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Wurstelprater

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Durch den hohen Viadukt, über den die Lokomotiven pfeifen, geht man die breite sonnige Straße hinunter zu den Buden. Unaufhörlich wimmelt es von Menschen unter den Säulen des Viaduktes, als sei hier eine Schleuse der großen Stadt geöffnet und wolle alles, was an Faulheit und Fröhlichkeit, an singendem Stumpfsinn und bummelndem Elend drinnen in dem geschäftigen Leben zwischen den hohen Häusern keinen Platz findet, ausströmen in ein riesiges Reservoir. Dort am Rande der Straße, an die Planken gelehnt, auf Prellsteinen sitzend, lungern immer Menschen, den ganzen lieben Tag. Es ist keine frische Luft da, und kein Schatten. Vom Viadukt herab schlägt der Kohlendampf aus den Maschinen, und die Sonne brennt auf den flimmernden Granit der Straße, daß die Pflastersteine rauchen. Aber die Leute rühren sich nicht vom Fleck. Wie Käfer und Asseln aus den Ritzen der Mauern hervorkrabbeln und gleich sitzen bleiben, sobald sie nur in die Sonne kommen, hocken sie ruhig da, an Planke und Mauer gelehnt. Es ist, als ob sie sich nicht entschließen könnten, wie sie so an der Scheidelinie verharren: sollen sie wieder zurück zur Stadt und suchen und suchen, oder sollen sie hinunter, wo die Musik schmettert, die Trommeln wirbeln und die grünen Wiesen sich dehnen bis zu den Ufern der Donau.

An ihnen vorbei flutet die Menge. Die Dienstmädchen schieben ihre Kinderwagen und zu ihnen gesellen sich die Soldaten; die Müßiggänger schlendern, die Dirnen eilen; im langen Zug wandert der kleine Mann mit Weib und Kind und Kegel, tänzelt der Kommis, stampft der Student; zwischendurch schlüpfen die kleinen Buben, welche die Schule schwänzen, um zu den Buden zu laufen, und über den Fahrweg rasseln die Wagen des vornehmen Sonntags, der vom Montag bis zum Samstag währt.

Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters; und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes Glockenklingeln, das Heulen der Werkel, schmetternde Fanfaren, dröhnende Paukenschläge. Und ein sonniger Himmel wölbt sich licht und klar hoch über dem Brausen und Toben und senkt sich weit hinter den grünenden Bäumen in verschwimmendem Blau hernieder, als sei hier das Land aller Freude und Seligkeit, und als sei jede Sorge und jedes Unglück zurückgeblieben, dort, wo über dem grauen Häusermeer Dunst und Nebel in schweren Wolken lagert.


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