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Zweites Kapitel. Von Stiefeln

Während Destin im Dunkeln denen nachsetzte, die Angelique entführt hatten, eilten Olive und la Rancune, denen diese Entführung nicht so nahe ging wie ihm, eben nicht so sehr schnell den Räubern nach; ausserdem waren sie auch zu Fuss. Sie gingen also nicht weit, und da sie im nächsten Dorfe eine Schenke trafen, die noch offen war, verlangten sie ein Nachtquartier. Man führte sie in eine Kammer wo schon ein Mann lag, adelig oder nicht, und der da zu Abend gegessen hatte, und wegen wichtiger Geschäfte, die ich nicht erfahren habe, morgen mit Tagesanbruch weiter reisen wollte. Die Ankunft der Komödianten störte sein Vorhaben zeitig früh wegzureisen; denn er wurde von ihnen aufgeweckt und fluchte auch wohl heimlich über sie, aber die Gegenwart zweier ziemlich gut aussehender Männer war vielleicht die Ursache, dass er schwieg. La Rancune, der sehr höflich war, entschuldigte sich erst, dass sie ihn in seiner Ruhe störten und fragte ihn hierauf woher er käme. Er sagte, er käme von Anjou und ginge wegen wichtiger Geschäfte nach der Normandie. La Rancune fuhr im Auskleiden und während man das Bett wärmte immer mit seinen Fragen fort; da sie aber weder dem einen noch dem andern etwas nützen konnten und der arme Mann, den man aufgeweckt hatte damit unzufrieden war, bat der, dass man ihn möge schlafen lassen. La Rancune entschuldigte sich sehr höflich und zu gleicher Zeit bekam die Eigenliebe bei ihm die Oberhand über die Liebe zum Nächsten und er beschloss, sich ein Paar neue Stiefel zuzueignen, die der Hausknecht eben gut gereinigt in die Kammer brachte. Olive, der schläfrig war, warf sich ins Bett, und la Rancune setzte sich an das Feuer, nicht sowohl um das Scheit ausbrennen zu sehen, das man angezündet hatte, als vielmehr um den edlen Ehrgeiz zu befriedigen, ein Paar neue Stiefel auf Unkosten eines andern zu haben. Als er nun den Mann, den er bestehlen wollte, fest genug eingeschlafen glaubte, nahm er die Stiefel unter dem Bett hervor, zog sie an ohne die Sporn zu vergessen, und legte sich nun so gestiefelt und gespornt zu Bette. Es ist zu vermuten, dass er sich auf den Rand des Bettes gelegt hat, damit seine bewaffneten Füsse nicht an die nackenden des Olive kämen, der zu einer so neuen Art sich ins Bett zu legen nicht würde geschwiegen haben und seine Unternehmung leicht hätte stören können. Der Rest der Nacht verging sehr ruhig. La Rancune schlief oder tat wenigstens so. Die Hähne fingen an zu krähen; der Tag brach an, und der Mann, der in der Kammer mit den Komödianten schlief, liess Feuer anmachen und kleidete sich an. Nun wollte er die Stiefel anziehen; eine Magd gab ihm die alten Stiefel des Rancune, die er aber wegschmiss; man behauptete, sie gehörten sein, worauf er wild wurde und einen Teufelslärm anfing. Der Wirt kam in die Kammer und schwur, dass es gar keine andern Stiefel in dem Wirtshaus und in dem ganzen Dorfe gäbe als die seinigen, weil selbst der Pfarrer niemals ritt. Hierauf wollte er die guten Eigenschaften seines Pfarrers herzählen und ihm sagen, wie lang er die Pfarre hätte und wie er dazu gekommen wäre. Das Gerede des Wirtes brachte den Mann vollends aus der Fassung. La Rancune und Olive, die über dem Lärm erwacht waren, erkundigten sich nach der Ursache des Streites; la Rancune wunderte sich über den schlechten Streich und sagte zu dem Wirt, dass es schändlich sei. »Ich bekümmere mich um ein Paar neue Stiefel ebensowenig als um ein Paar alte Schuh,« sagte der arme Reisende zu la Rancune, »aber es betrifft eine wichtige Sache für einen Mann von Stande, dem ich weniger ungehorsam sein möchte als meinem eigenen Vater, und wenn ich die elendesten Stiefel jetzt bekommen könnte, so wollte ich gern mehr dafür geben als man verlangte.« La Rancune, der mit halbem Leib sich aus dem Bett gelegt hatte, zuckte zuweilen die Achseln und antwortete ihm nichts, sondern belustigte sich an der Magd und dem Wirt, welche die Stiefel vergeblich suchten, und an dem Unglücklichen, der sie verloren hatte und darüber verzweifeln wollte, ja vielleicht hätte er gar noch einen gefährlicheren Entschluss gefasst, als la Rancune in einer unerhörten Grossmut, die ihn nur selten ankam, und indem er sich wie ein Mann, der sehr schläfrig ist, tief in sein Bett wickelte, zu ihm sagte: »Zum Teufel, Herr, machen Sie keinen weitern Lärm mehr wegen Ihrer Stiefel und nehmen Sie die meinigen, aber mit der Bedingung, dass Sie uns schlafen lassen, so wie Sie es gestern von uns auch verlangten.« Der Unglückliche, dem auf einmal geholfen war, weil er wieder Stiefel hatte, konnte kaum glauben, was er hörte; er machte ein grosses Gewäsch von Dank und Schuld und dies in einem so gerührten Ton, so dass la Rancune fürchtete, er möchte kommen und ihn noch im Bett umarmen. Er schrie also ganz zornig und fluchte: »Zum Henker, wie unangenehm sind Sie doch, sowohl wenn Sie Ihre Stiefel verlieren als wenn Sie andere erhalten; nehmen Sie doch schon die meinen, und ich bitte bloss, dass Sie mich dafür schlafen lassen, oder geben Sie mir meine Stiefel wieder und machen Sie so viel Lärm als Sie wollen.« Er wollte eben antworten, als la Rancune zu brüllen anfing: »Entweder meine Stiefel zurück oder lassen Sie mich schlafen!« Der Wirt, dem ein so befehlender Ton hohe Achtung vor la Rancune einflösste, brachte seinen Gast zum Zimmer hinaus, der noch immer nicht geschwiegen hätte, so dankbar war er für die Stiefel, die man ihm grossmütigerweise geschenkt hatte. Er musste also zum Zimmer hinaus und sich in der Küche die Stiefel anziehen. Und la Rancune fing nun an ruhiger zu schlafen, als er die Nacht getan hatte, weil er weder von der Begierde Stiefel zu mausen noch von der Furcht erwischt zu werden beunruhigt war. Olive, der die Nacht besser angewandt hatte, stand sehr früh auf und liess sich, da er nichts anderes zu tun hatte, Wein bringen und fing an zu trinken. La Rancune schlief bis elf Uhr; als er sich eben anzog, trat Ragotin in das Zimmer; er hatte morgens früh die Komödiantinnen besucht, und da Mademoiselle ihm vorgeworfen hatte, dass er ihr Freund nicht sein könne, weil er nicht mit den andern ihrer Freundin nachgegangen sei, so versprach er ihr eher nicht wieder nach Mans zu kommen, als bis er Nachricht von ihr wüsste. Aber da er weder ein Pferd zu mieten noch zu borgen kriegte, so hätte er sein Versprechen gar nicht halten können, wenn sein Müller ihm nicht ein Maultier gegeben hätte, das er ungestiefelt bestieg und so, wie ich gesagt habe, in dem Dorf ankam, wo Olive und la Rancune übernachtet hatten. La Rancune hatte viele Geistesgegenwart: kaum erblickte er Ragotin in Schuhen, als er glaubte das Ohngefähr zeige ihm hierdurch eine gute Gelegenheit, seinen Diebstahl zu verbergen, der ihm doch noch recht Sorgen machte. Er bat ihn also, er möge ihm seine Schuhe borgen und dagegen seine Stiefel anziehen, die ihn am Fuss drückten, weil sie noch neu wären. Ragotin ging darauf gerne ein, denn während dem Reiten hatte ihm der Dorn einer Schnalle den Strumpf zerrissen und er wünschte also sehr, Stiefel anzuhaben. Nun wollte man zu Mittag essen. Ragotin bezahlte für die Komödianten und für sein Maultier. Seit seinem Fall, als der Karabiner zwischen seinen Beinen losging, hatte er es verschworen, niemals anders als mit der grössten Behutsamkeit auf ein Pferd zu steigen. Er setzte sich also in Positur um aufzusteigen, allein bei aller Vorsicht hatte er doch viele Mühe auf das Hinterteil des Maultiers zu kommen, denn sein lebhafter Geist liess ihm nicht Zeit zum Nachdenken, und er hatte unvorsichtigerweise die Stiefel des Rancune heraufgezogen, die ihm so bis an den Gürtel reichten und ihn hinderten, sein kleines Knie zu biegen, das ohnehin nicht sehr stark war. Endlich kam Ragotin auf sein Tier und die Komödianten folgten ihm zu Fuss den ersten besten Weg nach, den sie fanden. Unterwegs eröffnete Ragotin den Komödianten, dass er Lust hätte mit ihnen Theater zu spielen, und versicherte ihnen, dass ob er gleich überzeugt wäre bald einer der besten französischen Komödianten zu werden, er dennoch nichts für seine Arbeit nehmen, sondern es bloss aus Neugierde versuchen wolle, um zu zeigen, dass er imstand wäre alles auszuführen was er unternähme. La Rancune und Olive bestärkten ihn in seinem edlen Entschluss und mit vielen Schmeicheleien und Lobeserhebungen machten sie ihn so munter und guter Laune, dass er auf seinem Maultier anfing Verse aus des Poeten Theophile Piramus und Thisbe herzusagen. Einige Bauern, die auf dem nämlichen Weg neben einem schwer beladenen Karren hergingen, glaubten als er so sehr schrie, dass er predigte, und gingen so lang er deklamierte mit entblösstem Kopf neben ihm her und verehrten ihn wie einen Landstrassenprediger.

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