Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel. Unglücklicher Zufall, der verursachte, dass die Komödie nicht gespielt wurde

Inezilla erzählte die Geschichte mit vieler Anmut, und Roquebrune war so entzückt darüber, dass er ihre Hand ergriff und sie mit Gewalt küsste. Sie sagte ihm auf spanisch, dass man von vornehmen Leuten und Narren alles erdulden müsse, wofür ihr la Rancune in seinem Herzen dankte. Das Gesicht dieser Spanierin fing an etwas alt zu werden, allein man sah immer noch schöne Züge, und wenn sie auch nicht so schön gewesen wären, so hätte sie wegen ihres Geistes doch immer den Vorzug vor einer jüngeren erhalten. Alle, die ihre Geschichte mit angehört hatten, erklärten einstimmig, dass sie sie sehr gut erzählt hätte und das in einer Sprache, die sie ja noch gar nicht gut könnte und wo sie gezwungen war manchmal spanische oder italienische Worte zu gebrauchen, um sich verständlich zu machen. Die Etoile sagte zu ihr, statt sich zu entschuldigen, sie so viel reden gemacht zu haben, erwartete sie im Gegenteil noch Dank von ihr dafür, dass sie ihr Gelegenheit verschafft hätte, ihren Geist zu zeigen. Der Rest des Nachmittags ging mit Plaudern hin. Der Garten war bis zur Zeit des Abendessens voller Damen und vornehmer Leute aus der Stadt. Man speiste nach der Sitte von Mans, das heisst sehr gut, und jeder nahm nun Platz, um die Komödie mit anzuhören – aber Mademoiselle la Caverne und ihre Tochter waren verschwunden. Man schickte sie zu suchen, man suchte eine ganze halbe Stunde und konnte sie nicht finden. Endlich hörte man einen grossen Lärm vor dem Saal und zu gleicher Zeit stürzte die arme Caverne mit aufgelöstem Haar und blutigem Gesicht herein und schrie ganz wütend, dass man ihre Tochter entführt hätte. Vor Tränen in der Stimme konnte sie kaum reden und es dauerte lange, bis man von ihr erfuhr, dass fremde Leute, die sie nicht kannte, durch eine Hintertür in den Garten gekommen waren, als sie eben ihre Rolle mit ihrer Tochter probierte, dass der eine davon sie ergriffen hätte, dem sie die Augen auskratzte, und die beiden andern schleppten ihre Tochter fort. Und eben dieser Kerl habe sie in den Zustand gesetzt, in dem sie jetzt wäre und er sei darauf mit seinen Gesellen wieder aufs Pferd gestiegen, wovon der eine ihre Tochter vor sich gesetzt hätte. Sie sei ihnen lange nachgelaufen und hätte geschrien, da sie aber niemand hörte, so wäre sie wieder zurückgelaufen, um Hilfe zu holen. Dann fing sie so heftig zu weinen an, dass jeder sie bedauerte. Destin stieg auf ein Pferd, auf welchem Ragotin eben von Mans gekommen war (ich weiss aber nicht, ob es das nämliche war, das ihn schon einmal herunter geworfen hatte), verschiedene junge Leute aus der Gesellschaft stiegen auf die ersten besten Pferde, die sie bekommen konnten, und jagten Destin nach, der schon weit voraus war. La Rancune und Olive gingen den Reitenden mit ihren Degen zu Fuss nach, und Roquebrune blieb bei l'Etoile und Inezilla, die die Caverne trösteten, so gut sie konnten. Man hat es ihm übelgenommen, dass er nicht mit den andern gegangen war; einige wollten behaupten, dass er es aus Feigheit nicht getan habe, andere aber, die nachsichtsvoller waren, behaupteten, er hätte nicht übel daran getan, dass er bei den Damen geblieben wäre. Die Gesellschaft war unterdessen genötigt nach dem Gesang zu tanzen, weil der Hausherr wegen der Komödie keine Musikanten hatte kommen lassen. Die arme Caverne befand sich so übel, dass sie sich auf ein Bett legen musste, das in dem Zimmer stand, wo ihr Gepäck lag. Die Etoile bediente sie, wie wenn sie ihre Mutter gewesen wäre und auch Inezilla zeigte sich sehr eifrig. Die Kranke bat, man möchte sie allein lassen, und Roquebrune führte die beiden Damen in den Saal, wo die Gesellschaft war. Kaum hatten sie da Platz genommen, als eine Magd vom Hause kam und der Etoile sagte, dass die Caverne sie zu sprechen verlange. Sie sagte dem Poeten und der Spanierin, dass sie bald wieder kommen würde, und ging zu ihrer Freundin. Wenn nun Roquebrune klug gewesen ist, so wird er die Gelegenheit genutzt und seine Bitte bei der angenehmen Inezilla angebracht haben. Sobald indessen die Caverne die Etoile sah, so bat sie sie das Zimmer zu verschliessen und zu ihr ans Bett zu kommen. Alsbald fing sie wieder von neuem an zu weinen, nahm ihre Hände, benetzte sie mit Tränen und war ganz trostlos. Die Etoile wollte sie trösten und ihr Hoffnung machen, dass ihre Tochter bald wieder würde gefunden werden, da ja doch so viele Leute den Räubern nachgesetzt hätten. »O! ich wünsche, dass sie niemals zurückkommen möge!« sagte die Caverne und weinte noch mehr. »Ich wollte, sie käme nie mehr zurück«, wiederholte sie nochmals, »und dass ich sie bloss beklagen dürfte, aber ich muss sie verachten, ich muss sie hassen und es bereuen, dass ich sie je auf die Welt gesetzt habe. Seht nur,« sagte sie zur Etoile, indem sie ihr ein Papier gab, »seht nur, was Ihr für eine artige Freundin habt, und lest in diesem Brief zugleich mein Todesurteil und die Schande meiner Tochter.« Die Caverne fing wieder an zu weinen, und die Etoile las was nun folgt, wenn man sich bemühen will, es zu lesen.

»Sie dürfen an dem, was ich Ihnen von meiner anständigen Familie und von meinem Vermögen gesagt habe, nicht zweifeln, weil ich eine Person unmöglich mit Lügen hintergehen kann, bei der ich mich nur durch meine Aufrichtigkeit zu empfehlen weiss. Dadurch allein kann ich Euch, meine schöne Angelique, verdienen. Verschiebt es also nicht länger, mir das zu versprechen, worum ich Euch bitte, weil ich es nicht eher verlangen werde als bis Ihr nicht mehr an mir zweifeln könnt.«

Sobald sie den Brief gelesen hatte, fragte sie die Caverne, ob sie die Hand kenne, die ihn geschrieben habe. »Wie meine eigene,« sagte die Etoile; »es ist die von Leander, meines Bruders Bedienten, der alle unsere Rollen abschreibt.« »Dies eben ist der Verräter, der mich umbringt«, sagte die arme Schauspielerin, »seht doch, wie klug er es anzufangen weiss!« und gab der Etoile noch einen andern Brief von ebendem Leander, der Wort für Wort also lautete:

»Es soll nun bloss von Ihnen abhängen, mich glücklich zu machen. Dieser Pächter meines Vaters, der mir Geld vorschiesst, hat mir hundert Pistolen und zwei gute Pferde geschickt, mehr als genug um damit nach England zu reisen, wo ein Vater, der seinen einzigen Sohn zärtlich liebt, in alles mögliche willigen wird um ihn wieder zu sich zurückzubringen.«

»Nun, was sagen Sie von Ihrer Freundin und von Ihrem Bedienten, von dieser Tochter, die ich so sorgfältig erzogen, und von dem jungen Menschen, dessen Geist und Klugheit wir alle bewunderten? Was mich dabei am meisten erstaunt, ist, dass man sie niemals hat zusammen sprechen sehen und dass man nach dem kindlichen Gemüt meiner Tochter niemals hätte glauben sollen, dass sie sich verlieben könnte. Und doch ist sie es, meine liebe Etoile, und zwar so rasend ist sie verliebt, dass es schon mehr Wahnsinn als Liebe ist. Ich habe sie vor kurzem erst überrascht, wie sie eben ihrem Leander in so zärtlichen Ausdrücken schrieb, dass ich es nicht würde geglaubt haben, wenn ich es nicht selbst gelesen hätte. Sie haben sie niemals ernsthaft reden hören, aber in ihren Briefen spricht sie eine ganz andere Sprache, und wenn ich sie nicht zerrissen hätte, so würden Sie mir zugeben, dass sie für ein Mädchen von sechzehn Jahren mehr weiss als eine, die in der Liebe alt geworden ist. Ich hatte sie mit mir in das Wäldchen genommen, wo sie entführt worden ist, um ihr ohne Zeugen vorzuhalten, dass sie mich für alle Mühe, die ich mit ihr gehabt, schlecht lohnte, – ich will es Ihnen künftig einmal erzählen und Sie sollen sehen, ob jemals eine Tochter ihrer Mutter so vielen Dank schuldig war als die meine mir.« Die Etoile wusste nicht, was sie auf so gerechte Klagen antworten sollte und überdies war es gut, dem Schmerz eine Weile den Lauf zu lassen. »Aber,« begann die Caverne wieder, »wenn er meine Tochter so sehr liebt, warum wollte er denn die Mutter ermorden? Denn derjenige seiner Gesellen, der mich hielt, hat mich auf eine grausame Art geschlagen und mich sogar dann noch grausam behandelt, da ich ihm schon keinen Widerstand mehr leistete. Und wenn dieser elende Kerl so reich ist, warum entführt er denn meine Tochter mit Gewalt?« Die Caverne klagte noch lange, und die Etoile tröstete sie so gut sie konnte. Der Hausherr kam nachzusehn, wie sie sich befände und um ihr zu sagen, dass ein Wagen bereit sei, wenn sie nach Mans zurück wollte. Die Caverne bat ihn aber, dass sie die Nacht über in seinem Hause bleiben dürfte, womit er gerne einverstanden war. Etoile blieb bei ihr um ihr Gesellschaft zu leisten und einige Damen von Mans nahmen Inezilla, die nicht länger von ihrem Mann fern sein wollte, in ihren Wagen. Roquebrune, der höflicherweise die Komödianten nicht verlassen konnte, war darüber sehr verdriesslich, – aber es geht einem eben selten in der Welt nach Wunsch.

Ende des ersten Teils


 << zurück weiter >>