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IX.

In Berlin begann so langsam die Wintersaison einzusetzen. Das schlechte Wetter hatte der September dem Oktober als Erbschaft hinterlassen, und gegen Ende des Monats fing es auf einmal ganz unvermittelt an zu schneien. Heftige Stürme stellten sich ein, denen vorübergehend Nachtfröste folgten.

Wer ein bißchen was sein wollte, ließ den Frack aufbügeln, oder wenn er allzu unmodern geworden, einen neuen bauen. Die Damen drängten sich in den großen Seidenhäusern und kauften Gesellschaftsroben ein. Die großen Konfektionsfirmen begannen ihre Schaufenster winterlich zu dekorieren, kurz, das gesellige Berlin rüstete sich ernsthaft zur Winterschlacht.

Lippe schien mit einemmal ein völlig anderer geworden zu sein. Seine Hausdame schüttelte verwundert den Kopf. Der Mann, der früher von einer peinlichen Pünktlichkeit war, der meistens die Abende arbeitend zu Hause zugebracht hatte, war jetzt ständig in Gesellschaft. Er kam aus dem Frack gar nicht mehr heraus. Keine Nacht legte er sich vor drei, vier Uhr schlafen und ließ sich dann, mochte kommen, was und wer da wollte, vor zwei Uhr nicht stören, bis eines Tages im November der guten Hausdame die Geduld riß und sie beschloß, ihn einmal ernstlich vorzunehmen.

Sie hatte sich auf eine Gardinenpredigt präpariert und saß in der Küche, um das Klingelzeichen zu erwarten, das ihr das Frühstück zu bringen befahl. Lange dauerte es diesmal, und es hatte draußen schon zwei Uhr geschlagen, als endlich die Klingel ertönte.

Jetzt aber warf sich die gute Frau in die Brust, sie goß den Tee über, arrangierte auf dem Tablett alle die Kleinigkeiten, die ihr Herr gern aß, zu einem hübschen Bild und trug das Ganze ins Eßzimmer, um es geschmackvoll anzuordnen. Dann klopfte sie mit ihren harten knöchernen Fingern an die Schlafstubentür und neigte den Kopf lauschend vor.

»Ich komme schon, Mutter Mangold, nur nicht ungeduldig werden.«

»Der Tee wird kalt, Herr Kriminalkommissar.«

»Dann gießen Sie andern auf.«

»Nee so was, nee so was ist mir noch nicht vorgekommen, der brave Herr ist wie ausgewechselt.«

Sie wollte gerade weiterjammern, da wurde die Tür schnell aufgestoßen und frisch, als ob nicht drei durchschwärmte Wochen hinter ihm lägen, trat Lippe ein. Er klopfte seiner Hausdame freundschaftlich auf die Schulter und fragte:

»Nun, Mutter Mangold, Sie sind wohl böse, daß ich so lange geschlafen habe?«

»Ach, Herr Kriminalkommissar, Sie müssen mir es nicht übelnehmen, aber so kann's partout nicht weitergehen. Sie untergraben Ihre Gesundheit, Sie ruinieren Ihr Geschäft ….«

»Na, nu sagen Sie nur noch, ich muß heiraten, dann ist mir der Appetit für heute morgen völlig verdorben.«

»Heute morgen sagen Sie, Herr Kriminalkommissar, halb drei Uhr ist es …. nun bin ich schon zehn Jahre bei Ihnen, aber das ist noch nicht vorgekommen, Sie ergeben sich einem ….«

»Sprechen Sie es nur aus, Mutter Mangold, Luderleben wollen Sie sagen.«

»Das wollte ich nicht sagen, aber gedacht habe ich es mir!«

»Sehen Sie, aufrichtig sind Sie doch immer noch, aber haben Sie keine Angst, Mutter Mangold. Die längste Zeit hat das Durchgehen gedauert, ich bin wirklich froh, wenn ich mal wieder zeitig zu Bett komme, oder haben Sie vielleicht geglaubt, daß mir die Nachtschwärmerei besonderes Vergnügen mache? Nee, Mutter Mangold, da sind Sie schief gewickelt, aber sehr schief, dafür müßten Sie mich doch kennen.«

»Ja, ich habe mir gedacht, es stecke da was hinter. Wissen Sie, Herr Kriminalkommissar, wenn die jungen Herren so plötzlich alle ihre Gewohnheiten ändern, dann steckt was Weibliches dahinter, jedesmal …. da können Sie Gift drauf nehmen.«

»Gut beobachtet, Mutter Mangold, nun gießen Sie mir wenigstens mal den Tee ein.«

»Ich bin ja schon dabei und sehen Sie, nun will ich ja auch gar nichts mehr sagen, wenn das eine geschäftliche Sache ist. Das mit dem Durchgehen, meine ich, dann ist ja alles gut.«

»Aber, Mutter Mangold, in meinen Jahren hat man sich doch die Hörner abgelaufen.«

»Ach, Herr Kriminalkommissar, sagen Sie das nicht. Der Champagner und die Austern und die jungen Mädchen, die schmecken auch den alten Herren schön und machen sie zum Narren.«

»Sie meinen es gut, das weiß ich, aber seien Sie ganz außer Sorge, ich habe eine sehr schwere Sache, wo es sich um ein Menschenleben handelt. Mutter Mangold, und da muß man eben etwas mehr opfern als seine Bureaustunden. Ich habe es mit einer ganz gerissenen Gesellschaft zu tun …. na, nun wissen Sie ja Bescheid, Mutter Mangold, und nun werden Sie mir keine Gardinenpredigten mehr halten.«

»Aber ich bitte Sie, Herr Kriminalkommissar, es war wirklich nicht böse gemeint. Sehen Sie, wenn man so lange bei einem Herrn ist, da vertritt man gewissermaßen Mutterstelle, und man ängstigt sich. Manche Nacht habe ich wach gelegen und zwölf, eins, zwei schlagen hören. Da kamen mir denn so allerlei Gedanken in den Kopf, man liest ja so viel von den Verbrechern jetzt, es könnte Ihnen doch auch ganz leicht ein Unglück passieren.«

»Ja, davor sind wir natürlich nicht sicher, aber Wachsamkeit, kaltes Blut und ein bißchen Courage helfen unser einem schon über die Gefahren hinweg.«

Bim, bim.

»Ach Gott, es klingelt, Herr Kriminalkommissar, wer mag das sein?«

Frau Mangold huschte hinaus und kam dann gleich zurück.

»Herr Kriminalkommissar, ein Leutnant von den Zietenhusaren, er muß Sie unbedingt sprechen.«

»Hat er seinen Namen nicht genannt?«

»Nein, ich sagte, der Herr Kriminalkommissar sitzen beim Frühstück, der Herr Leutnant möge nach der Leipziger Straße ins Bureau gehen, aber er meinte, er sei ein Freund von Ihnen ….«

»Na, dann lassen Sie ihn herein.«

Im nächsten Moment trat der junge Offizier ein. Er war im bequemen Interimsattila, der zu seinem blassen, etwas übermüdeten feingeschnittenen Gesicht sehr gut stand.

»Aber Liebenau, Mensch, was ist denn los?«

»Eine unangenehme Geschichte.«

»Was heißt das, seid Ihr denn gestern nicht nach Hause gegangen?«

»Nein, eben nicht. Hätte ich Dir nur gefolgt, wir gingen noch zu Madame Marguerite, um eine Tasse Kaffee zu trinken, sie hat doch die seltsame Gewohnheit, zwischen drei und vier Uhr nachts ihre Paladine zu empfangen. Da war ihr Bruder, der Irrenarzt, und wenn der Kerl da ist, wird immer hoch gespielt.«

»Also kurz und gut, wieviel hast Du verloren?«

»Eine Bagatelle, fünftausend Mark in bar und fünfzehntausend auf Ehrenschein.«

»Na, erlaube mal.«

»Ich habe meine ganze Hoffnung auf Dich gesetzt, Lippe, zu keinem Menschen in der Welt habe ich solches Vertrauen, wie zu Dir. Schon von dem ersten Augenblick, als ich Dich im Schloß meines Vaters kennenlernte. Damals waren wir einander völlig fremd und heute sind wir Duzbrüder.«

»Ja, ja, der Champagner schäumt manchmal über, und da werden Brüderschaften geschlossen, die ….«

»Aber, Lippe, Du willst doch nicht ….«

»Laß mich doch ausreden. Ich wollte sagen, die von Herzen kommen.«

»Ich weiß, Du hast in der hohen Finanz sehr gute Beziehungen, vielleicht kannst Du mir doch das Geld verschaffen.«

»Laß mich mal nachdenken. Die Barschulden könnte ich Dir ja von meinem eigenen geben, aber die Ehrenscheine …. Weißt Du was, telegraphiere an Deinen Onkel Mohrungen.«

»Ach nein, das möchte ich nicht, er hat meinem Vater erst vor einigen Wochen mit zehn Mille ausgeholfen, es geniert mich.«

»Dann werde ich es eben versuchen, Dir zu helfen, verlaß Dich auf mich, heute Abend bekommst Du die zwanzig Braunen und zahlst sie mir zurück, wie Du kannst. Du bist doch bei Marguerite heute Abend?«

»Aber natürlich, sie ist doch meine Braut.«

»Junge, ich habe das immer für Scherz genommen, Deine Braut?«

»Wie könnte ich mir einen Scherz erlauben.«

»Aber ich frage Dich, wer ist Marguerite? Sie nennt sich Baronin de Ribérac, ist aber zweifellos eine Deutsche. Das ist also schon verdächtig.«

»Ich bitte Dich, Lippe, nütze nicht meine Zwangslage aus. Ich kann Dir naturgemäß jetzt nicht böse werden, kann auch keine Szene machen. Natürlich ist sie eine Deutsche, die den Baron de Ribérac geheiratet hat. Das kommt doch hundertmal vor. Nachdem sie Witwe geworden war, ist sie nach Deutschland zurückgekehrt. Kannst Du ihr irgend etwas nachsagen?«

»Nein, nein. Sie erfreut sich des besten Rufes, wirkt in allen Wohltätigkeitsveranstaltungen der Aristokratie mit, ihr Salon wird von jedermann besucht, der etwas bedeuten will in Berlin, kurz, alles ist tipptopp.«

»Nur ein Punkt.«

»Und der wäre?«

»Niemand weiß, wovon sie ihren Aufwand bestreitet.«

»Das ist doch sehr einfach, von ihren Gütern in Frankreich.«

»Schlösser, die im Monde liegen.«

»Aber, Lippe, sei nicht komisch, Du machst mich ernstlich böse, und die Frau ist, wie ich Dir schon sagte, meinem Herzen so teuer, daß ich sie auch gegen den Willen meiner Familie zu meiner Gattin machen werde.«

»Also Deine Familie ist dagegen?«

»Ja, mein Vater ist gegen alles Exotische.«

»Und da hat er nicht unrecht …. Aber schließlich, was geht es mich an, ich kann Dir nur als älterer Kamerad Vorsicht anraten, und wenn Du ganz sicher gehen willst, nimm mal vorher mit Deinem Regimentskommandeur Fühlung wegen des Heiratskonsenses.«

»Ach, darauf kommt es ja gar nicht an. Wenn das Regiment mir Späne macht, nehme ich glatt den Abschied.«

»Du scheinst mir da in einem gefährlichen Fahrwasser zu treiben, mein Junge, Du bist bis über die Ohren verliebt und verlierst den richtigen Gesichtswinkel, unter dem Du das Leben zu betrachten hast. Mache Tollheiten soviel Du willst, spiele, trinke, schaff' Dir ein niedliches Mädel an, oder zwei meinetwegen, zwei sind immer besser als eine, denn an einer bleibt man oft kleben. Aber sei um Gottes willen mit dem Heiraten sehr vorsichtig. Denn hast Du eine Dummheit gemacht, ist die Reparatur sehr schwer.«

»Ich fühle, daß Du mir wohl willst und daß Du mir ehrlich rätst, aber verzeihe mir, wenn ich in diesem Falle Deinem Rat nicht folge. Ich weiß über Marguerite ganz genau Bescheid. Sie hat mir Wort für Wort ihre ganze Lebensgeschichte erzählt, und Du kannst Dich völlig beruhigen, es ist alles in bester Ordnung. Ihr Vater war Offizier. Er stürzte bei einer Übung mit dem Pferd, zog sich innere Verletzungen zu und starb. Seine Frau und ihre zwei Kinder saßen mit der spärlichen Witwenpension da. Na, und für solche Mädchen gibt es eben nichts anderes als den Lehrerinnenberuf. Um sich im Französischen auszubilden, ging sie sehr jung nach Paris. Da hat sie eben den alten Baron de Ribérac kennengelernt und geheiratet. Ihr Bruder ist ein sehr geachteter Arzt, der sich mit Stundengeben spärlich und mühsam heraufgearbeitet hat. Er ist, wie Du weißt, erster Assistent in der Nervenheilanstalt des Doktors Mühlfort in Wannsee.«

Lippes Sinne schärften sich, als sich das Gespräch dem springenden Punkt näherte.

»Der hat Euch wohl auch den Rat gegeben, Deinen Onkel dorthin zu bringen?«

»Nein, nein, damals kannte ich ja Marguerite noch gar nicht, ich habe sie erst viel später in einer Gesellschaft kennengelernt.«

»So, so.«

»Also Du brauchst keine Sorge zu haben, Marguerite ist durchaus keine Dame, die man nicht heiraten könnte, wie Du vielleicht glaubst.«

»Desto besser für Dich. Es ist ja immer eine undankbare Aufgabe, einen Verliebten zu belehren.«

»Sehr liebenswürdig und sehr kameradschaftlich von Dir, und ich bin Dir auch sehr dankbar, aber Du siehst wirklich Gespenster.«

»Gut, ich sehe Gespenster, will's mal glauben. Jedenfalls soll mich das nicht abhalten, Dir aus Deiner augenblicklichen Verlegenheit zu helfen.«

»Dann will ich Dich nicht länger aufhalten, wir sehen uns ja heute Abend wieder. Sei herzlich bedankt und …. auf Wiedersehen.«

Als der junge Graf Liebenau gegangen war, machte sich Lippe schnell zum Ausgehen fertig, indes Frau Mangold ein Auto holte. Kaum eine halbe Stunde nach dem Besuch trat er in sein Bureau ein, und sofort folgte ihm der Bureauvorsteher Großmann mit einem Aktenbündel.

»Immer noch nichts Neues?«

»Nichts von Bedeutung.«

»Keine Nachricht von Doktor Schäfer eingegangen.«

»Ein Brief, der – uns nur berichtet, daß die Angelegenheit noch auf dem toten Punkt steht.«

»Und haben Sie bei der Kriminalpolizei gefragt, ob über den Fall Kleißt etwas Näheres ermittelt ist?«

»Auch nichts.«

»Und was schreibt Doktor Schäfer?«

»Der Brief ist hier bei den Akten …. Regelmäßig jeden dritten Tag ist eine Dosis Morphium dem Essen beigemischt, aber die schärfste Beobachtung der Köchin hat noch keine sicheren Anhaltspunkte für ihre Schuld ergeben.«

»Ich habe auch so gut wie nichts ermitteln können. Sie wissen ja, daß ich mich seit Wochen in den Kreisen des jungen Liebenau bewege, um vielleicht von dort her Beweise gegen den Vater bekommen zu können, bisher ist aber alles vergeblich gewesen, der arme Junge tut mir entsetzlich leid. Er ahnt gar nichts von der Katastrophe, die seinem väterlichen Hause bevorsteht.«

»Verzeihen der Herr Direktor, wenn ich –« Großmann stockte in der gewohnten Weise – »wenn ich mir ein Wort erlaube. Die Augen des jungen Herrn Grafen gefallen mir nicht – sie haben so etwas Unstetes«.

»Ja, ja, aber das hängt anders zusammen. Der Liebenau ist ein guter Junge. Er spielt ein bißchen gern, verbraucht viel Geld, aber sonst, glaube ich, ist ihm nichts Böses zuzutrauen. Mir schoß heute früh, als er bei mir war, eine ganz andere Kombination durch den Kopf …. Sie kennen ja die Baronin Marguerite de Ribérac?«

»Ich habe in der Zeitung schon viel von ihr gelesen, fast auf jedem Fest ist sie anwesend, da waren dann ihre entzückenden Toiletten beschrieben, sie scheint eine Dame zu sein, die sich ….«

»Ja, ja, also, lieber Großmann, ziehen Sie einmal ganz unauffällig genaue Informationen über die Baronin ein. Wir sprechen dann später noch darüber. Ich habe mir ja selber den Verkehr in ihrem Haus erschlossen …. seit einiger Zeit gehöre ich sogar zu den Intimen. Alles sieht so tadellos aus, und doch …. ich weiß nicht! Es wäre mir erwünscht, festzustellen, ob die Baronin in irgendwelcher Form mit dem alten Grafen Liebenau Verbindung hat oder gehabt hat. Dann rufen Sie Kallningken an und lassen mich mit Schloß Mohrungen verbinden, ich muß den Herrn Baron unbedingt sprechen.«

Der Bureauvorsteher ging. Lippe blieb allein und zündete sich in aller Behaglichkeit eine Zigarette an, durchblätterte die Morgenzeitungen, und als er nichts fand, was ihn interessierte, wandte er sich den Akten zu, die ihm sein Bureauvorsteher gebracht hatte …. Aber halt, da war ja noch ein zweiter Brief von Doktor Schäfer, verschlossen und an seine persönliche Adresse gerichtet. Sein vertrauter Mitarbeiter wollte also offenbar eine Mitteilung machen, die nicht durch das Bureau gehen sollte. Sicherlich war da etwas von Bedeutung geschehen. Schnell erbrach er das Schreiben und las:

 

Lieber Lippe!

Die Untersuchung wird von Tag zu Tag ergebnisloser, dabei befestigt sich in mir immer mehr die Überzeugung, daß die Siegnis, ob nun aus eigenem Antrieb oder von einem anderen angestiftet, die Morphiumdosen regelmäßig bald dem Kaffee, bald der Suppe, bald sogar dem Wein beimischt. Trotzdem ich noch verschiedene Male das von Ihnen angewandte Experiment machte, gelang es mir nicht, Spuren des Giftes in ihrem Besitz zu finden. Es muß ihr also jedesmal die Dosis überbracht werden, die Papierhülsen wirst sie offenbar ins Feuer. Ich mochte bis jetzt noch keine der anderen Küchenfeen ins Vertrauen ziehen, es wird mir aber wohl nichts anderes übrigbleiben. Der Baron fühlt sich außerordentlich wohl, ich habe mit großer Energie die Entziehungskur eingeleitet, und ich darf wohl sagen, daß alles bestens gelungen ist. Ihrer Weisung gemäß muß er natürlich immer den Kranken spielen und von Tag zu Tag eine Steigerung der Symptome vortäuschen. Er ist sehr folgsam, aber alles tut er mit einem gewissen Mißmut, oder besser gesagt, einer Freudlosigkeit, die mich in Sorge setzt. Wenn er auch nicht spricht, so glaube ich doch, daß der Bruch mit seiner Braut ihm sehr nahe geht, und ich bitte Sie dringend, doch ja alles aufzubieten, um die Widersprüche zu beseitigen, die sich zwischen den beiden Verlobten eingeschlichen haben. Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie einmal wieder hierher kämen und nach dem Rechten sehen würden. Es macht mir den Eindruck, als ob Mohrungen Sehnsucht nach Ihnen hätte.«

 

Lippe hatte eben den Brief zu Ende gelesen, als das geheimnisvolle Klingelzeichen an seinem Schreibtisch anschlug, das ihm jedesmal einen Klienten meldete. Er hörte nur durch die Tür seinen Bureauvorsteher sagen, ja, der Herr Direktor ist frei. Dann steckte Großmann gleich den Kopf zur Tür herein und meldete: »Herr Geheimer Kommerzienrat Geldern.« Lippe sprang auf und eilte seinem Gast entgegen.

»Guten Tag, mein lieber Herr Geheimrat, ein seltener Besuch.«

»Ja, man hört von Ihnen überall in der Gesellschaft, und bei mir lassen Sie sich seit Monaten nicht blicken. Unsere Freundschaft ist doch kein leerer Wahn. Sie wissen doch, wie ich offen und im geheimen für Sie wirke, seitdem Sie meinen Namen vor einer großen Blamage bewahrt haben.«

»Müssen Sie immer wieder darauf zurückkommen, Herr Geheimrat, die Sache ist längst vergessen.«

»Ja vielleicht bei Ihnen, bei mir nicht. Ich vergesse Gefälligkeiten nie, die man mir erwiesen hat. Ehrlich gesagt, komme ich heute nicht allein, um Sie einmal zu sehen, nicht allein als freundschaftlicher Besuch, sondern auch geschäftlich. Es ist mir da eine Sache angetragen worden, zu der ich kein großes Vertrauen habe. Nun werden Sie mir ja sagen, Hände davon, aber es gibt Dinge, zu denen man kein Vertrauen hat und doch das Geschäft machen möchte …. Also ich werde Sie mal in ganz kurzem informieren.«

»Bitte schön, Herr Geheimrat.«

»Kennen Sie die Baron Marguerite de Ribérac?«

»Ich bin heute Abend bei ihr zum Souper.«

»Ah, dann werden wir uns sehen. Man kann doch mit seiner Frau hingehen?«

»Der Herr Staatsminister von Mergentheim mit Gattin ist auch da.«

»Also durchaus einwandfreie Sache?«

»So scheint es.«

»Und Ihre Meinung?«

»Meine Meinung …. ich habe das Gefühl, als ob nicht alles in Ordnung sei, ein gewisser Hautgout …. und wie ist es mit dem Geschäft?«

»Ja, sehen Sie, die Baronin ist mir von verschiedenen Seiten, ich kann sagen, von sehr guten Seiten, angelegentlich empfohlen worden.«

»Will Sie Geld?«

»Ja und nein, der Bruder will Geld.«

»Über den Bruder ist mir Nachteiliges nicht bekannt. Er gilt als ein sehr fleißiger und sehr tüchtiger Nervenarzt und ist seit einigen Jahren erster Assistent bei Doktor Mühlfort in Wannsee.«

»Ja, soviel weiß ich auch …. Dieser Bruder will ein eigenes Sanatorium gründen, auf ganz moderner Forschung auferbaut, mit Lichtbädern, allen möglichen elektrischen Anlagen auf einem weiten Terrain mit Pavillons und sonstigen Geschichten, kurz eine große Sache. Etwas, was noch nie da war, und er hat da ein Gelände in Aussicht zwischen Zehlendorf und Teltow, wunderhübsch gelegen, der Spaß kostet aber zirka fünf Millionen Mark. Weiter weg, wo er den Grund und Boden billiger haben könnte, will er nicht gehen. Er behauptet, daß gerade eine solche Anstalt vor den Toren Berlins, die durch ihre Lage die tiefste Abgeschiedenheit vortäuscht, einen gewaltigen Zuspruch haben müßte, und darin gebe ich ihm recht.«

»Ja, und was soll ich denn tun, Herr Geheimrat?«

»Die Sache gefällt mir, es paßt für die Unternehmungen meines Bankhauses. Ist auch vornehm und, wie ich glaube, obendrein ein gutes Geschäft, aber die Baronin de Ribérac und ihr Bruder, beide scheinen mir nicht hasenrein …. Sie wissen ja, lieber Freund, in Geldsachen bin ich wagemutig, aber in Personalsachen bin ich feige. Ich möchte mich nicht mit einem Hochstaplerpaar geschäftlich einlassen, und darum brauche ich Ihre Hilfe. Sie werden nach Paris fahren, mein Lieber, und eingehende Informationen über die Baronin de Ribérac einziehen. Wegen des Bruders da macht mich eins stutzig. Er will nur als Oberleiter lebenslänglich angestellt werden und zwar mit der lächerlich geringen Gage von zwölftausend Mark.«

»Das ist doch sehr ehrenwert.«

»Ja, aber mich macht es mißtrauisch. Wenn ein Mensch eine Sache, die fünf bis sechs Millionen kostet, anfängt und will dabei bloß jährlich zwölftausend Mark verdienen, so ist da was nicht in Ordnung. Hätte mir der Bursche gesagt, lieber Geldern, hier ist ein Geschäft, bei dem vielleicht im Jahre eine Million herausspringt, von der will ich die Hälfte haben und Du sollst die Hälfte haben, dann hätte ich ohne weiteres den Mann verstanden. So aber muß die Geschichte einen Haken haben.«

»Warum denn, lieber Herr Geheimrat? Sie haben in Ihrer Praxis offenbar vergessen, daß es Idealisten gibt, die um der Sache willen Geschäfte machen, die nur ihren eigenen großen Ideen dienen wollen.«

»Ja, solche Menschen gibt es. Ich habe sogar hier und da mal einen kennengelernt, aber gegen diese Ihre Theorie spricht die Tatsache, daß die Schwester, unsere liebe Baronin de Ribérac, für sich vor dem Geschäft schon einen namhaften Vorschuß verlangt. Kurz, es sind gar geheimnisvolle Dinge, die mich stutzig machen. Vor allen Dingen eins. Sie kennen den jungen Liebenau von den Zietenhusaren?«

»Ja.«

»Nun, die Ribérac gibt vor, mit ihm heimlich verlobt zu sein.«

»Das ist richtig, wenigstens ist Liebenau derartig in die schöne Frau verliebt, daß alle Vorstellungen seiner Familie ihn nicht von der Heirat abbringen können.«

»Und nun sagt mir die Ribérac, der junge Liebenau werde einmal die großen Güter des Freiherrn von Mohrungen erben. Und auf diese Erbschaft hin ….«

»Sollen Sie pumpen.«

Geheimrat Geldern nickte.

»Im Vertrauen gesagt, lieber Herr Geheimrat, Sie wittern eine Schiebung, nicht wahr?«

»Ja.«

»Und ich kann Ihnen sagen, das ist keine Schiebung, ich lege meinen Kopf und meine Hand dafür ins Feuer, das ist keine Schiebung, das ist ein Verbrechen

Lippe betonte jedes Wort haarscharf, und Geheimrat Geldern fuhr von seinem Sitz erschreckt empor.

»Bleiben Sie ganz ruhig. Ich weiß, daß ich auf Ihre Freundschaft zählen kann, denn sie ist bewährt seit vielen, vielen Jahren. So will ich Ihnen mitteilen, daß ich seit Wochen für Hatto von Mohrungen tätig bin. Halten Sie die Ribérac hin. Ihr heutiger Besuch hat mich um ein großes Stück vorwärts gebracht, ich fange an, klar zu sehen.«

In diesem Augenblicke klingelte der Wecker des Telephons.

»Verzeihen Sie, Herr Geheimrat, das wird Hatto von Mohrungen sein, den ich auf seinem Gut bei Kallningken anrufen ließ. Sie können zuhören, was wir sprechen.«

Lippe nahm den Hörer ans Ohr und meldete sich: »Halloh, hier Lippe …. ja, Kallningken dort?

So, Mohrungen. Gut. Sind Sie es selbst, Hatto? Nein nicht, Schäfer. Gut, schicke mir den Baron an den Apparat. – Er sitzt neben mir. – Umso besser. – Mohrungen? – Ja, guten Tag, wie geht es Ihnen …. Na, das freut mich. Ja, ja, wir sind der Lösung der Sache bedeutend näher gerückt, ich reise morgen Nacht ab, schicken Sie mir übermorgen den Wagen nach Kallningken. – Hallo, wo sind Sie denn, nun kommt die Hauptsache. Ihr Neffe Liebenau hat im Jeu zwanzig Mille verloren und pumpt mich an; ich halte es für richtig, ihm das Geld zu geben. – Gut, ich werde den Scheck ausschreiben, telegraphieren Sie aber umgehend an die Dresdner Bank.«

Geldern mischte sich jetzt in das Gespräch.

»Aber Lippe, wozu diese Umwege, ich gebe Ihnen den Scheck.«

»Nein nicht, lieber Herr Geheimrat, das dürfte auffallen.«

»Na, dann gebe ich Ihnen den Scheck auf einen anderen Namen. Ich arrangiere die Sache doch schneller als Mohrungen von Ostpreußen her.«

»Gut, gut …. Hallo, Mohrungen, sind Sie noch da? – Herr Geheimrat Geldern wird so liebenswürdig sein, die Sache zu regeln. Er ist hier bei mir im Bureau …. nein, nein, ein alter Freund, seien Sie außer Sorge …. ich sage ihm auch nicht mehr, als er wissen darf.«

Geldern lächelte vergnügt.

»Aber Sie kennen doch den Geheimrat. – Na, alles weitere mündlich, dann aus übermorgen; Wiedersehen, Hatto.«

Lippe legte den Hörer aus die Gabel, blickte seinen Gast forschend an.

»Eine große Sache, wie es scheint.«

»Ein Verbrechen, Mord, lieber Geheimrat, dreifacher Mord, aber der Schuldige wandelt nicht lange mehr ungestraft herum, ich sitze ihm im Nacken. Nicht umsonst habe ich wochenlang meine Nächte geopfert.«

»Also zu unserm Geschäft. In einer Stunde schicke ich Ihnen den Scheck ganz unverfänglich, oder wenn Sie wollen das bare Geld.«

»Das letztere ist mir noch lieber, Herr Geheimrat.«

»Gut, gut, und nun aus Wiedersehen heute Abend bei der schönen Marguerite.«

Lippe begleitete seinen Klienten bis vor die Tür und fand vorn im eleganten Wartezimmer Professor Köbner, der eben gekommen war, um, wie er gesagt hatte, ein paar Worte mit dem Herrn Direktor zu sprechen.«

»Ah, Herr Professor. Nun, hat sich etwas Besonderes ereignet? Bitte, treten Sie näher.«

Ich habe einen wichtigen Fund gemacht, Herr Lippe. Wie lange ist es her, daß Sie mich aufsuchten, sicher über drei Wochen.«

»Gewiß, so lange kann es sein.«

»Nun, ich habe die Visitenkarte wiedergefunden.«

»Ah, das ist ja sehr interessant, zeigen Sie bitte her.«

»Hier sehen Sie, ich sagte Ihnen gleich, es ist ein Doppelname.«

»Wahrhaftig, Sie haben recht. – Roch von Bahlingen und weiter nichts. Eine ganz moderne Visitenkarte. Wir werden dann zunächst feststellen, wo sie lithographiert ist.«

»Und es sollte wirklich dieser Roch von Bahlingen kein Abgesandter des Herrn von Mohrungen sein?«

»Aber ich bitte Sie, Herr Professor. Wenn ich Ihnen sage, daß Hatto in dem Augenblick, da Ihr Brief eintraf, einen Selbstmordversuch machte.«

»Vielleicht aus Reue über sein Vorgehen der jungen Dame gegenüber.«

»Sie können mir glauben. Ich habe doch keinen Grund, eine ehrenwerte Familie in Angelegenheiten und Trauer zu versetzen.«

»Sehen Sie, ich würde ja ganz gern meine Zustimmung zu der Wiederannäherung geben, aber meine Tochter hat sich in den Gedanken gefunden, wenn auch mit blutendem Herzen, sie ist in Rom, und die fremde Welt und die eigenartige Arbeit – ich habe Ihnen doch alles erzählt – macht einen vorzüglichen Eindruck auf ihr Gemütsleben.«

»Sie haben ihr nichts geschrieben von meinem Besuch, Sie haben nicht sofort an Mohrungen telegraphiert?«

»Nein. Ich hielt es für besser, noch einige Tage zu warten.«

»Ja, aber Herr Professor, wenn Hatto zum zweitenmal einen Selbstmordversuch macht, der ihm besser gelingt, dann haben Sie ihn auf dem Gewissen. Ein paar Tage gewartet, was heißt das. Vor länger als drei Wochen bin ich bei Ihnen gewesen, habe Sie aufgeklärt, habe Ihnen den Beweis erbracht, daß ein Schwindler, noch mehr, ein Verbrecher den Namen des Freiherrn von Mohrungen mißbraucht hat – verzeihen Sie, ich habe wirklich keine Worte für dieses Zögern.«

Lippe war ernstlich entrüstet über die Pedanterie des braven Schulmannes, die von unendlicher Tragweite hätte sein können, wenn nicht die außerordentliche Wachsamkeit des Doktors Schäfer jede Katastrophe unmöglich gemacht hätte. Köbner wußte gar nicht, was er sagen sollte. Er glaubte wie ein fürsorgender Vater und ein anständiger Mensch gehandelt zu haben, und der Detektiv machte ihm darob die heftigsten Vorwürfe.

»Ja, aber mein Gott, wenn Sie die Sache so darstellen – was hätte ich tun können?«

»Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Professor, Sie fragen wirklich wie ein weltfremder Philosoph. Schreiben hätten Sie sollen, am selben Abend. Lieber Mohrungen, hätten Sie schreiben sollen, Lippe war heute bei mir und hat mir erzählt, wie es mit Ihnen steht. Ich habe Ihre gute Meinung mit meiner Tochter völlig verkannt, denn ein Schwindler war bei mir und erklärte in Ihrem Namen, Sie wären hoffnungslos geisteskrank und könnten meine Tochter nicht heiraten. An die Geisteskrankheit konnte ich nicht glauben, drum nahm ich an, es wäre Ihnen lieber, wenn die Verlobung aufgelöst würde. Das hätten Sie ihm schreiben sollen und noch ein paar freundliche Worte hinzu, wie er sie verdient. Ich sage Ihnen, Herr Professor, ich habe mit Mohrungen jetzt wochenlang zusammengelebt, an dem Menschen ist kein Falsch.«

»Ja, und da meinen Sie, es könnte wohl durch mein Zögern ein Unglück passiert sein?«

»Es hätte können, glücklicherweise ist es nicht geschehen. Ich habe eben erst mit Hatto telephonisch gesprochen, es geht ihm, Gott sei Dank, gut, denn ich will Ihnen nur sagen, seine beiden Brüder sind vergiftet worden, und gegen ihn ist man auch mit Morphium vorgegangen. Man will auch Hatto von Mohrungen beiseite schaffen, damit das schöne Erbgut, der fürstliche Besitz, an eine Seitenlinie fällt.«

Der Professor saß mit offenem Mund und starren, entsetzten Augen da.

»Und der Schlüssel zu dem Geheimnis, Herr Professor Köbner, hat in Ihrer Hand gelegen. Wenn wir erst diesen Rock von Bahlingen haben, dann haben wir eine Hauptperson aus der Kawrusse. Sie wissen doch, was eine Kawrusse ist?«

»Nein, Herr Direktor Lippe. Ich habe als Primaner etwas Hebräisch gelernt, aber soweit bin ich nicht gekommen.«

»Sie haben ganz recht, aus dem Hebräischen stammt das Wort. Heute gehört es aber nur der Gaunersprache an und bedeutet Spitzbubengenossenschaft. Sie sind also der Überzeugung, Herr Professor, daß Sie den Herrn Rock von Bahlingen wiedererkennen, wenn Sie ihn sehen?«

»Ja, ja, ich sehe ihn noch ganz deutlich vor mir. Ein dunkles, hochgewachsenes Herrchen mit einem hübschen, etwas verlebten Gesicht, einem dunklen, kurz gehaltenen Schnurrbärtchen, sehr feine aristokratische Hände, gut angezogen.«

»Und im Wesen aufdringlich, frech?«

»Nein, im Gegenteil, zurückhaltend, sehr vornehm, zweifellos ein gut erzogener junger Herr aus der besten Gesellschaft.«

»Die Beschreibung patzt merkwürdig auf eine einzige Persönlichkeit, aber es will mir nicht in den Kopf, in welcher Weise diese Persönlichkeit beteiligt sein könnte. Der, den ich meine, Herr Professor, ist ein guter Junge. Etwas leichtlebig, verliebt, ein Spieler, aber nicht einmal von Passion. – Machte er den Eindruck eines Offiziers?«

»Ja, gewiß.«

»Vielleicht gar, wenn Sie da Erfahrungen haben, eines Kavallerieoffiziers?«

»Ja, bester Herr Direktor, wie soll ich das sagen?«

»Komisch, sehr komisch. Es ist heute schon das zweite Mal, daß ich Verdacht gegen diesen harmlosen jungen Menschen fasse – –«

Lippe sprach ganz in sich versunken, fast wie zu sich selbst, er schien die Gegenwart des Professors Köbner völlig vergessen zu haben.

»Ich sehe nur noch nicht ganz klar genug, mir fehlt die Brücke von einem Ereignis zum andern, und doch – wenn die litauische Köchin überführt ist, befindet sich die Brücke dort. Sie ist als kaum erblühtes Mädchen die Geliebte des …. jungen Menschen gewesen? Unmöglich! Aber je mehr ich die Ereignisse gegeneinander abwäge, – – nein, nein, der Mord an Kleißt paßt nicht.«

Lippe sprang plötzlich jäh auf.

»Sie entschuldigen mich, Herr Professor, es ist heute so viel aus mich eingestürmt, so viel Neues und Wichtiges, daß ich Ihnen vielleicht ein bißchen wunderlich vorkomme, ungeordnet in meinen Gedanken, aber es macht nichts, ich werde schon klar werden, heute Abend vielleicht schon. Aber tun Sie mir den einzigen Gefallen und schieben Sie den Brief an Hatto von Mohrungen keinen Augenblick länger auf. Schreiben Sie ihm gleich heute Abend. Ich werde voraussichtlich morgen nach Mohrungen reisen und Hatto berichten, daß alles wieder in Ordnung ist. Aber der Öffentlichkeit gegenüber muß die Situation so bleiben, wie sie war. Den Briefwechsel zwischen Hatto und Ihrer Tochter vermittle ich, Sie werden daher auch die Güte haben, Ihren Brief in mein Bureau zu schicken. Wir stehen auf dem Sprung, das Verbrecherkonsortium zu entlarven, aber es darf keine Ahnung davon haben, und ich weiß nicht, wieweit die Korrespondenz des Herrn Barons beobachtet wird.«

»Noch ein Wort, ehe ich gehe, Herr Direktor. Sie wissen bestimmt, daß Herr von Mohrungen eine Trennung nicht wünscht?«

»Ich weiß bestimmt, daß Herr von Mohrungen eine Trennung von Ihrem Fräulein Tochter nicht überleben würde. Es ist einer jener Menschen, die nur ein einziges Mal in ihrem Leben lieben, dann aber mit der ganzen Kraft ihrer Persönlichkeit.«

»Und sein seltsamer Brief?«

»Er war nicht ernst zu nehmen, denn er war geschrieben aus der tiefen Nervenerschütterung heraus, die das schleichende Gift in ihm erzeugt hatte. Er hatte die Freude am Leben verloren, glaubte jede Augenblick der Wahnsinn, der seine beiden Brüder hingerafft, werde bei ihm ausbrechen, er hielt sich für erblich belastet, und wollte ein junges, frisches Menschenleben nicht an sein dunkles Geschick knüpfen. Männliche Ehrlichkeit, der höchste Ausdruck aufopfernder Ritterlichkeit, war der Brief …. Und er hätte auch von Ihnen so aufgefaßt werden müssen, wenn nicht der Rock von Bahlingen, der Abgesandte des Mörders, in Ihnen ein falsches Bild der Situation hervorgerufen hätte.«

»Ja, ja, wenn ich es so betrachte, haben Sie recht.«

»Natürlich habe ich recht. Es freut mich nur, daß Sie es endlich einsehen. Äußerlich also, Herr Professor, damit wir uns verstehen, bleibt alles beim alten. Ich hoffe in einigen Tagen Näheres zu ermitteln. Bis dahin sprechen Sie mit niemandem über die Sache, auch nicht mit Ihrer Frau Gemahlin, wenn ich bitten darf.«

»Was glauben Sie aber nur, welches Motiv dieser Rock von Bahlingen hätte, die beiden Leutchen auseinander zu bringen?«

»Ein teuflisches Motiv, Herr Professor. Er wollte dem schon durch das monatelang beigebrachte Morphium zerrütteten, an den Rand der Verzweiflung getriebenen Mohrungen eine schwere Seelenwunde beibringen. Man hatte ihm den Freund, der wie ein Bruder für ihn gesorgt, auf öder Heide grausam erschlagen, und nun wollte man dem Geängstigten den einzigen Anhalt nehmen, den ihm das Leben noch gelassen hatte, die Braut, das junge, liebliche Geschöpf, an dem er mit allen Fasern seines Lebens hing. Das mußte ihm auch von der Seite gerissen werden. Und die Gesellschaft wußte genau, was sie tat. An einem Haar hätte sie ihren Zweck erreicht. Wenn Sie vielleicht in den Weihnachtsferien mit Fräulein Cornelia einen Besuch auf Mohrungen machen, dann sehen Sie sich die Decke von Hattos Arbeitszimmer an, dort ist die Kugel eingeschlagen, die er sich durch den Kopf jagen wollte.«

»Entsetzlich, Herr Direktor, ganz entsetzlich!«

»Ja, und nun begreifen Sie wohl, daß Sie dem armen, unglücklichen Menschen so schnell wie möglich seine Lebenshoffnung wiedergeben müssen?«

»Ja, ich begreife das. Herr Direktor, halten Sie mich nicht für einen verknöcherten, herzlosen alten Schulmeister, nein, nein, das bin ich gewiß nicht. Ich habe nicht alles menschliche Empfinden und alles Mitgefühl für meinen Nächsten in der Beschäftigung mit den römischen Heiden verloren, im Gegenteil …. wenn Sie den alten Köbner brauchen können, so rufen Sie ihn, er wird zu Ihren Diensten sein.«

»Ich danke Ihnen im Namen Hattos, geben Sie mir Ihre Hand, Herr Professor.«

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, und wenige Augenblicke später war Lippe in seinem Arbeitszimmer allein, ganz allein. Draußen auf der Leipziger Straße flutete das eilige Leben der Großstadt, aber der Kriminalist hörte nichts von dem Tuten der Automobile, dem Klingeln der Elektrischen, sein Verstand tauchte völlig unter in die Erforschung des eigentümlichen Mordanschlages, der so gar keine Ähnlichkeit mit anderen hatte, so zahlreich auch die Verbrechen sind.


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