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Der Fallot

Foto: Emil Mayer

Eigentlich ist er ein Enttäuschter. Ein armer, verirrter Mensch. Vielleicht sogar ein Idealist. Jedenfalls einer, dem alle Illusionen kaput gehen. Sehr hohe Ideale hat er nun freilich nie gehabt, auch nur dumpfe und nicht eben deutliche Illusionen. Etwa das Ideal: jetzt will ich mich unterhalten! Und wenn er am Samstagabend, oder am Sonntagmorgen, die Müdigkeit der ganzen Woche in den Gliedern, durch den Wurstelprater marschiert, die Illusion: es wird schön sein!

Aber es wurde nicht schön, und die gehoffte Unterhaltung blieb aus. Wahrscheinlich hat er sich in seinem ganzen Leben nicht unterhalten. Es ist ihm jedesmal mißlungen. Er weiß gar nicht, wie man das anfängt. Unter den vielen glücklichen Menschen geht er umher, hat von dem allgemeinen Frohsinn, der hier die Luft durchzittert irgend ein ungeduldiges Erwarten und Verlangen in sich. Er möchte etwas tun, was fröhlich, vergnüglich, zerstreuend wäre, aber er hat nicht die Geschicklichkeit, nicht die Erziehung, nicht die Wissenschaft, wie derlei ins Werk zu setzen wäre. Es fällt ihm nichts anderes ein, als das Naheliegende, Primitive. Er trinkt. Sitzt irgendwo allein, weil er nicht sehr gesellig, ermüdet sogar, weil er schüchtern ist, und trinkt. Sein festliches Erwarten, seine Zuversicht, es werde jetzt etwas angenehmes geschehen, steigern sich. Seine Sorgen werden federleicht, fallen von ihm ab, verschwinden. Aber es geschieht nichts. Er sitzt und trinkt. Und dann drückt ihn der Rausch, drückt ihn die Einsamkeit nieder. Er kämpft dagegen, und trinkt. Jetzt aber stürzen seine Sorgen über ihn her, brechen wie Zentnergewichte auf ihn nieder, jetzt umzieht das Gefühl der Öde und Enttäuschung sein ganzes Wesen mit Erbitterung.

Und wenn er dann auf irgend einer Wachstube seine Besoffenheit ausgeschlafen hat, weiß er nur mehr noch, daß ihm sein Unternehmen, sich einen guten Tag zu bereiten, mißlungen, daß der Wochenlohn futsch und daß er nach dem Urteil seiner Mitmenschen ein Fallot ist.

Das nächstemal versucht er's aber doch wieder, und es geht immer wieder schief. Immer geht es schief. Er hat kein anderes Talent, als dazusitzen und zu trinken; in der Trunkenheit dann ein wenig zu krawallieren, damit die Menschheit doch auf irgend eine Weise von seiner Existenz Notiz nehme, und schließlich kein anderes Talent, als mit wankenden Knien in den Straßenschmutz zu fallen. Seine Erwartungen vom Leben, seine Versuche zur Freude, enden jedesmal im Straßenschmutz.

Da brütet er vor sich hin, dumpf, verbissen und verbittert. Um ihn her schwillt der Alkohol, dampft aus seinen Augen, aus seiner Stirn; hält ihn wie eine Glocke aus trübem Glas umschlossen, so daß er die Welt nur wie von Weitem und nur mißfarben erblickt. Er möchte den Glassturz, der über ihn gestülpt ist, durchstoßen. Und trinkt. Aber davon wird es nicht besser.

Dann beginnt eine feindselige Abkehr von der Welt in ihm Monologe zu halten. Erst still und leise gemurmelt: Ah was, dö soll'n mi gern' hab'n alle miteinander! Das ist seiner unwirschen Weisheit erster und letzter Schluß. Ah was, dö soll'n mi gern hab'n, alle miteinander! Höchstens, daß er eine Umstellung dieses Spruches eintreten laßt: Alle miteinander soll'n s' mi gern' hab'n! Späterhin beginnt er ruhig danach zu forschen, wer ihm etwas zu befehlen habe. Wer denn? murrt er vor sich hin. Wer hat mir 'was z'schaff'n? Möcht' wissen, wer? Und er gelangt zu dem Resultat, daß es niemanden gibt, der sich einer Gewalt über ihn rühmen dürfe. Mir hat niemand was z'schaff'n. Ka Mensch! Dös wär' no schöner! Woraus er dann pünktlich den Schluß zieht: Dö soll'n mi alle gern' hab'n.

Foto: Emil Mayer

Er lehnt sich plötzlich gegen irgend jemanden auf. Gegen seinen Werkführer, gegen seinen Brotgeber, gegen den Hausmeister bei sich daheim; und er setzt den Disput jetzt fort, wobei er freilich den Vorteil hat, daß sein Partner nicht dabei ist. »Den Kerl, den ölendigen dawisch' i no, der soll's probier'n und mir ... ja der soll's probier'n ... den leih' i mir amal aus. Das Kreuz druck' i eahm ab, den Falloten, den verdächtigen.« Er erinnert sich, daß er als Lehrjunge einmal von einem Gesellen geschlagen worden ist. Und er sieht Bilder vor sich, wie er an seinem alten Feind furchtbare Rache nimmt: »A Watsch'n!« brüllt er auf, »A Watsch'n!« Er wird ganz fanatisch. Alles bäumt sich in ihm. Rechtsbewußtsein, Selbstgefühl, Zorn; und in seiner berauschten Phantasie philosophiert er zum so und so vielten Mal über seinen Gegner. Wenn er nicht gleich bei seinem ersten Aufschrei hinausgeworfen wird, dann verstummt er allmählig von selbst; sinkt mehr und mehr in sein stummes Brüten. Die Leute meiden den Tisch, an dem er sitzt, denn niemand trägt Verlangen nach seiner Geselligkeit. Dann endigt die Sache so, daß sein Kopf schwer und schlafbefangen auf die Tischkante niederfallt. Und dann kommt ein Wachmann, um den Fallot wegzuspedieren. Mehr hat ihm das Dasein nicht zu bieten. Rausch, Öde, Einsamkeit, und tiefen, bewußtlosen Schlaf. Eigentlich ist er ein Enttäuschter.


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