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Die Gaukler

Foto: Emil Mayer

Unter freiem Himmel »arbeiten« sie auf einem kleinen Podium, das mit bunten Lappen und Fahnen zu ärmlicher Feierlichkeit herausgeputzt ist. Sie arbeiten unaufhörlich. Es ist eine Vorstellung, die vom frühen Nachmittag bis zum späten Abend währt. Ist das Programm zu Ende, so fangen sie von vorne wieder an. Sie spielen nachmittags, wenn die Kinder sich an den Zaun des kleinen Gasthausgartens drängen, und sie spielen abends, wenn ein paar Leute an den Tischen sitzen und ihnen mit müden Augen zuschauen. Dichtes grünes Laub, in dem die Vögel zwitschern, beschattet die kleine Bühne. Unter einem hohen Baume steht ein altes Klavier, dem der Regen die Politur heruntergewaschen und dessen rostenden Saiten der Wind und Staub den Klang raubten.

Foto: Emil Mayer

Ein Mann im roten Bajazzokostüm mit weiß gepudertem Gesicht sitzt davor und klimpert, während ein kleines Mädchen am Rücken liegt und auf den Füßen Fässer balanziert. Der Bajazzo hat eine Virginier im Munde; der weiße Puder macht ihn nicht lustiger und er sieht aus, wie ein Bierabtrager. Der dumme August steigt zum Podium hinauf und legt das braune Sakko ab, das er über dem blauen Clownhemd getragen. Er hat ein Gesicht und Manieren wie ein Speisenträger. Wahrscheinlich war er es auch früher und ist »zu die Künstler« gegangen, als man ihn eines Tages davonjagte, weil er das Gollasch verschüttete. Sie zeigen dasselbe, was in den großen Tingeltangeln gezeigt wird, einen Parterreakrobaten, eine Seiltänzerin, einen Athleten, der mit Stolz die Arme verschränkt, um seine Muskeln zur Schau zu stellen, eine Tänzerin mit rosa Trikots unter flatternden Röckchen, aber es hat einen falschen Ton.

Foto: Emil Mayer

Sie sind keine »fahrenden Leute«, nicht die Pauvres Saltimbanques, die im grünen Wohnwagen von Ort zu Ort ziehen, mit dem Hauch lustiger Abenteuer und dem übermütigen Lachen Till Eulenspiegels, das die Ehrsamkeit der Seßhaften verspottet. Sie sind selber ehrsam und seßhaft, haben keine lustigen Abenteuer und lachen nicht. Sie gaukeln, tanzen auf dem Seil, stemmen Gewichte, verkleiden sich als Affen, wie man irgendein anderes Geschäft betreibt, abgestumpft und gleichgiltig. Sie haben keine Beziehungen zum Publikum, weder zu den Gästen an den Tischen, noch zu den Kindern, die draußen lachen, Geschäft ist Geschäft. Sie sind ruhige Leute auf einem sicheren Posten, die den Humor verloren haben und das Talent, und die sich langweilen, wenn sie Possen reißen. Nur das kleine Mädchen, das die Fässer balanziert, lacht noch, wenn der dumme August sich hinlegt, dasselbe versucht und mit den Füßen zappelt. Sie ist noch stolz darauf, daß sie balanzieren kann und der dumme, dumme August nicht!

Foto: Emil Mayer

Vielleicht wird das nette kleine Mädchen noch einmal Karriere machen. Vielleicht nimmt sich einer von den wirklichen Artisten seiner an und gibt ihm eine ordentliche Dressur, lehrt es verschiedene wirkliche Tricks, weiht es in wirkliche Künste ein. Dann darf das kleine Mädchen in nächtlichen Tingeltangels auftreten und erlebt einen Glanz, einen Ruhm, der über den Wurstelprater hinausreicht. Bis nach Przemysl zum Beispiel, oder bis in ferne, rumänische Provinzstädte. Bis Port Saïd sogar.

Foto: Emil Mayer

Denn hier, im Wurstelprater hat schon manche Varietékarriere begonnen. Warum auch nicht? Eine richtige Karriere kann anfangen, wo sie nur will, das ist einerlei. Hier ist eben Provinzbühne. Und die jungen, frischen Talente finden schon ihren Weg. Vorausgesetzt, daß sie wirklich jung, frisch und wirklich Talente sind. Dann blüht ihnen eine goldene Zukunft; ein napoleonischer Aufstieg winkt ihnen. Sie kommen aus dem Wurstelprater bis zum Ronacher. Das ist eine ebenso steile Erfolgslinie, wie wenn eine Sängerin aus Krems an die Große Oper käme.

Foto: Emil Mayer

Aber noch mehr Karrieren endigen hier. Und wenn eine Karriere einmal traurig enden muß, dann ist es schon egal, wo das geschieht. Warum also nicht im Wurstelprater? Der Artist, der Pech gehabt hat, der leichtsinnig war, der keine Ersparnisse besitzt, muß den Weg vom Ronacher zum Wurstelprater zurück finden, wenn die Jugend, die körperliche Geschmeidigkeit und die Kostüme verbraucht sind. Aber es ist ein weiter, ein sehr weiter und ein trauriger Weg vom Ronacher bis zum Wurstelprater. Gewöhnliche Menschen legen ihn binnen einer halben Stunde zurück. Solche Artisten aber brauchen Jahre. Und sie müssen über ferne Gegenden, über Rumänien, über galizische Nester, über kleine Matrosenkneipen in den Hafenstädten des Mittelmeeres, Port Saïd, Jaffa ... bis sie eines Tages wieder am Praterstern anlangen.

Foto: Emil Mayer

Und hier unten werden sie noch bewundert. Hier ist noch ein letzter armseliger Rest von Erfolg, an dem sie sich laben können. Hier steht vor den Lattenzäunen eine begierige, anspruchslose Zuschauermenge. Schuljungen, Lehrbuben, Schulmädeln, allerlei Halbwuchs, unbemerkt und müßiggängerisch. Freilich: zahlen kann dieses Publikum nicht. Will es auch nicht. Aber Verehrung bringt es mit, Respekt und Eifer. Diese Burschen und Mädeln sind nur das, was man in den Theatern die begeisterte Galeriejugend nennt. Wie die Jugend in der Stadt für ihre großen Schauspieler schwärmt, so schwärmt diese Jugend im Wurstelprater hier für ihre Akrobaten, Schlangenmenschen, Clowns und Athleten; hat ihre Lieblinge unter ihnen, und ihre Abgötter.

Foto: Emil Mayer

Wie unter den jungen Menschen in der Stadt so viele von der Sehnsucht nach dem Theater ergriffen werden, so werden diese hier von der Lust nach dem Gauklerberuf gepackt. Und wie sie in der Stadt drin, zu Hause, nach dem Theater deklamieren, ihre Lieblinge kopieren, so treiben sie's hier. Auf den Wiesen und Rasenplätzen kann man ihnen zuschauen. Da werden die Purzelbäume und Räder der Akrobaten geübt, die Ohrfeigen der Clowns werden probiert, die Ringkämpfe nachgeahmt. Es ist die Begeisterung der Wurstelpraterjugend. Ihr Kunstsinn. Ihre ideale Berufswahl.

Foto: Emil Mayer

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