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Zehntes Kapitel. Wie Ragotin eins auf die Finger bekam

Die Geschichte des Ragotin erhielt allgemeinen Beifall, und er wurde davon so stolz, als wenn er sie selbst erfunden hätte; und da er von Natur schon hochmütig war, so fing er an, die Komödianten gering zu behandeln, näherte sich den Komödiantinnen, nahm ihre Hände wider ihren Willen und wollte ein wenig tändeln – eine kleinstädtische Galanterie, die den Satyr besser als einen andern ehrlichen Mann kleidet. Mademoiselle de l'Etoile begnügte sich ihre weissen Hände aus seinen schmutzigen und haarigen Pfoten zurück zu ziehen, aber Mademoiselle Angelique schlug ihn mit dem Blankscheit derb auf die Finger. Er verliess sie ohne ein Wort zu sagen, wurde vor Scham und Zorn feuerrot und ging wieder zur Gesellschaft, wo jeder aus allen Kräften schrie und sprach, ohne auf die andern zu hören. Ragotin brachte den grössten Teil dadurch zum Schweigen, dass er noch ärger schrie als sie, und fragte, wie ihnen seine Geschichte gefallen hätte. Ein junger Mann, dessen Name ich vergessen habe, antwortete ihm frech, sie gehörte ihm ebensowenig als jedem andern, weil er sie aus einem Buch gestohlen hätte, und indem er dies sagte, zog er ein Buch aus Ragotins Tasche, das halb heraussah. Der zerkratzte ihm beide Hände um es wieder zu erlangen; dessen ungeachtet gab es der junge Mann einem andern in die Hand, den Ragotin nun ebenso vergeblich anpackte, und das Buch ging von Hand zu Hand, in die fünfte, sechste, wo es Ragotin nicht wieder erobern konnte, weil er der kleinste von der Gesellschaft war. Nachdem er sich nun fünf- oder sechsmal vergebens danach ausgestreckt hatte, viele Manschetten zerrissen und ebensoviele Hände zerkratzt hatte und das Buch immer in der Mitte des Zimmers herumspazierte, da wurde der arme Ragotin, als er sah, dass alle über ihn lachten, so wütend, dass er sich an den ersten Urheber der Verwirrung machte und ihm Faustschläge auf den Bauch und die Schenkel gab – höher konnte er nicht hinauf. Die Hände des andern, die den Vorteil hatten, sausten über seinen Kopf herunter und zwar so schwer, dass der Hut bis an das Kinn in den Kopf herunter gedrückt wurde. Davon wurde der Verstandskasten des armen Mannes so erschüttert, dass er nicht mehr wusste wo er war; um das Unglück vollkommen zu machen, gab ihm sein Gegner noch einen Tritt vor den Bauch, dass er unter Zurücktaumeln der Länge nach vor die Füsse der Komödiantinnen auf den Hintern fiel. Man stelle sich die Wut eines kleinen Mannes vor, der stolzer war als alle Barbiere des Königreichs zusammen, und zu einer Stunde, da er sich wegen seiner Geschichte so sehr aufblähte und in Gegenwart der Komödiantinnen, in die er verliebt war. Denn wie die Folge zeigen wird, wusste er nur noch nicht, welche seinem Herzen am nächsten war. Es zeigte sein kleiner Körper, der auf dem Hintern lag, die Wut seiner Seele an den Bewegungen seiner Arme und Beine; denn seinen Kopf konnte man nicht sehen, der steckte noch im Hut. Die Gesellschaft hielt es nun für ratsam, eine Mauer zwischen den Gegnern zu bilden und den einen entwischen zu lassen, während die mitleidigen Schauspielerinnen den kleinen Mann aufhoben, der in seinem Hute brüllte wie ein Stier. Es stellte sich als Schwierigkeit heraus, den Deckel herunter zu bekommen, denn die Öffnung des Hutes war enger als dessen Kopf; er war wie ein Buttertopf gestaltet und die lange Nase stellte ein grosses Hindernis dar. Dieses Missgeschick war noch ein Glück, denn bei seiner grossen Wut musste er nun auf seine eigene Erhaltung bedacht sein, da er fast erstickte in seinem Hut, denn nun konnte er nicht mehr an die Zerstörung seines Gegners denken. Er bat nicht um Hilfe, er konnte nicht reden; da man aber sah, wie er seine bebenden Hände vergebens an den Kopf legte, um sich frei zu machen und vor Wut die Erde stampfte und sich mit den Nägeln zerkratzte, so kam man ihm zu Hilfe. Die ersten Versuche ihn zu befreien, waren so heftig, dass er glaubte man wolle ihm den Kopf herunterreissen; er konnte es nicht mehr aushalten und gab deshalb mit den Fingern ein Zeichen, dass man diesen Kopfputz entzwei schneiden solle. Mademoiselle de la Caverne machte ihre Schere von der Seite los und la Rancune, der Operateur dieser schönen Kur, tat erst so, als wenn er den Hut von der Gesichtsseite aus aufschneiden wolle, was den Kleinen nicht schlecht beängstigte, er schnitt alsdann den Hut von hinten oben bis unten entzwei. Sobald sein Gesicht wieder frei war, fing die ganze Gesellschaft an zu lachen, denn das Gesicht war so aufgetrieben und rot, als wenn sein Träger hätte ersticken wollen, und die Nase ganz zerschunden. Alles wäre nun gut gewesen, wenn ein Spassmacher nicht gesagt hätte, er müsse nun seinen Hut wieder zusammenflicken lassen. Dieser unzeitige Rat erweckte nun seinen Zorn von neuem, der noch nicht ganz erloschen war, er ergriff den eisernen Kaminrost, tat als wenn er ihn unter die Gesellschaft werfen wollte, und dies machte die Verwegensten so furchtsam, dass jeder der Türe zulief, um dem Wurf zu entgehen; dabei eilten alle so sehr, dass nur einer hinaus kam, und dieser fiel hinaus, weil er mit seinen gestiefelten und gespornten Beinen über einen andern hinausfiel. Nun musste auch Ragotin wieder lachen und das beruhigte alle. Man gab ihm sein Buch wieder und die Komödianten borgten ihm einen alten Filzhut. Er fluchte noch sehr auf den, der ihn so zusammengearbeitet hatte; da er aber mehr Eitelkeit als Rachgier besass, so sagte er ihnen mit grosser Wichtigkeit, dass er aus seiner Geschichte eine Komödie machen wolle, er würde sie so bearbeiten, dass er bestimmt auf einmal dahingelangen würde, wohin die übrigen Poeten erst nach und nach gekommen seien. Destin erklärte ihm, dass seine Geschichte zwar ganz angenehm wäre, jedoch für das Theater nicht geeignet.

»Ihr werdet mir das wohl beibringen,« erwiderte Ragotin, »meine Mutter war eine Patin des Poeten Garnier, und ich, der das sagt, besitze noch zu Hause sein Schreibzeug.« Destin sagte ihm darauf, dass selbst der Poet Garnier keine Ehre damit einlegen würde. »Und was für grosse Schwierigkeiten findet Ihr denn darin?« fragte ihn Ragotin. »Diese, dass man kein regelmässiges Stück daraus machen kann, ohne die Sittsamkeit und die gesunde Vernunft zu beleidigen«, antwortete Destin. »Ein Mann wie ich«, sagte Ragotin, »kann selbst Regeln machen so oft und so viel er will. Bedenkt einmal,« fuhr er fort, »ob das nicht was Neues und zugleich was Prächtiges wäre, wenn man mitten auf dem Theater eine grosse Kirchtüre vorstellte, vor welcher sich einige zwanzig Kavaliere nebst ebensoviel Damen unterhielten, – es würde jedermann entzücken! Ich bin auch Eurer Meinung, dass man nichts gegen die Sittsamkeit vornehmen darf, und deswegen will ich meine Personen auch nicht in der Kirche drinnen reden lassen.« Destin unterbrach ihn mit der Frage, wo sie denn so viele Kavaliere und Damen finden wollten. »Und wie macht man es in den Kriegsschulen wenn man Schlachten liefert?« versetzte Ragotin. »Ich habe zu La Fleche die Einnahme der Brücke von Cé vorstellen helfen, und mehr als hundert Soldaten von der Partei der Königin Mutter erschienen auf dem Theater ohne die von der Armee des Königs, die noch zahlreicher war; und ich erinnere mich, dass man danach, wegen einem unerwartet starken Regen, der die Vorstellung unterbrach, sagte, alle Federn des Adels im ganzen Lande wären dadurch verdorben worden.« Destin, der ihn gern auf so kluge Art sprechen hörte, antwortete, die Schulen hätten Schüler genug dazu, sie aber wären, wenn alle beisammen, nur sieben oder acht Mann hoch. La Rancune, der wie man weiss, ein schlechter Kerl war, schlug sich nun auf die Seite des Ragotin, um ihn noch mehr aufzuziehen und sagte zu seinem Kameraden, dass er nicht seiner Meinung wäre; er wäre ein älterer Komödiant als er, eine Kirchtüre würde die schönste Theaterdekoration abgeben, und was die nötige Menge Kavaliere und Damen beträfe, so könnte man einen Teil Leute mieten, die übrigen könnte man von Pappdeckel machen. Dieser schöne Pappdeckelvorschlag brachte die ganze Gesellschaft zu lautem Gelächter. Ragotin lachte selber darüber und schwur, dass er es auch gewusst hätte, dass er es aber nur nicht hätte sagen wollen. »Und die Kutsche?« fuhr er fort, »wäre das nicht etwas ganz Neues in einer Komödie? Ich habe einst den Hund des Tobias vorgestellt, und ich machte ihn so gut, dass die ganze Gesellschaft darüber entzückt war; ich meinerseits« fuhr er fort, »bin niemals so sehr von dem Tod des Piramus und der Thisbe gerührt worden, als wie vor dem Löwen erschrocken.« La Rancune unterstützte die Gründe des Ragotin durch noch lächerlichere und machte sich dadurch so angenehm bei ihm, dass er ihn mit sich zum Abendessen nach Haus nahm. Alle übrigen lästigen Besuche liessen nun die Komödianten in Ruhe, die mehr Lust hatten zu Abend zu essen, als die Tagediebe der Stadt zu unterhalten.

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