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Der Meerestaucher

»Meine Harrschaften, Kassa! Kassa! Soeben ist Anfang und Beginn!« Der Taucher im braunen Gummianzug mit der schimmernden Kupferhaube verschwindet in das Dunkel der Bude. Noch einen Blick wirft der brüllende Ausrufer auf die Leute da draußen, dann geht er, um die Vorstellung zu leiten. Jetzt beginnen auch die zwei Buben an der Pumpe mächtig zu arbeiten, und die Gaffer bleiben noch immer und warten, als müsse etwas ganz Besonderes geschehen durch dieses viele Pumpen.

Drinnen in der Bude stehen ein paar Leute vor einem engen Bottich, der in die Erde eingelassen ist. Sie schauen mit neugierigen und verlegenen Mienen auf das schmutzige Wasser. Sie lächeln nun, da noch jemand hereinkommt, als hätten sie sich geniert, daß der Taucher wirklich ihretwegen in das Wasser gestiegen ist. Der Ausrufer erklärt. Er brüllt gerade so wie draußen. Vielleicht tut er das, damit die anderen, die sich nicht entschließen konnten, auch hören, was hier alles geschieht, »Jetzt wird der Meerestaucher sein schönstes Kunststück zeigen – er wird einen jeden Namen, den was man verlangt, unter'm Wasser auf eine Tafel schreiben«. Er nimmt Tafel und Kreide – »bitte, was für einen Namen soll der Taucher jetzt schreiben ...?« Niemand antwortet, als ob alle die Sache gerne auch so glaubten, und keiner sich entschließen könnte, dem Mann im Wasser solche Mühe zu bereiten. »Wie heißen Sie?« brüllt der Ausrufer einen jungen Menschen an. Der ist ungeheuer verlegen. – »Johann.« – Tafel und Kreide verschwinden im Wasser. »Schrrreibe den Namen Johann!« tobt der Ausrufer ins Sprachrohr. Und der Bursche, von dem auf einmal alle wissen, daß er Johann heißt, schämt sich, als wäre er jetzt an allem schuld.

Foto: Emil Mayer

Die Tafel erscheint, richtig steht jetzt Johann darauf, und der junge Mann lächelt. Der Ausrufer reicht die Tafel triumphierend herum, alle lesen, sagen »Johann« und sehen den jungen Menschen an und lächeln.

»Dieses war der Schluß der Vorstellung. Indem der Aufenthalt im Wasser der Gesundheit des Meerestauchers sehr schädlich ist, bitte ich um ein kleines Douceur«. Während die Leute sich entfernen, erscheint der Taucher und steigt aus dem Kübel. Der Ausrufer nimmt ihm den Helm ab. Ein wildes Gesicht, braun und zerrissen von Blatternarben. Von den hohlen Wangen steht der zerraufte Schnurrbart weit ab. Die Augen sind klein und liegen tief hinter buschigen Brauen. Das eine ist blind, es wurde ihm wahrscheinlich bei irgendeiner wüsten Rauferei in einer verborgenen Spelunke ausgeschlagen. Das andere blickt unruhig und zornig. Ich frage ihn, wie es ihm gehe. – »Danke, sehr gut«. Ob denn das Tauchen schwierig sei. Er sieht mich ernst an. »Gewiß, das is nit a so – das muß aner erst lernen – und dann, da gehört Courage dazu«. Ich schaue zum Kübel hin, in dem man schwerlich ertrinken kann: »Courage?« – »Natürlich, Courage«, ereifert er sich, und herausfordernd sagt er: »Da war'n schon viele da, die was hab'n hineinsteigen wollen. Anziag'n hab'n sa sie lass'n. Den Helm aufsetzen a, aber, wie ihnen das Wasser bis zum G'sicht gangen ist, hat no jeder an Angst kriegt«. Ich frage ihn nach seinem Leben, was er früher war. »Deichgräber«, und er hat sich in halb Europa herumgetrieben. »Die Taucherei hab' i g'lernt, i hab' an Kurs in Hamburg g'macht«. Später sagt er, er hätte in Kiel »studiert«. Er lügt also, und hat offenbar in dieser Bude selbst seinen »Kurs gemacht«. »Ja, sie sagen aber, Sie waren Deichgräber?« – Natürli, dös war i immer!« Weil ich nicht annehme, daß sich einer vornimmt, ein Deichgräber zu werden, frage ich, was er eigentlich von Anfang an hat werden wollen. Da sieht er mich ruhig an und antwortet: »Ein Meerestaucher«. Er spricht das Wort feierlich aus, ohne Dialekt, wie einer das schönste Wort sagt, das die Sprache für ihn hat. »I hab' schon immer g'lesen davon, wie i no in d'Schul gangen bin, und hätt' immer Lust g'habt.« Und er tritt vor, und richtet sich auf und stemmt die Arme in die Hüften. Unten stehen die Leute und blicken zu dem riesenhaften Mann hinauf, der aussieht, als käme er aus tausend Abenteuern und Gefahren.

Er hat von Korallenbänken geträumt, wie er ein kleiner Junge war und von kostbaren Perlen, von hohen Schiffen, die zu fernen Küsten fahren. Es trieb ihn, hinabzusteigen in die Tiefen der Flut, zu all' den Ungeheuern und Wundern, die der Ozean birgt. Er hat sich nach dem Meere gesehnt, und wollte ein Taucher werden. Und nun steigt er alle Tage in das schmutzige Wasser eines engen Kübels in einer kleinen, finsteren Bude, mit schwerer Rüstung, als gälte es Perlen und Korallen, und schreibt »Johann« auf eine Tafel.

Die Burschen an der Pumpe stehen und schauen ihn an. Ihnen ist sein Kübel da drinnen der Ozean, und in das schmutzige Wasser tauchen ihre Träume. Wo man auf dem seichten Boden Holz spaltet, Knoten aus Spagat schlingt, Namen schreibt, sind ihre Wunder der Tiefe – und sie beneiden den Taucher.


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