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Dreizehntes Kapitel. Fortsetzung und Beschluss der Geschichte des Priors von Saint-Louis

Wenn der Anfang dieser Geschichte, der nur Lust und Vergnügen enthielt, Ihnen Langweile gemacht hat, so wird Ihnen die Fortsetzung noch weniger genügen, denn nun kommen lauter widrige Dinge, Unfälle und unangenehme Begebenheiten aller Art, die jedesmal auf die wenigen vergnügten Augenblicke, worin Sie mich noch sehen werden, folgten. Um also den Faden der Geschichte wieder zu ergreifen, so hatten wir sämtlich unsere Rollen gut gelernt und verschiedene Male probiert. Einen Sonntagsabend spielten wir in dem Hause des Herrn Dufresne. Dies machte in der Nachbarschaft sehr vielen Lärm, und ob wir gleich die Vorsicht gebraucht hatten, die Türe des Hofes verschlossen zu halten, so kamen doch so viele Menschen durch das Schloss oder über die Mauer herein, so dass wir Mühe hatten, die Bühne zu erreichen, die wir in einem ziemlich grossen Saal aufgeschlagen hatten. Demungeachtet mussten zwei Drittel von den Leuten draussen bleiben, und um sie zum Fortgehen zu bewegen, versprachen wir ihnen, das Stück künftigen Sonntag in der Stadt und in einem grösseren Saale noch einmal aufzuführen. Für Anfänger machten wir unsere Sache ziemlich gut, einen unserer Akteure ausgenommen, der den Sekretär des Königs Darius vorstellte – denn unser Stück handelte von dem Sterben dieses Königs – er hatte nur acht Verse herzusagen, was er unter uns auch ziemlich gut machte; als er aber wirklich auftreten sollte, musste man ihn mit Gewalt auf die Bühne hinausstossen, und so war er nun gezwungen zu reden, aber er machte es so schlecht, dass wir das Gelächter kaum verhalten konnten. Nach geendigtem Trauerspiel eröffnete ich den Ball mit der du Lys, der bis Mitternacht dauerte; und wir fanden an diesem Zeitvertreib so viel Vergnügen, dass wir ohne jemand etwas davon zu sagen ein anderes Stück einstudierten. Ich setzte unterdessen meine Besuche wie gewöhnlich fort. Als wir einen Abend miteinander beim Kamin sassen, kam ein junger Mensch herein, dem man gleichfalls einen Stuhl anbot, und nach einer viertelstündigen Unterhaltung brachte er eine Dose aus der Tasche, auf welcher ein sehr gut verfertigtes Porträt in Wachs poussiert war, und sagte dabei, es wäre das Bildnis seiner Geliebten. Nachdem nun die Frauen es betrachtet und sehr gelobt hatten, kam es auch an mich, und indem ich es aufmerksam betrachtete, glaubte ich einige Ähnlichkeit mit der du Lys darin zu erkennen, und vermutete, dass dieser Mensch einige Neigung zu ihr haben könnte. Ich schmiss sogleich die Dose ins Feuer, so dass das Porträt sehr bald zerschmolz, und als er Miene machte, sie herauszuholen, hielt ich ihn auf und drohte ihm, dass ich ihn zum Fenster hinausschmeissen würde. Herr Dufresne, der mich damals noch ebensosehr liebte als er mich nachher hasste, schwur, er wolle ihn zur Treppe hinunterwerfen, wodurch der arme Mensch gezwungen wurde, sich ganz verwirrt zu entfernen. Ich folgte ihm nach, ohne dass ich mich von jemand aufhalten liess, und sagte ihm, dass wenn er etwas auf dem Herzen hätte, er es sagen möchte. Jeder von uns habe einen Degen, und der Ort wäre bequem, um ihm Genugtuung zu geben. Aber er hatte keinen Mut. Den Sonntag darauf spielten wir dasselbe Trauerspiel zum zweitenmal in dem Saal eines unserer Nachbarn, der gross genug war, und hiedurch gewannen wir vierzehn Tage Zeit, um das andere Stück einzustudieren. Ich zierte es mit einigen Balletten, und wählte sechs gute Tänzer aus meinen Kameraden dazu, und ich war der siebente. Der Stoff unseres Balletts war die Macht der Liebe über Schäfer und Schäferinnen, denn bei der ersten Entrée erschien Kupido, und in den anderen Schäfer und Schäferinnen, alle weiss gekleidet und ihre Kleider mit Schleifen von blauem Band geziert, der Lieblingsfarbe der du Lys, die ich auch seitdem immer getragen habe. Aus Ursachen, die in dem Verfolg dieser Geschichte erzählt werden, setzte ich noch dunkelgelb hinzu, die Farbe dürrer Blätter. Die Schäfer und Schäferinnen tanzten zu zwei und zwei eine Entrée, und wenn sie zusammen tanzten, formierten sie die Namensbuchstaben der du Lys, Kupido drückte auf jeden Schäfer einen Pfeil ab und warf den Schäferinnen Flammen zu, und alle machten gegen ihn, zum Zeichen ihrer Unterwürfigkeit, eine Kniebeugung. Ich hatte über den Inhalt des Balletts einige Verse aufgesetzt, die wir hersagten, allein ich habe sie vergessen, und wenn ich sie gleich noch wüsste, so würde ich mich hüten, sie herzusagen, denn sie würden jetzt, da die französische Poesie auf einen so hohen Grad der Vollkommenheit gestiegen ist, gewiss nicht gefallen. Da wir die Sache sehr geheim gehalten hatten, so spielten wir bloss vor guten Freunden, die nach und nach ohne bemerkt zu werden durch den Park hereinkamen, und so stellten wir ungestört die Liebe des zirkassischen Königs Sacripant zur Angelika dar, wozu der Stoff aus dem Ariost genommen war. Hierauf tanzten wir unser Ballett. Ich wollte, wie gewöhnlich, den Ball eröffnen, allein Herr Dufresne gab es nicht zu, weil, wie er sagte, wir durch die Komödie und das Ballett ermüdet genug wären. Er entliess uns also, wir gingen fort und beschlossen, diese Komödie öffentlich in der Stadt aufzuführen, was auch den Sonntag vor Fastnacht am hellen Tag in dem Saal meines Paten geschah.

Die du Lys sagte mir, dass, wenn ich den Ball eröffnete, ich ein Mädchen von unserer Nachbarschaft, die gerade wie sie in blauer Seide gekleidet war, dazu wählen möchte. Dies tat ich. Es entstand hierauf ein Gemurmel in der Gesellschaft, und einige sagten ziemlich laut: »Er irrt sich, er kommt an die Unrechte,« wodurch die du Lys und ich zum Lachen gebracht wurden. Das Mädchen, das dies bemerkte, sagte zu mir: »Diese Leute haben recht, denn Sie haben sich in der Person geirrt.« Ich versetzte aber: »Verzeihen Sie, ich weiss wohl, was ich tue.« Den Abend maskierte ich mich mit drei meiner Kameraden und trug, um nicht erkannt zu werden, die Fackel und so kamen wir in den Park. Als wir in das Haus traten, betrachtete die du Lys meine drei Kameraden sehr aufmerksam, da sie mich aber nicht darunter erkannte, kam sie zu mir an die Türe, wo ich mit der Fackel stehen geblieben war. Sie fasste meine Hand und sagte: »Verbirg dich wie du willst, ich werde dich immer leicht erkennen.« Ich näherte mich nun dem Tische und löschte meine Fackel aus. Wir setzten unser Zuckerwerk auf den Tisch und fingen an, zu würfeln. Die du Lys fragte mich, mit wem ich spielen wollte, und ich sagte mit ihr; sie fragte hierauf, was sie setzen sollte, und ich zeigte auf eine Bandschleife und auf ein Armband von Korallen, das sie trug. Ihre Mutter wollte zwar nicht haben, dass sie es aufs Spiel setzen sollte, allein sie fing an zu lachen und sagte, sie hoffe es nicht zu verlieren. Wir spielten, ich gewann und machte ihr mein Zuckerwerk zum Präsent. Ebenso machten es meine Kameraden mit der älteren Tochter und mit den übrigen Damen, die den Abend daselbst zubrachten. Wir nahmen nun Abschied; als wir aber fortgehen wollten, kam die du Lys zu mir, machte die Schleife, womit meine Maske angebunden war, los, und riss mir sie mit den Worten ab: »So geht es einem, wenn man so eilig fortläuft.« Ich schämte mich ein wenig, war aber doch sehr froh, noch einen Vorwand zu haben, länger zu bleiben. Die übrigen demaskierten sich gleichfalls, und wir brachten den Abend sehr vergnügt zu. Den letzten Abend des Karnevals gab ich ihr noch einen Ball. Während der Fasten wurden alle Lustbarkeiten eingestellt, und die du Lys und ich versäumten keine einzige Predigt; die übrige Zeit brachten wir mit Visiten hin, oder wir hörten dem Gesang der Mädchen hinter der Mauer des Schlosses zu, wo ein schönes Echo war. Ostern kam nun bald heran, als eines Tages die Mademoiselle Dufresne mich fragte: »Nun wirst du uns wohl nach Sankt Peter führen?« Dies war eine kleine Kirche, eine Viertelstunde weit von der Vorstadt gelegen, wo man den Ostermontag nach Tische hingeht, um seine Andacht zu verrichten, und wo sich gemeiniglich die galante Welt versammelte. Ich antwortete auf diese Frage, dass es ganz von ihnen abhinge, ob ich sie begleiten sollte.

Den Ostermontag nun, als ich eben aus dem Haus trat, um sie abzuholen, begegnete mir einer meiner Nachbarn, ein junger reicher Mensch, und fragte mich, wohin ich so eilig wollte. Ich antwortete ihm, ich ginge nach dem Park, um die beiden Mademoiselles Dufresne nach Sankt Peter zu begleiten. »Wenn das ist,« erwiderte er, »so mögen Sie immer wieder nach Hause gehen, denn ich weiss von sicherer Hand, dass ihre Mutter nicht haben will, dass ihre Töchter mit Ihnen gehen sollen.« Diese Rede fiel mir so sehr auf, dass ich ihm nichts antworten konnte. Ich ging zurück in mein Haus und dachte nach, woher eine so plötzliche Veränderung kommen könnte, und fand nach vieler Überlegung keine weitere Ursache als mein weniges Verdienst und meinen niedrigen Stand. Indessen war ich doch über ihr Verfahren ärgerlich, dass sie mich nur gelitten hätten, so lange ich sie durch Bälle, Komödien und Serenaden belustigte, und dass man mich jetzt zurückwies. Der Zorn brachte mich zu dem Entschluss, mit einigen meiner Nachbarn dahin zu gehen, und ich tat es. Unterdessen hatte man mich in dem Park erwartet, und als die Zeit vorüber war, ging die du Lys mit ihrer Schwester und einigen anderen Mädchen dahin. Als sie aus der Kirche herauskamen, setzten sie sich unter eine Linde bei dem Kirchhof in den Schatten. Ich ging in der Entfernung vor ihnen vorbei, die Dufresne winkte mir, näherzukommen, allein ich tat nicht, als wenn ich sie sähe. Meine Gesellschaft machte mich aufmerksam darauf, ich tat aber, als wenn ich sie nicht verstünde und ging weiter, indem ich sagte, wir wollen in dem Wirtshaus etwas essen, was auch geschah.

Ich war kaum wieder nach Hause zurückgekehrt, als eine alte Witwe, unsere Vertraute, zu mir kam und mich ziemlich hart fragte, was ich für Ursachen müsste gehabt haben, um die beiden Mademoiselles Dufresne nicht nach Sankt Peter begleiten zu wollen. Sie sagte mir, dass die du Lys äusserst aufgebracht sei, und dass ich meinen Fehler zu verbessern suchen müsste. Ich war nicht wenig über diese Werte erstaunt, und nachdem ich ihr erzählt hatte, was mir begegnet war, begleitete ich sie an die Türe des Parks, wo die beiden Damen waren. Anfangs liess ich sie ganz allein meine Entschuldung vorbringen, weil ich so verwirrt war, dass ich nicht reden konnte. Die Mutter wandte sich hierauf zu mir und sagte, ich müsste nicht so leichtgläubig sein, und dass ich in ihrem Hause immer gern gesehen würde. Wir gingen dahin, und ich hatte die Ehre, die du Lys zu führen, die mir versicherte, dass sie sehr unruhig darüber geworden wäre, als ich tat, als bemerkte ich das Zeichen nicht, welches ihre Schwester mir gemacht hatte. Ich bat um Verzeihung und stammelte einige schlechte Entschuldigungen, so sehr war ich von Liebe und Zorn erregt. Ich wollte Genugtuung von diesem jungen Menschen fordern, allein sie verbot mir, nur davon zu reden und sagte, ich sollte zufrieden sein, dass ich nun von dem Gegenteil dessen, was er mir gesagt hätte, überzeugt wäre. Ich gehorchte ihr darin, wie ich immer getan habe. Wir brachten unsere Zeit auf die angenehmste Art zu, und erfuhren in der Tat, dass die Sprache der Augen die eigentliche Sprache der Verliebten sei, denn wir waren darin so weit gekommen, dass wir einander dadurch alles sagen konnten, was wir nur wollten.

Einen Sonntag Abend sagten wir uns beim Hinausgehen aus der Vesper in dieser stummen Sprache, dass wir nach Tische auf dem Fluss fahren, und nur die und die Personen, die wir anzeigten, mit dazu nehmen wollten. Ich schickte sogleich fort, um einen Kahn zu bestellen, und begab mich mit denen, die mitfahren sollten, an die Türe des Parks, wo die Damen uns erwarteten. Allein wir trafen bei ihnen drei junge Leute, die nicht dazu gehörten und sie aufhielten. Sie wendeten alles an, um von ihnen loszukommen, da diese es aber merkten, so blieben sie mit Fleiss da, daher wir denn, als wir an die Türe des Parks kamen, weiter gingen, ohne uns aufzuhalten, und uns begnügten, ihnen ein Zeichen zu machen, dass wir sie mit dem Kahn erwarten würden. Als wir sie aber mit dieser unangenehmen Gesellschaft ankommen sahen, ruderten wir weiter und landeten an einem andern Ort, nahe bei einem Tor der Stadt. Daselbst begegnete uns Herr Dufresne und fragte mich, wo ich seine Töchter gelassen hätte. Ich wusste nicht recht, was ich ihm antworten sollte, sagte ihm aber endlich ganz frech heraus, ich hätte sie diesen Abend noch nicht gesehen. Er nahm Abschied und ging nach dem Park, an dessen Türe er seine Töchter antraf und sie fragte, wo sie herkämen und mit wem sie in Gesellschaft gewesen wären. Die du Lys antwortete, sie wären mit mir spazieren gefahren. Auf diese Worte sagte er: »Das ist eine Lüge«, und zugleich gab er ihr eine derbe Maulschelle, indem er hinzusetzte, dass er gar nichts danach gefragt hätte, wenn sie in meiner Gesellschaft gewesen wären.

Andern Tages kam die Witwe, von der ich schon sprach und meldete mir, dass die du Lys sehr unwillig wäre, nicht sowohl wegen der Ohrfeige, sondern weil ich sie nicht erwartet hätte, indem sie willens war, ihre zudringliche Gesellschaft am Kahn zu verabschieden. Ich entschuldigte mich so gut ich konnte, und ging vier Tage nicht zu ihr. Eines Tages aber, als sie mit ihrer Schwester und einigen anderen Mädchen vor einem Laden nicht weit vom Stadttor sass, wo ich vorbei musste, um nach der Vorstadt zu kommen, ging ich bei ihnen vorbei und zog den Hut ein wenig ab, jedoch ohne sie anzusehen, noch mit ihnen zu reden. Die anderen Mädchen erkundigten sich nach der Ursache dieses so unhöflichen Betragens. Die du Lys schwieg, ihre Schwester aber sagte, sie wüsste es nicht, sie wollte mich selbst darum fragen. Sogleich stellten sie sich näher an das Tor an das Ende der Strasse, die ich vorbei musste. Als ich nun vorbei kam, stand die Schwester auf, ergriff mich beim Mantel und sagte: »Seit wann fliehen Sie die Gegenwart Ihrer Geliebten, mein stolzer Herr?« und zog mich neben sie nieder. Als ich aber anfing, mit ihr zu reden und sie zu schmeicheln, blieb sie stumm und wies mich standhaft zurück. Ich blieb also noch eine kleine Weile ziemlich verlegen da, begleitete sie hierauf bis an die Türe des Parks und verliess sie mit dem Entschluss, sie nie wiederzusehen.

Ich liess also wieder einige Tage vorbeigehen, ohne sie zu besuchen, und diese wenigen Tage schienen mir so viele Jahrhunderte zu sein, als ich eines Morgens früh der Madame Dufresne, der Mutter meiner Geliebten, begegnete. Sie rief mich an und fragte, warum man mich nicht mehr sähe? Ich antwortete, es geschehe wegen der üblen Begegnung ihrer jüngsten Tochter, worauf sie versprach, uns wieder miteinander zu versöhnen, und mir sagte, ich sollte sie zu Hause erwarten. Meine Ungeduld war eben aufs äusserste gestiegen, und dies Geständnis kam mir also ganz erwünscht. Ich ging demnach nach ihrem Hause, und als ich eben die Treppe hinauf nach ihrem Zimmer gehen wollte, lief die du Lys so hastig neben mir herunter, dass ich sie nicht aufhalten konnte. Ich fand ihre Schwester in dem Zimmer, welche lächelte. Als ich ihr aber das Betragen ihrer Schwester erzählte, versicherte sie mir, es wäre alles blosse Maske, sie hätte mit vieler Unruhe hundertmal nach dem Fenster gesehen, ob ich käme, und wäre vermutlich jetzt im Garten, wo ich sie antreffen würde.

Ich ging also hinunter an die Gartentüre, fand sie aber von innen verschlossen. Ich bat verschiedenemale, die Türe zu öffnen, aber vergebens, bis endlich ihre Schwester herunterkam und mir öffnete. Nun trat ich hinein, und die du Lys fing an zu fliehen, allein ich war so hurtig hinter ihr drein, dass ich sie bald einholte und auf eine Rasenbank niederzog, wo ich mich neben sie setzte. Ich suchte mich nun aufs beste zu entschuldigen, allein sie blieb immer streng und unerbittlich. Nach vielem Hin- und Herstreiten sagte ich ihr endlich, dass meine Leidenschaft weder Mass noch Ziel kennte, und dass sie mich noch zu einem Schritt zwingen würde, den sie nachher bereuen könnte. Allein auch dieses half nichts. Nunmehr zog ich den Degen und bat sie, mir denselben in die Brust zu stossen, indem ich sagte, es sei mir unmöglich, ohne ihre Liebe länger zu leben. Sie stand auf, um fortzulaufen und sagte, sie hätte noch nie jemanden getötet, und sei nicht gesonnen, an mir den Anfang zu machen. Ich hielt sie auf und bat sie um Erlaubnis, es selbst tun zu dürfen, worauf sie mir ganz kalt erwiderte, sie wolle mich nicht daran hindern. Nun setzte ich die Spitze meines Degens auf die Brust und stellte mich an, als wenn ich mich hineinrennen wollte. Bei diesem Anblick wurde sie blass vor Schrecken, stiess den Degen mit dem Fusse um, und versicherte mir, diese Handlung hätte sie ganz in Verwirrung gesetzt, und bat, sie nie wieder so etwas sehen zu lassen. Ich versprach es unter der Bedingung, dass sie nie wieder so hart mit mir verfahren würde, und sie sagte es mir zu. Nunmehr sagten wir uns so viel Schönes und waren so glücklich miteinander, dass ich wünschte, täglich einen Zank mit ihr zu haben, um mich auf eine so angenehme Art wieder versöhnen zu können. Als wir noch in unserer Entzückung waren, trat ihre Mutter in den Garten und sagte, sie wäre früher gekommen, allein sie hätte wohl eingesehen, dass wir ihrer nicht nötig hätten, um uns wieder zu versöhnen.

Als wir nun eines Tages mit Herrn Dufresne und seiner Frau in der Allee des Parkes spazieren gingen, und ich nebst der du Lys hinter drein ging, wandte sich die Mutter zu uns, die wir bloss mit unserer Liebe beschäftigt waren, um, und sagte, dass sie jetzt eben sehr für uns beide spräche. Dies konnte sie sagen, weil ihr Mann sehr harthörig war, und wir dankten ihr mehr durch Zeichen als durch Worte. Bald nachher zog mich Herr Dufresne beiseite und entdeckte mir seinen Entschluss, dass er nebst seiner Frau willens wäre, mich mit ihrer jüngsten Tochter zu verheiraten, bevor er noch nach Hofe reiste, und dass ich mir weiter keine Unkosten wegen Serenaden und andern Dingen machen sollte. Ich dankte ihm ganz verwirrt, denn ich war über das unerwartete Glück so ausser mir vor Freude, dass ich nicht recht wusste, was ich sagen sollte. Nur soviel weiss ich noch, dass er mich zum Abendessen einlud. Und nun wurde beschlossen, dass wir künftigen Sonntag in Gegenwart unserer Verwandten unsere Verlobung feiern sollten. Er sagte mir auch, wieviel er seiner Tochter mitgeben könnte, worauf ich aber erwiderte, ich verlange nichts, als nur den Besitz der Person, und dass mein Vermögen für sie und für mich hinreichend wäre. Ich war nun der glücklichste Mensch auf der Welt, und die du Lys bezeigte mir diesen Abend, dass sie sich nicht weniger glücklich schätzte. Allein unsere Freude dauerte nicht lange.

Den Tag vor unserer Verlobung, als ich eben mit der du Lys im Garten war, sahen wir einen königlichen Rat und nahen Verwandten des Herrn Dufresne ankommen, der ihn besuchen wollte. Wir hatten beide in dem Augenblick einen Gedanken hierüber und wurden traurig, ohne recht zu wissen weswegen, bis es der Ausgang uns endlich lehrte. Denn als ich den andern Tag wie gewöhnlich meinen Besuch abstatten wollte, fand ich wider Vermuten die du Lys unten im Hof in Tränen. Ich fragte sie um die Ursache, erhielt aber keine Antwort. Ich ging weiter und fand ihre Schwester in demselben Zustand. Ich fragte auch sie, was diese Tränen zu bedeuten hätten, aber sie antwortete, ich würde es nur zu bald erfahren. Ich ging also auf das Zimmer der Mutter, die eben herauskam, aber auch sie ging weiter, ohne ein Wort zu reden, denn die Tränen und Seufzer erstickten ihre Stimme so sehr, dass sie mir nur einen mitleidigen Blick zuwarf und in die Worte ausbrach: Armer Junge! Ob ich nun gleich nichts Gewisses von meinem Unglück wusste, so ahnte ich es doch nur zu sehr, und die Folge hat nachher diese Ahnung gerechtfertigt. Ich entschloss mich also, die wahre Ursache davon zu erfahren, und ging gerade in das Zimmer des Herrn Dufresne. Er empfing mich sitzend und sagte ziemlich hastig, dass er seine Gesinnungen geändert hätte, und seine jüngere Tochter nicht vor der älteren verheiraten wollte, und dass, wenn er sie auch verheiratete, dies nicht eher als nach seiner Rückkunft von Hofe geschehen sollte. Auf diese zwei Punkte antwortete ich, dass was den ersteren beträfe, seine älteste Tochter nichts dawider hätte, ihre Schwester verheiratet zu sehen, vorausgesetzt, dass es mit mir geschehe, weil sie mich wie einen Bruder liebte, und bei jedem andern sich widersetzen würde. Auf den zweiten Punkt sagte ich, dass ich gerne zehn Jahre und nicht bloss drei Monate warten wollte, bis er wieder vom Hof zurückkäme. Hierauf erklärte er mir aber ganz kurz, dass ich nicht weiter an seine Tochter denken sollte.

Diese unerwartete Erklärung und der Ton, mit dem er sie tat, brachte mich so sehr ausser mir, dass ich wegging, ohne weder ihm noch seinen Töchtern ein Wort zu sagen. Ich ging nach Hause und war fest entschlossen, meinem Leben ein Ende zu machen. Als ich aber eben den Degen zog, trat die alte Vertraute zu mir herein und verhinderte mein Vorhaben, indem sie mir von Seiten der du Lys sagte, ich sollte mich nicht so betrüben, sondern Geduld haben; es gäbe in solchen Sachen immer Hindernisse, und ich hätte doch einen grossen Vorteil voraus, indem ihre Mutter, ihre ältere Schwester, und was das Wichtigste wäre, sie selbst ganz auf meiner Seite wären. Sie sagte mir ferner, dass, sobald ihr Vater abgereist wäre, ich meine Besuche wie vorher fortsetzen könnte, und dass die Zeit das Beste wirken würde. So gut diese Trostgründe auch waren, so konnte ich mich doch nicht damit beruhigen. Ich überliess mich der tiefsten Melancholie und geriet endlich auf den verzweifelten Entschluss, die bösen Geister um Rat zu fragen.

Einige Tage vor der Abreise des Herrn Dufresne begab ich mich eine halbe Stunde von der Stadt in einen Wald, der im Ruf stand, dass böse Geister darin umgingen. Ich ging immer tiefer hinein und rief die Geister an, mir in meinem Elend zu Hilfe zu kommen, aber vergebens. Ich schrie lang und laut, ohne etwas weiteres als den Gesang der Vögel zu vernehmen. Ich kehrte also wieder nach Hause zurück und wurde von einer Art von Wut befallen, so dass ich mich zu Bette legen musste und wenig Hoffnung für mein Leben blieb. Die du Lys wurde zu gleicher Zeit krank und zwar an derselben Krankheit, daher ich bewogen wurde, an die Sympathie zu glauben, weil unser Übel von derselben Ursache herrührte und dieselben Wirkungen hervorbrachte. Ich erholte mich etwas früher als sie und kroch gleichsam nach ihrem Hause, wo ich sie noch bettlägerig fand. Ihre Freude war unbeschreiblich, wie ich aus den Folgen erkannte, denn nachdem ich eine halbe Stunde bei ihr gewesen, befand sie sich etwas besser, so dass ich sie bat, aufzustehen, was sie auch tat. Sie war aber kaum aus dem Bett, als sie in Ohnmacht fiel, so dass wir sie gleich wieder ins Bett bringen mussten, damit sie sich wieder erholen konnte. Endlich wurden wir beide wieder gesund und brachten die Zeit, dass ihr Vater bei Hof war, sehr vergnügt zu.

Nach seiner Rückkunft aber wurde es ihm von einigen unserer Feinde gesteckt, dass ich in seinem Hause auf einem so vertrauten Fuss gestanden und seine Tochter oft besucht hätte. Er verbot ihr also sehr streng, mich ferner zu sehen, und schalt seine Frau und seine älteste Tochter, dass sie unseren Umgang befördert hätten. Dies alles erfuhr ich von der Alten, welche mir zugleich den Entschluss hinterbrachte, dass sie mich immer sprechen wollten, und zugleich die Mittel dazu anzeigte. Ich gab nämlich acht, wenn der Vater in die Stadt ging; sogleich ging ich in sein Haus und blieb daselbst bis zu seiner Rückkunft. Diese konnten wir an seinem Klopfen an der Türe leicht erkennen. So wie er hereintrat, verbarg ich mich und entschlüpfte nachher mit Hilfe der Bedienten, ohne dass er mich gewahr wurde. Allein auch dies wurde verraten, und wir wählten nun den Garten unserer alten Vertrauten zu unseren Zusammenkünften, in welchen ich durch einen anderen Garten kommen konnte. Doch auch dies wurde entdeckt. Wir nahmen unsere Zuflucht zu den Kirchen und wählten bald die eine, bald die andere, aber alles wurde vereitelt, so dass uns nichts weiter übrig blieb als das Ungefähr, wenn wir uns etwa in einer Allee des Parkes antrafen; und doch mussten wir dabei äusserst vorsichtig sein. Eines Tages, als ich mich da lange mit ihr unterhalten hatte, wollte ich sie durchaus bis an die Türe des Hofes begleiten. Als wir aber dahin kamen, sahen wir ihren Vater von weitem aus der Stadt kommen. Zu fliehen war es zu spät, denn er hatte uns schon gesehen. Sie sagte mir, ich möchte doch auf eine Entschuldigung denken, ich erwiderte aber, sie hätte mehr Klugheit und Gegenwart des Geistes als ich, und möchte also selbst darauf sinnen. Unterdessen kam er zu uns, und da er sehr zornig war, sagte sie ihm, ich hätte erfahren, dass er Ringe und andere Galanteriewaren erhalten hätte, und wollte zusehen, ob er mir etwas davon überlassen wollte, weil ich sie für ein Mädchen aus Mans bestimmt hätte, mit der ich mich verheiraten wollte. Dies wirkte, denn er war sehr geizig und handelte mit dergleichen Dingen, um etwas dabei zu gewinnen; er glaubte es also. Wir gingen ins Haus, er zeigte mir seine Ringe, und ich kaufte zwei, die ich sogleich bezahlte. Dies Mittel erleichterte eine Zeit lang unsere Besuche, als er aber sah, dass ich nicht eilte, nach Mans zu reisen, so vermutete er eine List dahinter und sprach darüber mit seiner Tochter, und diese riet mir, dahin zu reisen, was ich auch tat.

Mans ist eine der hübschesten Städte des Königreichs, wo man die beste Gesellschaft und die feinste Lebensart antrifft; auch machte ich in kurzer Zeit viele Bekanntschaften. Ich wohnte in dem Gasthof zum grünen Baum, woselbst auch ein Marktschreier wohnte, der unterdessen, dass er eine Truppe Komödianten zusammenbrächte, seine Arzneien öffentlich verkaufte. Er hatte bereits verschiedene Standespersonen bei sich, unter andern einen jungen Grafen, einen jungen Advokaten aus Mans, der bereits unter einer Truppe gewesen war, einen seiner Brüder und einen alten Komödianten zum Possenspiel. Auch erwartete er ein junges Frauenzimmer aus Laval, die ihm versprochen hatte, aus ihrem Hause zu entfliehen und zu ihm zu kommen. Ich machte also Bekanntschaft mit ihm, und als wir eines Tages nichts weiter zu reden wussten, erzählte ich ihm meine Begebenheiten, und er beredete mich, unter seine Truppe zu gehen. Dies sagte er, wäre das beste Mittel, all mein Unglück zu vergessen. Ich willigte ein, und wenn das Frauenzimmer angekommen wäre, so hätte ich gewiss den Entschluss ausgeführt. Ihre Eltern aber kamen dahinter und beobachteten sie so genau, dass sie nicht entwischen konnte. Dies gab auch mir Gelegenheit, meine Gesinnung zu ändern. Die Liebe gab mir aber ein anderes Mittel ein, um die du Lys besuchen zu können, ohne verraten zu werden. Ich nahm nämlich den Advokaten und einen andern jungen Menschen von meiner Bekanntschaft mit und entdeckte ihnen mein Vorhaben, wozu sich beide bereit finden liessen. Sie erschienen also in meiner Vaterstadt, der eine als Bruder, der andere als Vetter von meiner erdichteten Braut. Ich führte sie bei dem Herrn Dufresne ein, den ich gebeten hatte, mich als einen Verwandten zu betrachten, was er auch tat. Er sagte ihnen viel Gutes von mir und versicherte ihnen, dass ihre Verwandte in keine besseren Hände kommen könnte. Hierauf behielt er uns zum Abendessen. Man trank auch die Gesundheit meiner Braut, und die du Lys erwiderte es. Nach einigen Tagen kehrten sie wieder nach Mans zurück, und ich hatte immer noch freien Zutritt bei Herrn Dufresne, doch sagte er mir, dass ich zu lange säumte, nach Mans zu gehen und meine Heirat zu vollziehen, daher ich befürchtete, die List möchte entdeckt werden, und er mich noch einmal mit Schimpf und Schande aus seinem Hause jagen.

Dies brachte mich auf den verzweifeltsten Entschluss, den ein Mensch nur fassen kann, nämlich die du Lys zu ermorden, damit wenigstens kein anderer sie besitzen möge. Ich steckte also einen Dolch zu mir, ging hin und bat sie, mit mir spazieren zu gehen, wozu sie auch einwilligte. Ich führte sie unbemerkt ins Dickicht hinein, und da entdeckte ich ihr das grausame Vorhaben, das mir die Verzweiflung, sie zu verlieren, eingegeben hätte; zugleich zog ich den Dolch aus der Tasche. Sie sah mich aber so zärtlich an und sagte mir so viel Liebes, dass sie mich leicht wieder entwaffnete. Sie ergriff meinen Dolch, den ich nicht mehr halten konnte, warf ihn weit ins Gebüsch hinein und sagte, sie wolle fortgehen und nie wieder mit mir allein bleiben. Sie wollte mir eben mein Unrecht vorstellen, als ich sie unterbrach und sagte, dass sie sich morgen bei unserer alten Vertrauten einfinden möchte, und dort wollten wir unseren letzten Entschluss verabreden. Wir kamen zur bestimmten Zeit dort an, wir beweinten unser beiderseitiges Unglück, und nach vielem Hin- und Widerreden riet sie mir, nach Paris zu reisen. Dabei beteuerte sie mir, dass sie nie zu einer andern Heirat ihre Einwilligung geben, und mich, wenn es nötig wäre, noch zehn Jahre erwarten wollte. Ich machte ihr die gleichen Versicherungen, die ich besser gehalten habe als sie die ihrigen.

Als ich Abschied nehmen wollte, riet sie mir, ihre Mutter und ihre Schwester mit in das Vertrauen zu ziehen, und die Alte ging fort, um sie zu holen. Nun war ich mit ihr allein und hier sprachen unsere Herzen deutlicher als jemals. Sie sagte mir sogar, dass, wenn ich sie entführen wollte, so würde sie mir überall gern folgen und wenn man uns entdeckte, so wollte sie vorgeben, sie sei schwanger. Allein meine Liebe war so rein, dass ich mich nicht entschliessen konnte, ihre Ehre in Gefahr zu bringen, und mich lieber auf das Schicksal verliess. Ihre Mutter und Schwester kamen nun herbei und wir sagten ihnen unseren Entschluss, wodurch die Tränen wieder von allen Seiten aufs neue flossen. Endlich nahm ich Abschied, um nach Paris zu reisen, und schrieb vor meiner Abreise noch einen Brief an die du Lys, worin ich ihr alles sagte, was mir mein Herz nur eingeben konnte. Unsere Vertraute, welche den Brief überbrachte, sagte mir nachher, dass die Mutter und Schwester sehr traurig durch den Brief geworden wären und dass die du Lys nicht imstande gewesen sei, mir darauf zu antworten. Ich übergehe manches andere, was mir während meiner Liebe mit ihr begegnete, und komme zur Hauptsache. Ich kam glücklich in Paris an und blieb daselbst ungefähr ein Jahr. Da ich aber da teils wegen der Teuerung der Lebensmittel, als auch, weil ich mein Vermögen wegen der du Lys sehr vermindert hatte, nicht so gut leben konnte als zu Hause, so ging ich bei einem Sekretär des Königs in Diensten, der eine Witwe eines andern königlichen Sekretärs geheiratet hatte. Ich war kaum acht Tage im Hause, als die Dame anfing, mir ausserordentlich freundlich zu begegnen, worauf ich anfänglich wenig acht gab, allein sie erklärte sich bald so deutlich, dass sogar die Bedienten es bemerkten. Eines Tages trug sie mir ein Geschäft in der Stadt auf und sagte mir, ich sollte ihren Wagen dazu nehmen. Ich stieg allein hinein und befahl dem Kutscher, nach Marais du Temple zu fahren, während ihr Mann, von einem einzigen Bedienten begleitet, ausgeritten war, um seine Geschäfte zu besorgen. Ich kam in eine lange Strasse, wo man bloss grosse Torfahrten und wenig Menschen erblickte. Der Kutscher hielt an und stieg herunter. Ich fragte ihn, warum er hielte; er näherte sich hierauf dem Schlag und bat mich, ihn anzuhören. Nun fragte er mich, ob ich das Betragen der Dame gegen mich nicht bemerkt hätte? Ich antwortete nein und fragte, was er damit sagen wollte. Er sagte mir hierauf, ich verkenne mein Glück und es gäbe viele Leute in Paris, die sich an meine Stelle wünschten. Allein ich hörte ihn nicht weiter an, sondern befahl ihm, aufzusteigen und nach der Saint-Honoréstrasse zu fahren. Als ich nach Hause kam, machte ich meine Betrachtungen über das, was er mir gesagt hatte, und beobachtete das Verfahren der Dame genauer, wodurch ich in dem, was mir der Kutscher gesagt hatte, bestärkt wurde. Eines Tages, als ich Leinwand und Spitzen zu Hemden gekauft hatte und sie ihrem Dienstmädchen zu machen gab, fragte sie, als sie daran arbeitete, für wen diese Hemden wären. Sie antwortete, sie wären für mich. Hierauf sagte sie, sie sollte sie fertig machen, die Spitzen wollte sie aber selbst ansetzen. Als sie eben damit fertig war, kam ich zufällig in ihr Zimmer und sie sagte mir, dass sie für mich arbeitete, wodurch ich in der Verwirrung ein schlechtes Kompliment herstammelte. Eines Tages aber, als ich in meinem Zimmer schrieb, das nicht weit von dem ihrigen war, liess sie mich durch einen Bedienten rufen und als ich hinging, hörte ich, dass sie mit ihrer Kammerfrau entsetzlich lärmte und zankte. Sie schimpfte auf sie und sagte, sie könne ihr nie etwas recht machen und befahl ihr, aus dem Zimmer zu gehen. Ich ging eben hinein als sie herausging. Sie fuhr fort zu schimpfen und sagte, dass ich die Türe zumachen sollte und ihr helfen möchte, sich auszukleiden. Zugleich befahl sie mir, ein Hemd von der Toilette zu nehmen und es ihr zu reichen, indem sie zugleich dasjenige, welches sie anhatte, auszog und sich ganz nackend vor mich hinstellte. Ich war darüber so sehr beschämt, dass ich sagte, ich würde noch ungeschickter sein als ihre Kammerfrau; sie möchte sie also hereinrufen; und hierzu wurde sie durch die Ankunft ihres Mannes genötigt. Nun konnte ich an ihren Gesinnungen nicht weiter zweifeln. Da ich aber jung und furchtsam war, so befürchtete ich noch was schlimmeres; denn ob sie gleich bei Jahren war, so war sie immer noch ziemlich schön, daher ich mich denn entschloss, meinen Abschied zu fordern, welches ich auch einen Abend vor Tische tat, als wir uns eben setzen wollten. Ihr Mann ging ohne zu antworten in sein Zimmer, und sie drehte den Stuhl nach dem Feuer zu und befahl dem Bedienten, das Essen wegzutragen. Ich ging also hinunter, um mit ihm zu essen; als wir aber eben bei Tische sassen, kam ein kleines Mädchen, ihre Nichte, herunter und sagte, ihre Tante schickte sie, um mich zu fragen, ob ich wohl essen könnte, da sie nicht ässe. Ich weiss nicht genau mehr, was ich ihr antwortete. Allein die Dame legte sich hierauf zu Bett und wurde sehr krank. Den andern Tag liess sie mich ganz früh rufen um nach Ärzten zu schicken. Als ich mich ihrem Bette näherte, reichte sie mir die Hand und gestand mir geradezu, dass ich die Ursache ihrer Krankheit wäre. Dies vermehrte meine Angst so sehr, dass ich mich noch denselben Tag unter die Truppen des Herzogs von Mantua anwerben liess, und fortreiste ohne jemand etwas zu sagen.

Unser Hauptmann kam nicht mit uns, sondern überliess die Kompagnie seinem Leutnant, der so wie die beiden Unteroffiziere ein echter Spitzbube war, denn sie verheerten unterwegs alles was sie vorfanden, und behandelten uns sehr übel. Zu Troyes in der Champagne liess sie der Gouverneur wegen ihrer schlechten Taten greifen und aufhängen, ausgenommen den einen Unteroffizier, der einen Verwandten in Diensten des Herzogs von Orleans hatte, welcher ihm das Leben rettete. Wir waren also ohne Oberhaupt und die Soldaten übertrugen mir einstimmig das Kommando der Kompagnie, welche aus achtzig Mann bestand. Ich setzte mich gleich anfangs in ein solches Ansehen bei ihnen, als wenn ich ihr wirklicher Hauptmann wäre, hielt Revue, zahlte die Löhnung aus, und teilte die Gewehre, die ich in Burgund gekauft hatte, unter sie aus. So kamen wir endlich bis nach Embrun in der Dauphiné, wo unser Hauptmann zu uns stiess und nichts anderes erwartete, als dass er keinen einzigen Mann von seiner Kompagnie mehr finden würde. Als ich ihm aber achtundsechzig Mann vorstellte, denn zwölf hatte ich unterwegs verloren, war er sehr freundlich gegen mich, gab mir die Fahne und liess mich an seinem Tisch essen. Die Armee, welche eine der schönsten war, die je aus Frankreich ausmarschiert ist, erfuhr das widrige Schicksal, das euch bekannt sein wird, und zwar ganz allein wegen der Uneinigkeit der Generäle.

Nachdem sie zerstreut war, hielt ich mich zu Grenoble auf, um der Wut der burgundischen Bauern zu entgehen, die alle Flüchtlinge niedermachten. Als ich nun eine Zeitlang hier war und viele Bekanntschaften gemacht hatte, entschloss ich mich, wieder nach meinem Vaterlande zurückzukehren. Auf dem Wege dahin kam ich in das kleine Dorf Saint-Patrice, wo der jüngere Sohn der Dame des Ortes viele Leute zur Belagerung von Montaubar anwarb. Ich liess mich also mit ihm ein, und er musste nichts Widriges an mir finden, denn er fragte mich, woher ich wäre, und als ich ihm die Wahrheit gesagt hatte, bot er mir an, seinen jungem Bruder, einen Malteserritter, der sein Fahnenjunker war, zu begleiten, worein ich auch gleich willigte. Wir reisten also nach Noues in der Provence, wo sich das Regiment versammeln sollte; aber kaum waren wir drei Tage da angekommen, als der Haushofmeister den Kapitän bestahl und flüchtete. Er übergab mir hierauf die Schlüssel zu seinen Effekten, die ich aber nicht lange behielt, denn er wurde von dem Regiment an den Kardinal Richelieu abgesandt, der die Armee gegen Montaubar und andere rebellische Städte kommandierte. Er nahm mich mit sich, und wir trafen den Kardinal in der Stadt Albi an und begleiteten ihn bis nach Montaubar, wo sogleich die Empörung gestillt wurde, denn die Stadt ergab sich. Unterwegs hatten wir mancherlei Abenteuer, die ich aber nicht alle erzählen will, um nicht länger Ihre Geduld zu missbrauchen.« Die Etoile sagte hierauf, er würde sie einer sehr angenehmen Unterhaltung berauben, wenn er seine Geschichte nicht zu Ende brächte, und er fuhr folgendermassen fort:

»Ich machte in dem Haus dieses berühmten Kardinals viele vornehme Bekanntschaften, vorzüglich aber hielt ich mich zu seinen Pagen, worunter achtzehn aus der Normandie waren, und diese sowohl als die übrigen Bedienten des Hauses schmeichelten mir sehr. Als sich die Stadt ergeben hatte, wurde unser Regiment aufgehoben und wir kehrten nach Saint Patrice zurück. Die Dame des Ortes war im Prozess mit ihrem ältesten Sohne begriffen, und wollte eben deswegen nach Grenoble reisen. Als wir nun ankamen, wurde ich gebeten, sie zu begleiten, was ich anfänglich ungern tat, denn ich wollte mich ausruhen; allein ich liess mich dennoch bereden, und fand nachher nicht Ursache, es zu bereuen. Als wir zu Grenoble angekommen waren, wo ich den Prozess aufs eifrigste betrieb, kam eben der König Ludwig der XIII. durch nach Italien, und ich hatte daselbst Gelegenheit, die vornehmsten Herren seines Gefolges und unter andern den Gouverneur dieser Stadt kennen zu lernen, der den Herrn von Saint-Patrice sehr gut kannte. Diesem empfahl er mich, sagte ihm, wer ich wäre, und brachte es dahin, dass er mir mit noch grösserer Achtung begegnete als vorher, ob ich mich gleich nicht über ihn beklagen konnte. Ich lernte auch noch einige junge Leute aus Grenoble kennen, die unter der Garde dienten, mit einigen derselben war ich verwandt und bewirtete sie so gut es mir möglich war. Als wir eines Tages in der Vorstadt Saint Laurent gefrühstückt hatten und auf die Brücke gingen, um die Schiffe zu sehen, sagte mir einer von ihnen, sie wunderten sich sehr, dass ich mich noch nicht bei ihnen wegen der du Lys erkundigt hätte. Ich antwortete, ich hätte es nicht wagen wollen, aus Furcht, mehr zu erfahren als ich wünschte. Sie antworteten mir, ich hätte recht daran getan. Ich müsste sie vergessen, weil sie mir ihr Wort nicht gehalten hätte. Ich war bald des Todes bei dieser Rede, allein einmal musste ich doch alles erfahren. Sie sagten mir also, dass sobald man von meiner Abreise nach Italien gehört hätte, so hätte man sie an einen jungen Menschen von meiner Bekanntschaft verheiratet, den ich unter allen ihren Liebhabern am wenigsten ausstehen mochte. Ich hielt mich nicht mehr zurück, und erlaubte mir gegen sie alles, was mir der Zorn nur eingab, nannte sie eine Meineidige, eine Verräterin und sagte, sie würde gewiss nicht gewagt haben, sich zu verheiraten, solange ich in der Nähe gewesen wäre, weil ich sie ganz gewiss nebst ihrem Manne bis ins Bett würde verfolgt und ermordet haben. Hierauf zog ich einen Geldbeutel von blauer Seide, den sie mir gegeben hatte, aus der Tasche, in welchem das Armband und das andere Band war, das ich ihr abgenommen hatte. Ich knüpfte einen Stein hinein, warf ihn mit aller Wut in den Fluss und sagte: So möge diejenige, die mir dieses gegeben hat, aus meinem Gedächtnis verwischt werden, wie diese Dinge jetzt im Spiel der Wellen.

Die Herren erschraken über meine Heftigkeit und bezeigten mir ihre Reue, dass sie es mir gesagt hätten, allein sie hätten nicht anders geglaubt, als dass ich es bereits gewusst hätte. Auch setzten sie mir zum Trost hinzu, dass sie wäre gezwungen worden, zu heiraten, und dass man die Abneigung gegen ihren Mann deutlich genug bemerkt hätte. Denn sie wäre nach ihrer Heirat immer kränklich gewesen und bald nachher gestorben. Diese Reden vermehrten zwar mein Unglück, gaben mir aber doch wieder einigen Trost. Ich verliess diese Herren und ging nach Hause; allein ich war so versonnen und verändert, dass Mademoiselle de Saint-Patrice es mir anmerkte. Sie fragte mich, was mir fehle; ich antwortete ihr nicht. Sie drang aber so sehr in mich, dass ich ihr meine Begebenheiten erzählte, und ihr die Nachricht sagte, die ich eben erhalten hatte. Sie war durch mein Unglück sehr gerührt, was ich an den Tränen erkannte, die sie vergoss. Sie erzählte es auch ihrer Mutter und ihren Brüdern, die mir ihre Teilnahme bezeigten und mich zur Gelassenheit mahnten.

Der Prozess zwischen der Mutter und dem Sohne wurde durch einen Vergleich geschlichtet, und wir kehrten wieder zurück nach Hause. Nunmehr dachte ich im Ernst darauf, mich in Ruhe zu setzen. Das Haus, in dem ich war, hatte Ansehen genug, um mir eine gute Partie zu verschaffen, und man schlug mir verschiedene vor, allein ich konnte mich nie zur Heirat entschliessen. Ich kam also auf einen schon früher gehabten Gedanken zurück: Kapuziner zu werden, und verlangte von dem Prior die Einkleidung. Allein es kamen so viele Hindernisse dazwischen, dass ich dies Vorhaben aufgab. Um diese Zeit befahl der König dem Adel von Dauphiné gegen Casal zu marschieren. Der Herr von Saint-Patrice schlug mir vor, auch diese Reise mit ihm zu machen, und ich konnte es nicht gut ausschlagen. Wir reisten also ab und kamen da an. Was da vorging, ist Ihnen bekannt. Die Belagerung wurde aufgehoben, und der Friede durch Vermittlung Mazarins geschlossen. Dies war sein erster Schritt zum Kardinalat und zu jenem ungeheuren Glück, wodurch er nachher gleichsam der Regent von ganz Frankreich wurde. Wir kehrten wieder nach Saint-Patrice zurück, und ich bestand wie zuvor auf meinem Entschluss, Mönch zu werden. Allein die Vorsehung hatte es anders beschlossen. Der Herr von Saint-Patrice, dem mein Vorhaben bekannt war, schlug mir eines Tages vor, Weltgeistlicher zu werden; ich versetzte aber, ich hätte zu wenig Fähigkeiten dazu, worauf er aber erwiderte, es gäbe andere, noch weit geringere, die dennoch in diesen Stand träten. Ich entschloss mich also dazu, und seine Mutter schenkte mir ein Kapital von hundert Pfund Einkünften, um die Kosten zu bestreiten. Ich las meine erste Messe in der Pfarrkirche, und die gute Dame behandelte mich wie ihre eigenen Kinder und stellte ein grosses Traktament an, wobei einige dreissig Geistliche und viele Edelleute aus der Nachbarschaft gegenwärtig waren. Das Ansehen, worin das Haus stand, war zu gross, als dass ich lange ohne Benefizien bleiben konnte, und ich erhielt bald nachher ein ziemlich beträchtliches Priorat nebst zwei andern kleinen Benefizien. Einige Jahre nachher erhielt ich eines der besten Priorate und eine sehr gute Pfarrei. Ich hatte fleissig studiert und brachte es so weit, dass ich mit vielem Beifall vor angesehenen Personen, und selbst in Gegenwart der Prälaten predigte. Ich hielt meine Einkünfte zu Rat, und machte mir eine ziemliche Summe Geldes, mit welcher ich mich in diese Stadt zur Ruhe begab, wo ich mich glücklich schätze, eine so angenehme Gesellschaft angetroffen zu haben, um ihr einige kleine Gefälligkeiten erweisen zu können.«

Die Etoile nahm hierauf das Wort und sagte: »Der wichtigste Dienst, den Sie uns je erweisen könnten ...« Hier wurde sie durch Ragotin unterbrochen, der aufstand und sagte, er wolle diese Geschichte in eine Komödie bringen, und die Dekoration sollte alles übertreffen, was man je von dergleichen gesehen hätte. Einen schönen Park, einen Fluss für die Verliebten und eine Messe. Alles fing hierüber an zu lachen, und Roquebrune widersprach ihm ohne Aufhören und sagte: »Ihr versteht nichts davon. Ihr werdet ein solches Stück nie nach den Regeln bearbeiten können, um so mehr, weil man die Szene verändern und drei bis vier Jahre darauf bleiben müsste.« Der Prior besänftigte sie und sagte: »Meine Herren, zanken Sie nicht darüber, ich habe dies schon längst besorgt. Sie wissen, dass Herr du Hardi die Regel von vierundzwanzig Stunden nie genau beobachtet hat, ebensowenig wie mancher andere unserer neuern Dichter. Selbst Corneille würde sich, ohne die Kritik des Herrn von Scudery über den Cid, nicht daran gekehrt haben, und alle Leute von Geschmack nennen die Überschreitung dieser Regel schöne Fehler. Ich habe also selbst eine Komödie daraus verfertigt, die den Titel führt: »Treue nach verlorener Hoffnung«. Und zur Devise habe ich mir einen Baum mit einigen dürren Blättern, unten an demselben einen Schosshund, und die Worte erwählt: »Hoffnungslos bin ich treu.« Dies Stück wird seit langer Zeit auf allen Theatern gespielt. »Der Titel«, sagte die Etoile, »ist ebenso passend wie die Devise, denn Ihre Geliebte hat Sie hintergangen, und Sie sind ihr immer treu geblieben, weil Sie nie eine andere heiraten wollten.« Die Unterredung wurde hier durch die Ankunft der Herren von Verville und la Garouffiere unterbrochen, und hier schliessen wir dies lange und vielleicht etwas ermüdende Kapitel.

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