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XV.

Lippe hatte zur verabredeten Stunde, genau wie Schäfer, nach der Lücke im Zaun gesucht, als er plötzlich das unterdrückte Geräusch des Kampfes hörte, der sich dahinter abspielte. Er konnte nichts sehen, die Dunkelheit gestattete nicht, zwischen den Ritzen der einzelnen Latten durchzublicken, nur zwischen den Kiefern sah er schwarze Gestalten hin- und herhuschen, dann hörte er die Worte des Wärters und überschaute sofort die Situation. Die erste Empfindung war, um den Zaun herum zu laufen, am Hauptportal Einlaß zu begehren und die Auslieferung Hattos und Schäfers zu verlangen, aber er sah bald ein, dies wäre ein nutzloses Bemühen gewesen. Er war im Chauffeuranzug und hatte nicht die geringste Legitimation bei sich. Man hätte ihn mit Recht abgewiesen, und der Feind hätte Kenntnis davon bekommen, daß man außerhalb der Anstalt über seine Maßnahmen im Innern unterrichtet war.

Was tun?

In den nächsten Stunden würde Willemoes noch nichts gegen das Leben der beiden unternehmen, das war klar. Es ging ja auch nicht, mit einem Mal zwei Leichen der Behörde zu entziehen. Lippe durfte also hoffen, für diese Nacht wenigstens frei handeln zu können.

Schneller als er gekommen war, ging er nach seiner Wohnung, entledigte sich seiner Chauffeurlivree und begab sich danach zum Bahnhof.

Lippe wußte Bescheid im Polizeipräsidium, und er war bald an der Tür des Kriminalkommissars vom Dienst, der ihn mit herzlichem Händedruck empfing.

»Na, Lippe, was haben Sie denn? Sie wollen gewiß zu Boderke wegen der ostpreußischen Sache.«

»Nein, nein, ich habe etwas sehr Eiliges, es handelt sich um eine schnelle Durchsuchung und Verhaftung.«

»Ja, wollen Sie da nicht lieber mit dem Polizeirat sprechen?«

»Ist denn mein alter Chef im Hause?«

»Er war wenigstens vor einer halben Stunde noch hier, es ist möglich, daß Sie ihn finden, Sie wissen ja das Zimmer.«

»Dann will ich mich beeilen, damit er mir nicht wegläuft.«

Lippe ging den Gang hinunter und die Treppe hinauf, wo in der ersten Etage mit dem Ausblick auf den Alexanderplatz das Zimmer seines früheren Chefs, des Polizeirats von Steltmann, lag. Er klopfte an und das wohlbekannte »Herein« rief ihn ins Zimmer.

Eine herzliche Begrüßung.

Dann begann der Polizeirat:

»Nun, Freund Lippe, bei Nacht und Nebel kommen Sie zu mir?«

»Ja, Herr Polizeirat, die Wichtigkeit der Sache duldet keinen Aufschub.«

»Dann bitte, schießen Sie los.«

Und Lippe entwickelte nun in gedrängter Kürze den ganzen Fall, wie er von dem ersten Anzeichen bis zu dem Augenblick jetzt verlaufen war. Er schilderte den raffinierten Mord der beiden älteren Brüder Mohrungens, charakterisierte die Helfershelfer, besonders den tückischen, alten Littauer, der einsam im Moor seine Hütte hatte und von dort aus den abgerichteten Schweißhund mit dem hohlen Stock im Maule nach Mohrungen absandte, um die Morphiumpulver zu überbringen. Er schilderte ferner als das Zentrum der Mordtaten das Sanatorium in Wannsee, dessen Besitzer, Doktor Mühlfort, er als Unbeteiligt auszuschalten bat. Dann gab er einen Überblick über die Geschehnisse der letzten Stunden, und bat am Schluß seines Berichtes den Polizeirat, einzuschreiten, um das Leben der beiden im Sanatorium befindlichen Herren zu sichern. Nur den jungen Liebenau, dessen Beteiligung an dem Verbrechen er gewiß zu sein glaubte, nannte er unter Vorbehalt, weil der überzeugende Beweis noch nicht erbracht war, und weil er den armen Jungen gerne geschont hätte, der in vollkommener Liebesraserei abhängig von der schönen Marguerite alles tat, was sie und ihr teuflischer Bruder von ihm verlangten.

»Mein lieber Freund, Sie wissen ja, wie gern ich Ihnen helfe, aber ich sehe vorläufig nicht, was wir tun können. Ich glaube nicht, daß augenblicklich schon das Leben der beiden gefährdet ist.«

»Aber Herr Polizeirat, nur ein plötzlicher Einbruch in das Sanatorium, in das Arbeitszimmer des Doktor Willemoes, schafft uns die Beweise.«

»Der Mann wird in dem Augenblick, wo die Polizei am Portal des Sanatoriums erscheint, den Einlaß so lange verzögern, bis er alles beiseite gebracht hat, was er uns nicht zeigen will.«

»Er wird gar nicht zu Hause sein, wenn die Polizei eintrifft, ich werde ihn weglocken.«

»Gut, ich werde meine Leute in die verschiedenen Restaurants an der Chaussee verteilen, damit es nicht auffällt und wir treffen uns im Hotel Reichsadler. Dort ist Telephon und wenn Sie etwas zu besprechen haben, rufen Sie mich als Herr Steltmann an. Boderke hat, soviel ich weiß, augenblicklich keine großen Fälle, er kann die Bearbeitung der Sache übernehmen und mit mir mitkommen.«

»Dann wäre alles abgemacht, Herr Polizeirat, und ich könnte weiterarbeiten, um den Fuchs aus seinem Bau zu locken.«

»Weidmannsheil, lieber Lippe, im Reichsadler sehen wir uns wieder.«

»Adieu, Herr Polizeirat.«

Er stieg die Treppe hinunter, um im Parterre in den Quergang nach der Telephonzentrale zu gehen. Von dort aus fragte er in seinem Bureau an, ob das Automobil von Wannsee angekommen sei und erhielt die Antwort: Ja, es hielte vor der Tür. Darauf dirigierte er es nach dem Polizeipräsidium Portal Stadtbahn und trat dann gegenüber bei dem Kriminalkommissar vom Dienst wieder ein, um zu plaudern, bis der Wagen angekommen war.

Kaum zehn Minuten später stieg er ins Auto ein und rief dem Chauffeur die Adresse zu: Geheimer Kommerzienrat Geldern, Wilhelmstraße. Er wußte, daß der Geheimrat, der meist erst zwischen halb acht und acht sein Kontor verließ, um diese Zeit bestimmt noch zu Hause sei, andernfalls erfuhr er dort, ob er ins Theater, oder wo sonst hingegangen sei. Wahrscheinlich jedoch fand er ihn zu Hause. Und er hatte recht kalkuliert, denn die ganze untere Fensterreihe des prachtvollen Hauses war erleuchtet. Der alte Diener empfing ihn mit dem Respekt, den er jedem angesehenen Freund des Hauses zollte.

»Jawohl, Herr Hauptmann, Herr Geheimrat ist zu Hause. Es sind allerdings einige Gäste da, aber den Herrn Hauptmann darf ich immer melden.«

Wenige Minuten später saßen die beiden befreundeten Männer einander gegenüber in dem gemütlichen, mit massigen Eichenmöbeln vornehm ausgestatteten Herrenzimmer des großen Finanzmannes.

»Herr Geheimrat, telephonieren Sie sofort nach Wannsee, Nummer 57 ….«

»Das ist ja Doktor Willemoes.«

»Ganz recht, Herr Geheimrat, telephonieren Sie ihm, er solle sofort hierherkommen, Sie hätten gerade einige Gäste hier, die sich an dem großen Projekt beteiligen wollten und Sie bedürften seiner, um die Sache zum Abschluß zu bringen.«

»Mein lieber Freund, ich bin wohl wieder eine Figur in Ihrem Schachspiel?«

»Jawohl, Herr Geheimrat, und zwar mein König, ohne Ihre Mitwirkung kann ich nicht mattsetzen.«

Der Geheimrat griff nach dem Hörer und bestellte die Verbindung nach Wannsee.

»Ja, Sanatorium Grunewaldzauber dort …. Wer ist am Apparat …. der Portier …. bitte, Herrn Doktor Willemoes, sagen Sie ihm, Geheimrat Geldern wolle ihn sprechen …. Ge–heim–rat Geldern, wie Geld …. na endlich.«

Er hielt die Hand auf den Schallbecher und meinte:

»Jetzt sind Sie wohl aufgeregt, wie vor einem großen Drama, und lassen sich schon die Gegenmaßregeln durch den Kopf gehen, die Sie ergreifen wollen, wenn der Fuchs nicht ins Eisen geht.«

»Er wird ins Eisen gehen, Herr Geheimrat, Sie müssen vor allem den Abschluß des Millionengeschäftes recht verlockend hinstellen.«

»Lassen Sie mich nur machen …. pst, still, er kommt.«

»Ah, Herr Doktor, sind Sie selbst da …. hier Geheimrat Geldern, verzeihen Sie, wenn ich störe …. bitte sehr …. es handelt sich um unsere Sache …. ja, die Zehlendorfer Sache. Ich habe gerade einige Herren hier zum Butterbrot …. nein, nein wirklich nur Butterbrot …. Sie Schlemmer …. Die Herren sind, soweit ich die Sache beurteilen kann, für das Projekt zu haben …. Nein, ich kann das nicht allein machen, es fehlt zum Abschluß nur noch etwas medizinische Überredungskunst. Können Sie nicht auf eine halbe Stunde zu mir kommen …. nein, nicht ins Bureau, in meine Wohnung Wilhelmstraße …. Sie sind ganz allein, schade …. Der Chef verreist und der zweite Assistent …. Kegelabend, das ist allerdings wichtiger als ein Millionengeschäft …. Kunststück …. na, ich sage nichts, wenn die Sache schief geht …. aber nein, Herr Doktor, ich schicke Ihnen mein Auto, das bringt Sie her und bringt Sie wieder zurück …. na also, lassen Sie ihn nur ruhig von seinem Kegelabend holen …. im Reichsadler, der ist ja in Wannsee selbst, na, dann ist ja das eine Kleinigkeit …. Gut, gut, der Wagen fährt in fünf Minuten ab …. Guten Abend, auf Wiedersehen.«

»Sehen Sie, was habe ich Ihnen gesagt, Herr Geheimrat, er geht ins Eisen, ich wußte es, nun lassen Sie mich bitte an Herrn von Steltmann telephonieren, daß er einige Beamte vor Ihre Tür senden soll, die den Burschen in Empfang nehmen, ehe er das Haus betritt.«

Als auch das erledigt war, führte der Geheimrat Lippe hinüber in die Gesellschaftsräume, und bald war der Detektiv in ein harmloses Gespräch mit schönen Frauen und eleganten Herren verstrickt. Kein Mensch hätte ihm angemerkt, daß er den letzten Schlag gegen einen großen Verbrecher soeben vorbereitet hatte.

Draußen rollte das elegante Automobil des Geheimrats in einem Dreißig-Kilometer-Tempo auf der dunklen Potsdamer Straße entlang, um das abendliche Zehlendorf, Schlachtensee und Nikolassee zu durcheilen, bis es schließlich vor dem Sanatorium hielt. Der Chauffeur sprang ab, zog die Glocke und bald darauf taten sich die Pforten des unheimlichen Hauses auf, um Doktor Willemoes, in einen bequemen Pelz gehüllt, herauszulassen. Einen Augenblick schien er zu zögern, als er den Fuß auf das Trittbrett des laut taktierenden Fahrzeuges setzte, aber einen Augenblick nur. Dann gab er sich einen energischen Ruck und stieg ein. Der Chauffeur klappte den Schlag zu, sprang auf den Vordersitz, gab Gas, und im nächsten Augenblick sauste das Ungetüm mit seinen vier Leuchtaugen durch die Nacht davon.

Nach ganz kurzer Zeit hielt die Limousine in der Wilhelmstraße, Willemoes wollte schnell herausspringen und in den hell erleuchteten Hausflur eintreten. In diesem Augenblick traten Kriminalkommissar Boderke von der einen Seite und von der andern zwei Schutzleute an den hastig Vorwärtsschreitenden heran. Boderke lüftete höflich den Hut.

»Verzeihung, habe ich die Ehre mit Herrn Doktor Willemoes?«

»Ja, was ist?«

Boderke griff in die Tasche, zeigte seine Marke und antwortete kurz und bestimmt:

»Ich muß Sie leider bitten, mir sofort zu folgen, ich habe Befehl, Sie festzunehmen.«

»Mich festzunehmen? Das muß wohl ein Mißverständnis sein.«

Der Beamte zuckte diskret die Achseln.

»Ich weiß es nicht. Wenn Sie mir ohne Aufsehen folgen wollen, hier vor dem nächsten Hause hält eine Automobildroschke.«

»Ja, natürlich werde ich Ihnen folgen, es wird sich ja sofort alles aufklären, aber vielleicht darf ich meinen Schirm aus dem Wagen holen.«

»Das kann ja der Kriminalbeamte tun. Reppke holen Sie den Schirm aus dem Wagen …. Darf ich bitten.«

Willemoes folgte ohne Widerstreben und nachdem er in die Droschke eingestiegen war, meldete der Kriminalschutzmann, daß im Wagen des Geheimrats, der den Arzt gebracht hatte, ein Schirm nicht zu finden sei. Boderke hatte über diesen Mißerfolg des Beamten sofort seine eigene Meinung, sagte aber weiter nichts als:

»Sie müssen sich wohl irren, Herr Doktor, ein Schirm ist nicht im Automobil stehen geblieben.«

In demselben Augenblick erhielt der Chauffeur einen Wink und fuhr ab.

Lippe hatte, am Fenster stehend, die Szene beobachtet und ging jetzt ans Telephon, um Polizeirat von Steltmann zu benachrichtigen, daß die Verhaftung richtig erfolgt sei. Dann verabschiedete er sich schnell von Geheimrat Geldern, sprang in Mohrungens Automobil und in sausender Fahrt ging es den Weg zurück, den die Limousine des Geheimrats eben gekommen war.

In dem Sanatorium wurden den zahlreich eintretenden Kriminalbeamten, an deren Spitze der Abteilungsdirigent selbst erschien, von dem zweiten Assistenzarzt gar keine Schwierigkeiten gemacht, im Gegenteil, er leistete der Durchsuchung des Hauses in jeder Weise Vorschub, um den Gedanken nicht aufkommen zu lassen, als habe er von den gefährlichen Umtrieben seines älteren Kollegen etwas gewußt. Die erste Frage Lippes galt natürlich Hatto und Schäfer und der Assistent erklärte daraus, daß ihm diese beiden Kranken, die, wie das ja häufig vorkommt, beide einen Tobsuchtsanfall bekommen hatten, von Doktor Willemoes besonders auf die Seele gebunden worden seien. Der Herr Baron befinde sich in seinem Zimmer in tiefem Morphiumschlaf, der Diener habe ein Bad erhalten und ruhe wohl auch unten in den Souterrainräumen.

»Wir werden die beiden sofort mitnehmen.«

»Aber wird sich das auch empfehlen, ohne ihrer Gesundheit einen ernsthaften Nachteil zu bereiten. Sie können sie ruhig hier lassen und mir volles Vertrauen schenken, Herr Doktor Mühlfort ist einige Tage verreist.«

»Nein, nein,« warf jetzt Lippe ein, »wir wollen zuerst nach dem Diener sehen.«

Ein Wärter begleitete Lippe, den Polizeirat und einen Kriminalschutzmann nach dem Souterrain, wo man Schäfer in Zelle sechzehn noch immer gefesselt vorfand und der Polizeirat wandte sich mit einem mißbilligenden Blick an den zweiten Assistenten.

»Warum haben Sie nicht einmal nach dem Kranken hier gesehen, das sieht ja fast aus, als ob eine Freiheitsberaubung vorläge.«

Schäfer richtete sich auf, so gut er konnte.

»Sie haben ganz recht, Herr Polizeirat.«

»Ach, das ist ja Doktor Schäfer.«

»Nun, Herr Doktor,« wandte sich jetzt Steltmann an den Assistenten, »wenn Schäfer einen Tobsuchtsanfall bekommen hat, dann ist sein Kindergemüt durch eine furchtbare Gemeinheit aufgeregt worden.«

Auf einen Wink banden die beiden Kriminalschutzleute den Gefesselten los, der sprang sofort auf die Beine und reichte den beiden Herren lachend die Hand.

»Na, hart am Leben ist es vorbeigegangen, sehen Sie hier am Halse, Herr Polizeirat, die Würgemale haben die Knochenfinger des Doktor Willemoes eingekrallt. Leider wand man mir die Browning aus der Hand, sonst wäre er jetzt schon besorgt und aufgehoben.«

»Das ist er auch so, er sitzt bereits im Präsidium am Alexanderplatz.«

»Daran erkenne ich Lippes schnell zufassende Hand, aber meine Herren, sehen wir sofort nach dem Herrn Baron.«

»Der Baron ist in Sicherheit, um den brauchst Du dich nicht zu sorgen, viel wichtiger erscheint mir die Durchsuchung der Effekten des Doktor Willemoes.«

»Wollen wir die nicht auf morgen verschieben?« warf der Polizeirat ein. »Ich lasse einen Beamten zur Bewachung des Zimmers hier, so daß nichts berührt werden kann und es ist vielleicht bei Tageslicht besser. Herr Baron von Mohrungen ist im Morphiumschlaf durch die kalte Januarnacht vielleicht ohne Schaden nicht transportierbar.«

»Wie Sie meinen, Herr Polizeirat, ich bin mit allem einverstanden.«

»Es kann ja in Wirklichkeit nichts mehr passieren. Marguerites Villa,« fügte er flüsternd hinzu, »ist unter Beobachtung und wenn das Beweismaterial gegen den jungen Grafen Liebenau herangeschafft ist, können wir ihn jederzeit in Brandenburg erreichen …. wie sind Sie eigentlich gegen diesen vorgegangen?«

»Ganz einfach, Herr Polizeirat, ich habe im Namen des Professors Köbner, zukünftigen Schwiegervaters des Barons, eine Annonce erlassen.«

»Und Sie glauben, der junge Mann wird in die Falle gehen?«

»Er wird es sicherlich, noch ahnt er ja nicht, daß ich Verdacht gegen ihn habe.«

»Wie lautet die Annonce?«

Lippe zog sein Notizbuch aus der Tasche und zog den Polizeirat beiseite:

»Hier sehen Sie. Die Überschrift lautet: Unheilbar geisteskrank! fett, sehr auffällig, dann kommt der Text: Freiherr R. v. B., der dem Unterzeichneten in schwierigen Familienverhältnissen vortrefflichen Rat gab, wird um eine Besprechung gebeten, da alles auf dem Spiele steht. Unterzeichnet: Professor K.«

»Aber Freund Lippe, der falsche Freiherr hat doch keinen Grund, sich noch einmal herauszuwagen, nachdem er seinen Giftpfeil abgeschossen hat.«

»Die Psychologie des Verbrechers geht gewundene Pfade. Man weiß nicht, wie so ein komplizierter Mensch denkt. Wahrscheinlich wird er glauben, daß dem Professor oder seiner Tochter Zweifel gekommen seien, ob nicht vielleicht doch wieder eine Verbindung angeknüpft werden könnte. Manchmal gelingt es auf diese, manchmal auf andere Weise, einen Verbrecher aus seinem Versteck herauszulocken. Jedenfalls bleibt immer noch als letzte Maßregel, ihm die Tat auf den Kopf zuzusagen und ihn so in die Enge zu treiben, daß er gesteht. Aber ich glaube, er wird auf den Köder beißen.«

»Sie sind immer noch der alte Optimist, Lippe. Ihre Theorien zerschellen an der Praxis. Denken Sie nicht, daß er sich mit seiner eminent klugen Braut besprechen wird.«

»Ja, das wird er wohl.«

»Und so eine alte ausgekochte Hochstaplerin halten Sie für dumm genug, sich durch ein Inserat fangen zu lassen, zumal sie weiß, daß der Baron bereits in den Händen ihres mörderischen Bruders ist.«

»Verzeihen Sie, Herr Polizeirat, daß der Schüler seinem Lehrer widerspricht: gerade weil Baron von Mohrungen schon im Sanatorium ist, wird man noch einmal einen Vorstoß wagen. Marguerite weiß wohl, daß eine verliebte Frau zu allem fähig ist, und darum fürchtet sie vielleicht Verwicklungen. Die Schlußwendung des Inserats: ›Da alles auf dem Spiele steht,‹ ist sehr vielsagend und wenn Professor Köbner in das Sanatorium eindringt, eine Besprechung mit dem Baron hat, wenn gar die junge Dame selbst auf der Bildfläche erscheint, denken Sie, welch unermeßliche Perspektiven.«

»Ja, ja, das ist alles gut und richtig, aber das Inserat ist so ein alter Trick, ein so verbrauchter Trick.«

»Alter Speck wird frisch geröstet, und damit fängt man die Mäuse am besten.«

»Ich kann nur Glückauf sagen, lieber Freund, wenn aber die Sache nicht morgen gelingt, gelingt sie überhaupt nicht mehr, dessen sind Sie doch sicher?«

»Ja, Herr Polizeirat, das stimmt. Aber uns ist ja das vorzeitige Losschlagen aufgedrängt worden. Vielleicht« und nun trat er zu den übrigen Herren zurück, »durch Deine Unvorsichtigkeit, Schäfer.«

»Den Hauptschuldigen haben wir ja doch,« warf Schäfer ein, indem er sich immer noch die Handgelenke rieb, wo die Fesseln tiefe Striemen eingeschnitten hatten.

»Nun, meine Herren, ich habe jetzt hier nichts mehr zu tun, ich lasse Ihnen einen Wachtmeister und zwei Beamte hier, damit Sie in aller Ruhe die Durchsuchung der Effekten des Doktor Willemoes vornehmen können, morgen sende ich Boderke, dann werden wir weitersehen. Gute Nacht, meine Herren.«

»Gute Nacht, Herr Polizeirat.«

Als Lippe und Doktor Schäfer nach Hattos Zimmer hinaufkamen, fanden sie ihn noch in tiefem Schlaf. Da Gefahr zurzeit nicht bestand, setzte sich Schäfer an sein Bett und Lippe machte sich mit dem Wachtmeister daran, langsam die mühsame Kleinarbeit der Durchsuchung eines Zimmers vorzunehmen. Bei fast tagesheller Beleuchtung arbeiteten die beiden fieberhaft bis hoch in den Morgen hinein. Alle Kästen, alle Schubfächer waren geöffnet, jedes Blättchen Papier umgedreht und gelesen, bald hier wurde ein Brief beschlagnahmt, bald dort eine Zeichnung, Kästchen, in denen Pulver aufbewahrt waren, Löschblätter und Schreibunterlagen, Bilder und Photographien, alles verschwand in der großen, schwarzen Mappe Lippes, nachdem der Wachtmeister die einzelnen Gegenstände numeriert und protokolliert hatte.

In aller Frühe war Boderke eingetroffen und hatte sich an den letzten Arbeiten noch eifrig beteiligt. Dann sagte er:

»Nun sind wir wohl fertig?«

»Ja,« antwortete Lippe und sah sich mit übermüdeten Augen im Zimmer um. Da haftete plötzlich sein Blick auf dem schmalen dunklen Zwischenraum, den der Bücherschrank mit der Wanddecke bildete. Er ging darauf zu und zog einen eigentümlichen Spazierstock, offenbar japanischer Arbeit, hervor. Mit einem Male wich die Schlaffheit, seine Augen funkelten und blitzten und ganz gegen seine Gewohnheit stieß er ein lautes Hurra aus.

»Was hast Du denn, Lippe, das Sanatorium steckt wohl an?«

»Dieser Stock hier, mein Freund, ist ein wichtiges Dokument, er ist nämlich hohl.«

»Natürlich, wie jeder japanische Rohrstock.«

»Schlaumeier, aber der Hohlraum läßt sich öffnen, paß auf. Hier an dem einen Schlußende ist die Schraube, sehr kunstvoll gemacht, wie es nur die technisch hochbegabten und fleißigen Japaner machen können.«

Wirklich ließ sich das obere Fünftel des Stockes abschrauben und es zeigte sich offen eine Röhre, und in der Röhre staken, sorgfältig in Pappe eingehüllt, zwei Pulver, die sich bei der oberflächlichen Untersuchung als Morphium erwiesen.

»Boderke, wir müssen noch alles weiße unbeschriebene Papier, das wir hier finden, beschlagnahmen. Es scheint, daß Willemoes sich die Umschläge zu den Pulvern selbst zugeschnitten hat, um keinen Dritten mit in das Geheimnis einzuweihen. Wir lassen dann das Papier aus Mohrungen und das hier untersuchen und wenn die Identität festgestellt, ist der Beweis gegen ihn geschlossen.«

Der zweite Assistent hatte, sobald am Morgen das Telephon wieder in Funktion treten konnte, an Doktor Mühlfort telegraphiert, er möge sofort zurückkommen, da die Polizei im Haus, und Willemoes unter Mordverdacht verhaftet sei.

Gegen zwölf Uhr kam der Direktor in großer Bestürzung an und erklärte unter lautem Wehklagen, daß er keine Ahnung von den Machenschaften seines ersten Assistenten gehabt habe. Er wollte unter keinen Umständen erlauben, daß Mohrungen sein Haus verließe, er erbot sich, ihn mit der Sorgfalt eines Bruders zu pflegen, aber Lippe war anderer Ansicht.

»Das müssen Sie uns schon überlassen, Herr Doktor. Wir glauben Ihnen natürlich Ihren guten Willen und Ihre absolute Schuldlosigkeit, aber der Herr Baron darf nicht in dem hiesigen Milieu erwachen. Ich fahre jetzt nach Berlin und werde ein Krankenautomobil schicken, das ihn nach seiner Stadtwohnung bringt. Dort ist er in einer bekannten Umwelt, er sieht sofort die Gesichter seiner vertrauten Dienerschaft und erkennt mit dem ersten Augenaufschlag, daß jede Gefahr vorüber ist.«

»Aber es ist auch hier jede Gefahr vorüber, Herr Kommissar.«

»Dafür haben wir gesorgt. Ich kann Ihnen, Herr Doktor, den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie Ihrem ersten Assistenten doch etwas viel Freiheit gestattet haben.«

»Aber er machte einen so vorzüglichen Eindruck,« jammerte Doktor Mühlfort, »und war wirklich ein bedeutender Arzt.«

»Sie können das alles vor dem Schwurgericht aussagen, man wird Ihnen ja dazu Gelegenheit geben.«

Lippe zog sich ruhig seinen Pelz an, rief dem Chauffeur zu, er möge den Wagen vorfahren lassen, besprach sich dann noch eine kurze Zeit leise mit Schäfer und verließ das Sanatorium, um in wenigen Minuten über die hartgefrorene Chaussee nach Berlin zurückzukehren. Zuerst begab er sich in seine Wohnung, um eine kalte Douche zu nehmen, und oberflächlich wenigstens die Geister der Nacht zu vertreiben. Dann eilte er nach einem hastig eingenommenen Frühstück in sein Bureau. Dort erwartete ihn die größte Überraschung. Professor Köbner und Tochter hieß es, seien gestern Abend noch spät hier gewesen und würden um zwölf Uhr wiederkommen.

»Also ein Erfolg,« sagte sich Lippe in Gedanken, dann nahm er das Aktenstück des Falles Mohrungen und begann zu arbeiten. Es galt ja jetzt sorgfältig alle die einzelnen Indizien zusammenzutragen, um der Behörde das Material für die Erhebung der Anklage gegen Willemoes an die Hand zu geben. Er ließ noch einmal, da die verschlungenen Wege des geheimnisvollen Verbrechens bloßgelegt waren, alle Phasen der monatelangen Ermittlungen vor seinem Geist vorüberziehen und manchmal, besonders als er zu dem Tode des unglücklichen Kleißt kam, sagte er sich, wie unzulänglich doch der Kriminalist gegenüber dem vorsichtigen Verbrecher sei. Und wieder wurde es ihm überzeugend klar, daß der Zufall bei jeder Ermittlung eine höchst bedeutsame Rolle spiele.

Willemoes hatte allzufrüh seine Karten aufgedeckt. Noch jetzt überlief es den Detektiv eiskalt, wenn er daran dachte, wie nahe seinem Klienten, der ihm im Laufe der Zeit zu einem guten Freunde geworden war, der Tod gewesen. Hätte sich der Mörder nicht allzu sicher gefühlt, so wäre weder der Baron noch Schäfer lebend aus dem Sanatorium herausgekommen.

Zunächst galt es nun, das Werkzeug des verbrecherischen Geschwisterpaares zu überführen, den jungen Liebenau, der in blinder Liebeshörigkeit für die dämonisch schöne Frau die Morphiumsendungen an den geheimnisvollen, littauischen Torswärter vermittelt hatte. Die Beziehungen zwischen Willemoes und diesem würden schon durch die beiden gleichartigen Stöcke und vielleicht auch durch die aufgefundenen Papiere, in denen die Pulver verpackt waren, nachgewiesen werden können.

In diesem Augenblick klingelte das Telephon. Schäfer war am Apparat und berichtete, Hatto sei erwacht und zeige Gott sei Dank keine besorgniserregenden Erscheinungen. Er versuche durch ganz leichtes Eingreifen die üblen Erscheinungen der Morphiuminjektion zu beseitigen. »Der Baron,« fügte Schäfer hinzu, »leidet weniger an den Folgen des Morphiums, als an der Ungewißheit, was geschehen ist, er wünscht Dich dringend zu sprechen.«

»Sage dem Baron, bitte, ich komme kurz nach zwölf und bringe eine große und erfreuliche Überraschung mit, aber ich mache zur Bedingung, daß er den Morphiumrausch, oder vielmehr den Morphiumkater mit aller Energie bekämpft.«

»Der Herr Baron ist aber sehr ungeduldig, Lippe. Kannst Du nicht früher kommen, mach' doch heute einmal zu seinen Gunsten eine Ausnahme, wie ich Dich kenne, sitzest Du jetzt an Deinem Bericht über die Ereignisse der letzten Nacht immer frisch nach der Tat.«

»Du hast's geraten, lieber Doktor, ich komme also auf eine Viertelstunde hin, aber nicht länger, da ich um zwölf Uhr wichtigen Besuch erwarte.«

Lippe fand Hatto vollkommen gefaßt. Die erste Frage war nach Cornelia.

»Sie muß doch nach meiner Berechnung in diesen Tagen von Rom zurückgekommen sein.«

»Ganz richtig, sie hat sich um zwölf Uhr mit ihrem Vater in meinem Bureau angesagt, wahrscheinlich handelt es sich um die Entlarvung Ihres Neffen Liebenau.«

»Ja, da möchte ich doch noch eine sehr herzliche Bitte aussprechen, lieber Lippe. Geht es nicht, daß Liebenau geschont wird?«

»Ich fürchte, nein, er ist zu tief verstrickt in das Verbrechen, als daß ich ihn retten könnte. Und wenn ich ihn rette, sind Sie ja nie Ihres Lebens sicher, solange der erbberechtigte Majoratsprätendent lebt.«

»Sie glauben an Todesstrafe?«

»Nein, aber ein Graf Liebenau, der zehn Jahre Zuchthaus gehabt hat, ist so gut wie tot und nach der Stiftungsurkunde des Mohrungschen Majorats wahrscheinlich auch nicht mehr erbberechtigt.«

»Ich kann nicht über den Gedanken hinauskommen, daß ich meinem Schwager, dem Sie übrigens Ihren Verdacht auf unserer Hochzeit bei einer Flasche Rotspon abbitten müssen, lieber Freund, den einzigen Sohn nehmen soll. Der arme Junge ist sicher nicht so schlecht, er ist nur verführt und ganz in den Netzen dieser wirklich hinreißend schönen Frau verstrickt. Lassen Sie es mit einem Opfer genug sein, Lippe, krönen Sie den Erfolg Ihres Werkes durch eine gute Tat, retten Sie den armen Kerl. Schieben wir ihn ab nach Amerika. Dort kann er Marguerite heiraten und sich irgendwo im wilden Westen eine Farm gründen. Haben Sie der Polizei schon seinen Namen genannt?«

»Nur dem Abteilungsdirigenten und streng vertraulich, aber der Nachweis seiner Mitwirkung ist zurzeit noch nicht erbracht, den erwarte ich erst um zwölf Uhr.«

»Also dann erhören Sie meine Bitte, erbringen Sie den Beweis nicht, lassen wir den Jungen nach Amerika abschrammen, und ich werde ihm bei einer Neuyorker Bank eine Summe Geldes anweisen, damit er sich ein neues Leben aufbauen kann. Er ist der Sohn meiner einzigen Schwester, ich will nicht sein Henker sein.«

»Das Macht Ihrem Herzen alle Ehre, lieber Mohrungen, wenn wir aber nicht schnell handeln, wird es zu spät.«

»Dann also handeln Sie schnell, sie sind ja der Mann des augenblicklichen Entschlusses.«

»Gut, aber ich muß erst hören, was Professor Köbner und Fräulein Cornelia mir zu berichten haben.«

»Ah!« – Es ging wie ein heller Sonnenschein über Mohrungens Gesicht. – »Ich will doch der erste sein, der sie sieht.«

Hatto wurde mit einem Male lebhaft, und alle Spuren des nächtlichen Morphiumattentates fielen von ihm ab.

»Ich werde sofort zu Köbners hinfahren und sie begrüßen. Das müssen Sie mir schon erlauben, lieber Doktor, wenn Sie auch sonst ein strenger Arzt sind.«

»Aber warum denn,« warf Lippe ein, »Sie kommen jetzt einfach mit in mein Bureau und werden dort als erster die Herrschaften begrüßen können.«

»Nein, nein, ich will nicht warten bis zwölf Uhr, das Auto steht ja vor der Tür, ich fahre sofort.«

»Man sieht doch, was ein Körper vertragen kann, der einmal an Morphium gewöhnt war.«

»Ja, Schäfer, die Liebe macht alle Deine ärztlichen Verordnungen zu Schanden. Fahre wenigstens mit, oder besser, wir fahren alle, wir beide begleiten Sie.«

*

Es war ein rührendes, ergreifendes Wiedersehen in dem kleinen Salon des Professors Köbner. Was hatten sich die beiden nicht alles zu erzählen, mit welcher Innigkeit versicherten sie einander, daß sie trotz aller Fährlichkeiten, trotz aller Intrigen doch einander geglaubt hätten. Nun aber, so schworen sie sich, sollte nichts mehr ihre im Unglück erprobte Liebe scheiden.

Im Studierzimmer des Professors warteten Lippe und Schäfer auf dessen Rückkunft. Sie hatten beide schon besprochen, auf welche Weise Liebenau zu retten wäre und legten nun, nachdem auch Mohrungen den Brief als zweifellos von der Hand seines Neffen herrührend anerkannt hatte, den Plan vor.

Liebenau müßte ein umfassendes Geständnis ablegen, das von Schäfer, Lippe und ihm unterschrieben würde. Dann müßte er seinen Abschied einreichen und bis zur Erledigung dieses Gesuches um Urlaub einkommen. Mit dem nächsten Dampfer könne er nach Neuyork fahren. Die Niederschrift des Geständnisses bliebe in Lippes Akten und würde der Polizei nicht mitgeteilt. – So hätte sie keine Veranlassung, Liebenaus Flucht zu verhindern.

»Einverstanden,« erklärte Mohrungen, »händigen Sie ihm das nötige Geld zur Reise nach Neuyork aus, und sagen Sie ihm, daß dort für sein weiteres Fortkommen gesorgt werde.«

Eine halbe Stunde später raste das Automobil Mohrungens mit Lippe und Schäfer auf der Nauener Chaussee dem alten Havelstädtchen Brandenburg zu.

Liebenau war gerade zu Tisch im Kasino, als die beiden ankamen. Sie setzten sich daher in seinen Salon, bedeuteten aber dem Chauffeur, um die Ecke zu fahren, damit der Ankommende das Automobil nicht vor dem Hause stehen sah. Sein Bursche hatte erklärt, der Herr Graf komme stets nach Tisch nach Hause, um zu schlafen. –

Liebenau wurde schneeweiß, als er Lippe erblickte, aber er zwang sich zu einem heiteren Lächeln und fragte stockend:

»Nun, alter Junge, was verschafft mir die Ehre?«

»Gestatte erst, daß ich Dir meinen Freund Doktor Schäfer vorstelle.«

Gegenseitige Verbeugung.

»Dann muß ich Dir sagen, daß ich etwas sehr Ernstes mit Dir zu besprechen habe.«

»Bitte sehr, darf ich Dir etwas anbieten, eine Tasse Kaffee, nicht wahr, ich will nur meinem Burschen Bescheid sagen.«

Liebenau stand auf und wollte das Zimmer verlassen.

»Nein, nein, lieber Freund, bleibe nur hier, mit dem Kaffee eilt es nicht so.«

»Hier sind Zigaretten.«

»Danke …. Also mein lieber Liebenau. Du hast Dich da in eine böse Geschichte hineingeritten. Willemoes ist verhaftet, die Villa der Baronin Marguerite de Ribérac steht unter Beobachtung. Der ganze Plan ist entdeckt, es bleibt Dir nur übrig, durch ein offenes Geständnis Dein Gewissen zu entlasten.«

Liebenau biß sich auf die Lippen, seine Augen wurden dunkel und weiteten sich in jähem Entsetzen. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.

»Ich weiß nicht, soll das ein Scherz sein?« stotterte er.

»Nein, es ist leider bittrer Ernst. Wenn ich Dir nun noch sage, daß bisher im Taschenbuch der gräflichen Häuser bei Eurer Familie der Titel eines Freiherrn Rock von Bahlingen nicht verzeichnet war, so wirst Du verstehen, daß es hier nichts mehr zu leugnen gibt. Außerdem habe ich Deinen Brief an Professor Köbner und Du naiver, dummer Junge hast nicht einmal Deine Handschrift verstellt.«

»Also gut. Ich sehe, das Spiel ist aus. Was verlangst Du von mir?«

»Ein Geständnis, das wir beide hier schriftlich aufzeichnen, und das Du mit uns unterschreibst.«

»Gut, ich bin bereit. Ich darf vielleicht einen Augenblick ins Nebenzimmer eintreten, um Papier zu holen.«

»Ich werde Dich begleiten.«

»Bitte sehr, Lippe, das ist nicht nötig.«

Das weiche, mädchenhafte Gesicht des jungen Grafen zeigte eine wilde Entschlossenheit.

»Liebenau, spiel' mit mir keine Komödie. Du sollst Dich nicht erschießen. Du sollst Dein Schicksal tragen, wie ein Mann. Niemand hat Dich bis jetzt der Behörde angezeigt, und es wird Dich auch niemand anzeigen. Hatto will nicht, daß sein einziger Neffe wegen Beihilfe zum Morde seiner beiden Onkels vor die Geschworenen kommt. Und ich will es auch nicht, denn Du bist mir allezeit ein guter Kamerad gewesen, ich habe Dich gern gehabt, Liebenau, und es war mir ein großer Schmerz, als ich in der Schritt für Schritt fortschreitenden Ermittlung erkennen mußte, wie weit Du mit dem verbrecherischen Geschwisterpaar gemeinsame Sache gemacht hast. Setz' Dich hier an den Tisch, schreibe Dein Abschiedsgesuch, schreibe ein zweites Gesuch um sofortigen Urlaub, schicke beides mit dem Burschen Deinem Regimentskommandeur in die Wohnung. Wir fahren dann zu dreien nach Hamburg und mit dem nächsten Dampfer schiffst Du Dich nach Neuyork ein. Dort wirst Du auf der Filiale der Deutschen Bank eine Summe Geldes vorfinden, die es Dir ermöglicht, ein neues Leben zu beginnen.«

»Und Marguerite ….« Es rang sich wie ein Schrei tiefer Qual von den Lippen des jungen Husarenoffiziers.

»Armer Kerl!«

»Ohne Marguerite nicht, dann lieber den Tod.«

»Vor allen Dingen bringe Dich in Sicherheit und rette die Ehre Deiner Familie.«

»Dann bitte diktiere mir das Abschiedsgesuch, mein Kopf ist so wirr, daß ich keinen richtigen Gedanken fassen kann.«

»Armer Junge, das ist also das Ende.«

Als der Bursche mit dem Briefe das Haus verlassen hatte, war Heinz Liebenau am Ende seiner Kraft, so daß Doktor Schäfer zum Büfett ging und unter den verschiedenen Flaschen herumsuchte, bis er Portwein fand. Er goß ihm ein Glas voll und sagte freundlich wie der Arzt zum Kranken:

»Nun, lieber Herr Graf, reißen Sie sich zusammen, trinken Sie mal einen Schluck und seien Sie überzeugt, daß wir es gut mit Ihnen meinen. Wir wollen nicht, daß Sie ganz versinken.«

Liebenau ließ einen scheuen Blick von einem zum andern fliegen, trank gehorsam das ganze Glas aus, dann aber überfiel ihn ein Weinkrampf, der minutenlang andauerte. Schließlich ermannte er sich.

»Warum hast Du mich nicht den Weg gehen lassen, den ein Offizier gehen muß, wenn er seine Ehre verloren hat?«

»Weil ich und wir alle menschlicher denken als Du ahnen kannst. Dein Onkel will nicht Dein Henker sein. Unsere Bedingung ist ein volles Geständnis …. Glaube mir, mein Junge, es gibt kaum eine Situation im Leben, die ich nicht verstehen kann und die Deine ist nicht so kompliziert. Es ist ein ganz alltäglicher Fall, etwas potenziert vielleicht durch Deine Veranlagung, die einen Stich ins Pathologische hat. Die Irrenärzte haben dafür sogar einen bestimmten Ausdruck gefunden, Liebeshörigkeit nennen sie diese krankhaft gesteigerte Unterwürfigkeit des Mannes unter das Weib. Schäfer kann es Dir bestätigen.«

Schäfer nickte.

Die müden Augen des Husarenoffiziers weiteten sich. Ein seltsamer Schauer schüttelte ihn wie ein Fieberfrost.

»Krankhaft,« flüsterte er, »krankhaft veranlagt ….« und eine Zeitlang blickte er starr ins Leere. »... Ja, ja, Lippe, Du hast recht. Von Anfang an ist es so gewesen, als ob ich krank sei und nur in ihrer Gegenwart fühlte ich mich gesund und frisch. Vom ersten Augenblick, da ich sie auf einem Wohltätigkeitsfeste im Reichstag kennen lernte, war ich wie verhext. Seitdem gibt es in meinem Leben keine Stunde, wo ich nicht an sie gedacht habe.«

»Du hast ihr gleich von Anfang an den Hof gemacht?«

»Nein, so kann man es nicht nennen. Ich habe ihr gehuldigt, ich habe sie angebetet, ich habe mich ihr blindlings unterworfen ….«

»Du stenographierst doch mit, Schäfer? Ich, bitte Dich, auf alle diese Einzelheiten genau zu achten. Sie dienen wesentlich zur Erklärung des eigenartigen Falles …. Hat Dich Marguerite von Anfang an gleich ermutigt?«

»Im Gegenteil, sie wies mich ab. Erst ganz allmählich gelang es mir, ihre Liebe zu gewinnen …. Darin lag nicht, wie man glauben könnte, Berechnung, nein, Marguerite ist ja so umschwärmt, sie hätte jeden Tag eine gute Partie machen können, nein, sie fing an, mich wirklich lieb zu gewinnen. Trotzdem bewahrte sie eine Zurückhaltung, die mich in Stunden der Leidenschaft rasend machte. In solcher Zeit habe ich alles aufs Spiel gesetzt, nichts hielt mich zurück. Mehr als einmal habe ich meine ganze Karriere gewagt, nur um sie zehn Minuten lang allein sprechen zu können. Schließlich war mein Zustand derart hoffnungslos und unerträglich geworden, daß nur ihr dauernder Besitz mich retten konnte, und darum bat ich sie, meine Frau zu werden …. In den ersten zwei Jahren unserer Bekanntschaft hat sie mich mehr wie einen Pagen behandelt, dem man gut ist und der alle möglichen Dinge besorgen muß. Als Belohnung reicht man ihm dann die Hand zum Kuß, oder tanzt einen Abend lang mit ihm, mehr aber nicht. Als ich mich ihr erklärte, als ich sie gebeten hatte, mein zu sein für immer, änderte sie mit einem Schlage ihr Wesen. Sie wurde herzlich und ich kann sagen, nun begann eine Zeit für mich, die mich hochbeglückte, zugleich aber auch eine Zeit der entsetzlichsten Qualen. Marguerite gestand mir, daß aus einer Ehe zwischen uns nichts werden könne, denn sie sei arm, sie lebe nur von der Hand in den Mund, ihr ganzes Dasein sei ein Scheindasein und es werde nicht lange dauern, so müsse sie untertauchen und aus der Gesellschaft verschwinden. Zur Hochstaplerin wollte sie nicht werden. Die Güter ihres Gatten in Frankreich, die sie geerbt hatte, waren schon bei seinem Tode hoch belastet gewesen. Mit dem wenigen, was bei dem Verkauf herausgekommen war, hatte sie einige Jahre auf großem Fuße leben können, nun ging es zu Ende. Nun mußte sie entweder, so gestand sie mir, sich mit einem reichen alten Herrn verheiraten, der sie lebhaft umwarb, oder alles aufgeben, was ihr bisher lieb gewesen war.«

»Hat sie darüber gesprochen, auf welche Weise sie sich ihr Leben gestalten wollte?«

»Ja, sie wollte mit dem Bruder zusammenziehen.«

»Ganz recht, der Bruder. Vielleicht erzählst Du uns einmal, wann der Bruder in die Erscheinung trat.«

»Ich lernte den Bruder sehr bald kennen, nachdem ich in Margueritas Haus verkehrte. Er machte auf mich einen vorzüglichen Eindruck. Sein gemessener Ernst, seine große Bestimmtheit und seine freundschaftliche Kameradschaft von dem Augenblick an, da er mich als zukünftigen Schwager betrachtete, war mir äußerst sympathisch. Wir berieten hin und her, wie wir unser Glück aufbauen könnten.«

»Sprach der Bruder damals schon von dem großen Sanatorium, das er gründen wollte?«

»Er sprach eigentlich von nichts anderem und vertröstete uns immer auf die Zeit, da er seinen großen Plan ausgeführt hätte.«

»Er war es wohl auch, der die Idee hatte, Deinen Onkel Erich Heinrich in das Sanatorium zu locken?«

»Bitte, bitte, erlaß mir diesen Teil des Geständnisses, es bringt mich zur Verzweiflung, ich kann daran nicht denken, noch viel weniger darüber sprechen.«

»Das hilft nichts, mein Junge, ich muß grausam sein, gerade das ist die Hauptsache.«

»Ich kann es nicht, es ist zu furchtbar, ich war ihr Sklave, ach, was sage ich, ich bin es noch. Wenn sie mich ansieht, wenn sie mich gar küßt und in ihre Arme nimmt, würde ich alles tun, alles tun, was sie von mir verlangt.«

»Aber siehst Du denn nicht ein, daß sie eine Teufelin ist, daß sie Dich lediglich für ihre Zwecke mißbraucht hat?«

Heinz Liebenau schüttelte heftig mit dem Kopf.

»Nein, nein, das ist nicht wahr, das ist sicher nicht wahr. Marguerite liebt mich, nur mich allein. Wenn es ihr nur um Reichtum und Wohlleben zu tun gewesen wäre, oder um Rang und Stellung …. das hätte sie bequem haben können, aber sie wollte sich nicht wegwerfen ohne Liebe, sie wollte glücklich sein, und das konnte sie nur mit mir, glaube es mir, Lippe.«

»Also sie hat Dich angestiftet, den Brüdern Deiner Mutter auf ganz raffinierte Art Morphium beizubringen?« »So war es nicht, nicht ganz so. Ich habe gar nicht gewußt, daß es sich um eine Vergiftung handelte gewiß nicht. Selbst meine grenzenlose Liebe hatte mich nicht dazu bringen können, meinen Onkel langsam zu ermorden …. Willemoes hatte einen Plan, ich will zugeben, daß er teuflisch war, aber er ging doch nicht auf den Tod. Er sagte mir, ›sorgen Sie dafür, daß Ihrem Onkel in bestimmten Zwischenräumen je ein Pulver in die Speisen gerührt wird …. Es schadet ihm gar nichts, nur wird er ohne Leibeserben sterben, dann muß ja das Majorat an Ihre Mutter fallen, dann sind Sie ein reicher Mann und Marguerites Glück ist begründet.‹«

Lippe sah Doktor Schäfer erstaunt an.

»Also, um es deutlich auszudrücken, ein Pulver, das im fortgesetzten Gebrauch die Manneskraft Deines Onkels vernichten sollte.«

»Ja.«

»Und als er nun die entsetzlichen Nervenanfälle bekam, hast Du Dir da nicht Gedanken gemacht?«

»Ich habe überhaupt nichts gedacht. Wenn man eine Frau liebt, die so wie Marguerite alle Gedanken beherrscht, überlegt man nicht weiter als von einem Kuß zum andern. Und im übrigen hat der Doktor mich immer beruhigt.«

»Unverantwortlich! Ein Mensch mit gesunden Sinnen kann sich in Deine Situation gar nicht hineindenken. Dazu muß man schon in einem Zustande von Unzurechnungsfähigkeit sein, liebestoll, völlig besinnungslos.«

»Ich weiß es nicht, ich will ja auch die Strafe für mein Verbrechen auf mich nehmen. Ich versuche gar nicht, mich zu entschuldigen, nur erklären will ich, wie ich zu dem allen gekommen …. als nun Onkel Hans auch gestorben war, kam mir doch wohl der Gedanke, daß etwas nicht stimmte ….«

»Wirklich, endlich?«

»Ja, aber der Doktor beruhigte mich wieder. Es war doch klar erwiesen, daß Onkel Hans Selbstmord begangen hatte, und so sagte ich mir, es ist ein unglücklicher Zufall. Aber nun, als ich auch Onkel Hatto die Pulver zuschicken sollte, weigerte ich mich. Aber was nützte es, was nützte es gegen eine Leidenschaft wie die meine anzukämpfen, wenn ich mir überlegte, daß Marguerite mich vor die Tür stieß, daß ich sie nicht mehr sehen sollte, nicht mehr ihre weichen Hände fühlen, nicht mehr in ihre Augen schauen, es wäre mit ja nichts übrig geblieben als die Kugel.«

»Und das wäre auch das beste für Dich gewesen,« warf Lippe hart ein, »wer so die Direktion über sich und seine Ehre verliert wie Du, der hat nichts Besseres verdient.«

»Ich weiß es, laß mich nur fünf Minuten allein, und ich will den Weg gehen, den jeder Kavalier in meinem Falle gehen muß.«

»Ich habe Dir ja gesagt, daß Dein hochherziger Onkel, der allein hier entscheiden muß, Dich begnadigt hat. Was sage ich, begnadigt, mit Gnaden überhäuft, und weil wir der Überzeugung sind, daß Du von Deinem Wahn nur geheilt werden kannst, wenn Marguerite die Deine wird, so sollst Du mit ihr nach Amerika abdampfen. Du wirst sie vor die erste Probe stellen können, ob sie Dich liebt oder nicht. Sage mir nur noch eins: Wie ist es Dir möglich geworden, zwei Jahre hindurch die Pulver nach Mohrungen zu senden, ohne daß irgend jemand etwas davon merkte?«

»Ich habe einen einzigen Vertrauten auf meines Vaters Gut, das ist der alte Jakubeit, der Moorwärter. Seine Frau war meine Amme, und sein Junge, der in meinem Alter sein müßte, ist ihm gestorben, jung, noch als Säugling. Dafür hat er mich dann auf den Knien geschaukelt, mich Littauisch gelehrt und seine ganze Vaterliebe auf mich übertragen. Kein Mensch will mit ihm verkehren, er ist wild und einsam, mir aber ist er treu. Wenn ich ihm sagen würde: Vater Jakubeit, ich muß Dir den Hals abschneiden, um meine Schulden zu bezahlen, so würde er gar nichts Besonderes darin finden. So habe ich ihm gesagt, es ist nötig, daß die Pulver nach Mohrungen geschickt werden, und daß es heimlich geschieht …. alles übrige hat er dann besorgt.«

»Wußte der alte Sünder, worum es sich handelte? Und wer gab den hohlen japanischen Stock?«

»Alles wußte er. Der japanische Stock war vom Doktor, er besaß ihn aus der Zeit, da er als Schiffsarzt gefahren war.«

»Und fiel es nicht auf, daß Du häufig an den Alten schriebst?«

»O nein. Meiner Mutter sagte ich, es seien Pulver fürs Reißen, woran Jakubeit litt. Dann schrieb ich ihm littauisch, meist instruierte ich ihn mündlich, denn wie Du weißt, bin ich ja öfter nach Hause gefahren, auf zwei oder drei Tage.«

»Und wie hast Du die Siegnis ….?«

»Na, die Margell, die kenne ich doch von Kind an, die tut alles für mich.«

»Für andere auch.«

»Das ist so die Art der littauischen Margellen, die haben ein großes Herz.«

»Du leugnest also, daß Du von dem Mordanschlage etwas gewußt hast?«

»Was ich Dir gesagt habe, ist die reine Wahrheit. Seit etwa vierzehn Tagen hat mich jedoch Doktor Willemoes eingeweiht, aus welchem Grunde ist mir nicht klar. Seitdem weiß ich, daß ich mitschuldig an dem Tode meiner Verwandten bin.«

»Und wußtest Du auch, daß es jetzt um Hattos Leben ging?«

»Ich wußte es, aber ich konnte ja nicht mehr zurück, ich war umsponnen von Verbrechen und Liebe. Es mußte ja auch etwas geschehen, wenn ich nicht Marguerite für immer verlieren wollte.«

»Und Marguerite hat es auch gewußt?«

Liebenau nickte.

»Und Du liebst sie trotzdem noch, diese Teufelin?«

»Für mich ist sie keine Teufelin, für mich ist sie das Ziel meines Lebens. Sie tat ja auch nichts für sich, alles tat sie für mich, um mir angehören zu können, mußte es geschehen …. Ihr Wesen ist nicht teuflisch, sie stand genau so wie ich unter dem Einfluß ihres Bruders, und der geht rücksichtslos über Leichen. Du sagst, er ist verhaftet, das ist gut, denn das Sanatorium, das er gründen wollte, wäre eine Mörderhöhle geworden. Er hätte sich bezahlen lassen, um Menschen umzubringen. Er ist unser böser Geist gewesen, er verlockte mich zum Spiel, und zwang mich Schritt für Schritt den Weg zu gehen, den er vorschrieb, aber das ist nun das Ende. Wie ich Willemoes kenne, wird er es nicht zu einer Vernehmung kommen lassen, er trägt stets Gift bei sich, und wir waren alle drei entschlossen, wenn unser Plan entdeckt würde …. na, Du weißt ja.«

Auf einmal verzerrte sich Liebenaus Gesicht, seine Augen wurden groß und starr, und mit jähem Entsetzen blickte er Lippe an.

»Ja, um Gotteswillen, Marguerite, weiß sie schon von der Verhaftung ihres Bruders? Wenn sie es erfährt …. sie wird unserer Verabredung gemäß …. Um Gotteswillen, Lippe, sorge dafür, daß kein Unglück geschieht.«

»Beruhige Dich, Marguerite weiß noch nichts, ich habe nur ihr Haus unter Beobachtung stellen lassen, wenn Du nicht gegen sie aussagst, und ihr Bruder schweigt, wird ihre Teilnahme an dem Verbrechen nicht erwiesen werden können.«

In diesem Augenblick kam Liebenaus Bursche zurück und meldete, der Herr Leutnant könne in Urlaub fahren, es stände nichts im Wege.

»Also, bitte schön, lieber Freund,« sagte jetzt Lippe in verbindlichstem Tone, »packe das Nötigste zusammen, wir wollen uns nicht länger aufhalten.«

Eine Stunde später saßen die drei im Hamburger Schnellzug. – – –

Als Lippe am andern Tage gegen Mittag nach Berlin zurückgekommen war, erhielt er die Nachricht, daß Doktor Willemoes im Untersuchungsgefängnis seinem Leben durch Zyankali ein Ende gemacht habe. Wo er das Gift verborgen gehabt hatte, war nicht festzustellen gewesen. Das Verfahren gegen ihn mußte eingestellt werden, und da eine Teilnahme seiner Schwester an dem Verbrechen nicht nachgewiesen war, wurde die Beobachtung ihrer Villa aufgehoben. Eine Stunde später machte Lippe ihr seinen Besuch, und am Abend entlohnte sie ihre Dienerschaft mit der Bemerkung, sie müsse auf unbestimmte Zeit verreisen.

Wer will die Tiefe einer Frauenseele erforschen?! Solange schien sie den jungen Liebenau nur als Werkzeug benutzt zu haben, im Augenblick seines Zusammenbruches aber erwachte die Liebe in ihrem Herzen. Sie erreichte noch rechtzeitig in Hamburg den Hapagdampfer, den Liebenau zur Überfahrt nach Neuyork benutzen mußte. –

Als zu Ostern in der altertümlichen Schloßkapelle nach der Familientradition die Trauung Hattos und Cornelias stattfand, brachte Lippe die Nachricht, Heinz Liebenau habe sich in Neuyork mit Marguerite verheiratet. Sofort danach waren die beiden nach Canada in das Gebiet des Saskatchevan abgereist. Liebenau hatte weite Urwaldstrecken von der Regierung erworben und dort eine große Viehfarm eingerichtet.

Sein Brief an Lippe schloß:

»Wir büßen in Zwangsarbeit, was wir unter dem zwingenden Einfluß eines höllischen Teufels gesündigt haben. Unserm Glück fehlt nur die Verzeihung.«

 

Ende.

 


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