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Die Elfenpuppen

Ein Märchen

Friederle, geh, sei ein bißchen lustig! Der Kleine schreit schon wieder so arg!«

»Ach Mutterl, ich hab' nun schon alles versucht; heut' will er gar nicht lachen. Ich hab' mich schon vor ihm auf den Kopf gestellt und ihm das Froschhupfen und das Hahnengekräh und all meine Kunststücke vorgemacht; – er weint halt immer. Ich denk' mir – er hat Hunger.«

Die arme Schusterswitwe, die vor einem mit Flittern und Seidenstoffen bedeckten Tische saß und mit fieberhafter Hast an ein winziges, feines Linnenröckchen ganz schmale Spitzen nähte, schaute ihren Ältesten, ihren braven, treuen Friedel, mit schmerzlichen, ängstlichen Blicken an.

»Guter Junge, es hilft nichts, er muß noch ein Stündchen warten. Ich hab' nichts, gar nichts mehr im Haus. Aber sobald die beiden Puppen hier fertig angeputzt sind, – kaum ein halbes Stündchen dauert es noch, – trägst du sie zur Frau Konsul hinüber. Für die Hälfte des Geldes kannst du dann einkaufen, was du nur magst, daß wir uns einmal satt essen und auch wissen, daß Weihnachten ist.«

»Hansele, Hansele, Weihnachten!« jauchzte der blasse Friedel, die Arme nach dem kleinen Bruder ausbreitend, der auf einem Kissen im Winkel des Stübchens saß und das elende Gesichtchen eben wieder zu einem neuen Tränenausbruch verziehen wollte. Als Friedel aber so strahlend auf ihn losging, vergaß er seinen Schmerz und begann zu lächeln, wobei sich so reizende Grübchen in seinen schmalen Bäckchen zeigten, daß der Große mit rührendem Eifer alle seine Kunststücke und kleinen Zaubereien von vorn anfing, um ihn fort und fort im Lachen zu erhalten.

»Siehst du, jetzt kommt der Löwe,« sagte er und schüttelte die blonden Haare vorn über den Kopf, kroch auf allen Vieren heran und gab ein Gebrüll zum besten, das bei aller Furchtbarkeit so gutmütig klang, daß man sich den König der Wüste dabei als ein recht gemütliches und gutes Geschöpf vorstellen konnte. Dann kam Pferdegewieher und Eselsgeschrei an die Reihe, jedes Kunststück so lange, bis der Kleine wieder zum Weinen ansetzte.

»Weißt du nicht etwas ganz Neues, mein Friedel,« fragte die Witwe, der der Jammer des Kleinen ins Herz schnitt, nach einer Weile, »etwas, wobei er ein Viertelstündchen stille ist – ein Geschichtchen vielleicht?«

Ach, alle seine Schnurren und Märchen hatte der Knabe dem Kleinen schon so oft vorerzählt, daß er sich keine Wirkung mehr davon versprach. Indessen, etwas Reizendes, Lustiges trug er doch im geheimen noch mit sich herum, von dem er keinem Menschen je ein Wort gesagt, und das er eigentlich immer für sich behalten wollte. »Je nun, so erzähl' ich's ihm halt, dem armen Schelm, daß die Mutter ungestört ihre Puppen fertignähen kann,« dachte er gutmütig und hob mit lachendem Gesicht das Brüderchen in die Höhe, trug's ein paarmal im Stübchen umher und setzte sich dann gemütlich mit ihm im Ofenwinkel zurecht.

»Da horch nur, Hansel, was man alles erleben kann,« begann er in dem wunderbar geheimnisvollen Flüsterton, in dem er seine Geschichten immer zum besten gab. »Grad' vor einem halben Jahr, am Johannistag, da geh' ich beim Beerensuchen so recht lustig durch den grünen Wald, freu' mich wie ein König an den Schmetterlingen und dem Käfergesumm, an den weißen und gelben Blumen und den roten Erdbeeren und denk' an nichts, rein an gar nichts weiter.

Da auf einmal steh' ich vor einem moosbewachsenen Hügel still, und ein Purpurteppich ist da vor mir ausgebreitet, so rot, so leuchtend rot alles von reifen, süßen Beeren. Ich setz' mich nieder und schrei' vor Lust und pflück' und pflück' und ärgere mich nur, daß da so ein Haselzweig immer vor mir auf und nieder wippt und mit der Spitze mir über die Nase fährt. Wart du! sag' ich und stoß' ihn weit weg. Alsbald aber ist er wieder da und versetzt mir einen Nasenstüber. Nun, wie ich recht bös aufschau', hör' ich's ganz leis kichern und flüstern; ich schau' näher herzu und seh' da etwas Bläulich-weißes, Feines, Leichtes über den Zweig herniederwehn; das war wie ein Prinzessinnenkleid, nur so fein und klein, daß man's gar nicht beschreiben kann. Wie ein Wind fass' ich zu und halte den Zweig. Was denkst du, was da sitzt hinter den Blättern versteckt? Zwei lachende Gesichtchen sah ich, klein wie Christäpfel, weiß und rot wie Blüten. Elfen waren's, die zum Johannistag den Menschen sichtbar geworden sind. Ach, Hansel, was war das für ein lustiges, herziges Volk! Wie ich sie zu ergreifen versuchte, schwankte der Zweig schon wieder hoch oben in der Luft, daß die Schleierlein flogen, und dabei lachten die Elfen, daß es wie Silberglöckchen durch den Wald hin klang. Wie ich mich auf die Zehen stellte, um den Zweig droben rasch herabzuziehen, ging die Schaukel wieder nach unten, – es war ein Greifspiel, so lustig, wie ich noch keins erlebt. Aber endlich hatt' ich sie doch. Leicht wie Vögelchen waren sie in meiner Hand, und unter den spinnwebfeinen Kleidern und Schleiern fühlt' ich, wie ihre Herzen schlugen. Nun konnten sie auch ernst aussehen und bitten und betteln, ich solle sie freilassen.

»Was gebt ihr mir, wenn ich euch entschlüpfen laß?« fragte ich.

»Ein Elfenringchen,« sagte die eine mit ihrem feinen Wisperstimmchen, und »ein Elfenschüsselchen« rief die andre behend. »Wir wollen's gleich holen, da im Hügel ist das Elfenschloß. Warte nur ein wenig!«

»Na lauft,« meinte ich, ich Dummrian, und ich lass' sie frei und seh', wie sie mit Lachen im Hügelspalt verschwinden, und wart' und wart' und wart' nun auf ihre Wiederkehr. Stundenlang steh' ich, bis der Wald ganz feurig dasteht im flammenden Abendlicht und aus den fernen Dörfern die Glocken erklingen. Da ahne ich endlich, daß ich genarrt bin, und ich rufe und klopfe an den Fels und schimpfe und bitte und trabe endlich traurig heim. Das war an dem Abend, wo mich die Mutter gescholten hat, weil ich so lange draußen war und das Beerentöpfchen obendrein im Wald vergessen hatte.«

»Weil du den ganzen Nachmittag im Walde verschlafen hattest, dummes Friederle,« fiel die Witwe ein. »Man hört's ja an dem närrischen Zeug, das du erzählst; so etwas träumt man nur im Thymian draußen.«

»Mutterle, wahrhaftig nicht, es waren lebendige Elfen,« beteuerte der Junge, und »lebendige Elfen« stimmte halb im Traum das Brüderchen bei, dem bei der wunderbaren Geschichte der Schlaf in die tränenmüden Augen gekommen war.

»Ja, ja, meinetwegen!« lachte die Frau. »Glaubt, was ihr wollt, mir ist es recht. Gottlob, da ist nun der letzte Stich an den Puppenkleidern getan. Bildsauber sehen sie aus in ihren weißen Kleidern. Nun flink, mein Junge, trag sie fort! Wenn der Hansel aufwacht, soll er den Tisch gedeckt finden!«

Behutsam und weich legte der Große das schlummernde Kind auf sein ärmliches Bett. Dann blinzelte er der Mutter aus fröhlichen Augen selig zu, als wollte er sagen: »Nun ist alle Sorge vorbei, nun wollen wir fröhlich sein und ein trautes Christfest feiern!« – Emsig half er dann die zarten Puppenschönheiten in Watte und Papier verpacken. Dabei ward ihm vollends froh zu Sinn. Etwas so Herrliches von Wachskindern war doch noch nicht in der Welt gewesen! Dafür mußten die reichen Leute ein schönes Geld zahlen. Die beiden waren ja wie die Prinzessinnen so fein und schön. Sie waren als Bräute gekleidet in feinen, schimmernden Stoff, beide trugen Schleier und Krönchen und sahen mit lichtblauen Augen aus rotwangigen Gesichtern etwas starr, aber freundlich und wohlgemut in die Welt.

»Du liebes, fleißiges Mutterle,« sagte Friedel und schlang seinen Arm um den Hals der Frau. »So etwas Liebes bringst doch nur du zustande!«

»Dafür steckt auch unser letzter Pfennig in dem kostbaren Zeug, Friedel,« sagte die Witwe gedankenvoll. »Ich war so froh, daß ich zu guterletzt noch den Auftrag bekam, nachdem ich wochenlang krank gelegen und gar nichts verdienen konnte. Trag sie nur vorsichtig, lieber Junge! Ich lege sie dir gut eingewickelt in den Korb und noch extra Watte auf die Gesichtchen. Nun geh! Sag eine Empfehlung, und einen Taler koste das Stück, wie ausgemacht, wenn die Frau Konsul dich fragt.«

»Ja, ja, Mutterle,« sagte Friedel und war mit einem kreuzfidelen Satz aus der Stube hinaus.

»Sachte, sachte!« rief die Mutter ihm nach.

Freilich, so sacht wie möglich! Aber bei dieser entzückenden, bläulichen Dämmerung, diesem frischen, flimmernden Weihnachtsschnee, diesem Glockengeläut und den blitzenden Lichtchen am Himmel und hinter den Fensterscheiben soll einmal ein lustiger Junge vernünftig bleiben! Und dabei noch mit der Aussicht auf so reiche Einnahmen, auf ein gutes Abendbrot und die herrlichen Überraschungen, die er selbst für seine Lieben in Bereitschaft hielt: ein Bäumchen mit drei Lichten für den Kleinen und für die Mutter ein warmes Tuch, das er schon vor einem Vierteljahr für den Erlös einer heimlichen Beerenernte im geheimen gekauft hatte.

Vom Hinterhaus, wo die Witwe wohnte, über den Hof nach dem Vordergebäude ging es noch in leidlich vernünftigem Schritt. Aber das Leben auf der Straße riß den fröhlichen Wildfang ganz und gar mit sich fort. Das war ein Kommen und Gehen, ein Klingeln von Schlittenglocken, ein festliches, vergnügtes Eilen und Drängen! Aller Wangen glühten, und aller Gesichter sahen erwartungsvoll und selig aus. Da konnte auch Friedel nicht mehr langsam gehen. Jauchzend lief er über den Weg auf den mit weißem Licht hell erleuchteten Torweg des Konsulatsgebäudes zu. Mit ihm zugleich sauste von der andern Seite ein offener Schlitten heran. Ein vornehmer Kutscher thronte auf dem Bock und ein Diener auf der Pritsche. Zwischen beiden aber saßen, in schöne Decken und Pelze gehüllt, wie in einem weichen Nest vier entzückende Kinder, alle blond und strahlend vor Gesundheit und Glück.

»Alex,« rief das kleinste Mädchen, während der Schlitten unter leisem Verhallen des Schellengeläutes vor dem Hause hielt, und zupfte den älteren der beiden Brüder am Ärmel. »Sieh dort den Jungen, der trägt gewiß etwas für unsere Bescherung ins Haus.«

»Das wollen wir gleich mal rauskriegen, Ellen,« lachte der Knabe und sprang mit einem Satze aus dem niederen Gefährt auf den beschneiten Boden. Ehe Friedel, der ins Anschauen der schönen Kinder versunken vor dem Haustor stand, sich's versah, war der fremde Knabe an seiner Seite.

»Zeig mal deinen Korb her!« herrschte er ihn an.

»Fällt mir nicht ein!«

»Ja, ja, du mußt!« schrieen nun die andern im Chor, die mit des Dieners Hilfe gleichfalls glücklich aus Decken und Pelzen auf den Boden gekommen waren. »Mama hat uns nur spazieren geschickt, damit wir nicht sehen sollen, wenn unsere Geschenke ankommen,« rief das älteste Mädchen altklug. »Das kennt man!«

»Ja, ja, das kennt man!« wiederholte die Kleine, die kaum sechs Jahre alt war. »Zeig nur her, zeig her!«

Den Friedel schüchterte so etwas nicht gleich ein. »Wo werd' ich so dumm sein!« sagte er unerschütterlich ruhig, preßte die Hand auf den Korb und drückte diesen fest an sich. Dabei wand er sich an den Kindern vorbei geschickt in den Torweg hinein und glaubte sein Spiel gewonnen.

Aber durch den lauten Lärm der vielen Kinderstimmen angelockt, stürmte in diesem Augenblick eine riesige schwarze Dogge mit Freudengebell die Marmortreppe hinab unter die kleine Gesellschaft.

»Fellow! Ei, das ist recht! Du sollst uns helfen,« jubelten die Knaben. »Faß, Fellow! Halt den Dieb!«

»Was fällt euch ein?« rief Friedel entsetzt. In demselben Augenblick aber sprang der gut dressierte Hund schon mit einem riesigen Satz auf ihn zu. Aufschreiend sprang der Knabe beiseite; die Mädchen lachten, die Knaben schrieen vor Vergnügen; vergeblich suchte der Diener die wütende Dogge zu beschwichtigen.

»Faß ihn! Faß ihn!« hetzten die Kinder weiter, die wohl wußten, daß Fellow dem Knaben im Ernst nichts anhaben würde, und eine wilde, atemlose Jagd begann. Blaß wie der Tod flüchtete Friedel vor seinem Verfolger aus einer Ecke des Torwegs in die andere. Endlich, endlich hatte er den Ausgang wieder erreicht, aber der Hund setzte ihm nach, und fort ging's durch die Straßen über Stock und Stein, daß die friedlichen Fußgänger schreiend auseinanderstoben.

In der Nähe der Brücke, die den gefrorenen Fluß überspannte, holte der Hund sein zitterndes Opfer ein. »Nun ist's um mich geschehen!« dachte Friedel entsetzt. Aber der Hund war »auf den Dieb« dressiert, und sein Augenmerk war nicht auf den armen Jungen, sondern auf den Korb gerichtet, den dieser in der Hand trug. Mit einem geschickten Griff erschnappte er dessen Henkel, während Friedel ihn noch in Todesangst mit beiden Händen umklammerte; ein leidenschaftliches Hin- und Herzerren, ein Schreien, Knurren und Rufen begann, das die Vorübergehenden zum Stehenbleiben zwang; einige griffen ein, und nach kurzem stand eine ganze Anzahl von Männern und Buben gegen den Hund. Einem jungen, starken Burschen gelang es schließlich, den Henkel aus den Zähnen des wütenden Tieres zu befreien. »Gott sei Dank!« jubelte Friedel auf, und nachdem er geschwind seine beim Kampf verschobenen Kleider zurechtgerückt, drehte er sich um, sein wiedergewonnenes Eigentum aus den Händen des Retters zu empfangen. Aber, o furchtbarer Schreck! Während die Männer noch den Hund hielten, war der lange Bursche mit dem Korb im Gedränge verschwunden; eben sah man an der nächsten Ecke seinen struppigen Kopf noch einmal auftauchen. Mit einem verzweifelten Schrei setzte Friedel ihm nach, aber der dichte Menschenstrom versperrte ihm ein paarmal den geraden Weg, und ehe er sich Bahn brach, war keine Spur von dem Dieb mehr zu sehen.

Der Korb war dahin.

Immer, bei allem Hunger und aller Not, war der arme Junge noch lustig und tapfer gewesen; stets hatte er den Kopf oben behalten und seine fröhliche Laune bewahrt; jetzt aber wußte er zum erstenmal keinen Trost, und das junge Herz war ihm von bitterer Verzweiflung zum Zerspringen voll. Ein wahres Jammerbild, blaß und regungslos, die Hände krampfhaft fest ineinandergefaltet, so stand er an der Straßenecke und schaute zum Himmel auf. »O Mutter, Mutter!« wimmerte er in tiefem Weh unzählige Male in sich hinein. Wie war es möglich! Wie sollte er ihr, der Lieben, Armen, das Entsetzliche mitteilen! Gewiß spähte sie nun schon bald nach ihm aus, das liebe, blasse Gesicht voll Hoffnung und Erwartung, und freute sich auf die guten Sachen, die er mitbringen sollte.

Nein, nein, sie durfte es nie erfahren! Es mußte ein Ausweg gefunden werden, und wenn es der schwierigste war! – »Ja, ja, das will ich tun, das wird gehen!« rief der Knabe plötzlich laut und stürmte in atemloser Hast davon durch die Vorstadt hinaus über die beschneite Landstraße nach dem Walde zu. Im Forsthaus draußen war die alte, geizige Base seines Vaters in Dienst; es war ein rauhes, hartes Herz, das mit der Armut der Witwe noch nie Erbarmen gehabt; aber heute, mit seinem großen, heißen Schmerz in der Brust, am Christabend, wollte er sie schon erweichen.

Keuchend und glühend trotz der flimmernden Kälte raste er über den blitzenden Schnee dahin. Die Sterne lächelten auf ihn nieder, und die Hoffnung ward stark und immer stärker in seiner Brust. Wo die Landstraße in den Wald abzweigte, hielt er zum erstenmal eine Sekunde still; – da lief zur Rechten des breiten Weges ein schmaler Fußpfad, den er im Sommer oft gegangen war, zwischen den Tannen hin und in nächster Richtung auf das Forsthaus zu; aber würde er jetzt auch durchkommen in dem hohen Schnee zwischen dem schneebedeckten herniederhängenden Gestrüpp?

»Ich wag's, Gott hilft mir schon!« rief er entschlossen, und mit neuer Kraft trabte er durch den im Mondschein zauberhaft schimmernden Wald dahin. Schneesterne rieselten auf ihn nieder, und die Zweige schlugen mit ihrem klirrenden Eisbehang wie seine Glöckchen aneinander. Aber das Fortkommen war eine Kunst hier im Dickicht, wo die weiße Winterdecke jeden Pfad verhüllte. Bald rechts, bald links kam er vom geraden Wege ab. Schon dachte er mit Seufzen daran, in seinen eigenen Fußtapfen den Weg nach der Hauptstraße zurückzugehen, als ein breiter Lichtstreifen zur Rechten auf seinen Pfad fiel und plötzlich eine helle, mondbeschienene Lichtung sich vor ihm auftat. »Die führt am sichersten nach der Waldchaussee hinüber,« dachte er und trabte nun erleichtert zwischen den prächtigen, schlanken Hochwaldstämmen hin. Nach und nach erschien ihm der Weg aber doch unbekannt und merkwürdig lang. Beängstigt blieb er stehen und schaute umher. Da lockte zwischen den schlanken Bäumen ein seltsam flimmerndes Licht in den Wald hinein. »Vielleicht ist das schon das Forsthaus,« wähnte er entzückt und ging mit laut klopfendem Herzen dem Glanze nach.

Zu seinem Staunen trat da der Wald plötzlich ganz zurück, und er stand auf einer strahlenden Fläche vor einer niederen Erhöhung, die mit zartflimmerndem, silberbereiftem Haselgebüsch bekleidet war. Unter diesen Sträuchern entquoll aus einem Hügelspalt der seltsame, blendendhelle Lichtstrom, der einen zauberhaften Widerschein auf die ganze Umgebung warf.

Erstaunt, wie vom Traume befangen, sah Friedel umher. Da klang mit einem Male ein lieblich-leises, schelmisches Lachen an sein Ohr, und aus dem Lichtspalt huschte etwas Leichtes, Flatterndes, Zierliches ins Freie und schwebte an ihm vorbei über den Schnee hinweg.

Mit Entzücken erkannte Friedel die beiden neckischen Elfenkinder, von denen er heute noch dem Kleinen erzählt hatte. Lebhaft sprang er auf sie zu und erhaschte sie richtig. »Oho,« rief er und hielt jubelnd die lustigen, schimmernden Dinger, »seid ihr's? Hab' ich euch endlich wieder, ihr nichtsnutziges, loses Schelmengesindel? Wißt ihr noch, wie ihr mich genarrt und betrogen habt? Wie ich einen ganzen Sommertag hier wartete um euretwillen? Nun laß ich euch nicht wieder so leichten Kaufes frei, auch nicht um ein Elfenschüsselchen und einen Elfenring. Glücklich bin ich, daß ich euch gefangen hab'. In Not und Schmerz, zu Tode betrübt, komm ich hier heraus, und ihr klugen, durchtriebenen Geistchen sollt mich nun von meinem Jammer befreien. Ihr müßt, ihr müßt, oder ich halte euch für immer in Gefangenschaft.«

»Ja, ja, wir helfen dir, laß uns nur frei!« zirpten die lieblichen Wisperstimmchen, während sich die Kleinen aus den Fingern des Knaben zu befreien suchten.

»Nichts da! Einmal habt ihr mich betrogen und nicht wieder!« frohlockte Friedel. »Ich halte euch fest, bis ihr mir Hilfe versprochen habt.«

»So sag schnell, was du willst!« hauchte die eine kleine Gefangene in kläglichem Tone.

Atemlos erzählte Friedel nun seine Geschichte, und es war reizend zu sehen, wie die ausdrucksvollen, kleinen Gesichter, die erst ärgerlich und ängstlich zu Friedel aufsahen, bei jedem Worte heller und heiterer wurden, wie die Mündchen kicherten und die Augen blitzten, wie dann auf einmal die Rührung die holden Geschöpfchen überkam, während gleich danach der alte Elfenübermut sich in einem klingenden, silberzarten Gelächter Luft machte.

»Nun besinnt euch nicht lange und helft mir, statt nur zu lachen, ich will euch immer dankbar sein!« rief Friedel in dringendem, beschwörendem Ton, als er die Geschichte seiner Not beendet hatte. »Es ist ein Leichtes, allen unsern Jammer in Freude und Seligkeit zu verwandeln.«

»Aber wie? Weißt du etwas?« lispelte das eine Elfchen und blitzte das Schwesterchen mit den sternenklaren Äuglein an.

»Ich wüßt' es schon! Ich hab' einen herrlichen, lustigen Plan!« gab jene kichernd zurück.

»Vielleicht denselben wie ich,« lachte die erste und klatschte in die Hände. »Ich meine, wir gehen mit in die Stadt und lassen uns den unartigen Konsulskindern bescheren – –«

»Als Puppen!« fiel die andere ein in entzückendem Jubelton, der wie Vogelgezwitscher klang. »Ich hatte mir etwas ganz Ähnliches ausgedacht. Das wird lustig! Das wird ein Spaß!«

»Ein Menschenweihnachten wollt' ich längst gern einmal sehen,« rief das erste Sümmchen.

»Was meinst du, Junge, wär' es nicht schön?«

»Ich hatte freilich eine andere Art Hilfe erwartet,« seufzte Friedel kleinlaut. »Ein paar Silberstücke aus eurem Elfenschatz hätten mir besser getan.«

»Nein, nein, wir wollen Puppen sein!« riefen die eigensinnigen Geistchen entschieden. »Du wirst einmal sehen, Junge, wie gut wir unsere Sache machen, und wie viel du für uns bezahlt bekommst.«

»Ihr Zappelgeister, wie könnt ihr eine Viertelstunde in Ruhe bleiben, ohne euch zu verraten! Das wird eine dumme Geschichte werden,« wehklagte Friedel.

»Warte nur, wir können mehr, als du meinst,« eiferten die Elfen. »Sieh, jetzt stellen wir uns ganz leblos, und wir versprechen dir, daß wir uns bis Mitternacht nicht mehr rühren wollen.«

Und wie durch einen Zauberschlag wurden die holden, beweglichen Körperchen plötzlich steif, die Füßchen und Händchen streckten sich wie wächserne Puppenglieder, die feinen Gesichtchen wurden bewegungslos und still, und nur in den Augen und um den kleinen Mund lag noch etwas Lebendiges, wie ein schelmisches Zucken voll verhaltener Elfenlustigkeit.

»Nun, wenn es euch recht ist – ich kann ja zufrieden damit sein,« sagte Friedel belustigt und hoffnungsvoll. »Alles kann ja nun gut werden; frisch auf also!« Und ohne lange nachzusinnen, bettete er die erstarrten Geschöpfchen in das Wolltuch, das er von seinem Halse nahm; nur die zartrosigen Gesichter ließ er frei und jagte dann, wie vom Sturm gehetzt, durch die helle Lichtung und über den schmalen Fußpfad auf die Landstraße und nach der Stadt zurück. –

Die Frau Konsul hatte auf das jauchzende Lärmen der heimkehrenden Kinder nicht weiter acht gehabt. War es doch Christabend, und jeder ließ seiner seligen Laune auf seine Weise freien Lauf. Als aber die hohen, herrlichen Weihnachtstannen im großen Saale fertig geschmückt und die Geschenktafeln für die Großen und Kleinen aufgebaut waren und nichts zum prächtigen Ganzen mehr fehlte als die Puppen der beiden Mädchen, die sie bei der Schusterswitwe bestellt hatte, da begann die Dame unruhig zu werden, sah lauschend zum Fenster hinaus und fragte endlich den Diener, ob er nicht einen Knaben mit einem Korb oder Paket im Hause gesehen habe.

Der junge Mensch, der das Lügen gottlob noch nicht gelernt hatte, wurde rot und verlegen und sah wie hilfesuchend auf seine goldgelben Stiefelstulpen hernieder. Wahrscheinlich hätte er nun die häßliche Szene von vorhin verraten, wenn nicht eben nach einem lauten Klopfen an der Tür der glückliche Friedel mit purpurglühendem Gesicht ins Zimmer getreten wäre.

Über den Anblick der Puppen, die er mit zitterndem Eifer aus seinem roten Tuche wickelte, vergaß die vornehme Frau, etwas Weiteres aus dem stotternden Diener herauszufragen.

»Junge, das sind ja himmlische Geschöpfe!« sagte sie, die schneeweißen Dinger emporhebend, daß der helle Schein der Gaskronen auf ihre überirdische Schönheit fiel. »Sag, wo hat deine Mutter diese entzückenden Köpfchen gekauft? Und den flimmernden, haarfeinen Flor zu den Kleidern? Und diese Schleier? Und die durchsichtig zarten Bänder? Und diese Perlen, die wie Tautropfen schimmern? Schnell, schnell, sag, was du für die Puppen haben willst! Ich kann es nun kaum erwarten, daß wir den Kindern bescheren!«

Innerlich jubelnd nannte Friedel seinen bescheidenen Preis. »Das Fünffache sollst du haben!« sagte die Frau und drückte ihm drei blitzende Goldstücke in die Hand. »Sage deiner Mutter den schönsten Dank und nimm ihr da den Christstollen mit und hier die Flasche Wein und das Körbchen mit Weihnachtsgebäck.«

Überselig und überfließend vor Dank machte Friedel sich mit seinen Gaben davon; lachend und singend stürmte er die Treppe zu seiner Behausung empor. Die Mutter, die schon in Todesangst wegen seines Ausbleibens war, lauschte bereits über das Geländer hinab. Ihr war es, als ob ein Weihnachtsengel erschiene, als sie Friedels hübsches, seligstrahlendes Gesicht aus dem Dunkel auftauchen sah.

»Mein Friedel!«

»Mein Herzensmütterchen! Sieh, sieh nur, was ich bringe!«

Und während er die Schürze noch geheimnisvoll über die Gaben breitete, ließ er die Goldstücke, die er in seiner Linken trug, sanft in ihre schmale Hand gleiten. »Das ist unser Weihnachten!«

Verwirrt und entzückt sah die Witwe auf den reichen Schatz. Als Friedel aber unter Lachen und seligen Tränen ihr seine Erlebnisse erzählte, wurde sie ernst. »Ich weiß nicht, was ich von der Sache halten soll,« sagte sie kopfschüttelnd, »es kommt mir alles so traumhaft und unglaublich vor, daß ich auf seltsame Gedanken käme, wenn ich nicht genau wüßte, daß mein Sohn stets die reine Wahrheit spricht.«

»Das tut er, Mütterchen, gewiß, das tut er! Darum schau nur nicht so bang darein, sondern freu dich über das Liebe und Schöne, das uns geschehen! Gib mir den einen Goldfuchs gleich zum Wechseln! Ich nehme einen Taler davon, und in zehn Minuten bin ich wieder da mit lauter guten Dingen zum Sattessen und Fröhlichsein.«

»Nun meinetwegen! So geh!«

So schnell, als sei abermals ein Zauber im Spiel gewesen, war der glückliche Junge, der zuvor die Geschenke der Frau Konsul im Kämmerchen versteckt hatte, mit Brot und Fleisch und einem geheimnisvollen Paket beladen, aufs neue daheim. Ein köstlicher, würziger Duft von warmen Speisen und Getränken zog sich bald durch das ärmliche Stübchen. Während die Mutter die Mahlzeit rüstete, baute Friedel im Kämmerchen nebenan seine Weihnachtsschätze auf. Nur ein so gutes, treues Herz wie in ihm schlug, hatte sich in solcher Eile so trefflich auf alle Herzenswünsche seiner Geliebten besinnen können; der gerührte Dank der armen Frau und der Jubel des Kleinen wollten denn auch kein Ende nehmen. Unsagbar traut war nach der langen, schweren Zeit der Not und des Entbehrens dieses himmlische Freuen, dieses unverhoffte Licht, dieses Getröstet- und Beruhigtsein über die nächste Zeit.

»Nur mein Friedel, mein Herzensjunge, geht leer aus,« sagte die Witwe, als alle beim einfachen, kräftigen Mahl beisammen saßen; »aber warte nur, mein alter Schatz, in ein paar Tagen kann ich sicher ausgehen, und dann bekommst auch du ein Christkindl und ein schönes obendrein!«

Mit seiner ganzen ehrlichen Innigkeit beteuerte Friedel, daß er gar, gar keinen Wunsch habe und über das Glück der Seinen selig genug sei. »Höchstens eine Geschichte von deiner Kinderzeit, Mutterl, wünsch' ich mir, etwas von damals, wie du so glücklich warst. Wenn du davon erzählst, siehst du immer so froh darein. Das mag ich gar zu gern!«

Um diesen einzigen Wunsch nicht abzuschlagen, erzählte die Witwe mit ihrem lieben Lächeln noch einmal die oft gehörten Dinge; sie beschrieb das Gütchen im waldigen Bergland, wo sie geboren, die selige Kindheit, das rosenumrankte Wohnhaus, über das die Tanne ihren Schatten breitete, das Schweifen zwischen goldigen Getreidefeldern und im schattigen Wald, die frischen Morgen, die trauten Abende und die fröhlichen Feste.

»Das alles ging uns dann verloren, wie ihr wißt, als die bösen, nassen Jahre kamen und die Eltern starben. Ich kam in die Fremde und mußte dienen und muß nun, da euer lieber Vater auch so bald von uns ging, gar mit euch so bittere Armut kosten.«

»Aber nicht lange mehr, Mutterl! Bald bin ich groß und stark und verdiene viel Geld. Dann wird alles gut,« sagte Friedel mit stolz blitzenden Augen.

»Ja, du bist auch mein Trost und meine Hoffnung!« flüsterte die Frau. Und damit war der Schatten von Trauer wieder verflogen, und die selige Feststimmung voll frommer Hoffnung und himmlischen Friedens breitete sich wieder über ihre Herzen. –

Aber auch im Konsulhause war noch nie ein so fröhliches Fest gefeiert worden wie dieses. Die Mädchen waren ganz aus Rand und Band über die entzückenden Puppen. »Nein, so etwas Schönes!« jauchzten sie immer von neuem. »Dieses Goldhaar, diese flimmernden Kleider, diese süßen, süßen Gesichtchen!« – »O, sieh nur, meine kann wirklich stehen!« rief die kleine Ellen im höchsten Jubel. – »Und meine hat Augen wie Sterne,« sagte Viola, die den Blick den ganzen Abend nicht von dem schneeigen Kindchen ließ. »So lebendig sah noch keine Puppe aus! Wahrhaftig, sie zieht das Mäulchen ein wenig schief, als wollte sie jeden Augenblick herauslachen. O du herziges Äffchen du!« – Immer mit den Puppen auf dem Arm gingen die Mädchen nun an die andern Geschenke heran. Alles wurde den neuen Lieblingen gezeigt; sie mußten die Bilderbücher mit durchsehen und die Kettchen umprobieren, die den Kindern gehörten, und deren goldene Ringlein als Armreifen tragen; sie wurden im neuen Puppenschlitten über den purpurblumigen Teppich spazieren gefahren und dann in dem neuen, herrlichen Puppenhaus vor eine mit winzigen Tellern, Gäbelchen und Gläschen bestellte Puppentafel gesetzt, auf der ein Schokoladenschinken und eine Marzipangans als Weihnachtsbraten prangten.

Von hier aus sahen die Elfchen mit stillem Entzücken dem festlichen Treiben der Menschenweihnacht zu. Sie sahen, wie die lieben Eltern gerührt und mit gefalteten Händen auf die jubelnden Kinder schauten, wie die Dienstboten mit strahlenden Gesichtern vor ihren reichen Gaben standen, wie alles rings im Glanz und Schimmer der unzähligen Weihnachtskerzen und der goldenen und silbernen Flitterkronen wie in ein Strahlenmeer getaucht schien; und dann hörten sie, wie der Vater auf dem schönen Flügel wundersame, innige Weisen spielte und die Großen und Kleinen aus tiefster Seele ein wunderschönes Lied: »Stille Nacht, heilige Nacht!« zu singen begannen.

»Wie schön die Mädchen und Jungen mit ihren andächtigen Gesichtern aussehen!« flüsterte das eine Elfchen dem andern zu.

»Schade, daß sie so bös und unartig sind!« gab dieses zurück. »Den armen Friedel so zu quälen!«

Erst spät, als die Mitternachtsglocken schon durch die stille Christnacht tönten, waren die glücklichen Kinder zu Bett zu bringen. Mit Knistern verlöschten die letzten Wachslichte an den Bäumen, und die letzten Tritte im Haus verhallten.

Da dehnten die Elfchen mit leichtem Kichern ihre Glieder. Geräuschlos hob sich's wie leichte, bläulich lichte Schatten aus dem Puppenhaus, schwebte es um die Tannen und glitt wie durch silberne Bäche durch die Mondhelle, die zu den Fenstern hereinflutete. Hand in Hand schlüpften sie durch die roten Sammetfalten der Portiere ins Nebengemach und weiter durchs Haus ins Schlafzimmer der Kleinen. Sie schmiegten sich neben die blonden und braunen Köpfchen und flüsterten mit leisem Klang und wundersamer, herzrührender Gewalt ihnen zu, sprachen von der Not der Armen und von der schönen, himmlischen Pflicht des Erbarmens. So schalten sie, daß sie dem armen Jungen so hart begegnet, und drohten ihnen mit ernsthaft strengem Ton, den man dem neckischen Gesindel nie zugetraut hätte. Wie feines Glockengeläut, bald streng und herb, bald sanft und lieblich, klang ihre Predigt in den Traum der Kinder, die weiter schliefen und doch jedes Wort hörten. Unruhig, mit glühenden Wangen und klopfenden Herzen dehnten sie sich in ihren Bettchen, stöhnten und schluchzten und wimmerten leise im Schlafe, denn es waren finstere, böse, schreckhafte Träume, die sie peinigten.

»Aber nun schnell,« rief eines der Geistchen, »denn um Mitternacht werden auch im Elfenschloß die Christbäume angezündet!«

Durch das offene Fenster im Speisesaal schwirrten sie ins Freie, in die kristallklare, monddurchleuchtete Nacht hinaus.

»O, wie viel schöner ist unser Fest daheim im Walde!« lispelte eins der zarten Stimmchen.

»Und doch,« klang es mit leisem Zittern dagegen, »und doch war es bei den Menschen auch gar hold und schön!«

»Weil sie andern Freude machen!«

»Und wir nur uns!«

»Ja, ja! Aber heute wollen wir auch echte Weihnachten feiern. Auch wir wollen einen Menschen beglücken. Weißt du wen?«

»Den Friedel, nicht wahr? Den besten Jungen, dem das Herz in Angst um seine Mutter heute so heftig schlug, daß ich's wie Glocken hörte, als er uns im Arme hielt.«

»Wir nehmen ihn mit! Er soll von uns Weihnachtsgaben bekommen!«

»Komm, komm, dort schläft er hinter dem Dachfensterchen mit den glitzernden Eisblumen! Der Riegel schließt schlecht. So, da sind wir ja! – O welch kahler, armseliger Raum! – Friedel, Friedel!«

Erstaunt schlug der Knabe bei dem feinen Klang der bekannten Stimmchen die Augen auf. Er wollte aufschreien vor Verwunderung, aber die Elfen, die sich über sein Bett neigten, bedeuteten ihm mit reizenden Gebärden zu schweigen und sich zum Gehen bereit zu machen.

»Vertraue uns nur! Wir führen dich zum Glück!« wisperten sie. Das klang so wahr und süß, so anders als das neckische Geplauder im Wald, daß der Knabe ihnen glaubte.

Im Nu war er in seine ärmlichen Kleider geschlüpft und winkte den Elfchen nach der Tür.

»Nein, immer den geradesten Weg,« riefen diese mit Lachen; zugleich legte sich in jede seiner Hände leicht und kühl wie ein Blumenblatt ein winziges Elfenhändchen, die Schleierlein der Kleinen flatterten wie Mondstrahlen über sein Gesicht, dann vergingen ihm einen Augenblick die Sinne wie im schnellen Flug, und nur wie im Traume war's ihm, als ob er pfeilschnell die Luft durchschneide, die Sterne zu Häupten und goldene Kirchturmkreuze, stille, weiß beschienene Plätze und rötlich flimmernde Lichtpünktchen unter sich.

Ehe er sich besann, klang es: »Da sind wir!« an sein Ohr. Er schlug die Augen auf und schritt, von den Elfen geleitet, durch ein hohes, schöngewölbtes Felsentor in einen silberflimmernden Gang, der sich weit und weiter auseinandertat und zu einer Halle erweiterte, deren Wände und Decke aus durchsichtigen, goldiges und rosiges Licht ausströmenden Schleiern bestand, so daß das Ganze wie ein weiter, schöner Morgenhimmel erschien. Aus dem Duft und Glanz hoben sich zu allen vier Seiten des Raumes blitzend zerstäubende Wasserstrahlen, die in goldene Muschelbecken mit leisem, süßem Klange niederfielen und dabei feine Wellen von Wohlgeruch, wie von Reseda und Jasmin, ausströmten. Herrliche Rosenhecken fügten sich längs der Wände zu Lauben und Gängen zusammen. Unter rauschenden, lichtgrünen Büschen standen goldene Ruhebänke mit durchsichtigem Purpurstoff bekleidet. Auf den ersten Blick glich der Raum einem strahlenden Zauberwald, denn auf langen Tafeln standen wohl ein paar hundert schlank gewachsene Tannenbäume, die ein überirdischer Lichtglanz umwob. Er schien von farbig brennenden Kerzchen auszugehen, entströmte aber zart geschliffenen Edelsteinen, die zwischen glitzerndem Brillantstaub auf den Zweigen ruhten. Winzig köstliche Dinge aus edlem Metall, Näschereien aus Tau und Blumenstaub, Blüten- und Perlenreihen hingen in Fülle von den Zweigen nieder. An den langen Tafeln aber, in dem wundersamen, mildfarbigen Schein saßen die Elfen beim fröhlichen Mahl, lauter zarte Gestalten mit reinen, kindlich holden Gesichtern, fröhlich und lieblich, wie die beiden kleinen Freundinnen Friedels es waren.

»Da seid ihr! Wo war't ihr Schelme? Was treibt ihr? Wen bringt ihr da?« riefen Hunderte von schwirrenden melodischen Stimmchen durcheinander den Ankommenden entgegen, und die kleinen Hände hoben die kristallenen Becherlein mit Blütentau den Schwestern zum Gruß.

»Bei den Menschen waren wir, und wir bringen ein treues Menschenkind mit, das wir glücklich machen wollen,« riefen die beiden, indem sie nach rechts und links grüßten und unter Lächeln und Nicken auf das Ende der mittelsten Tafel zuschwebten, wo die Schönste der Elfen mit silberzarten Flügeln, ein Strahlenkrönchen im langen, feinen Goldhaar, auf prächtigem Throne saß.

»Es ist unsere Königin,« flüsterte eine der kleinen Begleiterinnen Friedel zu und bedeutete ihm, sich vor dem holdseligen Wesen zu verneigen. Als ihm die Herrscherin aber ihr Antlitz zuwandte, das so zart und schön und so voll himmlischer Würde war, wie er keins zuvor gesehen, wußte er sich vor Bewunderung und staunendem Entzücken nicht zu fassen und sank in freudigem Schreck in die Knie nieder, während die eine seiner Begleiterinnen die Erlebnisse des Abends erzählte und Friedels Liebe und Treue zu seiner Mutter und seinem Brüderchen mit warmen Worten pries.

»Du bist willkommen bei uns!« sagte die Königin und ließ ihn auf einem seidenen Stuhle dicht neben sich Platz nehmen. Mit eigenen Händen legte sie ihm nun köstliche Süßigkeiten auf seinen Teller und füllte ihm ein blitzendes Becherchen mit kristallklarem Trank, der ihm wonnig durch die Adern floß und sein Herz so hell und fröhlich machte, als schiene die Sonne darein.

Er mußte ihr von seiner Mutter und dem armen Kleinen alles erzählen, was er nur wußte; er sprach auch von der Jugendzeit seines Mütterchens, in der alles so glücklich und schön gewesen war, von dem Gütchen im Waldtal, dem trauten Haus und dem schattigen Garten, und in alle seine Worte hinein klangen die leisen, süßen Melodien der fallenden Wassertropfen und die schwirrenden, holden Stimmchen der Elfen.

»Wir wollen deiner denken!« sagte die Königin freundlich lächelnd. »Jetzt sollen dir meine Kleinen noch etwas vortanzen, und dann magst du heimgehen.« Dann flüsterte sie ihrer Nachbarin etwas zu, und diese gab es lächelnd weiter, und bald ging durch den ganzen Saal ein fröhliches Kichern und Raunen und leises Händeklatschen, daß es klang, als ob der Wind über ein Lilienbeet strich. Während die Kleinen zu beratschlagen schienen, winkte die Königin dem Knaben, daß er ihr in eine zweite Halle folge, die statt mit rosigen Schleiern mit silbernem und bläulichem, duftigem Gewölk bekleidet und gleichfalls mit Tannenbäumen umstellt war, von deren Zweigen blasse Saphire und Opale ihr Licht ergossen, so daß es schien, als ob man durch eine milde Mondnacht schreite.

Durch den silberblauen Schein zogen, nachdem die Königin mit Friedel auf einem demantnen Thron Platz genommen, die ganzen Scharen der Elfen im Reigen dahin; ihre Schleier flogen, ihre reizenden Köpfchen neigten sich im Tanz. Bald schwebten sie Paar um Paar dahin, dann in langen Windungen und zierlichen Reihen. Immer schneller und schneller wirbelten die holden Gestalten durcheinander, um dann auf einen leisen Ruf der Königin im Nu still und stet an ihren Thron heranzuschweben.

»Nun führt mir meinen kleinen Freund fort, ehe die erste Stunde schlägt!« sagte sie zu Friedels beiden kleinen Bekannten. »Leb' wohl, du gutes Menschenkind, und bleibe brav! Diesen Blütenzweig aus meiner Krone nimm mit als Weihnachtsgabe von mir. Bringe der Mutter meinen Gruß! Sei glücklich! Lebewohl!« Sie reichte ihm den Zweig mit einem freundlichen Lächeln und schwebte dann davon.

»Lebe wohl, lebe wohl!« riefen da alle die Kleinen im Chor. »Nimm das von mir zum Andenken! Und das von mir! Und das von mir! Wir alle wollen dir etwas geben von unsern Weihnachtsgaben. Nimm, nimm!«

Und klirrend und klingend flog es in seinen Schoß, lauter kleine strahlende Dinge, Kettchen und Spangen, Blumen aus seltenem Gestein, winzige Ringlein und Krönchen und edle Perlen, wie sie die Elfen, Tautropfen gleich, in ihren Schleiern trugen.

»Lebe wohl! Lebe wohl!« klang es noch einmal im Chor, ehe Friedel vor Staunen und Entzücken noch Worte des Dankes gefunden. Elfenhändchen halfen ihm seine kleinen Schätze unterbringen, Elfenhändchen faßten ihn dann wieder an, und es ging, wie von Schwingen getragen, durch den Saal der Morgenröte und den silberschimmernden Gang zu dem Tor hinaus, das sich schnell und lautlos hinter ihm schloß und nun nur noch wie ein dunkler Spalt im beschneiten Felsen erschien. Und dann hob es ihn wieder hoch empor, und er sah aufs neue wie durch einen Nebel Fluren und Wälder, die blitzenden Höhen und funkelnden Kirchenkreuze unter sich. Dann ward es Nacht um ihn, dunkle, stille Nacht. Wie lange sie währte, wußte er nicht; er war nur tief erstaunt, daß er auf einmal mitten durch das Schweigen und die Dunkelheit die klare Stimme seiner Mutter hörte.

»Friedel, Friedel! Wach doch auf! Was ist das für ein Glanz um uns her?« klang es an sein Ohr. Da wich die Nacht; die klare, goldene Morgensonne stand am Himmel. Er lag mitsamt seinen Kleidern in seinem Bett; an demselben stand die Mutter, und vor ihm auf dem Kissen lagen die Blüten aus der Königskrone der schönen Elfe, jede ein Kunstwerk aus köstlichem Gestein, und all die andern schimmernden Herrlichkeiten.

Bei ihrem Anblick wachten die Erinnerungen an die Nacht so leuchtend in des Knaben Seele auf, daß er mit einem Aufschrei des Glücks aufsprang und die Arme um den Hals der Mutter schlang. Unter seligem Schluchzen erzählte er, was ihm geschehen, und zeigte ihr einzeln die Kleinodien und Schätze, die auf seinem Kopfkissen lagen.

»Es ist alles ganz edel und echt,« stammelte die Witwe. »Oh, nun sind wir reich, und alle Not hat ein Ende.« Sie sah mit gefalteten Händen zum klaren Morgenhimmel auf. –

Wie ganz anders war das Erwachen der Kinder im Konsulhaus! Nie hatten dort die Mädchen und Knaben so andächtig gebetet, nie waren sie vordem so still, voll guter Gedanken und Vorsätze aufgestanden wie in dieser Festtagsfrühe. Sanft und innig wie nie sagten sie den Eltern guten Morgen.

Ihre schönen Vorsätze hatten auch gleich eine schwere Probe zu bestehen. Die Puppen, die entzückenden Puppen waren fort! Die Stühlchen im Puppenhaus standen leer, und nirgends im ganzen Hause war eine Spur der holden Lieblinge zu entdecken.

Früher wären die Mädchen sicher laut und zänkisch auf die Brüder losgefahren: »Ihr habt sie versteckt! Gebt sie gleich heraus!« Die Knaben hätten die Schuld dann mit Geschrei und Püffen von sich abgewiesen, und es wäre ein Wirrwarr und Lärm ohnegleichen am frühen Festmorgen entstanden. Heute blieb alles still.

»Es wird eine Strafe sein!« dachten die Schwestern und schlichen nachdenklich davon.

Erst nach und nach gestanden sie sich gegenseitig ein, wie die geheimnisvollen Puppen ihnen im Traum der Nacht erschienen, aber lebendigen holden Elfchen geglichen hätten, wie sie von ihnen geneckt, gequält und ermahnt worden seien. Daß es nicht gewöhnliche Puppen waren, daß irgend ein wunderbarer Zauber im Spiel gewesen sein müsse, darüber waren sie einig und wurden es noch mehr, als sie nach langem Zaudern ein paar Tage später die Brüder ins Geheimnis zogen und auch diese verlegen von dem Denkzettel berichteten, den die Geistlein ihnen im Schlafe gegeben, und wie sie geängstigt und mit wirren Köpfen erwacht wären.

»Es war aber auch zu schlecht und häßlich von uns, den wilden Fellow auf den armen Jungen zu hetzen! Wenn er nun vor Schreck krank geworden wäre! Wie machen wir's nun wieder gut?« sagte Karl, der ältere der Knaben, kleinlaut.

»Wie wär's, wenn wir hinübergingen und dem Jungen etwas brächten von unserm Stollen und Naschwerk?« meinte der kleinere nach einigem Besinnen.

»So komm, wir wollen den Eltern alles sagen und dann hinübergehen. Ich bringe ihm noch mein Märchenbuch!«

»Und wir von unsern Pfefferkuchen!« riefen die Mädchen.

Einmütig machten sich alle vier auf den Weg, und jeder steckte noch von seinem Konfekt und seinen besten Weihnachtsbissen etwas für die armen Kinder ein.

Als sie aber vor die Tür der Witwe kamen, ward ihnen eine Botschaft, die sie fast noch wunderbarer berührte als das Verschwinden der schönen Weihnachtspuppen.

Die ärmlichen Dachstübchen standen leer, und die Nachbarn erzählten ganz erregt und geheimnisvoll von einem plötzlichen großen Glück, einem gewaltigen Reichtum, der den Armen in den Schoß gefallen; woher, wisse niemand. Strahlend vor Freude sei die Witwe mit den beiden Knaben davongefahren, hinaus in die Welt – man sagt, um das Gut, das einst ihren Eltern gehört habe und ihr plötzlich wieder zugefallen sei, zu übernehmen.

Sprachlos hörten die Kinder das Wunderbare an. Wie gern hätten sie gewußt, was vorgegangen, welch eine Zaubermacht hier die Hand im Spiel gehabt! Vielleicht dieselbe, die ihre Puppen ihnen so geheimnisvoll weggenommen, dachten sie im stillen. Wer weiß es? Nie haben sie es erfahren. Das ganze Erlebnis blieb ihnen ihr Leben lang ein Rätsel, ein geheimnisvolles, unerforschliches, liebliches – Weihnachtsmärchen.

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