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15.

Die Roggenernte war eingebracht. Eine außergewöhnlich gute Ernte, und Bauer Kreihorst macht ein fröhlich Gesicht und dankte beim Erntebier vor allen Nachbarn seinem Schwiegersohn, so daß alle mit Dankwart anstießen. Und dieser trank ihnen und dem Schwiegervater schier unwirsch zu, denn es war ihm greulich, Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sein. Wie hatte ihm doch sein Schwiegervater beigestanden mit Rat und Tat. Und war sein eigener Fleiß gesegnet worden, so daß er die große Summe, die ihm sein liebes Weib in das verfallene Vatergut eingebuttert, zum großen Teil hatte zurückzahlen können. War aber nicht angenommen worden, sondern für den Erben zurückgelegt. Der meldete sich schon, aber Elisabeth arbeitete rüstig dabei und blühte in Jugendfrische. –

Auch unverhofftes Glück brachte dem Gut Gedeihen. Der Fürst hatte seinerzeit eine hohe Prämie auf den Kopf des Wilddiebes gesetzt. Die Waldbesitzer ringsum taten das gleiche. Und Wildrich Eulenrieds Erben erhielten die Summe. Illo gab seinen Teil sofort an Dankwart ab, der es ins väterliche Gut eingrub, damit es Weizen wuchere.

Die wenigen Stunden nach der Abendmahlzeit, die ganz einfach war, damit man mit unbeschwertem Magen die Nachtruhe genießen konnte, – sie brachten stille Freuden, die der Stadtmensch nicht kennt. Bauer Kreihorst verlangte nicht, daß seine Kinder immer um ihn waren, aber Dankwart wußte gut, was ihm die Wechselgespräche mit dem erfahrenen Landwirt für ein Segen waren. Sie kamen niemals als herrische, überhebliche Befehle, sondern wurden gleichsam als Nachtisch aufgetragen. Der Jüngere mochte sich nach Gefallen ihrer bedienen, was denn auch der wissenshungrige Dankwart mit heißem Verlangen tat. Die Schaffnerin streute alle Bauernregeln ein, die sie in einem hundertjährigen Schweinslederbüchlein verwahrte und denen auch der Bauer mit Anteilnahme zuhörte.

»Ist Punktum Wahrheit, Bas', was du da auskramst.«

Und sie las mit der großen Hornbrille auf der Nase: »Wenn's im August stark tauen tut, bleibt ganz gewiß das Wetter gut. Und wenn's im August viel Gewitter hat, wird auch der Winter barbarisch natt.«

»Die Jungen lachen mich aus«, meinte sie vorwurfsvoll. Aber sie lachten nur über den Eifer der alten Jungfrau, die unermüdlich bedacht war, dem jungen Bauer die alte Weisheit der Vorfahren nahezubringen.

»Sixt, Herr Baron«, – sie schwelgte gern in dieser Anrede, »Ihr habt vorhin klugen ›Gäricht‹ gemacht, was Ihr alles tun wollt den August durch. Ohne auch nur ein einziges Mal hinzuzusetzen ›wenn Gott will‹. Aber der Urahn schreibt hier auf das Pergamentene im Schweinsledernen: ›Vom 1. bis 9. Tag Rähjen, drauf folget 1 schöner Täg, darauf allwidder Räjen bis zum fuffzehnten. Welcher Tag widder scheen is. Nach dissen folgen guts Wetter bis zum 25. Un denn rächnets bis zu End.‹ Und nun sitzt du da mit deine Kenntnisse, Herr Baron.«

»Die Bas' hat allemal recht«, stand ihr der Bauer bei. »So war's schon bei Adam und Eva.«

»Da möcht ich doch bitten, daß mir der Bauer mit den beiden vom Leibe bleibt. Hab mich nie mit derer Dummheiten abgegeben. Und lese auch mein heiliges Büchlein nicht zum Gaudi vor, sondern zur Lehr.«

»Schon gut, Schaffnerin. Und nun denken wir an den Buchweizen. Sollte viel mehr angebaut werden. Ist das beste für den Bauern mit Weib, Kind, Knecht, Magd, Vieh und alles, was sein ist.«

»Jawoll«, bestätigte Dankwart. »Wollen hoffen, daß es ein rechtes Schlundjahr wird.«

»Wo hast den Namen her?«

»Aus der Lüneburger Heide. Weißt ja, Vater, daß ich dort in der Lehre war beim Großbauern Westermann. Hätt ich alles gelernt, was der gewußt hat, könntest du dich zur Ruh setzen, guter Vater.«

»Jawoll. Mit fünfzig Jahren zieh ich noch keine Pampuschen an und ruh auch nicht hinterm Ofen aus. Aber hast noch Fragen, Schwiegersohn? Ist ja noch manches zu tun, – ›August – Bauer, du mußt ...‹ über den Winterroggen, den ich im November und Dezember vorigen Jahres säete und den bei dir der vermaledeite Administrator so schmählich vernachlässigte, – wir wollen uns gemeinsam freuen. Der liegt ja schön geruhig in der Scheune und wartet aufs Dreschen. Aber du weißt ehestens, daß wir von jetzt bis Oktober keine Motten in unsern Arbeitsrock kriegen.«

»Es ist ein Jammer«, seufzte Elisabeth, »daß ich nicht beim Grummet und bei den Kartoffeln so helfen kann wie im vorigen Jahr ...« Sie schmiegte sich an den Gatten, und Dankwart raunte ihr ins Ohr: »Denk an unser Prinzchen, – ausruhn soll es.«

Die Base las eifrig, ohne zu wissen, was sie las. – Sie konnte alles »vornehme Getue« nicht »verknusen«, und echte Bauern taten nun mal nicht verliebt in der Erntezeit. So scheuchte sie die beiden mit den prosaischen Worten jäh auseinander: »Vergessens nicht, Herr Baron, die Stoppel zu stützen. Und denken's ans Säen der Wasserrüben!«

»Werde nur nicht obsternatsch, Base, mit all deiner Wissenschaft«, lachte der Bauer.

»Und mir liegt ohnehin Spörgel, Ölrettich und Senf im Magen«, seufzte Dankwart. »Das vergißt sich nicht so leicht. Und wer sein Vieh liebt, denkt auch an Spergula.« –

»Und jetzt müßt ihr in die Falle«, gebot der Bauer. »Die Base schnappt schon all lang nach dem Bettzipfel. Grüß mir die Frau Mutter Dankwart. Es ist hart, wenn man mit Schmerzen in die Nacht geht. Gib mir auch morgen Bescheid, ob dein Vater Besserung spürt.«

Bauer Kreihorst stand auf, beugte den grauen Kopf, faltete die Hände und sprach den Abendsegen:

»Herr, schütze Haus und Dach,
Verscheuch all's Ungemach,
Und laß uns halten hoch und wert
Unseres Hauses heiligen Herd.«

Am nächsten Tage brannte die Sonne heiß. Sie stach. Die Leute auf dem Gute arbeiteten sich hart. Man sah es an den müden Bewegungen, daß die Körper unlustig waren zu frohnen. Erst als rings in den Bergen und Felsen der Donner leise grollte, riß es die tief gebückten Körper nach oben.

»So haben wir es, dünkt mich, noch nie gehabt«, meinte der älteste Knecht. »Man vertreibt aber den Teufel am besten mit dem Beelzebub. Nur weiter geschafft! Das Schwitzen geht in einem hin.«

»Bis man liegen bleibt«, knurrte eine aufsässige Magd. »War gestern droben in der Burg. Die haben's gut. Die Halle wie ein Eiskeller und jede Stube kühl.«

»Wenn du alleweil auf die schaust, die es besser haben als du, lebst ein ungutes Leben, Bertha. Möcht die Sorgen nicht haben, wie der alte Herr Baron. Ich könnte sie nicht erdämmeln. Aber der junge Baron ist ein Kerl, der schafft's!«

»Ich mein auch nur«, brummelte die Magd. »Wenn man schwitzt für seinen Herrn, meint man, er könnt was zum Durstlöschen schicken.«

»Gierschlunk!« Also der Knecht. Und gerade in diesem Augenblick kam der alte Diener vom Schloßberg herunter mit schwerem Korb, und »die Fräulein Baronin« trug einen großen Rucksack, da waren wohleingepackte Gläser darin und Schmalz und Wurstbrote. Bauer Kreihorst spendierte eigen gebrautes Braunbier. Das bat sich sogar der Herr Landrat aus, wenn er mal »vorbei« kam und mit dem angesehenen Landwirt ein Viertelstündchen plauderte.

Als die meckernde Magd ein leckeres Butterbrot und einen duftenden Stangenkäse zum Munde führen wollte, nahm der alte Knecht es ihr seelenruhig fort und aß es selbst.

»Bist wohl von Gott verlassen?« schrie sie, hochrot vor Zorn.

»Nee, der hat mir eben beigestanden, daß ich's dir kunnt abjagen. Hast es etwan verdient?«

»Wenn mer emol ä Scherzchen macht ...«, jammerte sie. »Du hast wohl noch nie ä Scherzchen gemacht?«

»Oftens genug«, gestand er, mit vollen Backen kauend, »aber nich über die Herrschaft. Das is neue Mode, die kommt bei mir erst, wenn man die Ochsen beim Schwanz aufzäumt.«

Denn der alte Knecht konnte auch witzig werden, wenn er gereizt war. Es wurde eine lustige Vesper, aber nur für die lachenden Umstehenden, denn immer wieder, wenn die Magd sich etwas holte, wurde es ihr vom Mund gerissen, bis die Baronin zu Hilfe kam und mit freundlichen Worten die Magd betreute. Da schämte sich diese und lief ins Haus. Dort begegnete sie Dankwart, der sehr schnell gevespert hatte und nur einen raschen Bericht von Tante Hermine entgegennahm. Der Vater sei eigensinnig und wolle aufstehen, sie müsse gleich zu ihm. »Sieh, wie der Himmel aussieht!« rief sie noch im Forteilen.

»Was suchst du«, herrschte Dankwart die Magd an, »gibt es nichts zu tun draußen?«

»Sie hänseln mich draußen«, klagte sie wehleidig, »da möcht ein anderer arbeiten.«

»Bist du von Marzipan? Da soll doch ein Donnerwetter dreinschlagen. Marsch, an die Arbeit. Der Vorknecht wird dich weisen, ich muß zum Vieh.«

Aber das Donnerwetter schlug wirklich drein, ein Blitzschlag züngelte herab mit elementarer Gewalt. Die Magd schrie gellend auf. Sie kauerte sich in einer Ecke auf die Erde und hielt sich die Augen zu.

Dankwart eilte in die Ställe. Das Vieh war unruhig, und die Pferde hatten über die Stränge geschlagen. Eben brachten Knechte noch einen letzten Wagen mit Roggen in den Hof und schoben ihn rasch in die Scheune, ohne abzuladen. Dankwart führte die zitternden Pferde in den Stall. Sie bäumten hoch auf bei Blitz- und Donnerschlagen.

»Wo nur meine Lisel bleibt?« dachte er bang und sorgte dafür, daß Seile und Fesseln zur Stelle waren, um den Stier zu allererst herauszubringen, falls etwa ein Blitz zündete. Der wehrte sich ja immer mit unheimlicher Kraft, so daß man ihn gefesselt hinausziehen mußte.

»Das wüßt ich doch«, lobte Bauer Kreihorst, »daß ich dich bei den Wertstücken finden würde. Wart, ich helf dir. Eine Arbeit hast mir schon abgenommen, sah ich draußen. Hast der großen Scheune mit dem Schlauch ein ordentliches Bad gegeben. Unser Wohnhaus kommt später dran.

»Wo ist Lisel?« fragte Dankwart mit so bangen Augen, daß der Bauer hell auflachte.

»Solltest du doch kein rechter Bauer werden? Auch mal rücksichtslos zu rechter Zeit, wenn es das Vieh gilt?«

»Nein, Vater, in dieser Weise nie. Da mußt du mir schon meine Art lassen.«

»Schade.« Der Bauer zuckte die Achseln. »Meine Lisel ist weder von Zucker, noch von Salz, also wird ihr auch ein Regen nichts anhaben.«

»Aber sie trägt unsern Erben, Vater ...«

Zn diesem Augenblick zuckte wieder ein Blitz, der den ganzen Hof hellte, und ein Krachen dröhnte, als stürze der ganze Wald um.

Da kam Elisabeth über den Hof gegangen. Dankwart lief zu ihr und umfing sie mit seinen Armen. – Er fragte nicht: »Wo warst du?« Er hielt sie ja fest an sich gedrückt.

»Komm«, sagte er dringend, »im Stall ist das Melkeckchen, da kannst du sitzen. Wir gehen nachher ins Haus.

Sie folgte ihm gehorsam. »Bei deiner Mutter war ich, sie sorgte sich. Dein Vater wollte aufstehen, aber er mochte mich nicht bei sich haben.«

Dankwart biß sich auf die Lippen. Der Zorn stand in seinen Augen. »Mein Armes!« sagte er zärtlich.

»Seid ihr fertig?« fragte der Bauer barsch.

Die Stalltür wurde aufgerissen ...

»Feuerjo!« schrie der Hütejunge Kaspar. Ein lediges, viel herumgestoßenes Kind war er frech und aufsässig, aber Dankwart hatte ihn aufgenommen, weil er spürte, daß der Junge seine übermächtige Liebe zu den Tieren hinter dieser Frechheit versteckte. »Feuerjo! Euer Haus brennt, Bauer. Im Haus ist niemand, aber die Scheune ist angesengert, der Großknecht beim Löschen.«

»Lisel, um Gotteswillen, ich bitt dich, lauf ins Altenteil. Dort bist du sicher. Ich muß dem Vater nach.« Denn der Bauer war schon in rasender Eile nach seinem Hause gerannt. Schwarze Rauchschwaden kamen ihm entgegen, als er die Tür aufriß. Er stürzte zum Fernsprecher, riß den Hörer herunter. »Neunhundertneunundneunzig«, schrie er hinein. Dann kam sofort Antwort. »Man wird bald hier sein.«

Dankwart wollte die Fenster aufstoßen, um den erstickenden Qualm hinauszulassen.

Der Bauer schickte ihn zurück.

»Im Stall bist du am nötigsten, Dankwart. Ich helf mir hier allein, will den Brandherd suchen.«

Dann stieg er in jede Stube und rief laut: »Ist jemand im Haus?«

Aber es kam keine Antwort.

Dankwart stürzte zum großen Stall, während Bauer Kreihorst noch einmal auf den Boden kletterte. Hier in einem Koffer- und Kistenverschlag sah er sich einer Flamme gegenüber, die nur durch Kurzschluß entstanden sein konnte. – Sie war schon nach außen geschlagen, und ihre Funken hatten die Scheune versehrt. Von der Scheune her gab der Oberknecht unermüdlich Wasser auf das Dach des Wohnhauses.

Im Viehstall hatten die Leute wacker gearbeitet. Das »Ziehkind« Kaspar immer voran. – Denn der Stall war durch die Funken von der Scheune her schwer bedroht. Er mußte geräumt werden. Die größte Mühseligkeit – der störrische Bulle war noch nicht überwältigt. Alle Kräfte mühten sich, den Wilden, der vornan stand, hinauszutreiben. Er stemmte die Füße gegen den Boden, brüllte und schnob. Die Kühe liefen an ihm vorbei hinaus auf die nahe Weide. Leute aus dem Dorf kamen herbeigelaufen und halfen. Der Bulle wollte sich nicht geben. Er hatte schon einen Jungknecht arg verwundet. Dankwart zog rasch entschlossen einen Revolver und erschoß das wertvolle Tier. Mit ungeheurer Wucht stürzte es zu Boden. Der Kutscher hatte inzwischen die Pferde in Sicherheit gebracht. Der Himmel war jetzt völlig grauschwarz geworden. Diese Nacht erhellten die Blitze, denen krachender Donner folgte, daß die Mägde gellend aufschrien.

Dankwart griff den Hütejungen auf. »Mußt ins Altenteil springen, Kaspar, aber wie gefegt mußt laufen. Die Jungbäuerin sitzt drin. Nur fix grüßen sollst sie, und ruhig möcht sie sein. Gib Bescheid, wie es geht.«

Der Junge schoß wie ein Pfeil dahin.

Dankwart lief zum Wohnhaus zurück. Warum kam der Vater nicht? Die Sorge um ihn jagte ihn über alle Hindernisse. Er riß die Tür auf und kämpfte sich durch den bereits dichter gewordenen Qualm hindurch. Er sah nichts. Sein Fuß stieß plötzlich an einen Körper. »Herrgott, was ist hier?« stöhnte er. Seine Arme hoben eine leichte Last, – er trug sie ins Freie, erkannte die Magd Bertha und legte sie auf den Boden. Er schrie zu einigen Leuten hinüber, daß sie sich ihrer annehmen sollten. Dann stürmte er wieder ins Haus. »Vater! Vater Kreihorst!« rief er laut, und da keine Antwort kam, kämpfte er sich die Stiege empor. Auf der obersten Stufe lag der Bauer, die schwelende Flamme in dem Verschlag erhellte matt das blasse Gesicht. Dankwart hob ihn auf seine Schultern. Langsam nahm er Stufe um Stufe beim Niedergang. Drunten halfen ihm jetzt viele Hände die schwere Last sacht auf Decken zu legen. Da rasselten auch schon die Wagen der Feuerwehr herbei. Die Mannschaften sprangen ab. Ein Sanitäter mühte sich sofort um den Bewußtlosen. – Er war schon etwas zu sich gekommen, fiel aber wieder in Lethargie. Dankwart schickte einige Träger nach dem Altenteil, er selbst trug den Kranken mit. Vor dem Hause mußte ihn jemand ablösen, damit er rasch sein junges Weib vorbereiten konnte, daß sie nicht zu großen Schreck erlitte. – Er lebte ja, der Vater, und Dankwart hatte ihn gefunden. Aber die junge Magd war tot.

Aus dem brennenden Wohnhaus hatte man die Möbel getragen. Das wuchtige Bett des Bauern schaffte man ins Altenteil, damit er darin seine Genesung abwarten konnte. Glückselig und doch unter Tränen betreute Elisabeth den Schwerversehrten wie in früheren Zeiten. – Dankwart sah beim Heraustreten mit Entsetzen, wie die vollgefüllte Scheune in Flammen aufging. Die große Spritze konnte nur verhindern, daß die Funken noch auf andere Gebäude übersprangen. Die Feuerwehr hatte den Saugkorb in den Dorfteich gelegt, der an Kreihorsts Garten grenzte. Die Leute arbeiteten fieberhaft.

Der Kommandeur trat auf ihn zu. »Die Scheune mußten wir aufgeben, Herr von Eulenried. Es ist ein schwerer Verlust. Dafür ist das Wohnhaus nur im Bodenraum ausgebrannt. Ich habe Feuerwache dazu gestellt. Es ist gut, daß das Gewitter abgezogen ist. Ich fürchtete, für Ihr schönes Vieh auf der Weide ...«

»Sie kamen reichlich spät«, sagte Dankwart finster.

»Der Vorwurf trifft uns nicht. Wir wurden unterwegs zweimal angerufen. Menschen und Pferde waren in Gefahr. Darf ich nachher noch einmal nach Ihrem Schwiegervater sehen?« Dankwart nickte und wies ihm den Weg. Die Pumpen standen still. Die Feuerwache handhabte noch eine große Spritze, um die rauchenden Trümmer der Scheune unter Wasser zu halten. Der Landjäger sprengte heran. Dankwart nahm ihn beiseite und berichtete über den tragischen Tod der jungen Magd. Die Leiche lag am nahen Waldrand auf grauer Plane, die auch um sie herumgeschlagen war. Flüsternd standen eine Reihe Mägde davor. Der Hütejunge Kaspar hielt grinsend Wache.

»Wißt ihr näheres, wie das Mädchen den Tod fand. Warum war sie ganz allein im leeren Hause?«

»Wir hatten sie gefoppt«, gestanden scheu die Dirnen, »da riß sie uns aus. Aber wir wußten nicht, daß sie dringeblieben war.«

»Ja,« sagte Kaspar, »und nun ist sie an dem Stangenkäse erstickt, den sie haben wollte und nicht kriegte.«

Dafür erntete er eine schallende Ohrfeige von seinem Herrn, die ihn baß verstörte, denn er war bisher immer von ihm beschützt worden.

»Schluderworte gibt es nicht bei uns, – hast du mich verstanden?«

»Verstanden nicht, aber gefühlt.«

Der Fürst kam vorbeigeritten. Er hielt und ließ sich vom Pferd herunterhelfen. Seine Kriegswunde machte ihm immer noch zu schaffen.

»Es tut mir leid, lieber Eulenried. Haben Sie Vieh zu beklagen?«

»Nicht ein Stück, Durchlaucht. Aber doch weit Schwereres. Ein Menschenleben. Ich trug eine Magd aus dem mit Rauch erfüllten Hause, aber zu spät. Nun hat man sie schon in die Halle getragen. Sie unterstützte ihre Mutter, die erblindet ist.«

»Ich werde mich erkundigen und Rat schaffen. Wo ist Ihr Schwiegervater?«

»Im Altenteil. Ich fand ihn halb erstickt im brennenden Bodenverschlag. Aber er kommt durch – Gott sei gelobt!«

Der Fürst drückte Dankwart die Hand. »Ihr Eulenriede betreibt das Retten als Sport. Es ist nicht der schlechteste. Aber ich sage jetzt aus vollem Herzen: Gott sei's gedankt, daß diesmal der Retter gesund blieb! Eulenried, ich trage schwer am Verlust Ihres Bruders ...«

Nachdem Dankwart alles noch einmal besichtigt und gefunden, daß sein Oberknecht vorbildlich selbständig gearbeitet hatte, ging er sogleich an das Wiedereintreiben des Viehes in den unversehrten Stall. Wieder halfen die Leute aus dem Dorf treulich. Der Hütejunge zählte gewissenhaft. »Alles im Lot«, sagte er dann altklug. »Wir können Feierabend machen.«

Aber während wirklich alle Beteiligten sich stärkten, holte Kaspar unermüdlich die verlaufenen Hühner, Gänse und Enten zusammen. Es waren ja die Lieblinge und Pflegebefohlenen der Haustochter Elisabeth, die jetzt eine Baronin war, weil sie nicht hatte warten wollen, bis der Hütejunge Kaspar Administrator war. – Und als er sah, daß drei schöne Legehennen ertrunken waren, weil sie sich unbeaufsichtigt zu weit verlaufen hatten, – legte er die drei toten Tiere in die Diele des Altenteils mit dem Vermerk auf grobem Papier: » Verlustkonto

Als Dankwart am Abend dieses ereignisreichen Tages rechtschaffen müde in das Altenteil ging, fand er in der spärlich erhellten Diele zuerst das lächerliche Papier mit den toten Hühnern. Nebenan hörte er leise sprechen. Er öffnete sacht die Tür und erschrak. Trotzdem der Anblick friedlich war, der sich ihm bot. Der Bauer Kreihorst lag zwar noch im Bett, aber doch mit dem Gesicht der grünbeschirmten Lampe zugewendet. Und auf dem alten, breitausladenden Kanapee saß sein junges Weib Hand in Hand mit einem Manne, der wahrhaftig sein eigener Vater war.

»Guten Abend, Vater!« Seine eigene Stimme schien zu versagen.

Der alte Baron gab ihm den Gruß auch nicht zurück und hielt mit seiner großen Hand Elisabeth auf dem Sofa fest, die dem Gatten entgegengehen wollte.

»Warum hast du mir nicht gesagt, daß du ein so schönes, starkes Weib hast? Das mir in diesen eineinhalb Stunden lieber geworden ist als ihr drei Jungens in dreißig Jahren? He? Hintergangen hast du mich, Dankwart. Betrogen.«

»Ja, Vater, und du mich auch. Nie hätte ich gedacht, daß du halbkrank heruntergestiegen bist von unserem Nest, um mir gutes zu sagen.«

»Das nennt der Bengel ›gutes‹, Liese!. Hast du's gehört? Und warum stört er uns? Ich habe so lange nicht mit einem schönen jungen Weibchen auf dem Sofa gesessen.«

Dankwart bückte sich schnell zu seiner Elisabeth hin und küßte sie.

»Nun ja, das darfst du«, knurrte der Alte. »Sie hat mir auch schon so was verabreicht, oder vielmehr ich ihr.«

Nun ging Dankwart an das Bett des Kranken. »Du bist ja wach, Schwiegervater. Hast leidlich helle Augen, stört dich das Sprechen nicht? Willst du schlafen?«

»Warum soll er schlafen, wenn der ›Herr Bruder‹ zu ihm kommt und ihm Grüße von der neuen ›Frau Schwester‹ bringt?«

Bauer Kreihorst lächelte etwas schattenhaft. Dankwart beugte sich tiefer zu ihm und hörte ihn leise sagen: »Ich denk, wie sehr sich der Baron angestrengt hat, um zum Bauern zu kommen. Das ist auch von mir aus etwas Anstrengung wert.«

Und dann schlief der Kranke wieder. Der Baron verabschiedete sich polternd und wortreich. Dankwart spannte seine Pferde in einen niedrigen Korbwagen ein, half seinem Vater beim Einsteigen und fuhr ihn langsam durch das schwiegerväterliche und das eigene Gut zur Burg hinauf. Er saß beim Kutschieren neben seinem Vater und wunderte sich, daß er mit einem Male so schweigsam war.

»Geht es dir nicht gut, Vater?«

»Über Verdienst gut«, war die überraschende Antwort. Und dann kamen langsam die Worte hinterher, die, wenn sie nicht sein Vater gesprochen hätte, eine tiefe Rührung vermuten ließen. »Junge, – es sieht bei euch alles so wohlhabend aus. Und auch bei mir. Ihr habt euch wechselseitig geholfen. Ist die beste Kameradschaft ...«

»Mein Schwiegervater hat mir geholfen, und ich habe ihm gedient als dem vorbildlichsten Bauern im ganzen Kreise.«

»Hm. Und was glaubst wohl? Genau dasselbe sagte Kreihorst über dich, als er so in halber Ohnmacht lag.«

Da lachte Dankwart. »Ja, Vater, eben weil er ohne Besinnung war.«

»Dankwart, es ist ein wunderliches Gefühl für mich, zu wissen, daß es mit den Eulenrieds vorwärts geht ... ohne mein Zutun, Dankwart ... durch die Hilfe eines Mannes, den ich früher gern hatte, gern mit ihm sprach, – aber sobald er sich anmaßte, meine Kreise zu stören, – in seine Schranken zurückwies.«

»Wir wollen nicht mehr darüber sprechen, Vater. Wollen nur von Herzen hoffen, daß dieser zuverlässige Helfer wieder gesund wird und daß ich ihm weiter dienen kann.«

»Mir ist dies Wort unbehaglich in deinem Munde ... wir gehören zum Hochadel ...«

»Vater, wer ist adlig? Ich habe mir längst die Antwort selbst gegeben. Adlig ist der, der den Bauern liebt und seine schwere Arbeit ehrt.«

Der Wagen fuhr ganz langsam den steilen Weg zur Höhe.

»Ich danke dir noch einmal, daß du gekommen bist, Vater, und daß du bekannt hast, wie herzlich du meine Wahl billigst. Wie sehr hat Elisabeth unter deiner Nichtachtung gelitten und ich auch.«

»Dankwart, du hast die Gefühlsduselei von deiner lieben Mutter geerbt. Sie reizt mich. Aber deine Lisel ist famos, und du kannst sie überall aufzeigen.«

Dankwart schwieg. Als sie in das Tor eingefahren waren, gab er die Zügel dem alten Kutscher, half dem Vater und wollte noch die Mutter begrüßen.

»Sie schläft schon«, berichtete Tante Hermine. »Du mußt schon noch ein Weilchen mit mir vor der Tür stehen. Es scheint mein Verhängnis zu sein, immer mit einem Neffen scharmutzieren zu müssen.«

»Ich bin sehr müde, verehrte Tante, und muß noch Lisel beim Vater ablösen.«

»Schade, daß du eilig bist. Meine Sache würde wohl Zeit vertragen und auch verdienen ...«

»Also, Tantchen ...?« Er bot ihr seinen Arm, und sie wanderten selbander im Burggarten umher.

»Ich möchte dir etwas schenken, Dankwart.«

»Du mir? Eigentlich müßte ich solch liebes Tantchen ganz und gar erhalten und es auf Händen tragen.«

»Gottlob, daß ich noch laufen kann. Aber du bist mir zu hager geworden, mein Junge. Dein Schwiegervater kam neulich abends mal zu mir – sagen wir ruhig: ›fensterln‹. Denn ich sah aus dem netten Stübchen zu ebener Erde heraus, das in glanzvollen Zeiten ein Burgwart bewohnte. Jetzt ist es Hühnerstall. Kurz und gut, der brave Kreihorst erzählte mir von dir. Lobte dich über das Bohnenlied. Aber du müßtest noch einen tüchtigen Oberknecht annehmen, und unser ganzes Gewese müsse von Grund auf in Ordnung gebracht werden. Du wärest aber halsstarrig im Annehmen von ›Pinkepinke‹. So gewählt drückte er sich aus. Nun hast du aber eigenes Vermögen, Junge, denn Illo und du seid allein meine Erben. Ich hab' mein Habchen und Babchen auf die hohe Kante gelegt, Zins auf Zinseszins und will es doch lieber mit warmer Hand in unser Gut buttern als auf meine Auferstehung warten. Denn daß ich jemals auch nur eine Woche lang im Grabe faulenze, das glaubst du ja selbst nicht. Ich werde vom Tage meiner Beerdigung an spuken. Dafür habe ich dich ja lieb, Junge, gelle? Ich werde immer sehen wollen, was du machst ...«

»Warum sprichst du eigentlich so tolles Zeug, Tantchen? Wir brauchen dich ja alle wie das liebe Brot und wollen dich weder tot noch herumgeistern sehen. Aber daß du ein Engel bist und Flügel nur noch Frage der Zeit, das weiß ich seit langem. Und wie du hast sparen können, Tante Hermine, dies geht über meinen Horizont. Du hast doch Mutter immer noch bar Geld für die Wirtschaft gegeben ...«

»Hat sie gepetzt, die gute Seele? Sieh, mein Junge, das war und ist eigener Verdienst. Es ahnt kein Mensch, wie meine Klöppelspitzen gesucht und hoch bezahlt werden. Doch, – der Kreihorst weiß es, denn durch dessen Hände gehen sie in die Großstädte. – Setz' die Verwunderungsmütze ab, Junge, ich freue mich, daß der alte Bär reinen Mund gehalten hat. All mein Lebtag hab' ich die Männer für besser gehalten als uns Weibsen, aber es hat mich doch kein Mann dafür belohnt, indem er mir etwa seinen Namen schenkte und mich auf das Schloß seiner Väter führte. Einerlei, sie sind nach meiner Ansicht besser als wir, größer im Denken, klüger, freigebiger ...«

»Hör' auf, Tantchen, ich erglühe wie eine Päonie ...«

»Dante Gott, daß du noch rot werden kannst, Dankwart, ohne den Atem anzuhalten. ... Also, es sind fünfzehntausend Mark. Dafür mußt du mich aber heute abend in die Burg zurückbringen, wir sind bereits über das Weichbild hinausgewandert, und ich will meinen guten Namen nicht aufs Spiel setzen ...«

Dankwart lachte. »Wie ein Eulenried!«

»Dummheit lacht. Ich bin nur fünfunddreißig Jahre älter als du, und es sind schon Nachtwächter am hellen Tage gestorben. Unterstehe dich nicht, mich zu küssen, das Stubenmädchen sieht oben aus dem Fenster.«

Dankwart tat es aber doch, und Tante Hermine stellte bei sich fest, daß auf Männer, alt oder jung, kein Verlaß sei.

Als sie sich von dem Schreck erholt hatte und Dankwart schon die Zügel nahm, fragte sie hastig: »Wohin soll ich das Geld überweisen? Im Strumpf habe ich's nicht. Meine Strümpfe stopfe ich mit Twist.«

»Engeltantchen, überweise es an Vater Kreihorst. Die Freude gönn' ich ihm, daß er sieht, daß ich kein Schnorrer bin und daß Engel für mich sorgen.«

Länger wollten die Pferde nicht mehr stehen.

»Hals- und Beinbruch!« rief die alte Dame ihm noch nach. Das hätte sie diesmal nicht nötig gehabt, denn der Weg war steil, und der Wagen polterte gefährlich bergab. Kopfschüttelnd erwartete ihn der Oberknecht.

»Ich dachte schon, es käme Nimsi, der Sohn Jehu«, sagte er dann lachend. – Da sein Vater einmal hatte Theologie studieren »wollen«, was er des öfteren nach Feierabend den Insten erzählte, wußte er gut in der Bibel Bescheid.

Dankwart fand sein Lisel noch am Krankenbett. Sie sah sehr müde aus, und er nahm sie zärtlich in die Arme.

»Für dein langes Warten bekommst du eine Freude«, tröstete er und erzählte von der großmutigen Erbspende der lieben Tante Hermine.

»Ach«, meinte sein junges Weib glücklich, »es ist ja ganz schön, aber schöner ist's, wenn ich dich bei mir hab'.«

Das leuchtete ihm auch ein, und er wollte ihr in seinem Übermut grad noch ein Thüringer Schnaderhüpfl singen, das recht auf ihre Worte Bezug nahm, aber sie hielt ihm den Mund zu.

»Sing' nur, Schwiegersohn!« rief Bauer Kreihorst mit leidlich gesunder Stimme ihm zu. »Der Thüringer sagt, nach jedem Unglück müsse man laut und fröhlich einen Choral singen oder sonst ein lustig Liedel, dann schwirrten im Nu die bösen Geister fort, die das Unglück verschuldet hätten.«

»Ein Choral war's aber nicht«, meinte Lisel, und Dankwart küßte sie auf die vorwurfsvollen Augen.

Nun bekam der Vater auch die überwältigende Neuigkeit zu hören.

»So ist's recht«, meinte er und streckte sich in neuerwachter Gesundheit wohlig aus. »Was glaubst, Schwiegersohn? Man muß nicht immer knurren: ›Ein Leid kommt selten allein‹, man muß nicht gleich auf dies Leid lauern. Eine Freude kommt auch selten allein. Vorhin hat hier der Landrat gesessen, – du, der wollte dir was. Es tat ihm leid, sehr leid, daß er dich nicht antraf. Ist ein kommoder Mann. Hatte sich scheint's auf eine Rede präpariert, und eine Rede, die man nicht halten kann, zehrt am Leben.«

»Der Landrat wollte sicher nur den Brandschaden besehn ...«

»Hat er auch getan, und der Oberknecht führte ihn. Aber, liebster Mann, der hat ihm so viel von dir erzählt, was du für ein Landwirt bist und – ein Mensch. Wie du für die verunglückte Magd so heimlich gesorgt hast und alles aus deiner Tasche bezahlst. Weil nur unmündige Geschwister nachgeblieben sind, – – das weiß ich nicht einmal, Das hat mir alles der Landrat erzählt ... Wohin läufst du, Dankwart?«

»Am liebsten weit fort, um das nicht alles anhören zu müssen. Außerdem rüttelt jemand am Haustor.«

Es war die Base, die ziemlich unwirsch berichtete, daß sie mit dem Oberknecht das Altenteil für das junge Paar eingerichtet habe, denn im Wohnhaus röche es nach Rauch und auch sehr übel von der Scheune her. Aber von ihrer Sorge und ihrem Brandschaden hätte kein Mensch etwas gemerkt oder sie getröstet, und sie wäre wohl nur dazu da, um zu arbeiten, bis sie liegen bliebe.«

»Aber, Base, wer wird so wüten!« sagte Dankwart gemütlich. »Seien Sie doch froh, daß Sie noch so rüstig schaffen können. Für andere zu sorgen, ist wohl das Beste im ganzen Leben und das edelste Frauenrecht.«

»Ja, wenn der Baron das so scheene ›ausläd‹, dann wird mer widder ä Linsgen besser im Gemit. Un nu Gut Nacht. Heit schlafen mer alle ins Altenteil, un doch gehör ich alleine 'nein.«

»Wer so jung ist wie Sie, Frau Bas' ...«

Sie lief kichernd und hüstelnd davon, und man hörte sie ihre Kammer hinter sich abschließen.

Elisabeth und Dankwart besorgten noch den Vater, der ihnen versprach, morgen gesund aufzuwachen.

Eisenach im September 19..

Mein alter Dankwart!

Wie seltsam ist unser Leben geworden, seit wir an jenem denkwürdigen Tage mit tausend Masten hinaussegelten. Ich blättere jetzt oft nach getaner heißer Arbeit in den Briefen unseres Wildrichs und besonders in seinem schönen, inhaltreichen Tagebuche, das mir der Fürst schickte. Wildrich hatte es der Prinzessin übergeben zu treuen Händen. Da sind auch viele Seiten mit Erinnerungen an unsere Kinderzeit gefüllt. Trotz aller Prügel, die wir in überreicher Fülle »besahen« und wohl auch verdienten, können wir doch getrost sagen: »unsere selige Kinderzeit!« Wie sein, humorvoll und hie und da drastisch das alles von ihm geschildert wird! Was steckten doch in diesem Träumer für Werte! Ich glaube, nur Mutter hat so recht sie erkannt und sich mit Tante Hermine darüber unterhalten. Er ist auch oft noch spät abends bei der Mutter gewesen, hat ihr durch sein Plaudern die Schmerzen vertrieben. Und dann hat er ein reiches aber einsames Innenleben geführt, in das nur die Prinzessin einen Einblick gewann. Auch wir Brüder waren mehr oder weniger davon ausgeschlossen. Die beiden gingen in ihr Königreich und schlossen die Tür hinter sich zu, wie es so einzig schön im Märchen heißt. Die Gedichte: »An Sybille« in seinem Tagebuch sind in Form und Inhalt vollendet. Ein großer Friede geht von den Worten aus, – ich habe manche von den Liedern gesungen, – singe sie noch, weil sie zu unirdisch zum Sprechen sind. Wo schläft unser Bruder eigentlich? Immer noch in der Fürstengruft? Ich wundre mich, daß unser alter Herr das leidet, obgleich ich mir selbst auch einen andern Aufenthalt für meinen Leib denken möchte, als das Eulenriedsche Burgverließ. – Da lebt und wächst man auf in Waldesluft und Sonne, um nachher in Moderduft und eiskaltem Schatten hinter klafterdicken Mauern eingekellert zu werden – – –

Denke nicht, daß ich leberkrank geworden bin. Diese düsteren Reflektionen passen schlecht zu Deinem wildfröhlichen Illo, und noch weniger zu der sonnigen Kunst der Uhrmacher, in der ich ganz aufgehe. Aber hinterlassene Briefe und Tagebücher von einem jungen Toten haben immer etwas ansteckend Melancholisches, – eben weil das Leben, das diese Schriften atmen, nicht zu Ende gelebt worden ist.

Was macht Ihr dort in Ilmenbach für traurige Geschichten? Da doch Hausierer, Wandergesellen und Sommerfrischler die beglückende Kunde bis hierher tragen, daß Burg Eulenried wieder neu erblüht und mit ihrem Gut und angrenzendem schönen Bauernhof recht wie ein Schmuckkasten daliegt. Mir schlägt immer das Herz höher, wenn ich so etwas im Laden höre, und ich freue mich auch über die furchtbar dummen Gesichter der Erzählenden, wenn der Geselle mich in die kurzen Rippen mit dem Ellbogen stößt und grinst: »Du, Illo, da meinen sie Dir mit.« Sie schütteln dann immer nur den Kopf und geben sich nicht mit der Lösung des Rätsels ab, denken wohl: Uhrmacher sind nun mal »rrr«, das kommt von den vielen Rädern. Laß sie! –

Aber ich fiel beinahe um vor Schreck, als neulich jemand fabelte: »Burg Eulenried brennt!« Bis schon der Nächsteintretende berichtigte: Nur die Scheune und ein Haus. Bis ich dann langsam herausbrachte, daß es nur Kreihorsts Scheune war, die etwas aufs Nachbarhaus übergegriffen hatte. Aber dann kam doch so allerhand hinterher, von einer toten Magd, dem der »rauchvergiftete Bauer« folgte. So ein Reporter kann einem schon bange machen. Wie gern hätte ich Schusters Rappen gesattelt und wäre zu meinem einzigen Bruder gelaufen. Dankwart, – ist es auszudenken, daß jeder von uns beiden für den andern ein einziger Bruder ist? Wildrich tot?

Meine Erbuhr hielt mich fest. Wenn einmal ganz Thüringen von ihr spricht, daß sie genesen ist, auferstanden mit surrenden Rädern und klingendem Schlag – – dann komme ich in die Heimat.

Sag mal, hat Tante Hermine ihre »Fünf« plötzlich nicht beisammen? Sie fragt an, ob ich es krumm nehme, wenn sie Dir 15000 Mark mit warmer Hand gibt? Mit kalten Füßen kann sie es sicher nicht, sondern nur mit dem Herzen, das auf dem rechten Fleck sitzt. Mir könnten jetzt 15000 Mark gar nicht helfen. Nur mein Grips, der von der Liebe getrieben wird. Von der Liebe komme ich auf das »Englein« und auf die Gräfin Wartberg, was keineswegs dasselbe ist. – Aber die Liebe ist immer dieselbe. Die »Größeste«, die Unruhe, die Hemmung, die treibende Kraft, ob sie nun in einer lebfrischen Dirn steckt, oder in einer alten Dame mit gamsledernen Büxen. Gräfin Wartberg hat unsern Vater geliebt, und nun will sie auch seine Frau, unser gutes Mutting, an ihr altjüngferliches Herz nehmen. Der Wildrich ist dran schuld. Gott schenke ihm dafür fröhliche Urständ ! Er muß eng befreundet mit der wunderlichen Dame gewesen sein, denn er hat ihr mein Geheimnis anvertraut – daß alle Uhren der Welt, zu denen mein eigen Herz gehört, nur für Angela Distelfink schlagen, daß ich aber keine Macht habe, diese Widerspenstige zu zähmen und keinen Weg finde, ihr näherzukommen. Und wenn ich sie gefesselt mit einem Tuch über Kopf und Kragen auf unsere Burg schleppte, wie es unser Ahn Thassilo der Erste getan hat im Lutherjahr 1483, so würde es mir sicher nichts nützen. Übrigens ist dieser Ahn sehr glücklich und die Ahnin sehr zahm geworden, nachdem sie achtzehn Eulenrieds geboren hatte. »Und es sohl ein glühkselliger Ehstand gewehsen seyn«, wie die Urkunde behauptet. –

Ich eile zum Schlusse dieses umfangreichen Schreibens. Also die Gräfin kam hier an, und zwar in gamsledernen Buxen, – damit es nicht so auffallen sollte, sagte sie. Halb Eisenach lief hinter ihr drein. Zuerst sprach sie mit Meister Distelfink, der ganz entzückt von ihr ist, und erbat sich das Mädchen zur Pflegerin und Gesellschaft – hast Du Worte? – für unsere Mutter. Und der Meister gewährte den Wunsch sofort, nur aus Liebe zu seinem Lehrling, der Gute, noch ehe der Unbesonnene seine Enkelin gefragt hatte. Dann wurde das Englein zitiert. – Natürlich bezauberte sie die Gräfin im Nu durch ihre Schönheit und gab sofort ihre Zustimmung, »nur um meinen Anblick nicht mehr zu haben«. Auch dieser schnöde Ausspruch entzückte die Gräfin, wie sie mir später sagte. Denn sie klopfte an meine Kammertür, lachte klingend über meine Zimmereinrichtung, schloß die Tür hinter sich ab und erklärte mir mit schöner Offenheit, daß sie mich für den Schönsten von uns Brüdern halte. Du kannst Dir denken, wie das mein Herz stärkte. – Dann eröffnete sie mir, daß sie das »Englein« binnen zwei Tagen nach Burg Eulenried brächte, um fortan ihre beste Freundin zu sein. Im Verein mit Mutter und Tante Hermine wolle sie das Kind erziehen. Für wen? »Schweig still, mein Herze!« – Sie bat mich, ihr das Haus des Schmiedes von Ruhla und dann die Wartburg zu zeigen, aber schon durch Erwähnung des Schmiedes wurde ich hart und blieb bei meiner Erbuhr. Es wäre ja auch das erstemal gewesen, daß ich sie im Stich gelassen hätte. Mein Ziel, das Meisterstück leuchtet am Zukunftshimmel. Dankwart, – die Gräfin blieb in den Gamsledernen. Dagegen machte sich Kaspar Gärisch, um mich zu vertreten, so unmöglich fein, daß die Gräfin einen Landauer mietete. In diesem vorsintflutlichen Vehikel sind sie abgefahren. Angela blieb daheim. Nach dem Abendbrot, das sie trotzig und stumm verzehrte, ließ uns der Meister einen Augenblick allein. Ich dankte ihr überaus herzlich für ihre Einwilligung, meine Mutter zu pflegen, und sie sprudelte unglaubhaft zornig ihre Ansicht heraus, daß sie ja nur auf diese Art von mir erlöst würde, und ich dürfe nie die Burg betreten, solange sie dort sei. So entzückend sah sie aus, daß mir die Liebe über Kopf und Kragen schlug, und ich küßte den roten Mund zum zweiten Male. Empfing auch den zweiten Schlag und bin überzeugt, daß ich den dritten womöglich vor dem Altar bekomme, aber dann sind wir ja vorher schon standesamtlich verbunden. –

Nachschrift: Und nun ist sie fort, und vielleicht schon in Ilmenbach. Sei ihr ein treuer Beschützer und bitte auch Dein Frauchen, daß sie das Englein oft besucht. Gebt mir Bericht. Zum Abschied mußte sie mir die Hand geben auf Befehl des Meisters Distelfink. Bitterlich weinte sie. »Sehen Sie sich nur meine Burg ordentlich an«, so raunte ich ihr zu, »sie wird Ihnen schon gefallen.«

Was antwortete sie? »Ja, ja, ich will sehen, ob sich eine Uhrmacherwerkstatt drin einrichten läßt.«

Dein froher Bruder Illo.


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