er Alles zurück? keins mehr vorn? bedauerte ich ihn.

Bin ich allwissend? sah' er mich an. Der Mensch kann immer noch, immer wieder glücklich werden. Diese Wahrheit darf die Menschheit und kein Einzelner fallen lassen. So schwer ich am Leben trage, so leicht ist mir mein Herz, junger Freund. Mein Bewußtsein bindet nicht meine Sehnsucht, und wo ich das Glück wiederfände, da könnt ich's ergreifen mit reinen Händen. Ob es noch der Mühe lohnt, ist eine andere Frage. Doch gewährt auch die endlich gewonnene Ueberzeugung dem ältern, ja dem ältesten Manne Befriedigung: er hätte können glücklich sein, indem er alle Verhältnisse seines Lebens klar überschaut. Und sonderbar, selbst dem Unglücklichen ist sein größtes Unglück abgenommen, wenn er nur einsieht, warum, wodurch, auf welchem Wege er unglücklich ward und werden mußte. Man könnte darum wohl sagen, das größte, das einzige Glück des Menschen ist; sein Leben und die Welt zu verstehen; und die Unwissenheit, ja nur die Unklarheit ist in allen Fällen alles Unglück. Ich kann wiederfinden – aber ob ich das auch beglückt wiederfinde – oder nicht, das kann mich mit dem Leben aussöhnen, oder ganz von ihm entfremden. War es beglückt, so will ich denken, ich habe geschlafen; ist es elend, so will ich schlafen! Ich habe Sie nicht umsonst vor Athalien gewarnt.

Wahrhaftig nicht! vergaß ich mich erröthend; sie ist so schön! so lieb! – Sie ist eine Jüdin! vor der warnte ich Sie. Der Mensch bleibt ein beschränkter Thor. Was ihm gelungen ist, das empfiehlt er Jedem, was ihm mißglückte, das widerräth er Allen. Ein Vater besteht darauf, daß sein Sohn das lerne, was ihm selbst fehlte. Jeder, er treibe eine Kunst, Wissenschaft oder ein Handwerk, welches er wolle, mahnt seinen Sohn davon ab. »Alles soll er werden, nur nicht was ich bin! Das ist ja ein wahres Elend! man verliert das Leben darüber;« so spricht er, und rechnet die allgemeine Plage des Lebens, seine Mühen, seine Kälte und Hitze, seine Verluste, seine Thränen und Schmerzen – nur seinem Stande zu. Der Mensch ist ein Thor. Sie müssen mir vergeben. – Das bedarf es nicht, entgegnete ich. – Jenen Abend stand mein voriges Glück wieder so lebendig vor meinen Augen – und mein Leid so aufgefrischt in meiner Seele! Man würde oft heftiger, und wiederum oft nachsichtiger in der Welt sein, wenn man wüßte und wissen könnte, nur der wievieltausendste Theil von der Masse des Glücks oder Unglücks im Innern ein losgerissenes Wort ist, das über Jemandes Zunge schlüpft! O über ihre Tiefe! ihre Dauer! So lange, so weithin duftet selbst der Ambra oder die bittere Myrrhe nicht, die doch jedem Lüftchen, das über sie hinstreicht, von ihrem Wesen mittheilen. Jetzt, da wir uns ausgeglichen, kann ich Ihnen erzählen; vielleicht ist es Ihnen noch nützlich. – Dabei sah er mich lächelnd an.

Ich schlug die Augen nieder wie ein Mädchen, aber nur vor seinem Verdacht. Nur die ungegründete böse Meinung von uns ist bitter und verdrüßlich; die gegründete ätzend, aber heilsam. Um ihn nicht auf andere Gedanken zu bringen, schwieg ich, und so begann er.



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