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Hier weilt die Muse

Foto: Emil Mayer

»Hier weilt die Muse, die Bewunderung dir entringt!« Mit großen Lettern steht es hoch am First der Bude, und über der Tür liest man die Worte: »Harmlos, Gefühlvoll, Unbezahlbar.« Eine ärmliche blasse Frau nimmt zwanzig Kreuzer, dann darf man hinein zur Muse. Drinnen sind vor einer weißen Leinwand Stühle aufgestellt – also Nebelbilder. Ein alter Mann empfängt und ladet zum Sitzen ein. Er trägt den Zylinder immer schief auf dem Kopfe, das braune Sakko und die Weste aufgeknöpft, den Zwicker ganz vorne auf der Nase.

Der Raum wird verdunkelt, nun kommen die Nebelbilder, und der alte Mann erklärt sie. Alle möglichen Genrestücke, Landschaften, Kopien nach berühmten Meistern, Illustrationen aus Reisebeschreibungen läßt er erscheinen. Sein Vater hat die Bilder zu diesem Gebrauche auf Glas angefertigt. Vielleicht wäre er ein großer Künstler geworden, vielleicht ist er es sogar, und man weiß nur nichts davon. Sein Sohn allein bewundert ihn und verehrt seine Bilder, als hätte der achtzigjährige Greis sie selbst erfunden, und säße nicht da unten in der kleinen Bude, um für die Laterna magica zu pinseln. In diesem Sohne, der selbst schon weiße Haare hat, steckt auch ein Stück von einem Künstler. Er ist ein Erzähler, er improvisiert und erfindet Pointen. Zu den Bildern dichtet er lustige Geschichten, glossiert sie, gerät in Begeisterung.

In allen seinen Reden merkt man die Anläufe, die er einmal genommen haben muß, aber man merkt auch, wie er sich fallen ließ, wie er sich mit den Rudimenten begnügte. Man hört unter all den abgegriffenen Scheidemünzen der Rede, mit denen er klappert, manchmal etwas wie das leise Klirren vom Silber des Talentes. Er hat vielleicht einmal ein Weniges davon gehabt und hat es vergeudet, bis ihm knapp so viel übrig blieb, daß er die Bude eröffnen konnte, auf die er schrieb: »Hier weilt die Muse, die Bewunderung dir entringt.«

Zuerst zeigt er »Gänselieschen«. Mit affektierter Zärtlichkeit spricht er den Namen aus. »Sie hat ein Buch –, der junge Graf hat ihr's mitgebracht aus der Stadt, und jetzt liest sie's.« Man ist versucht, ihn nach dem jungen Grafen zu fragen, der gar nicht auf dem Bilde ist. »Jetzt führe ich die Anwesenden zu dem Gemälde des Berliner Malers Gräf ...,« ... das »Märchen« erscheint ... »Für dieses Bild hat der Maler sich sechs Monate müssen einsperren lassen, und er hat nur – gemalt.« Da haben wir die Pointe. Aber er geht gleich weiter und setzt voraus, daß alle die Geschichte kennen. »Auch die Berta Rother is z'grund gegangen ...« Einer aus dem Publikum ruft: »Keine Spur!« Aber der Mann streitet: »Ich hab's gehört – sie ist zugrund gegangen – man hat sie aus Prag verwiesen ...« Der im Publikum ist ruhig, denn er merkt, daß es allen klar ist, man müsse unbedingt zugrunde gehen, wenn man aus Prag verwiesen wird. Ein anderes Bild. »Jetzt kommen wir zu dem Teich, der was nie zufriert.« – Störche holen kleine Kinder aus dem Wasser, und der Philosoph bei der Laterna magica sagt: »Wenn nur keines vertauscht wird, – ich hab' nämlich wollen Pfarrer werden.« Ein Seufzer – und rasch ein nächstes Bild: Orpheus liegt erschlagen in einer Schlucht, und nun wird, ein wenig summarisch, die Orpheus-Sage erzählt: »Der da liegt, das ist Orpheus. – Er hat die schönste Musik gemacht im Altertum, aber er hat nicht Wort gehalten. Da ist es ihm einmal passiert, daß ihn der Zeus mit seinen Blitzen erschlagen hat. Wie das Malheur fertig war, ist der Merkur sogleich mit ihr zum Hades hinunter, und der Pluto hat sich schon gefreut auf die schöne Frau!« ... Daß er Eurydike meint, muß man erraten.

Er zeigt Bilder von Kray, von Schmidt, von Bougereau. – »Der Zug nach dem Hades« von Seligmann erscheint, und er übt Kritik daran, indem er sagt, »in altgriechischer Gedankenfülle«. Aber ein junges Mädchen ruft hinauf: »Ich bitt', Herr Direktor, zeigen's uns die schöne Träumerin.« Sogleich sucht er sie. »Ich weiß nicht wo sie ist,« scherzt er, »vielleicht is sie nur auf's Ringelspiel gelaufen.« Das Mädchen lacht. Das Bild erscheint. Einer jener Frauenköpfe, überlebensgroß, süßlich, mit unwahrscheinlich vielem blonden Haar, wie man sie als Plakat für Parfüms, Kalodont oder Schokolade verwenden mag. »Ah,« sagen alle, und das Mädchen ist entzückt. »Gott! so schön. – Die großen Augen, der Mund, die Arme, i wüßt kan Fehler an der!« – und mit Überzeugung fügt sie hinzu: »Da kann man wirklich sagen: Die schöne Träumerin!« Das ist so einfach und löst alle Probleme der Malerei. Der Mann an der Laterna magica weiß, was die Menge verlangt, und das kleine Mädel spricht es aus. »Da kann ma wirklich sagen: Die schöne Ninetta.« Da kann man wirklich sagen: »Die trinkenden Invaliden.« Alle Berühmtheit von Blaas und von Friedländer und wie die übrigen heißen, erklärt die Praterbude mit der »schönen Träumerin«.


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