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Panoptikum

Die Leute, die sich gerne in die Nähe der Berühmtheiten drängen, die schon zeitlich morgens aufstehen und zum Bahnhof laufen, wenn der deutsche Kaiser nach Wien kommt, alle, welche große Männer um Photographie und Autogramm anbetteln, dann jene, die den Gerichtssaal und die Berichte über den neuesten Raubmord voll Begierde verschlingen, und noch die vielen anderen, die mit stumpfen Organen die Kunst begaffen und betasten, müssen gerne hierher gehen.

Denn es ist gerade im Panoptikum alles, was die Menge braucht. Jenes widerwärtige Gemisch, das als Surrogat des echten Lebens von allen genossen wird, und das alle verblödet. Die großen Männer in ihren Hausröcken oder in typischer Gala; die blutigen Verbrecher, ihre Einrichtung, ihre Mordwerkzeuge, ihre Schuhe, ihre Wäsche – alles mit der Genauigkeit sensationeller Zeitungsartikel – und eine ordinäre Kunst, deren bunte Lappen jeder greifen kann. Da stehen Goethe und Schiller in staubigen Röcken, Voltaire mit schmutzigem Jabot, Richard Wagner in hellen Beinkleidern, die auf der Mariahilferstraße gekauft wurden, Moltke und Bismarck in voller Uniform, blitzende Blechorden auf der mit Sägespänen gefüllten Brust, Prinz Eugen, Andreas Hofer und Radetzky – und die Leute stellen sich vor ihnen auf, schauen ihnen ins Gesicht; sie können sich einbilden, es sei ein bedeutender Moment, und sie ständen jetzt diesem oder jenem Helden gegenüber. Dort wieder ist Hugo Schenk, Schlossarek, das Ehepaar Schneider, Francesconi, in Wachs modellierte Fünfkreuzer-Romane.

Foto: Emil Mayer

Dann sieht man gestellte Bilder nach Munkacsy, und an den Wachspuppen merkt man erst, wie opernhaft gruppiert diese Bilder sind, wie unmoralisch sie sind, daß man sie aus den Rahmen nehmen und ausstopfen könnte. Invaliden von Friedländer, die aussehen, als säßen sie Modell, feiste Mönche von Grützner, »dralle« Diarndln von Schmidt, zuckersüße Nymphen von Thumann. Auch der herrliche »Frauenraub« von Fremiet ist da, aber der steinerne Gorilla hat hier ein wirkliches Fell, er bewegt das Maul, und das Weib, das er hält, hat einen Körper wie Rosa-Seife. Den »Verurteilten«, die Invaliden, die Mönche, die Diarndln und die Nymphen mag man dem Panoptikum lassen, den Fremiet sollte man konfiszieren.

Das Licht des verdämmernden Nachmittags fällt in den weiten Raum auf all die Figuren, die mit starren, toten Geberden dastehen in verschlissener, schäbig gewordener Pracht. Es ist, als wären schon hundert Jahre vorbei, und alles, was die Welt bewegte, stände hier wie morsches Gerümpel in einer Scheuer beisammen – Bismarck und Moltke und Richard Wagner und Munkacsy und Hugo Schenk.


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