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Astarte, das Wunder der Luft

Der Ausrufer ist immer furchtbar erregt. Er schreit und tobt, als könne er sich nicht fassen von all' dem, was er da drinnen in der Bude gesehen; als ob er eine wunderbare Entdeckung gemacht hätte und nun die ganze Welt hinter den roten Vorhang schleppen müßte, damit sie erstaunt und bewundert gleich ihm. Das ist der geborene Marktschreier, der Ausrufer von Talent und Beruf. Zu Mittag, wenn der Prater leer ist, wenn alle die Wunder und Raritäten mit schlampigen Kleidern über den Trikots in den kleinen Wirtshäusern essen und der grelle Sonnenschein auf dem lichten Kies der Wege liegt, sitzt er ruhig vor seiner Bude und raucht. Aber sobald die ersten Spaziergänger kommen, gerät er in Erregung, und von da an rastet er nicht. Das sind Menschen, die es noch nicht kennen! Die es noch nicht gesehen haben! Die noch nichts wissen von »Astarte, dem Wunder der Luft!!!« Er bittet und droht, er brüllt, heult, setzt seine Ehre ein, streitet gegen imaginäre Einwände: »Aastarte, das Wunder da Luft! Das ist kein Schwindel! Das ist die schönste Illusion der Gegenwart! Wer etwas Schönes, etwas Erhabenes, etwas Gediegenes sehen will, trete ein!« Er fängt sich einzelne aus der Menge heraus und bearbeitet sie: »Kommen Sie herein – wenn ich es Ihnen rate, können Sie's tun! So was muß man schätzen! Wenn Sie herauskommen und nicht sagen, daß sie hingerissen, begeistert sind, zahl' ich Ihnen zehn Gulden – nennen Sie mich, was Sie wollen, wenn's Ihnen nicht gefällt.«

In einem engen finstern Raume nimmt man vor einer kleinen Bühne Platz. Eine Stimme, die unendlich gleichgiltig klingt, beginnt zu sprechen: »Ich begriasse die vereahten Heaschaften und ereffne die Haupt- und Gallavorstellung ...« Auf einem heiseren Pianino, in welchem die gesprungenen Saiten klirren, wird ein Walzer gespielt. Der Vorhang teilt sich und in einer grell beleuchteten Scheibe erscheint Astarte, das Wunder der Luft. Sie steht auf dem Kopf, dann beginnt sie sich zu winden, zu drehen, wie ein Aal, der im runden Fischglas die Wände entlang schwimmt. Sie weiß auf dem drehbaren Tisch, auf dem sie liegt, und von dem aus ihr Spiegelbild auf jene Scheibe reflektiert wird, keine einzige graziöse Pose einzunehmen. Sie könnte heiter sein, könnte lächeln, könnte die Illusion hervorrufen, als hätte sie alle Gesetze der Schwerkraft besiegt und wiege sich nun im leeren Raum, aber sie gestikuliert mit stumpfen Mienen, mit plumpen Geberden –, nicht einmal so viel Talent, um Astarte, das Wunder der Luft zu sein! Nun steht sie gerade und aufrecht. Das Pianino verstummt und die gleichgiltige Stimme redet wieder: »Um die geeahten Heaschafften zu überzeigen, daß die Dame auch wirglich lebbt, weade ich eeinige Frag'n an sie stellen: Mein Fräulein begrießen Sie die Anwäsenden!« Astarte wirft unbehilflich eine Kußhand und sagt leise: »Ich wünsche dem Publikum gutten Appent.« Die Stimme fährt fort: »Wie geht es Ihnen?« Astarte sieht befangen geradeaus: »Daanke, serr gutt!« – »Wie lange bleiben Sie noch hier?« – »Die gaanze Seisonn.« – Wo gehen Sie dann hin?« – »Nach B – lin.« Die Stimme zum Publikum: »Die Heaschaften haben sich überzeigt, daaß die Daame auch wirglich lebbt.« – »Das ist sehr beruhigend,« antwortet jemand, und während der Vorhang sich schließt, sieht man noch, wie Astarte beleidigt die Lippen verzieht. Es ist auch grausam, dieses arme Geschöpf zu verletzen. – Aus den engen Gassen, von weit draußen, aus irgendeinem schmutzigen Hause am Ende der Stadt mag sie hierher gekommen sein, in den Prater, wo die singenden Menschen, die Musik, die bunten Farben der Kostüme ihre Träume von Pracht erfüllen. Da steht sie nun, und hat Trikots an, ein Leibchen aus rotem Atlas, und ist wie eine große Künstlerin, die man fragt: »Wie lange bleiben Sie noch hier?« Sie weiß nicht einmal, wie es jenseits der Reichsbrücke aussieht, wo das weite Land sich dehnt, und sie darf vor allen Leuten sagen, daß sie »dann« nach »B–lin« geht. Draußen tobt der Ausrufer wieder: »Das ist die schönste Illusion der Gegenwart! – Astarte, das Wunder der Luft!«


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