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Dritter Teil

Erstes Kapitel. Als Einleitung zum dritten Teil

In dem vorigen Kapitel haben wir den kleinen Ragotin mit einem blutigen Gesicht verlassen, das ihm der Bock mit seinen Hörnern verursacht hatte, als er auf seinem Stuhle schlief; worauf er so zornig fortging, dass man hätte glauben sollen, er würde nie wieder kommen. Aber Mademoiselle de 1' Etoile hatte ihn zu tief verwundet, und er war auf den Erfolg der Magie des Chirurgus zu sehr begierig. Er wusch sich also und kehrte wieder um, um die Wirkung des Versprechens des Signor Ferdinando zu erfahren, den er in der Person eines Advokaten, der eben auf das Rathaus ging, zu finden glaubte. Er war von den Stössen des Bockes noch so verwirrt und sein Gemüt war von denen, welche die Etoile seinem Herzen gegeben hatte, so beunruhigt, dass er diesen Advokaten für den Chirurgen ansah. Er ging also sehr höflich auf ihn zu und sagte: »Mein Herr, ich bin über diese glückliche Zusammenkunft sehr entzückt; ich suchte Sie und war eben im Begriff zu Ihnen zu gehen, um aus Ihrem Mund mein Lebens- oder mein Todesurteil zu hören. Ich zweifle nicht, dass Sie Ihre ganze magische Kunst werden aufgeboten haben, um mich zum glücklichsten Menschen zu machen; auch werde ich gewiss nicht undankbar dafür sein. Sagen Sie mir also, ob dieser bewundernswürdige Stern mir nie etwas von seinen wohltätigen Einflüssen wird zukommen lassen?« Der Advokat, der von der ganzen Rede nichts verstand und eben nicht zu Spass aufgelegt war, unterbrach ihn und sagte ihm unwirsch: »Wenn es ein bisschen später wäre, so würde ich glauben, dass Sie, Herr Ragotin, betrunken sind, so aber müssen Sie wohl nicht richtig im Kopfe sein. Was reden Sie mir da von Sternen und Einflüssen vor? Ich bin weder ein Zauberer noch ein Sterndeuter. Kennen Sie mich denn nicht?« – »Ach!« versetzte Ragotin, »Sie sind sehr grausam, Sie kennen mein Übel und versagen mir die Heilmittel. Ach! Ich ...« Er wollte fortfahren, als der Advokat ihn stehen liess, indem er noch sagte: »Sie sind wahrhaftig für einen so kleinen Mann ein sehr grosser Narr! Leben Sie wohl!« Ragotin wollte ihm folgen, aber nun erkannte er seinen Irrtum und schämte sich; auch sagte er es keinem Menschen, und man würde diesen Zwischenfall hier nicht gefunden haben, wenn ich ihn nicht von dem Advokaten selber erfahren hätte, der sich mit seinen Freunden sehr lustig darüber machte. Der kleine Mann ging nun wieder zu den Komödianten, wo er bei seinem Eintritt hören musste, dass die Caverne und Destin der Gesellschaft vorschlugen, Mans zu verlassen und nach einem andern Ort zu gehen. Dies brachte ihn ganz ausser sich, und sein Unglück stieg noch höher, als er hörte, dass man beschlossen hatte, schon den andern Tag von der Stadt Mans und ihren Einwohnern Abschied zu nehmen, vorzüglich aber von denen, die fleissige Zuhörer gewesen waren, und dann wie gewöhnlich nach Alençon zu gehen, woselbst die Pest nur ein falsches Gerücht wäre. Ich sagte oben wie gewöhnlich, denn die wandernden Komödianten haben ihren bestimmten Kreis, in dem sie sich herumdrehen, wie die Sonne im Tierkreis. Sie gehen von Tours nach Angers, von Angers nach La Fleche, von La Fleche nach Argentan oder nach Laval, je nachdem sie von Paris oder durch die Bretagne kommen; doch dies gehört nicht in unseren Roman. Nachdem nun alle Komödianten und Komödiantinnen den Entschluss gebilligt hatten, beschlossen sie, den andern Tag eines ihrer besten Stücke aufzuführen, um denen von Mans ein gutes Andenken zu hinterlassen. Ich habe nicht erfahren können, welches Stück sie aufführten, die Ursache aber, warum sie so geschwind abreisen wollten, war, weil der Marquis d'Orsé, der die Truppe bewogen hatte, länger zu spielen, nunmehr an den Hof zurück musste. Da sie also weiter keinen Wohltäter mehr hatten, und das Publikum von Mans täglich geringer wurde, so entschlossen sie sich, weiter zu ziehen. Ragotin wollte zwar Einwürfe machen und brachte eine Menge seichter Gründe vor, mit denen er immer versehen war, allein sie wurden nicht geachtet, was den kleinen Mann nicht wenig verdross. Endlich bat er sie, wenigstens in der Provinz Maine zu bleiben, was sehr leicht wäre, wenn sie das Ballhaus in der Vorstadt von Montfort für ihre Vorstellungen wählten, welches Städtchen sowohl im Geistlichen als Weltlichen zu Maine gehört; von da könnten sie nach Laval gehen, das ebenfalls zu Maine gehört und nachher um so leichter nach der Bretagne kommen, wie sie es dem Herrn la Garouffiere versprochen hätten. Allein Destin widersprach ihm geradezu und sagte, dass sie da ihr Glück nicht machen würden, denn da dieses elende Haus weit von der Stadt und jenseits des Flusses läge, so würden sich die meisten Leute vor dem langen Weg scheuen. Wohingegen das grosse Ballhaus auf dem Schöpsenmarkt mitten unter den vornehmsten Häusern von Alençon, mitten in der Stadt stünde. Man müsste sich also dahin wenden und lieber etwas mehr bezahlen als in jener elenden Schenke von Montfort, die Ragotin bloss wegen des wohlfeilem Preises vorgeschlagen hatte. Dies wurde also einstimmig angenommen und sogleich nach einem Wagen für das Gepäck und Pferden für die Damen geschickt. Diesen Auftrag erhielt Leander, weil er in Mans viele Bekanntschaften hatte, was einem Fremden eben nicht schwer fällt. Den andern Tag wurde die Komödie oder was es sonst war, denn ich weiss es nicht mehr, gespielt und fand allgemeinen Beifall. Die Schauspielerinnen wurden von allen Leuten bestaunt Destin zeigte sich vorzüglich, besonders aber in der Abschiedsrede: denn er bezeigte so viele Dankbarkeit, drückte sich so gut und so rührend aus, und dankte so lebhaft, dass die ganze Gesellschaft davon entzückt war. Man will sogar behaupten, dass viele Personen weinten, hauptsächlich aber junge Mädchen, die ein zärtliches Herz haben. Ragotin war so hingerissen, dass er ganz versteinert auf seinem Stuhl sitzen blieb, obgleich jedermann schon fortgegangen war, und vielleicht sässe er noch da, wenn der Hausknecht der Schenke ihm nicht gesagt hätte, dass niemand mehr da wäre. Er stand nun auf und ging nach Haus, wo er den Entschluss fasste, morgens ganz früh zu den Komödianten zu gehen, und ihnen sein Vorhaben, welches er auf dem Herzen hatte und das er schon dem Rancune und Olive anvertraut hatte, zu entdecken.

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