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Der Herr Minnesänger

So habe ich mir immer den »Sieger« vorgestellt, der die Feder nicht verachtet, obwohl er den Säbel verehrt. Im »Feindesland« angekommen und im Quartier untergebracht, schnallt er diesen ab, nimmt jene zur Hand (»ergreift« sie beziehungsweise) und durchforscht alle Schubläden nach erotischen Requisiten. Er beschäftigt sich mit der feindlichen Nachtkasten-Literatur.

In Mußestunden zeichnet er auf, was ihm so durch sein angebliches Gehirn geht. Im Kasino gilt er als Belehrter und Belesener. Er ist einer, von dem die Kameraden sagen: »Major Delmar? Kennen Se nich?! Der schriftstellert ja!«

Vielleicht macht er auch Gelegenheitsgedichte zu Regimentsfeiern. So wird er ein Grenzfall. Zwischen Mars und Apoll ist er gelegen. Welche Schriften aber stellert er zumeist? – Tagebücher, Memoiren und sogenannte Splitter.

Ein so langer Feldzug in Frankreich (man kann auch Welschland sagen), wie ihn uns Gott zwischen vierzehn und achtzehn beschert hat, verursacht ein ganzes Buch des Herrn Majors. Er hat es in freien Stunden verfaßt, so unterwegs, zwischen Stahl- und Wannenbad, wenn das Schlachtroß in den Stall einkehrte, um den Pegasus hinauszuschicken. Das Buch heißt » Französische Frauen, Erlebnisse und Beobachtungen, Reflexionen, Paradoxen«. Maximilian Delmar ist der Urheber, Ernst Günther in Freiburg der Verleger.

Ich gebe Zitate.

»Eros ist ein Schalk, der seinen Spott so lange treibt, bis das Unheil geschehen ist. Wesenheit der Liebe des Weibes ist Spiel. Somit erkläre ich den Scherz für die wahrhafte Methode, wie sie einzig unserer Abhandlung gemäß ist.«

Da haben wir's! Das Schlimmste, was mir im Leben zustoßen konnte, ist ein scherzender Herr aus dem Kasino. Die Folgen seiner witzigen Veranlagung sind unbeschreiblich und nur zitierbar:

»Wir haben es (in Frankreich) mit einem Erdstrich zu tun, wo weder friesische Geschlechtskühle noch die vernichtende Passion der Liebesnächte von Neapel oder Sevilla zu finden sein werden.«

»In Frankreich haben wir vornehmlich in den für die menschliche Brunst entscheidenden Frühjahrsmonaten den allen verliebten Frauen so angenehmen Wechsel zwischen lauen Tagen und abkühlenden Nächten zu beobachten.«

»Die Französin glaubt erst an die Maturität eines Mannes, wenn er sich mit Erfolg ihrer eigenen Prüfung unterworfen hat. Sie erkennt den Geist des Mannes in dem Organ, das ihr huldigt.«

»Die Geschichte von Fifis Brautnacht liegt im Dunkel und Schweigen eines Hotelzimmers von Nizza.«

Wenn dieser Herr Major ein paar Seiten über die Erotik der Großstadt geschrieben hat, setzt er an den Schluß folgenden Satz:

»Mit diesen wenigen Strichen ist die Eigenart der großstädtischen Erotik gezeichnet.« (Punkt. Basta. Widersprechen Sie nicht!)

»Die französische Jungfrau wartet auf den Bräutigam und nicht auf den Liebhaber –«. (Er hat also Pech.)

Ein Gedicht:

»Köstlich hielt der Künstler zwischen zwei Gebärden,
deren Triebe wichtig sind auf Erden:
Amor spielt der Psyche an den Beinen.
Denn die Liebe muß im Leib erscheinen.«

»Der Hochzeitstag bringt immer die Entscheidung für die endgültige Daseinsform im Leben des französischen Weibes.« –

»Wer diese Tränen noch nicht geküßt hat, ahnt nichts von der Lust, die eine ehebrecherische Französin zu schenken vermag.« (Er hat also kein Pech gehabt.)

Er hat Erfahrungen gesammelt, dieser Herr Major, kein Zweifel! Er hat Balzac, die Goncourts, Flaubert, Maupassant gelesen und mit beträchtlichen Abschnitten klassischer Werke sein Buch gefüllt. Er ist ein Meister der pornographischen Ideenassoziation. Kein Gürtel, kein Kamm, keine Schublade, keine Ansichtskarte – kein Gegenstand im feindlichen Quartier ist vor seiner willkürlichen pornographischen Auslegung sicher. Dieser Major unterscheidet sich nicht von den Schulknaben, die in Lesebüchern Worte wie Gier, Mieder, Busen mit rotem Bleistift anstreichen und in den Zehn Geboten nach der Phrase vom »Weib des Nächsten« suchen.

Das wäre eine Privatsache, die uns nichts anginge, wenn dieser Major nicht vor die Öffentlichkeit getreten wäre: ein Ehrenmann, der Vorhänge wegreißt, in Schlafzimmern schnüffelt, Geheimnisse enthüllt, die ihn selbst verraten. Er ist schon längst entkleidet, nackt steht er vor uns. Das wäre nicht unsympathisch. Aber er hat den Säbel nicht abgeschnallt, und das Rasseln ist unappetitlich. Auf seinem Nachthemd glänzen die Tressen.

Hier ist einer, von dem man nicht sprechen würde, wenn er nicht so unverschämt wäre, nach dem verlorensten aller Kriege aus einem Land, das mit Friedhöfen zum Bersten gefüllt ist, seine Erinnerungen an Nachtkästchen und Kasinoanekdoten mitzubringen. Er ist nicht auf dem großen Totenacker geblieben, der für ihn ja ein Feld der Ehre ist. Aber statt seinem Schöpfer für die unverdiente Gnade zu danken, geht er hin und erzählt schmunzelnd vor aller Welt, er habe sich im Boudoir aufgehalten.

Und nichts rührt sich. Keine Hand erhebt sich, kein Invalide streckt seine Krücke. Die Toten schweigen wie die ehebrecherischen Frauen.

Frankfurter Zeitung, 9.5.1926

 


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