Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ringelspiel

Foto: Emil Mayer

»Das Leben ist ein Ringelspiel, da wird oft manchem bang,
Dem einen ist zu kurz die Tour, dem anderen zu lang.«

Dieser Spruch steht in einem der Karussells, aus denen noch manche andere Weisheit zu holen ist. Es gibt prächtige Galakarossen, prunkvoll gezäumte Pferde, gesattelte Elefanten, Eisenbahnwaggons, venezianische Gondeln, hohe schwankende Schiffe. Das Werkel beginnt zu spielen, das Ringelspiel dreht sich, und ein junges Mädchen im lichten Waschkleid lehnt sich vornehm in die Equipage zurück, hält den Schirm lässig in der Hand, als rassle sie im eleganten Fiaker über die Ringstraße; der junge Mann dort mit dem Girardihut und der auffallenden Krawatte sitzt aufrecht auf dem hölzernen Schimmel, hält achtsam den Zügel und markiert den englischen Trab. Wenn das Karussell sich schneller dreht, tippt er mit dem Stock, wie mit einer Reitgerte, dem Pferd in die Flanken, als wolle er es zu größerer Eile antreiben.

Foto: Emil Mayer

»Hat das Pferd dich überwunden,
So ist es oben und du unten.«

Die Glocke läutet, wie auf dem Perron, ein Pfiff, und die kleine Lokomotive klappert in die Runde mit einem Lärm, als fahre der Kurierzug über die Eisenbahnbrücke. Die Leute lachen, winken mit den Tüchern – der Ausrufer aber schreit: »Einsteigen, einsteigen, soeben geht der Zug nach München, Frankfurt, Paris, einsteigen nach Paris!«

In der Gondel sitzen die Burschen, die unten am Donaukanal mit neidischen Augen die Skuller des Ruderklubs verfolgen, und im hohen, auf- und abschwankenden Schiffe machen die Leute ernste Gesichter und schauen zu den Masten und Raaen hinauf, als brandeten die Meereswellen um die Planken und könnten jeden Moment über das Verdeck spülen.

Foto: Emil Mayer

Nur ein Karussell bleibt leer. Das ist jenes mit den Tramwaywagen. Da hinein geht fast niemand. Selten setzt sich jemand auf die platten Holzbänke, wenige werden angelockt von den kleinen Waggons, auf denen »Dornbach–Meidling, Schönbrunn–Praterstern« steht. Wenn der Besitzer sich's nicht erklären kann, warum niemand mit der Tramway fährt, so soll er zu den anderen gehen, zu den Equipagen und Pferden, zum Eilzug nach Paris, zu den Gondeln, und dann muß ihm alles klar werden.


 << zurück weiter >>