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Sechstes Kapitel. Schlägerei. Tod des Wirtes und andere merkwürdige Begebenheiten

Zwei Männer, wovon einer schwarz wie ein Dorfmagister gekleidet war und der andere grau wie ein Häscher, hatten einander bei Haaren und Bart und traktierten einer den andern von Zeit zu Zeit mit erstaunlichen Rippenstössen. Beide waren das was ihre Kleider anzeigten. Der schwarzgekleidete Magister war der Bruder des Pfarrers im Dorfe und der grau gekleidete Häscher war der Bruder des Wirtes. Dieser Wirt lag gerade in einem Zimmer neben der Küche und wollte seinen Geist aufgeben; ein hitziges Fieber hatte ihm den Verstand so sehr verwirrt, dass er mit dem Kopf gegen eine Wand gerannt war, und diese Wunde nebst dem Fieber hatten ihn so angegriffen, dass seine Raserei zwar aufhörte, aber zugleich auch sein Leben, das er vielleicht mehr liebte als sein unrecht erworbenes Geld. Er war lange Zeit Soldat gewesen und endlich ganz alt wieder in sein Dorf zurückgekommen und mit so wenig Ehrlichkeit, dass man wohl sagen konnte, er hätte weniger davon besessen als er Geld hatte, ob er gleich ausserordentlich arm war. Allein da sich die Weiber öfters dadurch fangen lassen, wodurch sie es am wenigsten tun sollten, so hatten seine langen Haare, seine Soldatenflüche, eine gelbgewordene Feder, die er Sonntags, wenn es nicht regnete, auf den Hut steckte und ein rostiger Degen, der ihm auf die Stulpstiefel schlug (ob er gleich kein Pferd dazu hatte), eine grosse Wirkung auf eine alte Witwe getan, der die Schenke gehörte. Die reichsten Pächter des Landes hatten sich um sie beworben, nicht sowohl um ihrer Schönheit willen, als weil sie einiges Vermögen mit ihrem verstorbenen Mann dadurch zusammengebracht hatte, dass sie den Wein und den Hafer nach falschem Gemäss verkaufte. Sie hatte allen ihren Freiern standhaft widerstanden, aber schliesslich triumphierte ein alter Soldat über ein altes Wirtsweib. Das Gesicht dieser Dame war das allerkleinste und ihr Wanst der allergrösste in ganz Maine, obgleich diese Provinz an dickleibigen Personen keinen Mangel hat. Ich überlasse es den Naturforschern, der Ursache hievon nachzugehen, ebenso wie die Ursache der Fettigkeit der Kapaune dieses Landes herauszubekommen. Um wieder auf diese kleine dicke Person zu kommen, die ich lebendig vor mir stehen sehe, so oft ich an sie denke, so heiratete sie also ihren Soldaten ohne ihre Verwandten darum zu befragen, und als sie mit ihm alt geworden war und viel mit ihm ausgestanden hatte, wurde ihr das Vergnügen, ihn mit einem zerbrochenen Schädel sterben zu sehen, weil er ihr öfters den ihrigen hätte zerbrechen wollen. Als Destin in die Küche kam, waren die Wirtin und ihre Magd damit beschäftigt, dem alten Pfarrer beizustehen, um die Kämpfenden auseinander zu bringen, die einander so fest angepackt hatten wie zwei Schiffe. Aber die Drohungen Destins und der Ton in dem er sprach, brachten auf einmal das zustande, was der alte Herr Pfarrer nicht vermochte – die beiden Todfeinde liessen von einander ab, spuckten ihre eingeschlagenen Zähne aus, bluteten aus der Nase und hatten weder am Kinn noch am Kopf mehr als ein paar Haare übrig. Der Pfarrer war ein braver Mann und hatte Lebensart; er dankte dem Destin sehr höflich, und Destin, um ihm ein Vergnügen zu machen, brachte es dahin, dass die beiden Gegner sich nun als Freunde umarmen mussten, nachdem sie einen Augenblick vorher einander erwürgen wollten. Während der Friedensunterhandlung beschloss der Wirt sein Leben, ohne seine Freunde davon zu benachrichtigen, so dass nach gestiftetem Frieden man ihn in seinem Zimmer in einem Zustand fand, der bloss ein Begräbnis nötig machte. Der Pfarrer sprach ein Gebet über den Toten, das gut war, denn es war kurz. Sein Vikar löste ihn ab, und unterdessen fing seine Witwe, nur weil es sich gehörte, entsetzlich an zu heulen. Der Bruder des Verstorbenen spielte den Traurigen oder war es wirklich, und die Knechte und Mägde machten es beinah ebensogut wie er. Der Pfarrer folgte dem Destin in sein Zimmer und bot ihm wie auch Leander seine Dienste an; sie behielten ihn bei sich zu Tische. Destin, der den ganzen Tag nichts gegessen und viel Bewegung gehabt hatte, ass mit grossem Hunger, Leander sättigte sich mit verliebten Gedanken mehr als mit Speisen und der Pfarrer schwatzte mehr als er ass. Er erzählte hundert närrische Geschichtchen von dem Geiz des Verstorbenen, und unterhielt sie mit den verschiedenen Streitigkeiten, in die er wegen dieser seiner Leidenschaft mit seiner Frau und seinen Nachbarn geraten war. Unter anderm erzählte er ihnen eine Reise, die der Verstorbene mit seiner Frau nach Laval getan hatte, bei deren Rückkehr das Pferd, auf dem er und seine Frau ritten, beide Hufeisen verlor. Da nun die Eisen verloren waren, liess er seine Frau das Pferd beim Zügel halten und unter einem Baum stehen, er selbst aber kehrte bis nach Laval zurück und suchte die Eisen überall den ganzen Weg entlang. Aber seine Mühe war vergebens, und seine Frau wollte schon die Geduld verlieren, denn er war zwei starke Stunden zurückgelaufen, und wurde nun bald ängstlich für ihn, als sie ihn barfuss und mit den Stiefeln und Strümpfen in der Hand daherkommen sah. Sie wunderte sich sehr über diesen sonderbaren Aufzug, aber sie wagte es nicht, ihn um die Ursache zu fragen, so sehr hatte er durch langen Gehorsam im Kriege sich fähig gemacht, in seinem Hause zu befehlen. Sie getraute sich nicht einmal zu antworten, als er ihr befahl, sich ebenso auszuziehen. Sie vermutete bloss, dass es aus Frömmigkeit geschehe. Er liess seine Frau das Pferd beim Zügel führen, und er ging hinten nach, um es anzutreiben, und also kamen der Mann und die Frau barfuss und das Pferd ohne Eisen sehr spät in der Nacht bei ihrem Hause an, alle drei sehr müde und mit so zerschundenen Füssen, dass sie vierzehn Tage lang kaum gehen konnten. Er freute sich über keinen seiner Streiche mehr als über diesen, und wenn er daran dachte, so sagte er lachend zu seiner Frau, dass wenn sie sich auf dem Rückweg von Laval nicht ausgezogen hätten, so hätten sie ausser zwei Hufeisen noch zwei Paar Schuhe verloren. Destin und Leander fanden die Erzählung des Pfarrers eben nicht sehr unterhaltend, entweder weil sie wirklich nicht so lächerlich war wie er glaubte, oder auch weil sie keine grosse Lust zu lachen hatten. Der Pfarrer, ein grosser Schwätzer, hörte damit nicht auf, und sagte zu Destin, dass das was er eben gehört noch lange nicht so arg wäre als die Art wie sich der Verstorbene zum Tod bereitet hätte. »Seit vier oder fünf Tagen wusste er es, dass er nicht würde davon kommen. Niemals ist er so geizig gewesen, wie eben jetzt, und er bereute alle frischen Eier, die er während seiner Krankheit ass. Er wollte voraus wissen, was sein Begräbnis kosten würde und wollte sogar an dem Tage als ich ihm die Beichte abnahm mit mir darum handeln. Endlich, um so zu endigen wie er angefangen hatte, befahl er zwei Stunden vor seinem Tod in meiner Gegenwart seiner Frau, dass sie ihn in ein gewisses altes Tuch einwickeln sollte, das wohl mehr als hundert Löcher hatte. Seine Frau stellte ihm vor, dass man ihn kaum darein würde wickeln können; er bestand aber darauf, und sie auf ihrer Weigerung; und da sie sah, dass er nicht imstande war, sie zu prügeln, so blieb sie fester bei ihrer Meinung als sie sonst getan hätte, ohne jedoch die Achtung zu verletzen, die eine Frau ihrem Manne schuldig ist. Sie fragte ihn endlich, wie er denn in dem Tale Josaphat in einem so zerrissenen Tuch erscheinen wollte und ob er wohl mit einem so zerrissenen Kleid auferstehen wollte. Der Kranke wurde so zornig, dass er noch einmal fluchte, wie er es in seinem Leben gewohnt war, und schrie: ›Zum Teufel, ich will ja gar nicht auferstehn.‹ Ich hatte ebensoviel Mühe das Lachen zurückzuhalten wie ihm begreiflich zu machen, dass er gesündigt hätte, indem er zornig geworden wäre, und noch mehr durch das, was er zu seiner Frau gesagt hatte, welches gleichsam eine Gottlosigkeit war. Er bereute es so halb und halb, aber doch musste man ihm die Hand darauf geben, dass man ihn in dem löcherigen Tuch begraben wollte. Mein Bruder, der laut gelacht hatte, als der Sterbende so feierlich auf seine Auferstehung Verzicht tat, konnte sich, so oft er nachher daran dachte, des Lachens nicht enthalten. Der Bruder des Verstorbenen ärgerte sich darüber, und da beide gleich unvernünftig sind, so würden sie sich noch totgeschlagen haben, hätte man sie nicht auseinander gebracht.« Der Pfarrer hörte nun endlich auf und nahm Abschied von den Schauspielern, nachdem er ihnen nochmals seine Dienste angeboten hatte. Destin suchte wie zuvor den betrübten Leander zu trösten und brachte vor was er nur wusste. So zerschlagen der arme Mensch auch war, schaute er doch immer von Zeit zu Zeit aus dem Fenster, um zu sehen, ob sein Diener nicht käme, gleich als ob er dadurch geschwinder käme. Aber wenn man jemand mit Ungeduld erwartet, so sind die Klügsten töricht genug, um oft dorthin zu sehen, wo er herkommen soll – und damit will ich dies Kapitel schliessen.

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