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Die »Arme Musik«

Foto: Emil Mayer

Gleich am Eingang in den Wurstelprater steht das kleine Gasthaus mit dem engen Garten, den zwei Fußwege schmalgedrückt haben. Die Leute, die zu den Buden hinunterströmen, sind noch nicht hungrig, noch nicht durstig und noch nicht müde; deshalb ist das kleine Gasthaus immer leer. Unendlich traurig sieht dieser öde Garten aus. Als ob alles für eine Fröhlichkeit hergerichtet worden wäre, die dann nicht gekommen ist. Die Tischtücher sind aufgelegt, die Stühle stehen und warten, die Laternen brennen; es ist Abend geworden und niemand tritt ein, niemand kommt. Aber die Musikanten spielen. Auf einem kleinen Podium unter einem niederen Dache spielen sie, machen Pausen, spielen wieder, als ob es wirklich ein Konzert wäre. Sie spielen Wiener Lieder, längst vergessene Gassenhauer, und keiner kann sich mehr erinnern, daß sie jemals lustig gewesen wären. Sie spielen alte Opern, die man einmal unsterblich genannt hat, und diese traurigen Rezitative, diese verblaßten Melodien, die man oben in der Stadt nicht mehr singt, die das schmetternde Orchester des Praters nicht mehr mag, sie scheinen hier auf der wimmernden Geige und der seufzenden Flöte zu verscheiden – ganz leise und schüchtern, als wüßten sie es, daß sie nicht mehr laut werden dürfen unter all dem Neuen.

Foto: Emil Mayer

Ringsumher lärmt der junge Prater. Ungestüm dringen die Klänge des Orchestrions von Präuscher herüber, die Trompeten der Militärkapellen schmettern herein in den kleinen Garten, und die dröhnenden Trommelschläge vor den Buden, die gellende Glocke von der Rutschbahn, das Sausen der Maschinen, als sollte das kleine Gasthaus mit den leeren Tischen zerdrückt und verdrängt werden. Vom »Eisvogel« herüber klappern die Teller, klirren die Gläser, tönt das Lachen und Rufen der Gäste – hier ist es ganz stille. Vielleicht war es auch hier einmal laut und lärmend, vielleicht saßen auch hier einmal viele, viele Menschen und applaudierten zur Musik. Aber das ist wohl schon lange her, und die Leute müssen alle schon gestorben sein. Die Musikanten wissen es selbst nicht mehr, ob es früher so war, doch sie spielen weiter, spielen den Tischen und Stühlen ihre leisen, alten Lieder. Dann flammen überall die elektrischen Lichter auf, und vor ihrem Glanze versinkt, wie alle Zeiten versinken, in Nacht und Schatten der kleine sterbende Garten ...

Foto: Emil Mayer

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