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Es war ein sehr herzliches Wiedersehen, das am Abend des folgenden Tages in der Wohnung des Professors Köbner gefeiert wurde. Zwar fehlte Cornelia, die der einmal begonnenen Arbeit wegen und aus Gründen der Taktik im Kampf gegen die Mördergenossenschaft Rom noch nicht verlassen durfte, aber ihr Geist wandelte sichtlich zwischen den vier Leuten, die nach einem einfachen Abendbrot behaglich an dem großen Tisch des stimmungsvollen Eßzimmers saßen. Die vier Männer qualmten derartig, daß die Frau Professor fortwährend hüstelte. Und einmal über das andere Mal fragte Hatto:
»Es stört Sie doch nicht, wenn wir rauchen?«
»Aber ganz und gar nicht, lieber Hatto.« Dann hüstelte sie wieder …. »Ich rieche sehr gern Zigarren.«
»Ja, meine Frau riecht Zigarrenrauch gern, ist auch daran gewöhnt …. Nun erzählen Sie weiter, Herr Direktor, es hört sich prachtvoll zu, Sie verstehen in einer Weise zu schildern, die ich geradezu genial nennen möchte.«
»Ja, und dabei hast Du immer auf die Kriminalromane geschimpft, Vater.«
»Das ist ja auch erfundenes, dummes Zeug, und hier ist Wirklichkeit.«
»Ja, nun sehen Sie, Herr Professor, die Wirklichkeit ist oft viel romanhafter, als der schönst ausgedachte Roman. Hattos Fall zum Beispiel fing ganz harmlos an. Es sah gar nicht aus wie eine Kapitalsache, bis zu dem Augenblick, wo wir die Leiche des armen Kleißt auf der Heide entdeckten. Wo finden Sie in einem Kriminalroman auch nur annähernd eine derartige Verwicklung, der Tod unseres armen Freundes trat durch einen Unglücksfall ein, aber es war ein Unglücksfall, der einem Verbrechen so täuschend wie ein Ei dem andern glich. Am einen falschen Verdacht, den ich gegen den alten Grafen Liebenau hegte, zu verstärken, war der Graf in der Todesnacht in der Nähe, konnte also ganz gut der Mörder sein. Wahrscheinlich hatte er in Kallningken irgendein galantes Abenteuer und darum Grund, seine Anwesenheit in ein unbestimmtes Dunkel zu hüllen. Das genügte, in mir die Überzeugung seiner Schuld zur Gewißheit werden zu lassen, und lange Zeit war ich auf der falschen Spur, bis ein ganz geringfügiger Umstand mich zu einer andern Auffassung brachte. Ich halte den alten Grafen Liebenau für einen rücksichtslosen Draufgänger, für einen Mann, der alle Leidenschaften hat und allen Leidenschaften die Zügel schießen läßt, aber ich habe nicht mehr den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß er zu einem Kapitalverbrechen fähig wäre. Nun allerdings bin ich dem Schuldigen hart auf den Fersen, aber ich habe noch keinen Beweis gegen ihn, doch denke ich, daß er im Laufe dieser Woche in eine ganz plumpe Falle gehen wird, und Sie, Herr Professor, Sie sollen der Speck in der Falle sein.«
Professor Köbner lachte über das ganze Gesicht.
»Ich, der Speck? Da müssen Sie lieber meine bessere Hälfte nehmen,« und er tätschelte seiner Frau liebevoll die dicken Wangen, »da haben Sie Speck genug.«
»Wie kann man eine alte Frau so aufziehen, Vater?«
»Aber Herr Direktor Lippe braucht doch Speck für die Mausefalle und ich habe am ganzen Körper kein Lot, während Du immer über zuviel klagst.«
»Ich meine geistigen Speck, Herr Professor, und den haben Sie doch gewiß, wenn Sie ihn nicht tonnenweise in Ihrer neuen Tacitus-Ausgabe verwendet haben …. Ich brauche nämlich einen Brief des Freiherrn Rock von Bahlingen.«
»Ich denke, das war ein angenommener Name.«
»Gerade deshalb brauche ich einen Brief von ihm, und zu dem Zweck werde ich, oder vielmehr werden Sie, in der Kreuzzeitung annoncieren. Das heißt, Sie geben mir Vollmacht, Ihren Namen unter ein Inserat zu setzen, das ich drei- oder viermal im Laufe der nächsten Tage aufgeben werde, dann wollen wir sehen, ob wir diesem Bahlingen seinen Rock ausklopfen können. Habe ich erst etwas Geschriebenes von ihm, dann bringe ich ihn auch an den Galgen.«
»Wann wird denn Cornelia zurück sein, Papa?« fragte jetzt Hatto.
»Ich denke, Ende Januar kann sie mit allem fertig sein, und da es nicht nötig ist …. nicht mehr nötig ist, daß sie länger wegbleibt, so kann sie zurückkehren.«
»Ende Januar, lieber Mohrungen, denke ich, können Sie nach Rom fahren und Ihre Braut dort begrüßen, vielleicht begleiten Sie ihn, Frau Professor.«
»Das möchte ich wohl schon.«
»Ende Januar, ich möchte versuchen,« warf jetzt der Professor ein, »ob ich auf vierzehn Tage Urlaub bekomme, dann würden wir alle zusammen reisen, und die beiden Herren, die sich so verdient um das Wohl unseres lieben Hatto gemacht haben, die müssen natürlich auch mit.«
»Selbstverständlich,« meinte Lippe mit heiterem Lächeln, »müssen wir auch die Apotheose mitmachen, aber das geht nicht so. Seit Monaten habe ich meine laufenden Arbeiten andern überlassen müssen, seit Monaten schreit die Arbeit nach mir. Ich habe keine Zeit zu Romfahrten.«
»Aber eigentlich sollten Sie auch mitkommen und etwas zu Ihrer Erholung tun.«
»Ich erhole mich nicht in Italien beim Nichtstun, beim Ansehen alter Galerien und niedergebrochener Römerdenkmäler, das ist nicht mein Fall. Ich erhole mich unter der erfrischenden Brause eines interessanten und geheimnisvollen Verbrechens, dem ich nachspüre, ich bin also seit Monaten im Erholungsurlaub. Wenn ich erst wieder in der Tretmühle der täglich einlaufenden Bagatellsachen stampfe, dann ist es mit der Erholung zu Ende. Hoffentlich schenkt mir der heilige Merkurius bald wieder ein anständiges Verbrechen, denn nur im starken Strom bewährt sich der Schwimmer. Aber zur Hochzeit komme ich bestimmt.«
»Das soll Dein Wort sein, Lippe.«
»Wenn mich nicht mein Beruf in irgend eine Ecke Europas verschlagen hat.«
»Nein, nein, da gibt es keine Ausflüchte, lieber Freund, Luxuszüge mit Schlafwagen überbrücken heute jede Entfernung, auf einen Tag wird sich der interessanteste Fall unterbrechen lassen.«
»Wer weiß, aber vorläufig ist die Frage ja noch nicht aktuell. Kommt Zeit, kommt Rat. Die Herrschaften verzeihen, wenn ich jetzt als Störenfried in unsere Tafelrunde einbreche. Werter Herr Professor, ich muß Ihnen meine beiden Freunde für heute entführen, morgen rücken wir zu einem Angriff auf Leben und Tod aus. Wir müssen darum noch eingehend sprechen, Befehle ausgeben, Verabredungen treffen, kurz, arbeiten.«
»Ich will die Herren natürlich nicht aufhalten, obwohl wir uns freuen würden, Sie noch länger bei uns zu behalten.«
»Wenn alles vorüber ist, Herr Professor, dann feiern wir ein Siegesfest, dann halten Sie uns eine lateinische Rede in der Sprache Ciceros.«
»Pfui Teufel, mein Herr Direktor. Ciceros parfümiertes Manschettenlatein ist mir zuwider, mein Ideal ist Tacitus.«
»Für uns Barbaren ist das natürlich dasselbe …. Also ich muß nochmals zum Aufbruch mahnen, wir müssen uns schminken für den letzten Akt des Schauspiels, die Entlarvung des Intriganten.«
Am andern Morgen gegen zehn Uhr fuhr eine elegante Limousine mit dem Mohrungschen Wappen an den Schlägen und einem livrierten Chauffeur am Steuer, Hatto und den gleichfalls als Diener livrierten Doktor Schäfer in dem rotsamtenen Kupee, in mäßigem Tempo auf der Potsdamer Straße nach Wannsee. Der Chauffeur hatte den Kragen hochgeschlagen und die Brille vors Gesicht genommen, so daß niemand in ihm den ehemaligen Kriminalkommissar Lippe erkennen konnte, zumal er mit einer Sicherheit den Wagen lenkte, als ob er sein Leben lang nichts anderes getan hätte.
Hinter Lichterfelde, wo die Chaussee frei wurde, gab er etwas mehr Gas, so daß der Wagen wie ein gut dressiertes Pferd ansprang und schneller vorwärts schoß, aber angesichts des am Eingang von Zehlendorf haltenden Gendarmen stoppte er wieder ab, um in vorgeschriebenem Tempo die Kolonie zu durchkreuzen. Kurz vor Wannsee blieb das Auto plötzlich stehen. Lippe sprang ab, machte sich an dem Reifen zu schaffen, und als der vermeintliche Diener den Schlag öffnete, um nachzusehen, was es gäbe, wandte Lippe den Kopf und sagte:
»Schäfer, ich glaube, es ist besser, wenn ich vor dem Portal wende und zurückfahre. Ich weiß nicht, ob mein Inkognito durch die Automobilbrille derartig gewahrt ist, daß Herr Doktor Willemoes nicht meine Anwesenheit wittert. Ich glaube, es ist besser, wenn ich die Herren absetze und gleich weiterfahre.«
»Gewiß, wie Sie meinen …. ich gestehe, daß in dem Augenblick, wo Sie mich verlassen, ein Gefühl des Unbehagens über mich kommen wird. Schon der Gedanke, ohne Ihre unmittelbare Hilfe zu sein, macht mich nervös.«
»Ach was, lieber Mohrungen, das ist nur das Lampenfieber des Schauspielers vor seiner großen Szene. Sie sind mit den beiden Browningpistolen, die Sie bei sich haben, unter der bewährten Geistesgegenwart Schäfers vollkommen gesichert. Das wichtigste ist, daß Sie ruhig bleiben und daß Schäfer genau registriert, welche Dosen Morphium man Ihnen täglich gibt, sei es durch Spritzen, sei es durch Einnehmen.«
»Ja, lieber Junge, Du mußt Dir das nicht so ganz einfach und ungefährlich denken, denn der Herr Baron ist jetzt vom Morphium entwöhnt, wenn er also eine größere Dosis empfängt, können sofort Vergiftungserscheinungen eintreten, und die Verantwortung für mich ist außerordentlich groß. Wir müssen also darauf bestehen, daß der Herr Baron keinen andern Wärter um sich duldet, als mich, daß nur ich ihm die Speisen auftrage, kurz niemand anders mit ihm in Berührung kommt. Das wird an und für sich schon Verdacht erregen.«
»Wenn der Besitzer der Anstalt, Doktor Mühlfort, wovon ich fest überzeugt bin, nicht mit im Komplott steckt, wenn die Mordtaten lediglich von Willemoes ausgehen, dann werden Einwendungen gegen den persönlichen Diener sicherlich nicht gemacht werden. Und wenn sie nicht gemacht werden, so haben wir gewonnenes Spiel …. Du hast doch in der Krankengeschichte möglichst eingehend den Zustand geschildert?«
»So, daß jeder Laie es mit Händen greifen kann, der Herr Baron leide an einer Melancholie, die häufig durch Phobien, das heißt Angstzustände unterbrochen wird. Nicht selten steigern sich diese Erscheinungen bis zu Tobsuchtsanfällen, denen dann eine tiefe Erschöpfung folgt. Kurz, ich habe alles genau geschildert, und jeder erfahrene Arzt muß danach auf eine chronische Vergiftung, sei es nun durch Morphium, Alkohol oder Kokain schließen. Es ist somit die Handhabung gegeben, bei der Einleitung einer Entziehungskur dem Kranken Morphium zu geben und zu gleicher Zeit seine Angstzustände durch Erschrecken zu steigern. Wie es nun Kollege Willemoes machen wird, weiß ich nicht. Ich muß eben sehr auf der Hut sein, um so schnell wie möglich hinter sein Prinzip zu kommen und den Herrn Baron davor zu schützen ….«
»Ja, ja, ganz gut, Freund Schäfer, aber Du darfst auch nicht außer acht lassen, daß wir Beweismaterial gegen ihn haben müssen, denn es kann uns doch nichts an seiner theoretischen Entlarvung liegen. Daß es uns nicht möglich sein wird, ihm den Mord der beiden Brüder des Herrn Barons nachzuweisen, ist mir völlig klar. Wir müssen uns darauf beschränken, für diesen Fall Material zu bekommen.«
»Du hast mir ja alles eingehend vorgehalten, ich weiß genau Bescheid ….«
»Hätte ich nur nicht die Dummheit begangen, mich diesem Willemoes gegenüber sehen zu lassen, dann wäre ich selbst als Kammerdiener gegangen.«
»Und was wäre damit gewonnen gewesen? Nichts, mein Lieber, denn wenn dieser Teufel tatsächlich unter den Augen des Chefs, unter den Augen aller Wärter Mordtaten begeht, so wird er es mit äußerstem Raffinement tun, und nur ein Arzt kann die kleinen Symptome richtig erkennen. Wenn er sich nicht lediglich darauf beschränkt, dem Herrn Baron Seelenwunden zu schlagen, wenn er ihm tatsächlich ein Gift zuführt, wie es bei dem ältesten Bruder scheinbar geschehen ist, so können wir ihm unbedingt seine Schuld nachweisen, wenn er aber, wie im zweiten Fall, das Gift in die erreichbare Nähe des Kranken stellt, so daß dieser, dessen Gesundheitszustand schon vorher durch Morphium zerrüttet war, Selbstmord begeht, dann ist ihm nur eine Fahrlässigkeit nachzuweisen.«
»Es ist ja noch gar nicht erwiesen, daß der zweite Bruder des Herrn Baron Selbstmord begangen hat. Es wird behauptet ….! Jedenfalls weißt Du, wo ich zu erreichen bin und Du erstattest mit unter allen Umständen täglich Bericht. Hinter der Kirche stößt das Sanatorium an eine ziemlich öde Waldstelle, ich habe Dir den Punkt auf der Karte genau bezeichnet. Dort wirst Du bei Deinem täglichen Spaziergang vorübergehen und an dem Gitter mit mir sprechen. Wie ich Dir bereits mitgeteilt, ist der Staketenzaun von innen mit grün gestrichenen Holzbrettern verschalt. Ich habe dort ganz wie zufällig durch einen meiner Beauftragten eine Latte lossplittern lassen, es wird niemand den Schaden bemerken. Dort erwarte ich morgen Abend um sieben Uhr Deinen Bericht. Wir bestimmen dann von einem zum andern Tag eine neue Stunde, damit Dein regelmäßiges In-den-Garten-gehen nicht auffällt. Laß Hatto nie allein, wenn er schläft, und sorge dafür, wenn Du ihn in wachem Zustande allein läßt, daß er eine der beiden Pistolen zur Hand hat. Und nun bitte einsteigen, der Zug geht weiter.«
Eine Viertelstunde später hielt das freiherrliche Automobil vor dem Hauptportal der Nervenheilanstalt »Grunewaldzauber« im Besitz des berühmten Nervenarztes Doktor Mühlfort. Sie lag abseits von der großen Verkehrsstraße in Wannsee in jenem Teil, wo die neue Kirche entstanden ist und wo der Wald noch dicht an die Villen herantritt. Ein großer, paradiesisch schöner Garten umgab das ansehnliche Gebäude, das von außen wie ein elegantes Rokokoschloß aussah. Nur die vergitterten Fenster und Balkons in der ersten Etage und die Gitterfenster in den Mansarden zeigten, welchem Zweck dies schöne Besitztum diene.
Doktor Mühlfort war ein Mann im Ausgang der Sechziger, korpulent mit einem freundlichen Gesicht, das ein langer weißer Vollbart umrahmte. Er empfing im Wartezimmer den vermeintlichen Patienten außerordentlich höflich.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Baron, das ist wohl der Kammerdiener, von dem Sie sich, wie mir Doktor Schäfer schrieb, nur sehr ungern trennen.«
»Jawohl, Herr Doktor, Mops ist mit mir aufgewachsen und mein Jugendgespiele und Herr Doktor Schäfer meint auch, daß es einen guten Einfluß auf meinen Zustand ausübe, wenn ich Mops um mich habe.«
»Aber natürlich, ich bin ganz derselben Ansicht, und ich habe darum ein Zimmerchen neben Ihrem Schlafzimmer für Herrn …. sagten Sie Mops, Herr Baron?«
»Er heißt eigentlich Moritz, ich nenne ihn aber Mops.«
»Verrückt,« dachte Doktor Mühlfort, aber er lächelte zustimmend und fuhr fort:
»Ja, ich habe also ein Zimmerchen neben Ihnen für den Kammerdiener einrichten lassen, so daß er Tag und Nacht zu Ihrer Verfügung sein kann …. Ich weiß nicht, Herr Baron, ob Sie sich über Ihre Krankheit irgend ein Bild gemacht haben?«
»Ja, Herr Doktor Mühlfort, ich bin nicht wahnsinnig.«
»Das weiß ich sehr wohl, das höre ich auch aus Ihrem Sprechen, aber Ihre Nerven sind sehr angegriffen.«
»Sehr angegriffen, Herr Doktor, und ich bin mir völlig bewußt, daß ich schwer krank bin.«
»O nein, so müssen Sie die Sache nicht auffassen, Herr Baron. Es scheinen mir ja wohl ernsthafte Störungen vorzuliegen, aber von einer schweren Erkrankung möchte ich doch nicht sprechen. Vor allen Dingen bin ich überzeugt, daß einige Wochen sachgemäßer Anstaltsbehandlung und dann eine Erholungsreise nach Ägypten Sie völlig wieder herstellen werden.«
»Herr Doktor, Sie müssen mir nicht böse sein, wenn ich den Gedanken nicht los werden kann, daß meine beiden Brüder unter denselben Verhältnissen zu Ihnen kamen, und daß ihr Leiden doch eine sehr schlimme Wendung nahm.«
»Das ist nicht dasselbe, Herr Baron, das ist gar nicht dasselbe, wissen Sie, bei Ihren Brüdern war das Leiden viel weiter fortgeschritten.«
Er faßte nach dem Puls Hattos und nickte befriedigend.
»Sie waren körperlich in viel schlechterer Verfassung als Sie …. Nein, nein, da dürfen Sie keinen Vergleich ziehen, ich mache mich verbindlich, ja, ich will Ihnen sogar mein Ehrenwort geben, daß ich Sie völlig wiederherstelle. Bei Ihren Brüdern lag die Sache doch wesentlich anders. Jetzt wollen Sie vielleicht die Güte haben, sich in Ihre Appartements zurückzuziehen, Ihr Gepäck ist schon da, ich schicke Ihnen die Schwester Oberin, die kann Ihnen behilflich sein und dann, wenn Sie ausgeruht sind, wird Sie Herr Doktor Willemoes, mein erster Assistent, genau untersuchen, und wir werden uns dann über die Form der Behandlung schlüssig werden. Wie mir Herr Doktor Schäfer schrieb, wünschen Sie nicht, an der gemeinschaftlichen Tafel teilzunehmen, Sie wünschen in Ihrem Salon zu speisen und von Herrn Mops bedient zu werden, nicht wahr?«
»Jawohl, ganz recht.«
»Ich darf Sie jetzt nach Ihrem Zimmer führen.«
»Bitte sehr.«
Es waren sehr hübsche Räume, die dem vornehmen und gutzahlenden Patienten angewiesen wurden. Sie bestanden aus einem Salon, einem Schlafzimmer, einem Bade- und Ankleidezimmer und einem Dienerzimmer. Die Fenster gingen nach der Rückfront des Gebäudes auf einen kleinen See, der künstlich vergrößert und mit allerlei Grotten und Bauwerken umgeben war. Jetzt glitzerte darauf eine spiegelglatte Eisfläche und eine Anzahl Patienten tummelte sich mit Schlittschuhen darauf herum.
Hatto blickte aus dem Fenster über den hübsch angelegten Park hinweg nach den Wipfeln des Grunewaldes und meinte dann, sich zurückwendend zu Doktor Schäfer:
»Es ist eigentlich recht hübsch und ruhig hier.«
»Jawohl, Herr Baron,« antwortete Doktor Schäfer und machte eine Verbeugung wie ein wohlgeschulter Kammerdiener. Man war nämlich übereingekommen, daß auch, wenn kein Fremder zugegen war, zwischen Hatto und seinem Arzte die Komödie als Herr und Diener weitergespielt würde …. Man konnte ja nicht wissen, wie weit eine Beobachtung auch bei geschlossenen Zimmern möglich war.
Schäfer versuchte, während er mit der Schwester Oberin die Effekten Hattos auspackte, und in Schränken und Kommoden verstaute, sich über geheime Beobachtungslöcher zu orientieren. Und er fand ganz unauffällig in den großen Ornamenten der bronzenen Schließbleche an den Türen bewegliche Blätter, die aufgeschlagen von außen einen völligen Überblick über das Zimmer gestatteten, sonst boten die Zimmer weiter nichts Auffälliges. Geheime Zugänge waren ja nicht zu befürchten, denn eine Vorsichtsmaßregel machte sie unnötig. Keine der Türen nämlich hatte ein Schloß, sie konnten also weder von außen noch von innen, so schien es, verriegelt werden. Schäfers scharfes Auge fand allerdings schon am Nachmittag des ersten Tages, auch gut verborgen, in dem Ornament der Türen einen Knopf, der verschiebbar war und zu einem Riegel gehörte, der von außen ganz unauffällig die Tür abzuschließen vermochte.
Darin hatte man natürlich nichts anderes zu erblicken, als eine ganz selbstverständliche Maßregel zum Schutze der Kranken. In einer Nervenheilanstalt durfte es nicht möglich sein, daß ein Patient sich von innen abschließen konnte, dagegen mußte er vom Verlassen seines Zimmers durch einen Riegel unbedingt abgehalten werden können. Warum aber war keine Vorrichtung angebracht, die einem Wärter ermöglichte, von innen den Riegel zu öffnen. Die Oberin gab ungefragt die Antwort, indem sie den Kammerdiener instruierte, daß überall Klingeln in den Zimmern seien, und an jeder Klingel ein kleiner Schalthebel, wenn dieser nach oben gedrückt werde, so bedeutete das Alarm. Er dürfe aber von diesem Zeichen nur Gebrauch machen, wenn er seinen Herrn in ernsthafter Gefahr glaube, im übrigen sei auf jedem Korridor, am einen und am andern Ende, je ein Wärter Tag und Nacht stationiert.
»Sorgen Sie,« und damit schloß die Schwester Oberin, »daß Ihr Herr von diesen Einrichtungen nichts erfährt, die Kranken sind häufig sehr eigentümlich und wenn sie merken, daß etwas Derartiges besteht, werden sie unruhig und ängstlich.«
Am ersten Tage ging alles sehr gut. Nach dem sehr reichlich und vorzüglich zubereiteten Diner erschien der Anstaltsbesitzer und fragte, ob der Herr Baron gewöhnt sei, nach dem Mittagessen zu schlafen, oder spazieren zu gehen.
»Ich habe eigentlich mein Lebenlang den Mittagsschlaf verachtet und mich lieber draußen in der freien Luft herumgetrieben.«
»Dann darf ich Sie vielleicht ein Viertelstündchen durch unseren Park führen, unsere Eisbahn haben Sie ja schon vom Fenster aus gesehen.«
»Ja, ich finde sie sehr nett.«
»Im Sommer, Herr Baron, ist es das reine Paradies hier und unsere Gäste fühlen sich auch äußerst wohl …. Aber wollen Sie nicht Ihren Pelz anziehen, es ist ziemlich kühl bei uns draußen.«
»Nein, nein, ich gehe am liebsten im leichten Paletot, Mops kann ja den Pelz mit hinunter nehmen, für den Fall, daß ich frieren sollte.«
Einträchtig machten die drei – das heißt der Baron und Doktor Mühlfort nebeneinander, Mops Schäfer wie ein gut geschulter Diener drei Schritte dahinter – einen Rundgang durch den wirklich wunderbar angelegten Park. Scharfen Auges beobachtete der vermeintliche Diener alle Einzelheiten und lächelte befriedigt, als er auf einem ganz entlegenen Wege an der Rückmauer des großen Grundstückes, in dem vorgezogenen Holzzaune eine beträchtliche Lücke entdeckte. Der Arzt war so eifrig im Gespräch mit seinem Patienten, den er geschickt – Schäfer sagte sich im stillen sehr geschickt – ausfragte, daß er den Schaden gar nicht bemerkte. Überall begegnete man Patienten, die allein oder in kleinen Gruppen in der frischkalten Winterluft promenierten. Freundliche Grüße wurden getauscht und Händedrücke, Doktor Mühlfort stellte den Baron überall vor, man unterhielt sich nett und ging wieder weiter, alles machte einen außerordentlich ruhigen, harmonischen und vornehmen Eindruck.
»Sind das alles Kranke, Herr Doktor?«
»Zum Teil recht schwere Kranke, Herr Baron.«
»Aber sie benehmen sich doch gar nicht wie ….«
»Geisteskranke, wollen Sie sagen, Herr Baron, das sind sie auch nicht. Wahnsinnige nehme ich in unserer Anstalt nicht auf. Es sind alles Leute, die an ihren Nerven Schaden gelitten haben und die in einer gewissen Disziplin gehalten werden müssen. Die Hauptsache ist, ich zwinge sie, natürlich mit ganz freundschaftlichen Mitteln, den Mitteln der Überredung und der ärztlichen Autorität dazu, nicht an ihre Krankheit zu denken. Das erreicht man zunächst, indem man ihnen verbietet, davon zu reden. Sie sollen ein Leben führen, wie in einem eleganten Hotel, wo sie zum Vergnügen sind, und das tun sie auch ….« er lächelte bedächtig »... solange sie wissen, daß sie von mir, oder von meinen Assistenten beobachtet werden. Wenn ich den Rücken wende und sie sind allein unter sich, dann sprechen sie über nichts anderes, als über ihre Krankheit, dann klagen sie sich gegenseitig ihr Leid, referieren einander genau, wie sie die Nacht geschlafen haben, ob sie Appetit haben oder nicht, kurz, sie fallen völlig aus der Rolle. Aber die Notwendigkeit, sich beherrschen zu müssen, wenn auch nur eine ganz kurze Zeit des Tages, erzeugt allmählich den Willen zum Gesundwerden, die Willenskraft überhaupt. Damit sind sie schon halb geheilt.«
»Sie verraten mir ja Ihr ganzes Programm.«
»Auch das ist Programm, Herr Baron, Sie erfahren auf diese Weise ohne langatmige Hausgesetze und Regeln durchlesen zu müssen, was wir von Ihnen verlangen, auf welcher Methode unsere Heilkunst beruht. Dann sehen Sie daraus, daß ich Ihren Fall für verhältnismäßig leicht halte, denn sonst würde ich nicht so offen mit Ihnen über diese Dinge sprechen. Ich sehe, daß Sie vollkommen im Besitz Ihrer Geisteskräfte sind, Ihre Nerven sind nur ein bißchen ausgepumpt und das werden wir schon wieder in Ordnung bringen. Es bedarf nun freilich einer ganz genauen Untersuchung und ich dächte, es ist Ihnen angenehm, wenn wir das vor Dunkelwerden tun. Es ist vielleicht gut, wenn Sie sich jetzt eine halbe Stunde niederlegen, ich lasse Sie dann, wenn es Zeit ist, ins Untersuchungszimmer bitten.«
Nach diesen Worten geleitete der Arzt seinen Patienten wieder hinaus, empfahl ihm, es sich ganz bequem auf dem Diwan zu machen, er werde schon zur rechten Zeit wecken.
»Versuchen Sie zu schlafen, Herr Baron, möglichst viel zu schlafen, im Schlaf sündigen die Nerven nicht.«
Als die beiden allein waren, meinte Doktor Schäfer: »Der Alte ist sicher ganz unbeteiligt, er scheint ein durchaus wohlwollender Mensch zu sein und ein äußerst erfahrener Nervenarzt. Sie dringen natürlich darauf, lieber Herr Baron, daß Mops bei der Untersuchung zugegen ist.«
»Aber natürlich, Mops.« Hatto betonte den originellen Namen möglichst scharf. »Zunächst will ich mich genau nach ärztlicher Vorschrift hinlegen und etwas zu schlafen versuchen …. ist es nicht sehr komisch, lieber Doktor ….«
»Bitte Mops, Herr Baron, wir wissen nicht, ob die Wände nicht Ohren haben und dann sprechen Sie etwas leiser, es ist ja nicht nötig, daß wir schreien. Also was wollten Sie sagen?«
»Ich wollte sagen, ist es nicht originell, daß hier ein völlig gesunder Mensch liegt und schwere Nervenkrankheit simuliert?«
»Ja, es ist originell, Herr Baron, aber lieber möchte ich schon mit Ihnen über die neblige Heide von Mohrungen reiten und an stillen Abenden pirschen gehen, als hier in dem Karbolschloß mit den Irrsinnigen mimen.«
»Es muß eben auch sein, Oberregisseur Lippe hat es so befohlen.«
»Um Gottes willen, Herr Baron, nennen Sie diesen Namen hier nicht laut, Sie könnten alles verderben. Ich kann Ihnen sagen, ich bin meinem Kollegen Willemoes auf der Treppe begegnet. Das ist ein finsterer und sicherlich auch gefährlicher Geselle, der scheut im entscheidenden Augenblick auch vor offener Gewalt nicht zurück.« –
Allmählich wurde die Unterhaltung matter und matter, bis Hatto langsam einschlief.
Schäfer stand auf und begann wieder, wie bei der Ankunft, die Zimmer genau zu untersuchen, aber er fand nichts, was auf irgend welche geheimen Anlagen schließen ließ. Dann setzte er sich auf einen Stuhl ans Fenster und blickte in die zauberische Winterlandschaft hinaus, bis nach Verlauf von einer Stunde ihn ein leises Klopfen an der Tür aufschreckte.
Es war die Schwester Oberin, eine hübsche gebildete Dame in der Mitte der Dreißig. Sie sprach in leisem, freundlichem Tone zu dem vermeintlichen Kammerdiener, mit einem gewissen Anklang ans Kameradschaftliche.
»Wenn der Herr Baron wach wird, wollen Sie so gut sein, mich benachrichtigen. Ich soll ihn ins Untersuchungszimmer führen.«
»Gern, Frau Oberin, aber wo finde ich Sie?«
»Sie haben hier auf dem Schreibtisch ein Haustelephon. Es meldet sich der Portier und der verbindet Sie dann mit meinem Zimmer.«
In diesem Augenblick streckte sich Hatto, gähnte und schlug die Augen auf, sofort war die Oberin an seinem Lager, faßte wie ein geschulter Arzt nach seinem Puls und fragte mit einer mütterlichen Teilnahme im Ton:
»Befinden Sie sich wohl, Herr Baron?«
»Sehr wohl, Frau Oberin, ich könnte Bäume ausreißen.«
»Nun, das wollen wir nun gerade nicht machen, aber wenn es Ihnen recht ist, möchte Sie Herr Doktor jetzt untersuchen.«
Hatto sprang auf, ließ sich die Schuhe reichen und sagte dann im herrischen Befehlston:
»Vorwärts, Mops, komm zur Untersuchung.«
»Verzeihung Herr Baron, es würde Ihnen vielleicht unangenehm sein, wenn der Kammerdiener bei der Untersuchung zugegen wäre.
»Ach wo, Frau Oberin, im Gegenteil, ich gehe ohne meinen Mops keinen Schritt. Wenn Mops nicht mitkommt, macht mir die ganze Untersuchung keine Freude.«
Die Oberin lächelte, war aber schließlich damit einverstanden und so stiegen die drei ins Parterre hinunter, wo ein großes, von prachtvollem Oberlicht beleuchtetes Untersuchungszimmer lag.
Nichts verriet hier den Arzt. Kein Karbolgeruch, keine herumstehenden Operationsbetten, man befand sich in einem elegant ausgestatteten Saal, wohl geheizt und blendend erleuchtet. Auch die Ärzte trugen nicht die weißen Leinwandkittel, sondern waren wie Herren angezogen, die eben von einem Spaziergang zurückgekehrt sind.
»Bitte nehmen Sie Platz,« begann Doktor Mühlfort, »gestatten Sie, daß ich Ihnen meinen ersten Assistenten, Herrn Doktor Willemoes, vorstelle, die Stütze unserer Anstalt, einer der pflichttreuesten Ärzte, die ich kenne. Er wird vor allem Ihre Behandlung übernehmen und ich bitte Sie, ihm vertrauensvoll entgegenzukommen, ihm jede Frage zu beantworten nach bestem Wissen.«
Willemoes reichte Hatto kühl die Hand, machte eine tadellose Verbeugung, dann bohrte er seine dunklen Augen fest in die des Patienten und ließ sie eine Zeitlang darin ruhen, als ob er bis ins Innerste sehen wollte. Hatto konnte ein Gefühl des Unbehagens nicht unterdrücken, es war ihm, als ob diese unheimlichen, dunklen Augen Gewalt über ihn gewännen, wenn er länger hineinsehen mußte. Dann senkte er die Lider und wandte den Kopf hilfesuchend nach seinem Kammerdiener, der sofort die Situation begriffen hatte und neben ihn getreten war.
»Herr Baron,« begann Doktor Willemoes, »ich fange die Untersuchung eines Nervenleidenden gewöhnlich damit an, daß ich mir seine Lebensgeschichte erzählen lasse. Schon aus der logischen und chronologischen Darstellung erkennt man, wie weit die Gedanken geordnet sind und ob geistige Störungen vorhanden oder nicht. Bei Ihnen möchte ich darauf verzichten, denn soviel ich sehe, hat der behandelnde Arzt mit seiner Auffassung völlig recht, daß es sich bei Ihnen nur um eine hochgradige Neurasthenie handelt. Sie waren Offizier, nicht wahr?«
»Ja, Herr Doktor.«
»Und haben den Feldzug in China mitgemacht?«
»Gewiß, ich war drei Jahre in China.«
»Haben Sie je Mißbrauch mit Alkohol, Morphium oder Opium getrieben?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Na, Sie sind doch einmal in einer Opiumkneipe gewesen, nicht wahr? Man sieht sich so was doch mal an, haben Sie mal Opium geraucht?«
»Ja, das kann ich nicht leugnen.«
»Nach Ihrer Rückkunft in Deutschland haben Sie die Opiumpfeife weggeworfen?«
Doktor Schäfer machte Hatto hinter dem Rücken des untersuchenden Arztes ein Zeichen, er schüttelte heftig mit dem Kopf.
»Nein.«
»Sie haben auch zuweilen noch mal Opium geraucht?«
Doktor Schäfer nickte seinem Patienten zu und prompt antwortete Hatto:
»Ja, zuweilen, aber ….«
»Na ja, es scheint mir …. Opiumesser sind Sie nie gewesen?«
»Nein, wo denken Sie hin.«
»Ich glaube Ihnen, trotzdem werden wir nicht fehlgreifen, Ihr Leiden mit diesem Opiumgenuß in Verbindung zu bringen. Die Nervosität scheint überhaupt in Ihrer Familie zu liegen.«
»Eigentlich doch nicht, Herr Doktor.«
»So viel ich mich erinnere, waren Ihre beiden Herren Brüder doch ….«
»Ach, lieber Kollege, ich glaube, es würde den Herrn Baron unangenehm berühren, wenn wir über den Krankheitszustand seiner beiden Brüder sprechen, wir wollen das ganz beiseite lassen.
»Gut …. Herr Baron, so darf ich bitten, die Oberkleider abzulegen, ich möchte doch einmal genau das Herz untersuchen.«
Der vermeintliche Kammerdiener sprang eilfertig hinzu und half seinem Herrn mit außerordentlicher Gewandtheit. Der unheimliche Doktor beklopfte und behorchte Rücken und Brust, bis er schließlich in der Herzgegend lange und eingehend auskultierte.
»Darf ich einmal bitten, Herr Doktor Mühlfort, die Herzspitze zu untersuchen,« wandte er sich jetzt an den Anstaltsbesitzer, »mir scheint, daß hier eine Erweiterung vorliegt.«
Verfluchter Gauner, dachte Schäfer bei sich, denn er wußte ganz genau, daß Hattos Herz normal und gesund war. Also so verfuhr der tückische Schuft mit seinen Kranken. Er redet ihnen irgend einen Krankheitszustand ein und suggerierte dem zweiten Arzt seine Auffassung. Wie prompt das wirkte! Doktor Mühlfort hatte kaum die bezeichnete Stelle abgehorcht, als er gleichfalls bedenklich den Kopf schüttelte.
»Ja, ja, an der Herzspitze ist etwas nicht in Ordnung, aber ich will noch keine bindende Entscheidung fällen, jedenfalls werden wir ein wachsames Auge darauf haben müssen.«
»Nun, Herr Baron, Ihr Fall gehört nicht zu den schwersten, aber immerhin haben sich doch Erscheinungen genug gezeigt, die auf eine tiefe Störung Ihrer Gesundheit schließen lassen. Wir werden zunächst eine völlige Regenerationskur mit Ihnen beginnen, eine Art Hungerkur. Ich habe damit sehr gute Erfolge erzielt. Sie werden überhaupt kein Fleisch bekommen, keinen Wein, keinen Kaffee, kurz, nichts, was die Nerven irgendwie erregen könnte. Dann werden wir die Neubildung des Blutes durch Bäder, Elektrizität und Spiele in der freien Luft unterstützen. Sollten sich irgendwelche unangenehme Erscheinungen bei Ihnen einstellen, dann,« er wandte sich an Mops, »das geht Sie an, werde ich direkt benachrichtigt. Ihnen einen Wärter zu geben, Herr Baron, halte ich für überflüssig, da Sie ja von Ihrem Kammerdiener gut versorgt werden. Sie werden um neun Uhr schlafen gehen und pünktlich um sechs aufstehen.«
»Aber Herr Doktor, ich kann doch um neun Uhr noch nicht schlafen.«
»Sie können um neun Uhr jeden Abend schlafen.«
Der Arzt sah den Patienten wieder scharf und befehlend in die Augen.
Aha! dachte Schäfer, der macht es mit Hypnose.
»Aber ich pflege nie vor elf Uhr einzuschlafen, Herr Doktor.«
»Lassen Sie das meine Sorge sein, ich werde jeden Abend um neun Uhr zu Ihnen kommen und Sie wie ein kleines Baby einschläfern. Sie sollen einmal sehen, wie trefflich Sie schlafen …. Heute sind Sie noch ganz frei, zu tun und zu lassen, was Sie wollen. Morgen früh um sechs Uhr beginnt die Behandlung, und nun wünsche ich Ihnen, daß alles recht glücklich verlaufen möge …. Sie können jetzt, wenn es Ihnen Freude macht, sich im Park bewegen, oder möchten Sie eine Stunde reiten? Dort hinter den Tannen,« er wies zum Fenster hinaus nach links, »haben wir ein hübsches Reitoval, dazu zwei oder drei recht gute Pferde. Es ist zwar nur ein Notbehelf, aber besser als gar nichts.«
»Ich danke schön, ich werde wohl ein wenig spazieren gehen, denn fremde Mietsgäule sind nicht meine Passion.«
Als Hatto mit Schäfer allein war, begann dieser vorsichtig zu sprechen.
»Kommen Sie, Herr Baron, hier nach rechts um den See herum, dort ist es einsamer im Park.«
»Was haben Sie für einen Eindruck?«
»Ein ganz geriebener Junge ist dieser Kollege, er weiß ja natürlich, daß Sie seit Monaten bestimmte, vielleicht gar von ihm selbst abgewogene Morphiumdosen bekommen haben, und er findet Sie noch nicht genügend körperlich zerrüttet.«
»Na natürlich nicht, Sie haben mich ja auch seit Monaten wie ein krankes Vögelchen gepäppelt.«
»Nun will er Sie durch Entziehung des Fleisches entkräften …. aber er soll sich wundern, ich schmuggle Ihnen jeden Tag ein Pfund Schabefleisch ins Haus.«
»Er will mich entkräften?«
»Und dann sucht er durch seine hypnotischen Augen Gewalt über Sie zu gewinnen. Er zwingt Sie, um neun Uhr schlafen zu gehen. Wenn Sie dann nicht schlafen können, wird er Ihnen auf gute Art Morphium beibringen. So bekommt er Sie schließlich in ein paar Wochen an den Rand des Wahnsinns und von dort zum Selbstmord oder zum als Selbstmord dargestellten Mord ist ein einziger Schritt. Wir werden alles in Ruhe beobachten. Ich glaube, daß der Spitzbube im Laufe von vierzehn Tagen mir so viel Material in die Hand gegeben hat, daß ihn jedes Gericht überführen kann.«
»Des Mordes?«
»Hoffentlich nur des Mordversuches, denn es darf ihm ja der Mord nicht gelingen.«
»Ich weiß nicht, lieber Herr Doktor, eigentlich bin ich doch ein bißchen ängstlich, die Augen des Mannes sind mir unangenehm.«
»Das kann ich verstehen. Mit diesen Augen macht er auch seine Heilerfolge, mit diesen Augen zwingt er die Patienten nach seinem Willen, die Augen sind sein Kapital, aber ängstigen Sie sich nur um Gotteswillen nicht. Vertrauen Sie mir unbedingt, denn ich weiß ein Gegenmittel gegen diese Augen, das unbedingt hilft.«
Sie bogen um die Ecke eines Tannendickichts, da stand, wie aus der Erde gewachsen, Doktor Willemoes vor ihnen und sah sie mit seinen eigentümlichen Augen mißtrauisch prüfend an.
Die Erscheinung war so plötzlich und überraschend gekommen, daß es beiden nicht gelingen wollte, das richtige Verhältnis, in dem sie angeblich zueinander standen, herzustellen. Willemoes hatte gesehen, daß sie wie zwei vertraute Freunde spazierten und miteinander sprachen, keineswegs wie Herr und Diener. Das war an und für sich kein Unglück, es war durchaus glaublich, daß ein vornehmer Ostelbier mit seinem Kammerdiener auf vertrautem Fuße stand, zumal, wenn er auf dessen Pflege unbedingt angewiesen war. Sprechen hatte er sie wohl nicht hören können, aber immerhin hieß es Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht.
Doktor Willemoes grüßte verbindlich und ging weiter nach den Pferdeställen. Erst als die beiden seine Gestalt außer Hörweite verschwinden sahen, setzten sie ihr Gespräch fort.
»Der Feind spioniert uns nach,« begann Doktor Schäfer. »Aber ich glaube nicht, daß er von unserem Gespräch etwas gehört hat. Immerhin zeigt es, daß man auch hier im Garten äußerst vorsichtig sein muß. Ich wähnte den Burschen noch in seinem Untersuchungszimmer, da war er schon hier in unserer Nähe, er muß also gleich nach uns das Haus verlassen haben.«
»Der Kampf beginnt schon.«
»Wenigstens zeigen sich die ersten kleinen Vorboten. Wir wollen auf der Hut sein.«
Der erste Tag verlief völlig normal. Am Abend um sieben Uhr sollte Schäfer an der ausgebrochenen Zaunlatte Lippe Bericht erstatten. Es galt nun, auf eine gute Art von dem Patienten fortzukommen. Die beiden hatten ausgemacht, Schäfer sollte etwas Kopfschmerzen simulieren und der Baron würde dann laut zu ihm sagen, bitte sehr, lieber Mops, gehe Du ruhig ein bißchen an die Luft, schicke mir aber jemand her, vielleicht die Frau Oberin, die mir im Falle der Not zur Hand sein kann.«
Als Schäfer auf den Korridor hinaustrat, fand er den wachthabenden Wärter in seiner Loge und bedeutete ihn, er möge dem Kranken jemand zur Bedienung und Beaufsichtigung schicken, er wolle infolge von Kopfschmerzen ein wenig in den Garten gehen.
»Sie wollen woll' raus nach's Restorang, det gibt's hier nich, hier muß jeder 'nen Schein haben, wenn er raus will, und den kriegen Se nich.
»Ach so, ich bin doch aber ganz gesund.«
»Det macht nischt, wir dürfen ooch nich raus ohne Schein, von wegen Zutragens von unerlaubten Gegenständen an die Kranken.«
»Man kann mich doch nicht hindern aus- und einzugehen in einer Privatanstalt.«
»Nee, aber Se werden untersucht wie auf de Polizei, wenn Sie zurückkommen, det Se nischt Unerlaubtes in de Tasche haben. Allzu oft werden Se die Erlaubnis ooch nich kriegen …. Se dun am besten, Se setzen sich mit dem Portier in Verbindung – er machte mit Daumen und Zeigefinger die Bewegung des Geldzählens – wenn Se da ein bißchen Freundschaft geschlossen haben, so können Se eher mal durchschluppen.«
»Aha, nu weeß ick Bescheed,« antwortete Schäfer absichtlich im Dialekt, »hier haben Se zwee Märker vor Ihren Rat.«
»Kiekste aus die Luke. Na, wir werden die Sache schon machen. Wenn Se mal in de Destille ein' pfeifen wollen, dann sagen Se't mir, det wird allens gemacht. Ick besorge dann Ihren Herrn, davon brauch der Olle gar nischt zu erfahren, aber jetzt geh'n Se man ruhig raus, ick wer die Wache übernehmen.«
Schäfer beeilte sich, hinunter in den Garten zu kommen, denn es war fast sieben Uhr. Er schritt erst, so lange er im Bereich des Hauses war, langsam, wie spazierend über die gut gepflegten Kieswege. Als er aber von dem Abenddunkel des Parkes umhüllt war, eilte er schnell in der Richtung des Holzzaunes, um mit Lippe zusammenzutreffen. Bald hatte er die kleinen Boskette hinter sich und kam in die Gegend, wo der Park die Waldnatur behalten hatte. Zwischen den Tannen waren bequeme Wege angelegt, in kleinen, hübsch ausgeschnittenen Nischen standen Bänke und Tische.
Endlich gelangte er bei einer Wendung des Weges an den Zaun. Es war dunkel, so daß er nur schwer die Lücke entdecken konnte. So kam es, daß er das Ende des Weges erreichte, ohne die lose Latte gesehen zu haben. Offenbar war er im Dunkeln und in der Eile vorübergegangen. Er machte kehrt und schritt langsam den Weg, den er gekommen war, wieder zurück. Sich dicht am Zaun lang zu drücken ging nicht, es hätte zu lange gedauert, da die niederen Grunewaldkiefern hier fast wie eine Hecke die Umfriedigung schützten. Er mußte also vom Wege aus versuchen, die Stelle zu erkennen. Bedauerlich war es, daß er sich seine elektrische Taschenlampe nicht mitgebracht hatte, es war ja entsetzlich dunkel, und so lief er schon zum zweiten Mal den Zaun entlang, ohne die verabredete Stelle zu finden. Nun begann er sich zur Erinnerung zu zwingen, rechts waren zwei Nischen gewesen mit Bänken, dann noch einige Schritte und die Lücke mußte da sein. Er ging auf die Stelle los, drängte sich durch die Kiefern und begann den Zaun zu betasten, um auf diese Weise einen Anhaltspunkt zu finden, aber auch das gelang ihm nicht. Da griff er zu dem letzten Mittel, er rief leise: »Lippe …. Lippe!«
In demselben Augenblick legte sich eine eiserne Hand um seine Kehle.
»Aha, guter Freund, ich habe Dich doch richtig erkannt.«
Es war Doktor Willemoes, der keuchend vor Wut die Worte hervorgestoßen hatte.
Schäfer fühlte, wie ihm der Atem schwer wurde, und in den Sekunden, die zwischen Leben und Tod liegen, zog ihm blitzartig die ganze Situation an seinem Geist vorüber. Mit aller Wucht stieß er dem Angreifer seine beiden Fäuste gegen die Brust und befreite sich so von dem mörderischen Griff. Im nächsten Augenblick blitzte die Browningpistole in seiner Hand, aber ehe er schießen konnte, fühlte er sich von hinten kräftig umfaßt, die Hand wurde ihm fast aus dem Gelenk gedreht, so daß die Pistole wirkungslos zur Erde fiel, und ehe er sich's versah, war er von dem Doktor und einem Wärter überwältigt und gefesselt. Damit er nicht schreien konnte, wurde ihm ein Taschentuch vor den Mund gebunden.
»Holen Sie schnell eine Tragbahre, der arme Kerl ist offenbar wahnsinnig geworden. Wie Sie sehen, ist er gefährlich. Hätte ich Sie nicht gehabt, so wäre ich jetzt ein stummer Mann.«
»Ick habe dem Burschen gleich angesehen, det er nischt gutes ist, er wollte mir for zwe Märker kofen, aber Pannemann ist doch nicht von Dummsdorf, Herr Doktor.«
Schäfer erkannte zu seinem Entsetzen, daß er dem Wärter in eine plumpe Falle gegangen war. Wo aber blieb Lippe, warum hatte er nicht eingegriffen, wo war die Lücke im Zaun hingekommen?
Es dauerte nicht lange, da kam der Wärter mit einem andern und einer Tragbahre zurück. Sie legten den Gefesselten darauf und trugen ihn ins Haus, ein paar Stufen hinunter in einen kellerartigen Gang, dann weiter, bis schließlich eine Tür aufgestoßen wurde. Schäfer konnte nichts sehen, nur ein widerlicher Geruch von heißem Wasser und Seife machte ihm deutlich, daß er sich in einem Baderaum befinden müsse. Die Bahre wurde niedergestellt, ein Kissen unter seinen Kopf geschoben, dann verschwanden die beiden Kerle, schlugen die Tür zu und riegelten ab.