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Der neue Hofpark

Zwischen dem Staatsamt für Äußeres und der Rückfront des Modena-Palais, in dem der Staatskanzler residiert, gegenüber dem seitlichen Burgeingang in der Schauflergasse befindet sich eine weite Rasenfläche. Lange Zeit war sie unbenutzt. Die monarchische Regierung nahm selbstverständlich keine Rücksicht auf die nachrevolutionäre Wohnungsnot. Man hielt den Rasen für einen dringenden Staatsakt und ließ infolgedessen – Gras darüber wachsen. Freilich gab es der Hofparks genug. Hätte man etwa noch einen schaffen sollen?

Aber die Republik braucht einen neuen Hofpark. Schönbrunn gehört den Invaliden. Und die neue Dynastie war sozusagen heimatlos. Freilich, ein Büro hatte der Staatskanzler noch. Aber konnte man etwa in einem Büro wie in einem Schönbrunnerpark als alter Herr sorgenschwer sitzen? Nicht nur das alte Lied verlangte nach einer sinngemäßen Textänderung. Auch die Autorität forderte ihren Rahmen. Eine Majestät ohne Park aber ist ein Unsinn. Ein Staatskanzler, der in einem Büro arbeitet – wodurch unterscheidet er sich von einem simplen Diener des Staates? Aber ein Staatskanzler in einem Park – den nenn' ich einen Staatskanzler.

Dr. Renner, der wie eine Version besagt, aus St. Germain eine unüberwindliche Vorliebe für Eisengitter mitgebracht hat, ließ also einen großen Teil der Rasenfläche einzäunen. Das soll 160 000 Kronen gekostet haben, aber das ist nicht viel, denn es ist sozusagen der Wiederaufbau Deutschösterreichs, der mit der Durchschneidung des Rasens vor der Staatskanzlei einen verheißenden Anfang genommen hat und sich in Gestalt eines Eisengitters auf gemauerter Grundlage präsentiert. Innerhalb des Rasens soll ein schmucker Pavillon erbaut werden, in dem Dr. Renner fern vom Lärm des Tages arbeiten wird. »Der Staatskanzler als Einsiedler« dürfte dann ein Feuilleton der »Arbeiter-Zeitung« heißen. Ob die künftige Politik ihre Weltfremdheit etwa dem Milieu ihres Geburtsortes zu verdanken haben wird oder nur ihrer Abstammung, wird allerdings schwer festzustellen sein. Ein passender republikanischer Leitspruch als Torinschrift über dem Parkeingang ist noch nicht gefunden. Ich schlage vor: Odi profanum vulgus. Ein weiser Spruch, der etwaige unbesonnene Demonstranten von der Abfassung untertäniger Dank- und Ergebenheitsadressen an den Staatskanzler sicherlich abhalten dürfte. Im Sommer wird sich der Staatskanzler der nützlichen Beschäftigung hingeben können, Kohl zu bauen, wenn er etwa an dessen Hervorbringung durch Reden noch nicht genug haben dürfte. Der Umstand, daß gegenwärtig das alte Gras innerhalb des Eisengitters abgemäht wird, läßt darauf schließen, daß die Autorität des Staatskanzlers den Wunsch geäußert habe, im Frühjahr wenigstens das neue wachsen zu hören. Außerdem wird der Staatskanzler Gelegenheit finden, sich an heißen Sommertagen der Ruhe hinzugeben. Somit wird dann das abgeschaffte Wörtchen »geruhen« wieder in den deutsch-österreichischen Sprachschatz mit Hilfe eines Leitartikels der »Arbeiter-Zeitung« eingeführt werden können.

Mit dem Fortschreiten der Wiederaufbauarbeiten dürften auch die anderen Staatsämter und Behörden dem Beispiel der Staatskanzlei folgen. So wird die Aufstellung von spanischen Reitern vor dem Staatsamte für Volksernährung geplant, die Ausführung von Hindernisgräben vor dem Staatsamte für Äußeres, die Aufstellung von Abwehrkanonen vor dem Staatsamte für Unterricht und die Pflasterung mit Stinkbomben vor dem Gebäude der Tabakregie. Als einziges Staatsamt mit freiem Zutritt dürfte das Staatsamt für Finanzen übrigbleiben.

Die Tage, an denen Staatskanzler und Staatssekretäre im Freien arbeiten werden, werden besonders bekanntgegeben, damit rührende Einzelporträts und Familienbilder rechtzeitig in die »Woche« kommen.

Der Neue Tag, 12. 10. 1919

 


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