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Herr Herr.

Als ich am andern Morgen, eben gegen Sonnenaufgang, aus meiner Thür auf den Saal trat, schloß auch der Graf seine Thür ab Er wohnte also neben mir. –

Haben Sie schon gefrühstückt? fragte er mich statt eines Morgengrußes.

Vielmal schon! nur heut' nicht; erwiederte Jonas für mich. – Nun so fahren wir erst auf das Gärtchen, sagte der Graf. – Leere Eingeweide sind gut im Kriege, besonders vor der Schlacht; das muß mir jeder wohlmeinende Armeeintendant bestätigen, sei er auch noch so reich; bemerkte Herr, welcher das Kästchen unter dem Arme hielt. Darauf sahen sich beide Männer lange an, ganz wunderlich, daß ich weder aus dem Grafen noch aus meinem alten Herrn klug werden konnte, wie sie selber nicht, denn ihre Mienen lösten sich, wie Wolkengesichter, wieder in nichts auf, und ich fragte den Grafen: Pistolen sind Ihnen doch recht? Das ist unser Secundant, wenn er Ihnen gefällig ist – ein Wundarzt – eines andern bedürfen wir nicht, dächt' ich –

Ich auch; versetzt er, und so stiegen wir zwanzig Schritt vom Hause, im Hafen in ein kleines Boot und fuhren quer über die Rhede nach dem Gärtchen am neuen Lazareth.

Im Boote, meinem Feinde gegenübersitzend, hatte ich Muße, mit manchmal über ihn gleitenden Blicken flüchtig sein Bild aufzufassen, und es dann im Innern bei mir bequem zu betrachten. Er war ein Vierziger, doch der Gram hatte ihm den Nacken gebeugt; in seinen Augenwinkeln hatte die Zeit drei Furchen gepflügt, die man Spornen nennt, seine hagern Wangen schienen heut mehr vom Eifer geröthet, als noch vom verlöschenden Feuer der Mannskraft, seine verzogene Unterlippe bezeugte den Ueberdruß des Lebens, und die Neigung seines Kopfes verrieth, daß er verlornes Glück gleichsam in der Erde suche. Denn wer hofft, trägt wie die Jugend den Kopf aufrecht und blickt in die Höhe und Ferne, gleichsam das erwartete Glück zu erspähen. Er blickte jetzt auch in den Himmel; aber ganz anders als die Jugend; Vorwurf, Bewußtsein der Täuschung, Bitterkeit, und jene ernstere Schwester der Hoffnung, die Erwartung: alles Leid durch ein willkommenes Ende vielleicht gelöst zu sehen – das alles war wechselnd in dem Blicke zu lesen. Dann lächelte er, nickte mit dem Kopfe, und senkte ihn wieder auf die Brust. Sein schon lange getragener Hut war neu eingefaßt, aber das Schnällchen golden! auch seine Wäsche fein und weiß. Sein grauer Rock war von feinem Tuch, aber seit fünf Jahren aus der Mode, er war hin und wieder schon mehr gelb und braun als noch grau; die Aufschläge der Aermel waren sonst länger gewesen, aber sie waren vorgerückt worden, weil der schadhaft gewordene Saum derselben wahrscheinlich es nöthig gemacht; doch war der Graf ohne Verlegenheit, also schon lange in seiner Lage, und das Ganze war ein Bild eines vornehmen, aber arm gewordenen Mannes. Mein tiefes Mitleid zu verbergen mußte ich scherzen. Rasch, rasch! rief ich den beiden Ruderern zu, indem ich schon die Angst meines alten Herr seitwärts bemerkt hatte, der mit geschlossenen Augen, gottergeben da saß. –

Der Graf lächelte; die Ruderer fuhren pfeilschnell, und ich schaukelte noch den Kahn. Der Graf griff meinem Herr unter den Arm, geleitete ihn auf seine Bank, hielt ihn, und so saßen sie beide einen wunderlichen Anblick gewährend.

Nur gelassen, mein Herr, sprach ich, es ist bald überstanden.

Sie nennen Ihren Diener Herr? fragte der Graf, das Schweigen brechend.

Er hat sich selbst in der letzten Taufe diesen Familien-Namen beilegen lassen, erwiederte ich, um etwas Heiteres auf die Bahn zu bringen; denn ich habe das immer für eine Schwäche und Thorheit der Menschen gehalten, in trüben Stunden dem Trübsinn nachzugeben, nur das Traurige aufzusuchen anstatt das Erheiternde. So hab' ich viel frohe Augenblicke gefunden, denn an Veranlassung, mein Mittel anzuwenden, fehlte mir es selten. Ein Glas Wein äußert bessere Wirkung auf den Betrübten, als auf den Schwärmenden, und man könnte sagen, die Lust ist für die Traurigen, und das Leid für den Lustigen erfunden, um beide in dem rechten menschlichen Gleise zu halten. – So fuhr ich denn fort: – Er hat sich wahrscheinlich »Herr« nennen lassen, weil ihn dann Jeder Herr Herr rufen muß, und diese Anrufung gefiel ihm gewiß noch aus den Psalmen her.

Aber bei seiner letzten Taufe sagten Sie; bat der Graf um Erklärung.

Ich habe ihn vielleicht vor mehreren bewahrt, erwiederte ich. Ich reisete an eines sehr warmen Tages in meinem Wagen Extrapost, und ohngefähr eine Stunde von der letzten Station, wo tiefer Sand war, und ein heißer Athem in der Kieferhaide glühte, sah ich einen ziemlich bejahrten Mann mit einem Bündel schwer beladen, keuchend laufen und der Post nachrufen, die er, als blinder Passagier, verpaßt, und nicht mehr erreichen konnte. Ich hatte ihn in der Stadt schon gesehen, jetzt fiel er vor meinem Wagen auf die Kniee, und sprach: gnädigster Herr Bauchredner! hat doch der Kämmerer der Königin Candoces den Apostel zu sich in den Wagen genommen, nehmen Sie mich in ihre Kalesche. – Das geschah. Und als er verschnauft und sein Bündel wohlverwahrt hatte, mir gegenüber saß und den Rücken des Postillions als Sitzlehne gebrauchte, frug ich ihn: was er sei, wie er heiße, und wovon er lebe?

Ich lebe von Taufen; erwiederte er. –

Also ein Geistlicher, bemerkte ich. –

Ach, ich könnte Rabbi sein, seufzte er, und ich weiß mehr als mancher Herr Geistliche, aber der bin ich nicht: ich lebe von getauft werden. – –

»Und doch ist er zu fett, als wenn er von bloßem Wasser lebte,« sprach ich in der Bauchsprache, deren Schall ich wie von dem Postillion herkommen ließ.

– Mein Freund, hub der Beleidigte an, sitz' Er ruhig auf seinem Bocke! Aber er wandte sich wieder gegen mich, der ich ihm vorhielt: er lebe vom Pathengelde; und sprach – so will ich es denn lieber selbst aufrichtig sagen; ich lebe vom Aberglauben der Christen; man muß aus allen Schwächen der Menschen Nutzen ziehen; durch der Menschen Leidenschaften regiert Gott die Welt! Aber die Herrn Christen halten selbst so wenig auf sich selbst, daß sie keinen Thaler mehr Pathengeld geben, wenn sich Zehn von uns wollen ein Christ heißen lassen.

»Ja« – sprach ich wieder mit der Stimme des Postillions – »ein Getaufter bleibt ein Getaufter.« –

Mein Freund, ich darf Ihn darüber prae judicii belangen! weiß Er das? versetzte Herr, unter einigen Ellenbogenstößen gegen den Postillion, der darauf zur Peitsche griff.

Wie heißen Sie denn, guter Freund? unterbrach ich den Eifernden wieder selbst.

Wie Sie wollen: Ehrlich, Gottdank, Thugut, Leberecht, Christlieb, Gottlieb, Freudenreich, und was weiß ich alles! jetzt heiß' ich bloß Herr.

»Ohne Diener!« sprach es aus dem Postillion wie vor.

Wie die meisten Herrn jetzt in der Welt, versetzte Herr, der gemerkt hatte, wer eigentlich gesprochen. – Der Stich ging weislich auf mich, denn ich hatte auch keinen Diener, und die Aufrichtigkeit dieses Herrn gefiel mir, ob sie gleich für heute nur von einem Trunk über den Durst erregt schien, und wahrscheinlich der Dank dafür sein sollte, daß ich ihn aus dem Staube erlöst. Ich wollte ihn aushören, ob er bei mir Diener, Cassirer, Vertrauter, Reisegefährte, kurz alles das werden wolle, was ein Diener gewöhnlich bei einem Herrn wird, der zehn braucht und kaum Einen bezahlen kann, und frug also weiter. – –

– Wie können Sie das Alles aber in Herr's Gegenwart erzählen? fragte der Graf. –

O das ist ein spottschlechter Mann – nahm Herr gelassen nun selbst das Wort – der roth werden muß, wenn man ihm seinen eignen Lebenslauf erzählt! Wenn Sie die elende Lage eines Proselyten kennten, von der geräucherten Wurst an, die meine Mutter im Coffer gerochen, bis zur Entwurzelung eines frischen Baumes aus seiner Erde, den man nun Kopf unten mit den Aesten pflanzt, daß die Wurzeln dann als die Krone sollen Blätter, Blüthen und Früchte treiben, wenn Sie meinen Kramladen gesehen, wo ich mir erst Kunden durch Verborgen meiner erborgten Waaren verschaffen sollte, so daß meine Elle bald länger war als der Kram, Sie würden billig denken von einem guten Narren, der von den Christen gedacht, sie sind Christen! sie sind ein Volk wie die Juden! hätt' ich bald gesagt. Darauf ward ich Leibhusar bei einer Gräfin in Ungarn; aber ihr Beichtvater litt mich des Stammbaums wegen nicht länger, denn ich war damals, was ich jetzt sagen kann, hübsch wie Joseph, und rüstig wie Saul. Für alles Elend, was ich darauf Jahre lang ausgestanden, bekam ich gegen das Alter zuletzt meinen Lohn durch mein christliches Lottchen, das ich geheirathet, und selbst durch meine christlichen Kinder, die mir vorwarfen, daß sie mir ähnlich sähen! und verspottet würden von den andern Kindern in der kleinen Stadt, in der ich mich zur Ruhe gesetzt und von Reisen lebte, und noch lebe, wie Sie sehen. Das alles erzählt' ich nämlich damals in der Kalesche Herrn Illonda ausführlich und erbarmungswürdig. Denn die den Herrn Pastoren oft vom Leibe geschwatzten Röcke sind zu Kleidern für meine Kinder, und die Hauben der gutmüthigen Frau Pastorinnen sind für mein Lottchen, die gern Staat macht, und mich armen Mann bis auf's Blut darum plagt, und der ich Alles vergebe, weil sie die Haupttugend der Weiber hat, nämlich treu ist, – weil sie sich schämt vor allen Christen, daß sie mich geheirathet. So mache ich alle Jahre meine Reise, und besuche alle Pastoren, und lese ihnen die Tora ohne Präfigirung, und erzähle Anecdoten von Friedrich dem Einzigen, und Moses Mendelssohn, neben dem ich als Knabe, bei meines Vaters Bruder in Berlin gewohnt, und ihm alle Morgen einen guten Morgen geboten. Wenn ich nur die Meinen vor Mangel geschützt wüßte, so könnte ich ihnen keinen größeren Gefallen thun, als wenn ich nicht mehr nach Hause käme; und ich will auch darin meine Frau nicht als einzig und ohne Gleichen in der Christenheit aufstellen. Wenn Sie einen Diener brauchen, Herr Illonda, sagte ich nämlich damals in der Kalesche, so schicke ich meinen gesammten Garde-Lumpen-Pack – denn Roben sind nicht drin, nach Hause, trinke Eins frei und unbezankt, wo ich es bekommen kann, reise mit Ihnen durch alle Welt und führe die Casse. –

Und ich muß jetzt sagen, nahm ich selbst das Wort, mein Herr hat sie ehrlich geführt und so sind wir manches Land durchzogen, und unsere vieljährigen komischen Abentheuer sollen Sie schriftlich lesen, Herr Graf, und vielleicht kommt heute noch ein Schicksal dazu. Uebrigens hat mein Herr keine Stiefeln bei mir zu putzen, denn ich trage Schuhe, und er trägt meine, seinetwillen nur halbabgetragenen Kleider, so daß mir mein alter Herr nach und nach ganz ähnlich geworden ist, und aussieht wie mein Herbst oder Nachsommer. Und kein besserer Diener in der ganzen Welt, selbst ein Sclave ist nicht besser, als mein getaufter Herr, der à deux mains ist, wie Sie sehen, nur nicht zu Wasser. – Doch da ist ja das Gärtchen! –



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