Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kellner

Foto: Emil Mayer

Müd und hungrig kommt man in solch ein Praterwirtshaus. Man würde ja gar nicht hineingehen, wenn man nicht müd und hungrig wäre. Man will ein wenig unter Menschen sein, möchte einmal im Freien essen. Man ist in der friedlichsten Stimmung, aber das hilft nichts: man muß Krieg führen. Mit dem Praterkellner.

Foto: Emil Mayer

Der Krieg beginnt sofort, wenn wir uns in diesem menschengefüllten, von Musik, Geschrei, Tellerklappern und Gläserklirren durchtobten Garten uns niederlassen. Und der Krieg entsteht deshalb, weil du annimmst, du seist ein Gast, während der Praterkellner zu erkennen gibt, daß er dich für einen zudringlichen Kerl hält. Der Praterkellner leugnet zunächst deine Anwesenheit. Er weiß nichts von dir, er sieht dich nicht, er hört dich nicht. Das ist seine Technik, gegen dich zu kämpfen. Du schlägst mit dem Stock auf den Tisch, bimmelst mit dem Salzfaß gegen ein Bierseidel, zischst durch die Zähne, stößt gellende Schreie aus. Das ist wieder deine Kampfesweise. Es ist ein furchtbarer Krieg, der mit List, mit Grausamkeit, mit Erbitterung auf beiden Seiten geführt wird. Wenn aber der Kellner endlich kommt, wenn er dich endlich nach deinen Wünschen fragt, dann bist keineswegs du der Sieger. Im Gegenteil. Er hat dich mürbe gemacht. Und er nimmt gleich nachher die Feindseligkeiten von neuem auf. Er hat hundert Mittel, dich zu quälen, hundert sinnreiche Foltern, dich zu peinigen. Er verspricht dir, den Schweinsbraten, den du gewählt hast, sofort zu bringen. Darauf geht er fort und verbirgt sich irgendwo, so daß du ihn überhaupt nicht zu Gesicht kriegst. Inzwischen wiegt dich ein anderer, ein dritter, ein vierter in die Hoffnung ein: »Kummt schon!« – »Er bringt's gleich!« – »Den Augenblick!« – Knapp bevor du vor Wut in die Luft gehst, erscheint dein Gegner, bringt die Speisenkarte, und während er sie vor dir ausbreitet, mit einem Bleistiftstümpfchen darin herumfährt, macht er dir die Mitteilung, daß es keinen Schweinsbraten mehr gibt.

Foto: Emil Mayer

Nun mußt du im Zustand seelischer Zerstörtheit eine neue Wahl treffen; mußt die Martern des Hoffens und Harrens nochmals durchmachen, mußt die Zeremonie mit der Speisenkarte nochmals vor deinen enttäuschten Augen verrichten lassen. Und bis du in deinem Stolz als »Gast« erniedrigt, in deinem Wollen gebrochen, vor Hunger und Zorn völlig entkräftet, dasitzt, reicht dir dein grausamer Feind einen Bissen zum Essen. Aber noch ist deine Niederlage nicht endgiltig besiegelt, sein Triumph nicht vollkommen. Jetzt umdrängt er dich, setzt dich in Verzweiflung durch Stoßangriffe überflüssiger Aufmerksamkeit; jetzt zeigt er dir mit ausgewähltem Hohn, daß er sich für dein leibliches Behagen aufgeopfert hat. Er zwingt dich, die Untertänigkeitskomödie zu dulden, ja er zwingt dich selbst, die Komödie eines generösen Kavaliers zu spielen. Und in dieser Rolle, die dir aufgenötigt wird, tust du, was alle Besorgten tun müssen, du zahlst auch noch eine Kriegsentschädigung. Praterkellner.

Foto: Emil Mayer

Das ist eben eine besondere Gattung. Sie sind irgendwie dem »Pülcher« von der Burgmusik verwandt. Sie sind urwüchsig, ungeschliffen, naiv. Vollkommene Naturkinder. Sie machen den Eindruck von geborenen Müßiggängern, die gleichsam nur aus Perversität arbeiten. Und sie arbeiten denn auch mit einer Erbitterung, mit einem Tumult, mit einer Losgelassenheit, wie jemand, der sich in einem abnormalen Zustand befindet. Der Frack, den sie tragen, hat nicht die erziehliche Macht, ihre Wildheit zu bändigen oder auch nur zu mildern. Sie geben sich unbedenklich ihren Instinkten hin, und es gehört zu ihren Instinkten, sich nicht die Hände zu waschen, sich nicht zu schneuzen, den Schweiß ihres Antlitzes auf das Brot tropfen zu lassen, das du dir erwirbst und heute einmal hier verzehren möchtest; die Hand auf die Lehne des Stuhles zu legen, auf dem du sitzest, ihren Ärmel an dein Gesicht zu reiben, wenn sie deinem Nachbar etwas reichen. Erst in späten Jahren, wenn sie behäbig, ruhig und Zahlkellner geworden sind, nehmen sie sanftere Manieren an. Dann haben sie den etwas stumpfen Kennerblick großer Routiniers, den Blick und die Miene von Männern, die nun auch das menschliche Wesen gründlich erforscht zu haben glauben, weil so unendlich viel menschliche Gefräßigkeit, so unendlich viel menschliche Besoffenheit in all den Jahren an ihnen vorüberzog.


 << zurück weiter >>