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Verwirrung

Der Gasautomat ist ein bescheidenes Möbelstück. Er birgt sich im Vorzimmer, hinter der Tür, schwarzlackiert und unscheinbar und nur mit einem Messingstreifen als schüchterner Verzierung auf der Stirn.

Der Gasautomat hat einen Mund. Eine schmale Ritze. Mit diesem Werkzeug pflegte der Automat Sechserln aus Nickel oder Eisen zu verschlingen. Die Köchin machte sich immer im Dunkel des Vorzimmers zu schaffen. Sie suchte den Mund des Gasautomaten. Es war ein zärtliches Verhältnis zwischen der Köchin und dem Gasautomaten.

Wenn der Automat hungrig war, verdunkelte sich plötzlich das Zimmer. Die Gaslampe begann grünlich-gelb zu schimmern wie einer, dem es schlecht wird. Das feinkarierte Netz im Zylinder wurde mit allen Fäserchen sichtbar wie die Kulisse in der Oper, wenn Gretchens Bild am Spinnrad dahinter erscheint. Die Gesichter der Menschen waren wie von einem überirdischen, seltsam mystisch-grünen Scheinwerfer übertüncht. Selbst der Kanarienvogel zwischen dem Rhododendron und der Fensternische begann angsterfüllt zu zwitschern, schlug mit den Flügeln und machte einen Wind. Es war ganz wie bei der Sonnenfinsternis.

Die Damen begannen in den Täschchen zu kramen, die Herren steckten sämtliche greifbaren Daumen und Zeigefinger in die Westentaschen. Irgendwo erschien auf dem Tische ein Sechserl. Die Tochter des Hauses verschwand im Dunkel des Vorzimmers. Ein klapperndes Geräusch zeigte die Vollendung ihres Sündenfalles an. Die Köchin barst vor Eifersucht. Alles das hat sich nun seit einiger Zeit geändert. Der Mangel an Sechserln veranlaßte die Direktion der städtischen Wasserwerke, die Gaspreise zu erhöhen. Man müßte nun eigentlich eine Papierkrone in den Mund des Automaten stecken. Der aber will von einer Krone nichts wissen. Er kann die Valuta nicht verdauen. Er will immer noch nur ein Sechserl, das mehr wert ist als eine Krone.

Früher pflegte ein Mann mit einem rätselhaften Schlüssel und einer großen Bierträgertasche zu kommen. Er kniete vor dem Gasautomaten und pumpte ihm den Magen leer. Alle Sechserln wanderten in die Tasche. Die Verdauung des Gasautomaten war geregelt.

Nun ist die Kasse offen. Der Gasautomat läßt sich betrügen. Es ist eine Schmach.

Man wirft ein Sechserl hinein, der Automat glaubt daran und funktioniert gewissenhaft.

Aber dann holt man unten das Sechserl wieder heraus und steckt es wieder in den Mund des Automaten.

Nach einem Monat kommt ein Mann mit einem Bleistift und einer Rechnung. Er zählt am Bauch des Automaten ab, wie oft dieser getäuscht wurde, und kassiert die Zahl der illusorischen Sechserln in Kronenwährung ein.

Ein Kubikmeter Gas kostet eine Krone, der Automat gibt ihn aber nur für ein Sechserl her. Aus Dankbarkeit entlockt man diesem immer wieder sein Geld und zahlt es dafür in Kronen einem Dritten. Ein Kubikmeter Gas kostet also in Wirklichkeit ein Sechserl, das heißt weniger als eine Krone. Eine Krone will der Automat nicht, weil ein Sechserl mehr ist als eine Krone.

Oh, welche Verwirrung! ...

Josephus

Der Neue Tag, 27. 11. 1919

 


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