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Siebentes Kapitel. Fortsetzung der Geschichte der Caverne

Destin und Olive gingen andern Tags zu dem Geistlichen, den man den Prior von Saint-Louis nannte, um ihm dafür zu danken, dass sie durch seine Vermittlung dem grössten Unglück entgangen wären, weil sie nun nach dem Tod des elenden Saldagne, der sie immer verfolgt hatte, nichts mehr zu fürchten hätten. Man darf sich eben nicht wundern, dass diese Gesellschaft von einem Geistlichen unterstützt wurde, da man in diesem Roman schon verschiedene Beispiele von guten Diensten gefunden, welche ihnen von Geistlichen geleistet wurden, sowohl in der Schenke, als man sich in der Nacht herumprügelte, als auch in der Sorgfalt, Angeliquen nach ihrer Wiederkunft zu schützen. Dieser Prior, der bisher bloss ein Bekannter von ihnen war, schloss nun gute Freundschaft mit ihnen, sie besuchten einander und assen öfters zusammen. Eines Tages nun, als der Prior bei den Komödianten war und man diesen Tag eben nicht spielte, bat Destin und Etoile die Caverne um die Fortsetzung ihrer Geschichte. Sie wollte sich zwar anfangs nicht dazu entschliessen, allein nach einigem Husten und Räuspern wollte sie zu reden anfangen, als der Prior fortgehen wollte, weil er glaubte, sie hätten etwas Geheimes zu reden, das er nicht anhören dürfe. Aber die ganze Gesellschaft hielt ihn zurück und bezeugte ihm, dass sie es gerne sähe, wenn er ihre Begebenheiten mit anhörte. »Und ich«, sagte die Etoile, »vermute, dass Sie selber Ihr jetziges Alter nicht erreicht haben, ohne Abenteuer zu erleben, denn Sie sehen mir nicht so aus als wenn Sie immer den Priesterrock getragen hätten.« Diese Worte machten den Prior etwas verlegen, und er gestand ihnen, dass seine Begebenheiten in einem Roman eben nicht schlechtere Figur machen würden als jene fabelhaften Geschichten, die man gemeiniglich da hineinbringt. Die Etoile antwortete, dass sie gerne glaubte, seine Erlebnisse verdienten angehört zu werden, und bat ihn, sie ihnen bei nächster Gelegenheit zu erzählen, was er auch gefällig versprach. Nun nahm die Caverne das Wort und fuhr in ihrer Geschichte folgendermassen fort: »Wir sind bei dem Hasen, der uns so fürchten machte, stehen geblieben. Der Vorschlag, den der Baron von Sigognac meiner Mutter durch den guten Priester tun liess, betrübte sie ebensosehr als ich mich darüber freute, und was sie noch trauriger machte war, dass sie nicht wusste, wie sie aus diesem Schloss herauskommen sollte. Allein wären wir nicht weit gekommen, ohne dass er uns nachschicken und uns einholen lassen konnte; und vielleicht hätte er uns nachher übel begegnet. Ausserdem mussten wir auch unsere Kleider zurücklassen, welches noch das einzige war, womit wir uns zu erhalten hofften; allein das Glück gab uns ein besseres Mittel in die Hand. Dieser Edelmann, der sonst immer sehr wild und unmenschlich gewesen war, war auf einmal von der grössten Unempfindlichkeit zu der sanften Leidenschaft der Liebe übergegangen, die er noch nie gekannt hatte; und zwar wirkte sie so stark auf ihn, dass er todkrank darüber wurde. Im Anfang seiner Krankheit nahm es meine Mutter auf sich, ihn zu warten, aber sein Übel verschlimmerte sich, so oft sie sich seinem Bette näherte. Da sie nun dies bemerkte, und auch sonst eine kluge Frau war, so sagte sie zu seinen Bedienten, dass sie und ihre Tochter ihnen hier nur hinderlich wären, und sie daher bäte, ihr Pferde für sie und einen Karren für ihr Gepäck zu verschaffen. Sie wollten sich anfangs nicht dazu entschliessen; aber als der Pfarrer dazu kam und den Zustand des Barons sah, half er selbst mit, uns welche zu verschaffen. Wir liessen sogleich unser Gepäck aufladen, und nachdem wir von allen Leuten, hauptsächlich aber von dem freundlichen Pfarrer Abschied genommen hatten, schliefen wir die erste Nacht in einer kleinen Stadt von Périgord, deren Namen ich vergessen habe. Soviel weiss ich nur noch, dass es ebendie Stadt war, aus der man einen Wundarzt geholt hatte, als meine Mutter von den Leuten des Barons von Sigognac verwundet wurde, die uns für Zigeuner hielten. Wir stiegen in dem Gasthof ab, und man erkannte uns gleich für das was wir waren, denn eine Magd sagte ziemlich laut: »Nun werden wir hier Komödie haben, denn hier kommt der andere Teil der Truppe an.« Dies brachte uns auf den Gedanken, dass einige Überreste unserer Truppe da sein könnten, worüber wir sehr froh waren, weil wir uns nun vereinigen und unser Brot verdienen konnten. Wir irrten uns auch nicht; denn den andern Tag, als wir unsern Karren zurückgeschickt hatten, kamen zwei Komödianten, uns zu besuchen und sagten uns, dass einer ihrer Kameraden sie mit seiner Frau verlassen hätte, und dass, wenn wir uns mit ihnen vereinigen wollten, wir gut fortkommen könnten. Meine Mutter, die noch immer sehr schön war, nahm den Vorschlag an und man gab ihr die ersten Rollen; das andere Frauenzimmer, das noch da war, nahm die zweiten, und ich sollte machen, was man wollte, denn ich war noch nicht vierzehn Jahre alt. Wir spielten ungefähr zwei Wochen, denn diese Stadt war nicht imstande, uns länger zu erhalten. Ausserdem trieb auch meine Mutter, dass wir uns aus dieser Gegend entfernen sollten, aus Furcht, der Baron von Sigognac möchte wieder gesund werden, uns aufsuchen und schlimm begegnen. Wir machten ungefähr vierzig Meilen ohne Aufenthalt und in der ersten Stadt, wo wir wieder spielten, erklärte der Herr der Truppe, der sich Bellefleur nannte, meiner Mutter seine Liebe; aber sie dankte ihm und bat ihn, sich nicht zu bemühen, weil sie zu alt wäre und gesonnen, sich nicht wieder zu verheiraten. Als Bellefleur ihren festen Entschluss sah, sprach er von der Zeit an nicht weiter davon. Wir hatten drei, vier Jahre durch ziemlichen Erfolg; ich wuchs heran, meine Mutter aber wurde so kränklich, dass sie nicht mehr spielen konnte, und da ich unter dem Beifall der Truppe und der Zuschauer gespielt hatte, so gab man mir ihre Rollen. Bellefleur, der sie nicht zur Frau hatte erhalten können, hielt nun bei ihr um mich an, aber sie antwortete ihm nicht nach Wunsch, denn sie suchte Gelegenheit, wieder nach Marseille zu kommen. Da sie aber zu Troyes in der Champagne krank wurde, so eröffnete sie mir Bellefleurs Wünsche. Die Not zwang mich, ihn anzunehmen; übrigens war er auch ein recht braver Mensch. Freilich hätte er mein Vater sein können. Meine Mutter, die mich nun zu ihrer Beruhigung verheiratet sah, starb einige Tage nachher. Ich war so traurig darüber wie eine zärtliche Tochter es nur sein konnte, doch da die Zeit alle Wunden heilt, so fingen wir bald wieder an, zu spielen; einige Zeit nachher ward ich schwanger. Da meine Zeit herannahte, brachte ich dies Kind zur Welt, das Sie hier vor sich sehen, diese Angelique, die mich so viele Tränen gekostet hat, und vielleicht noch kosten wird, wenn ich länger lebe.« Destin unterbrach sie und sagte, dass sie in Zukunft nichts als Freude an ihr erleben würde, weil ein so vornehmer Herr wie Leander sie heiraten wollte. Das Sprichwort sagt: Lupus in fabula und dies traf hier ein, denn kaum hatte die Caverne aufgehört zu erzählen, als Leander eintrat. Er war schwarz gekleidet und hatte drei Bediente, auch schwarz gekleidet, bei sich, woraus man denn sah, dass sein Vater gestorben war. Der Prior von Saint-Louis ging nun fort und damit wollen wir dieses Kapitel beschliessen.

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