Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel. Das in diesem Buche am wenigsten unterhaltende

Es war wahr: Fräulein Angelique war begleitet von Leanders Bedienten wirklich angekommen. Dieser Bediente war klug genug, nicht zu zeigen, dass Leander sein Herr wäre, und Fräulein Angelique spielte die Erstaunte, ihn so gut gekleidet zu sehen, und tat also aus List das, was Olive und la Rancune aus vollem Ernst taten. Leander fragte nun Angelique und seinen Diener, den er für einen seiner Freunde ausgab, wo und wie er sie gefunden hätte, als eben Ragotin herein kam und Destin gleichsam im Triumph mit sich führte, oder ihn vielmehr mit sich zog, weil er seinem hitzigen Kopfe nach zu langsam ging. Destin und Angelique umarmten sich mit einer Zärtlichkeit, wie sie Leute fühlen, die einander lieben und sich nach einer langen Trennung, wo sie einander niemals wieder zu sehen hofften, auf einmal wieder treffen. Leander und das Fräulein sprachen bloss mit den Augen und sagten sich so sehr vieles. Das übrige versparten sie auf eine gelegenere Zeit. Unterdessen fing Leanders Bedienter seine Geschichte an und erzählte seinem Herrn in dem Ton eines Freundes: nachdem er ihn verlassen hatte, um wie befohlen den Räubern nachzueilen, hätte er sie nicht aus dem Gesicht verloren bis gegen Abend und den andern Tag wieder nicht bis an ein kleines Gehölz, an dessen Eingang er sehr erstaunt war, Fräulein Angelique allein und zu Fuss und weinend anzutreffen. Als er ihr sagte, er wäre ein Freund von Leander und wäre auf seinen Wunsch auf die Suche gegangen, hätte sie sich wieder beruhigt und ihn gebeten, sie nach Mans oder zu Leander zu führen, wenn er wüsste, wo der wäre. »Mademoiselle«, schloss der Bediente, »wird Ihnen nun selbst sagen, warum jene, die sie entführten, sie wieder verlassen haben; denn ich habe mich den ganzen Weg über nicht getraut, mit ihr davon zu reden, weil sie gar so sehr weinte.« Die ganze Gesellschaft war nun höchst neugierig, eine so sonderbare Begebenheit von Fräulein Angelique zu erfahren. Fräulein Angelique bat aber, man möchte sie in ein Bett bringen. Da aber die Schenke ganz voll war, so liess ihr der gute Pfarrer ein Zimmer bei seiner Schwester geben, die in der Nachbarschaft wohnte und die Witwe eines der reichsten Pächter war. Angelique wollte nicht so sehr schlafen als ausruhen. Daher gingen Destin und Leander zu ihr, sobald sie wussten, dass sie zu Bett war. Wenngleich froh, dass Destin von ihrer Liebe wusste, so konnte sie ihn doch nicht ansehen, ohne zu erröten. Destin hatte Mitleid mit ihrer Verlegenheit, und um sie zu zerstreuen, bat er sie, ihnen zu erzählen, was Leanders Bedienter nicht gewusst hatte, was sie folgendermassen tat: »Ihr könnt euch das Erstaunen von mir und meiner Mutter leicht vorstellen, als wir in dem Park des Hauses, wo wir waren, spazierend auf einmal eine kleine Türe sich öffnen sahen, die aufs Feld ging, und fünf bis sechs Männer hereinkamen, die sich meiner bemächtigten, ohne meine Mutter anzusehen, und mich halb tot vor Schrecken zu ihren Pferden trugen. Meine Mutter, wie ihr wisst, eine sehr entschlossene Frau, fiel ganz wütend über den ersten her und richtete ihn mit ihren Händen so zu, dass er seine Kameraden zu Hilfe rufen musste. Der ihm zu Hilfe kam und niederträchtig genug war, meine Mutter zu prügeln, wie ich ihn nachher dessen selber sich rühmen hörte, war der Urheber der ganzen Unternehmung. Er kam mir nicht nahe, so lange die Nacht dauerte, während der wir, gleich Flüchtigen, denen man nachsetzt, weiterzogen. Wären wir durch bewohnte Orte durchgekommen, so hätte mein Schreien sie gewiss anhalten machen, Aber sie vermieden so viel als möglich alle Dörfer, bloss an einer Hütte kamen wir vorbei deren Bewohner ich durch mein Geschrei aufweckte Der Tag brach an. Mein Räuber kam auf mich zu und kaum hatte er mich angesehen, als er aufschrie, seine Kameraden zusammenrief und mit ihnen eine lange Weile beratschlagte. Er schien mir ebenso aufgebracht zu sein als ich traurig war. Er fluchte und zankte mit allen seinen Leuten. Endlich war Ruhe; ich weiss nicht, was sie beschlossen hatten. Man zog nun weiter und begegnete mir nicht mehr so ehrerbietig als vorher. Sie schalten mich aus, so oft ich mich beklagte, und fluchten auf mich, als wenn ich ihnen das grösste Übel zugefügt hätte. Sie hatten mich, wie ihr wisst, in einem Theaterkostüm entführt, und um dies zu verbergen, bedeckten sie mich mit einem Mantel. Auf dem Weg begegnete ihnen ein Mensch, den sie etwas fragten, – ich erstaunte sehr, als ich in ihm den Leander erkannte, und ich glaube, dass er ebenso erstaunt war, mich da zu sehen, denn ich zeigte ihm mein Kostüm, das er sehr wohl kannte. Er wird euch gesagt haben, was er tat. Ich aber fiel, als ich so viele Degen gegen Leander gezogen sah, ohnmächtig in die Arme dessen, der mich auf seinem Pferde hielt. Als ich zu mir kam, sah ich, dass wir weiter waren, aber Leander sah ich nicht mehr. Ich hub wieder zu schreien an. Meine Reiter ritten querfeldein und hielten gestern in einem Dorf, wo sie sich für Soldaten ausgaben. Heute früh begegnete ihnen am Eingang eines Wäldchens ein Mann, der ein Frauenzimmer zu Pferd führte. Sie demaskierten sie und führten sie hocherfreut fort, als wenn sie nun gefunden hätten, was sie suchten; vorher aber gaben sie dem, der sie führte, noch einige Prügel. Das Frauenzimmer schrie ebenso stark wie ich; ihre Stimme kam mir bekannt vor. Wir waren noch nicht fünfzig Schritt im Walde, als der, welcher der Herr der übrigen zu sein schien, sich meinem Führer näherte, und ihm sagte: »Setz die Schreierin ab!« Er gehorchte, und sie verliessen mich, verschwanden und liessen mich allein und zu Fuss zurück. Der Schreck, mich so ganz allein zu sehen, hätte mich gewiss sterben machen, wenn der Herr, der mich hierher gebracht hat, und der uns von weitem nachfolgte, nicht zu mir gekommen wäre. Das übrige wisst ihr. Aber,« fuhr sie zu Destin gewandt fort, »ich muss Euch sagen, dass das Frauenzimmer, das sie mir vorzogen, Eurer Schwester sehr ähnlich war und sogar ihre Stimme hatte; ich weiss nicht, was ich davon denken soll; denn der Mensch, der bei ihr war, glich dem Bedienten, den Ihr seit Leanders Abwesenheit angenommen hattet, und ich glaube fast, dass er es war.« – »Was sagt Ihr mir da?« rief Destin beunruhigt. »Was ich denke«, sagte Angelique. »Man kann sich ja manchmal irren, aber ich befürchte sehr, dass ich mich nicht geirrt habe.« »Ich befürchte es auch,« sagte Destin düster, »ich habe einen Feind in dieser Provinz, von dem ich alles zu befürchten habe. Aber wer nur kann meine Schwester an diesen Wald gebracht haben, da sie doch Ragotin noch gestern zu Mans verlassen hatte? Ich will einen meiner Kameraden bitten, rasch hinzugehen und will ihn hier erwarten, um mich nach seiner Nachricht entschliessen zu können.« Kaum hatte er dies gesprochen, hörte er sich draussen von der Strasse her rufen, und sah den Herrn la Garouffiere, der von seinem Besuch zurückgekommen war, und ihm sagte, er hätte etwas Wichtiges mit ihm zu sprechen. Er ging zu ihm und liess Leander und Angelique beisammen, die dadurch die Möglichkeit erhielten, nach einer so langen Abwesenheit sich ihrer gegenseitigen Liebe zu versichern. Destin fragte Herrn la Garouffiere, was er wünsche. »Kennen Sie einen gewissen Baron Verville und ist er Ihr Freund?« fragte er. – »Er ist der Mensch,« sagte Destin, »dem ich auf der Welt den grössten Dank schuldig bin. Ich liebe ihn sehr und glaube auch nicht, von ihm gehasst zu werden.« – »Ich glaub es gern,« sagte la Garouffiere, »ich habe ihn heute bei dem Edelmann angetroffen, den ich besuchte. Über Tisch sprach man von Ihnen, und seit der Zeit konnte Verville von nichts anderem mehr sprechen; er gab mir hundert Fragen über Sie, die ich nicht alle beantworten konnte und hätte ich ihm nicht mein Wort gegeben, dass ich Sie zu ihm schicken wollte, so wäre er selbst hierher gekommen, obgleich ihn dort Geschäfte zurückhalten.« Destin dankte für die gute Nachricht, und entschloss sich, sofort zu Verville zu gehen, auch in Hoffnung, bei ihm einige Auskunft über seinen Feind Saldagne zu bekommen, den er durchaus für den Entführer Angeliques hielt. Er war überzeugt, dass Saldagne auch seine liebe Etoile in seiner Gewalt hätte, wenn sie es war, wie Angelique meinte. Er bat seine Kameraden, nach Mans zurückzukehren und die Caverne mit der Nachricht von der Wiederkunft ihrer Tochter zu erfreuen, und liess sich von ihnen versprechen, dass sie ihm entweder einen Boten schicken oder einer von ihnen selbst kommen sollte, um ihm Nachricht von Mademoiselle de l'Etoile zu bringen. Der Pfarrer versprach ihm, dass seine Schwester für Mademoiselle Angelique so lange sorgen würde, bis man sie von Mans aus abholte. Destin nahm hierauf Leanders Pferd und kam gegen Abend in das Dorf, das er suchte. Er hielt es nicht für ratsam, geradeswegs zu Verville zu gehen, aus Furcht, er möchte dem Saldagne, den er noch im Lande vermutete, begegnen. Er stieg also in einer schlechten Schenke ab, von wo aus er einen kleinen Jungen an Verville schickte und ihm sagen liess, dass der Edelmann, den er zu sprechen verlangte, angekommen wäre. Verville kam sogleich zu ihm, warf sich ihm um den Hals, und hielt ihn lange in seinen Armen fest, ohne ein Wort reden zu können. Wir wollen sie einander nun Dinge sagen lassen, wie zwei Leute tun, die sich lieben und die einander nie wieder zu sehen glaubten, und wollen unsrerseits zum folgenden Kapitel gehen.

*


 << zurück weiter >>