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»A Jour«

Die Lebensmittelkarte kennt ihr doch? Es ist ein Karton mit Buchstaben und Ziffern.

Die Buchstaben haben nicht etwa didaktische Zwecke, sondern werden bei verschiedenen Gelegenheiten mit der Schere ausgeschnitten. Zum Beispiel: wenn man städtische Marmelade oder andere Lebensmittel ausgibt.

Die Wiener Lebensmittelkarte erkennt man nicht nur daran, daß sie den Aufdruck »Wien« in der Mitte trägt, sondern an ihren Löchern.

Diese Löcher entstehen, wenn man Buchstaben ausschneidet.

Und aus den Wiener Lebensmittelkarten werden die Buchstaben in einer ganz merkwürdigen Reihenfolge geschnitten. Man hat z.B. soeben eine neue Lebensmittelkarte »gefaßt«. Sie hat noch alle Buchstaben und kein einziges Loch. Aber da wird städtische Marmelade angekündigt. Und zwar »gegen Abgabe des Buchstabens: M«.

Der Buchstabe M ist in der Mitte.

Und nächstens wird ein anderes »städtisches« Lebensmittel ausgegeben. Und zwar »gegen Abgabe des Buchstabens: R«. Ausgerechnet.

Man beginnt immer in der Mitte. Den Leitspruch des Wiener Magistrats: In medias res.

So eine Lebensmittelkarte muß man sich dann anschauen. Brüssler Spitzen sind nichts gegen diese Ajourmuster. Ich wollte nämlich nur sagen, wie man Wiener Lebensmittelkarten agnosziert.

Josephus

Der Neue Tag, 14. 3. 1920

 


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