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8.

Eisenach, den 1. Juli 19..

Mein alter Wildrich!

Dein Name, den Dir einst Dein Pate vermachte, scheint nicht mehr zu passen. Dankwart meldet, daß Du sehr zahm geworden seist. Also der sympathische Mergel teilt immer noch neckische Boxerhiebe aus zwischen die Augensterne seiner Nächsten? Kannst Du ihn denn nicht gelegentlich aufs Korn nehmen, diesen Erzschädling? – Von Deiner Schönheit soll nichts übrig sein, als das Urteil Deiner Zeitgenossen darüber. Schade, sie warf ihren Glanz auch auf uns Brüder. – Ich lasse also wichtige Arbeit im Stich, um Dir in blöder Sentimentalität kundzutun, daß ich ganz entzwei bin über Deinen Unfall, der hoffentlich Deinen Augen, diesem wichtigsten Jägerbesitz, nur vorübergehend geschadet hat. Mich dürfte der Mergel jetzt nicht also boxen, denn ich verhelfe einer Kuckucksuhr zu neuem Leben – ganz heimlich, denn es ist eine Überraschung für meinen prächtigen Meister, und auch für seine Enkelin, »das wüste Englein«. Durch Mutter wirst Du über »Es« Bescheid wissen. Selbiges gottsunmöglich schöne Thüringer Maidli, tauchte jetzt auf ein paar Tage wieder auf, nachdem ich es verjagt hatte. Hatte auch Heimweh gehabt, aber leider nur nach dem Großvater. Ich nenne so etwas Gefühlsverirrung, – sprechen wir nicht darüber. Du merkst schon trotz Deines zerrütteten Gehirns, daß ich stark verliebt bin. »Da 's aber nit kann sein«, habe ich mich auf eine hochwerte Kuckucksuhr geworfen, weil sie meines Meisters einzige Freude ist, außer der Enkelin. Die Uhr ist also für mich eine Art Galathee, doch will ich sie nicht zur Frau nehmen. – (Siehe oben.)

Und Dankwart war also persönlich bei Dir? Und hat Dir sicher trocken bis ans Herz hinan seine Verlobung versetzt. Er ist solch ein Prachtkerl, aber poesielos, wie ein Wörterbuch. Er hat sicher seine Verlobungsringe unter »Dünger« und »Verschiedenes« gebucht. Aber Dankwart wird es am weitesten bringen von uns Brüdern. Er hat nie eine Nachtigall oder den Mondschein zu bemühen brauchen, wenn er je verliebt war, aber gelle, alter Wildrich, wir zwei brauchen diese Gegenstände notwendig. – Das schöne »Englein« war auf vier Tage hier. Kurz, aber nicht schmerzlos. Denn sie »schnitt« mich. Als Gegenleistung schenkte ich ihr eine wundervolle Ausgabe von Shakespeares »Zähmung der Widerspenstigen«, fand aber das Buch andern Tags im Müllkasten, und Muhme Konkordia lief als lebendes Preisrätsel durch das Haus: »Wer war der Hallodri?« Soll nun der Urheber oder der Verbrecher büßen? Du siehst, mein Wildrich, Uhrmacherzunft schafft besondere Probleme. Nun ist das Englein wieder fortgeflogen, nachdem es auch in die Kuckucksuhr geglupscht, aber nichts von ihrem leeren Inneren gesehen hat, denn Räder, Plattinen, Schrauben und der Kuckuck liegen ja in meiner Truhe. So ahnte die Schöne nichts von meinem Attentat auf die Uhr und rief fröhlich ihr Kuckuck hinein. Bis sie wiederkehrt, ist die Uhr fertig, und der Meister hat seine einstige Freude wieder. Dieser Gedanke spornt mich zu höchster Kräfteentfaltung. Und die Uhr ist wahrhaft das menschliche Herz. Sobald ich nämlich ans Englein denke, spüre ich schmerzhaft das »Pochen«, die treibende Kraft, die Unruh und die Hemmung«. Auf diese Art kann man ein guter Uhrmacher werden. Aber »Englein« und ich? Nein. Unser Räderwerk stimmt nicht zusammen. Und das merke Dir für Deine Wahl später. Im übrigen würde das Mädchen unserer Familie wohl anstehen. Sie hat die beste Schulbildung, spricht tadelloses Deutsch, ohne Dialekt, spricht ein einwandfreies Englisch, das sie mit einem alten, vornehmen Kunden ihres Vaters, Mr. Beresford treibt, und ich weiß, unsere gütige Mutter würde »Es« gleich ans Herz nehmen, unser alter Herr aber immer von Mesalliance sprechen. Und ich ärgere mich über mein Latein und Griechisch. Denn wenn mich die Geliebte mit Englisch anredet, kann ich ihr nicht mit der Odyssee ins Gesicht springen. Du siehst, meine Herzschmerzen sind nicht von Pappe. Werde Du mir nur bald gesund. Denn wir werden uns sehr lange nicht sehen. Meister Distelfink, den ich von Tag zu Tag höher schätze, stellt mir jetzt Aufgaben, aus denen ich ersehe, daß er mir viel zutraut. Bei der Lösung der mannigfachen Schwierigkeiten hilft mir mein Steckenpferd, die Mathematik. Weißt Du, warum alles Räderwerk der Uhren auf die Zahl 18000 abgestimmt sein muß? Nein, Du weißt es natürlich nicht. Du gehst mit Deiner Flinte durch den grünen Wald und schießt den Hirsch im wilden Forst. Nebenbei unterstützt Du den Boxsport. Aber daß die »Unruh« in einer Stunde 18000mal schwingt, das ist Deinen Augen verborgen. – Aber das spürst Du, daß dieser Brief, den ich aus tiefer Arbeit in all Deine Schmerzen hinein richte, lauter Galgenhumor ist. Gelle, Herzbruder?

Ich habe lächerliches Heimweh ...

Uhrmacher Illo.

Wildrich Eulenried schickte sich an, sich als gesund bei seinem Oberförster zu melden. Er war von dessen Frau treulich gepflegt worden, sie hatte die vielen Wunden und die kranken Augen gekühlt und ihn in ihrer mütterlichen Art ein wenig verzogen. Er hatte aber mit Befremden gespürt, daß ihn sein Vorgesetzter nicht ein einziges Mal besucht, trotzdem sein Stübchen gegenüber von der Arbeitsstube des Oberförsters lag. Wildrichs Stolz krümmte sich unter dem Gedanken, in Ungnade gefallen und einfach beiseite geschoben zu sein. Deshalb beschloß er, ehe er sich in die Höhle des Löwen begab, erst einmal seine Bitternis im Wald zu begraben, »der alles, was gebrestenhaft aus Leib und Seele scheidet«. In tiefen Zügen trank er den herben Waldesodem in sich hinein und stieß beim Ausatmen »den Feind aus der Brust«. Ja, es war sein Wald geworden, das spürte er. Und wie ihn das »Försterheimweh« geschüttelt hatte, als er mit schmerzendem Kopf und halbblinden Augen im Bett in dumpfer Stube gelegen hatte, fiebernd, ohne erquickenden Schlaf! Er hatte gehört, daß sowohl der Fürst, als auch die Prinzessin Sybille, sowie Gräfin Wartberg durch einen Jägerburschen nach seinem Ergehen gefragt hatten, hatte auch den kurzen Bescheid des Oberförsters vernommen: »Leidlich!« Aber der Strauß Wiesenblumen, den die Frauen liebreich gepflückt und gebunden hatten, war ihm nicht gebracht worden. Doch jetzt war er gesund und genoß den Wald mit all seinen Sinnen.

Einmal stand er still. Er hatte einen jungen Buchenstamm entdeckt, an dem Fegestellen zu sehen waren. Vielleicht hatte der prächtige Bock, auf den ihn der Oberförster aufmerksam gemacht, sein zweites Gehörn geschoben, höhere Spieße angesetzt und in diesem Frühjahr gefegt. Er würde noch mehrere solche Stellen finden, und vielleicht auch endlich einen Bock zu Gesicht bekommen. Jetzt, da er wieder klar denken konnte, brannte die Scham tief in ihm, daß er sich die beiden Böcke von Mergel hatte abschießen lassen. – Schußbereit das Gewehr vor sich tragend, stieg er weiter bergan. Er wollte keinen Finger krumm machen, trotzdem er in der Ferne einen Bock äsen sah, die Ricke daneben. Aber gerade diesen Bock hatte sich der Oberförster aufgehoben. Er trug ein prächtiges, gabelförmiges Gehörn, also wohl sein drittes. – Hatte er dieses gefegt und im Herbst abgeworfen, würde die Sechserstufe kommen. Wildrich schätzte den Bock auf fünf Jahre. Um sein Alter genau zu bestimmen, hätte er aber das Gebiß des Bockes in Händen halten müssen. Wildrich würde noch heute seinem Vorgesetzten darüber berichten, wenn es ihn auch stark gelüstete, sich an das schöne Tier heranzupirschen und es selbst zu schießen. Aber nicht eher wollte er der Weidmannslust fröhnen, ehe er nicht den Mergel gefangen oder erlegt hatte. Mit diesen Gedanken und immer mit den Augen sichernd, stieg er höher in den Bergwald, bis er die Jagdhütte seines alten Gönners Jeremias Aldermann entdeckt hatte. Der Greis saß tief gebückt auf einem Stein und starrte auf die Erde vor sich. Dort lag irgend etwas Seltsames, das einen ekelhaften Geruch ausströmte. Der alte Forstwart rührte sich nicht, bis Wildrich dicht vor ihm stand. Als er den Alten sanft rüttelte, richteten sich zwei fast erloschene Augen auf den jungen Förster. Die standen in einem gramvollen Gesicht.

»Alles verschandelt! Alles verschandelt!« krächzte er heiser. »Meinen Ringfasan, meinen Sohn hat man mir so zugerichtet und heraufgeschickt mit einem giftigen Gruß. Ich habe Tag und Nacht Wache gehalten und die Füchse verscheucht, die ihn sich holen wollten. Eine Nacht hat der Mergel mit mir gewacht. Er holte sich eine Salbe von mir für einen bösen Biß, den er am Bein hatte. Ich habe ihn zurechtgepflegt, ist doch ein braver Kerl, der Mergel. Hat mit mir geschimpft auf den Mörder meines Sohnes, des Ringfasans. Alles verschandelt, alles verschandelt.«

Wildrich führte den Halbirren in die Jagdhütte und bettete ihn auf die armselige Pritsche. Gab ihm auch einen Schluck Kranebittern aus der eigenen Jagdflasche und nahm selbst einen tüchtigen Schluck, denn das verweste Tier draußen machte Übelkeit.

»Hier bleibst liegen, Waldwart, ich komme gleich wieder, hab noch etwas Arbeit draußen.«

Der Alte hörte nicht, er war sogleich eingeschlafen nach vielen Nächten des Wachens. Auf einen derben Tannenast hob Wildrich den Fasan mit einer großen Schaufel, zog dann den Ast bis zu einer kleinen Waldblöße, grub ein tiefes Loch, warf Ast und Fasan hinein, übergoß alles mit dem starken Kranebittern, der noch die halbe Flasche füllte. Dann schaufelte er zu und belegte das der Erde gleich gestampfte Grab mit vielen großen Steinen, die an den Felsen umherlagen. Es war harte Arbeit, und sie ermüdete den kaum Genesenen. Am stürzenden Wasser, das vom Felsen herniederkam, wusch er sich die Hände. Der Alte schlief noch fest. Wildrich legte sein Frühstück wohlverpackt neben das Bett auf einen Stuhl, rief dem Schlafenden leise Weidmannsheil und Weidmannsdank zu gleicher Zeit zu und ging wieder hinaus. Einen Eimer Wasser holte er sich noch vom Felsenquell, goß ihn über die Stelle, wo der Fasan gelegen und belegte sie mit vielen Tannenzweigen. So sah alles sauber und friedlich aus. Wildrich ging mit weitausholenden Schritten, nachdem er bergunter geklettert war, nach der Oberförsterei.

»Er ist ganz aus der Kuntenanze«, jammerte Frau Ehrlich und zeigte nach der Arbeitsstube. »Was machen Sie aber auch, Forstgehilfe! Ohne Erlaubnis fortzulaufen, nachdem man Sie aus der Krankheit herausgepäppelt hat. Und zum Vergraulen sehen Sie aus! Krebsrot mit blauen Flecken. Ich braue Ihnen rasch einen guten Kaffee.«

»Lassen Sie das, Frau Ehrlich. So gut, wie Sie selbst sind, kann der Kaffee ja doch nicht werden. Ich muß gleich zum Gestrengen hinein.«

Da klopfte er auch schon an, der Unbesonnene, und stürzte sich in die Höhle des Löwen, als wolle er sich auf Großwildjagd vorbereiten.

»Ich wollte mich gehorsamst gesund melden, Herr Oberförster. Ihrer Gattin habe ich schon für alle Mühe gedankt, die sie auf mich verwendete.«

»Das geht mich nichts an«, schnurrte der Vorgesetzte. Frauen sind für Gerechte und Ungerechte voll Mitleid. Ich bin nur für Gerechtigkeit. Der Mergel hat Sie elend zugerichtet, ich seh's. Schönheit vergeht, Schweinsleder besteht. Den Boxhieb hatten Sie verdient um der Rehböcke willen, die Sie sich vor der Nase haben fortschießen lassen.«

»Jawohl, Herr Oberförster.«

»Daran ändert auch nichts, daß Sie in der bösen Stunde, um die der Halunke Mergel wußte, der Prinzessin eine Hilfe geleistet haben. Ich habe Sie zum Forstdienst angenommen und nicht zum Minnedienst.«

»Jawohl, Herr Oberförster.«

»Wenn Sie den Schuft, den Mergel, als Sie ihn endlich hatten, hier bei uns abgeliefert hätten, dann stünden Sie jetzt fest in meiner Achtung und ich hätte Ihnen die Böcke dreimal verziehen. So aber haben Sie ihn auf den Landjäger abgeschoben ...«

»Herr Oberförster, ich dachte ...«

»Herrrrr! Gänse denken, Menschen denken nach. Der Landjäger hat den guten Fang, trotzdem er unschuldig dran war, mit guten Freunden gefeiert, sein Rausch ließ ihn das verdächtige Geräusch am Schloß des Zwingers überhören, ergo ... Auch ist nicht der Landjäger Ihr Vorgesetzter, sondern ich. Der Mann ist strafversetzt worden. Wenn ich nun bloß noch den Kerl hätte, der die Stricke durchgeschnitten hat. Der Landjäger hat mir noch gesagt, daß der Jägerknoten prima gewesen sei, und kein Mensch ihn hätte lösen können.«

»Jawohl, Herr Oberförster.«

»Also das ist bis jetzt das einzige, was Sie von Ihrer neuen Karriere verstehen. Den Jägerknoten. – Wenig, aber mit Liebe. Und was wollten Sie mir jetzt melden von Ihrem eigenmächtigen Reviergang? Ungehorsam dulde ich nicht.«

»Ich wollte melden, daß der Forstwart Jeremias nicht mehr allein wohnen darf. Ich habe ihn erbarmungswürdig bei dem bereits verwesten Ringfasan gefunden, den er Tag und Nacht bewacht hat, um ihn nicht den Füchsen zu überlassen. Ich habe den armen Kerl auf seine Pritsche gebettet und den toten Vogel eingescharrt und Tannenzweige darüber gebreitet.«

»Menschenkind wie poetisch! Es wundert mich, daß Sie nicht sagen, ich habe die ›teure Leiche beerdigt‹. Na und der Forstwart? Der wird wohl inzwischen verhungert sein. He?«

»Ich habe ihm mein Frühstück zurückgelassen.«

»Na ja, – ganz vernünftig. Meine Frau wird für eine Hilfe da oben sorgen. Und nun lassen Sie sich eine Tasse Fleischbrühe geben. Sie sehen verboten aus. Dann melden Sie sich beim Fürsten. Aber lassen Sie sich nicht vor der Prinzessin sehen, die stirbt Ihnen sonst unter den Händen.«

Wildrich ging. – Voll Zorn bis obenhin über sich selbst und die ganze Welt. Eine Tasse Kraftbrühe holte er sich nicht und empfand bei seinem großen Hunger diese Entsagung selbst als knabenhaften Trotz. –

Für sein erbärmliches Aussehen, das immer noch mit großen Schmerzen verbunden war, schien jedermann nur Hohn und Spott zu haben. – Seine Durchlaucht lachte grimmig, als er ihn sah: »Mit einem weißen Laken angetan könnten Sie gut und gern unser Schloßgespenst vorstellen. Ich warne Neugierige. Vielleicht ist die Gräfin Ihrem Anblick gewachsen, aber vor meiner Tochter dürfen Sie sich nicht blicken lassen.«

»Die Prinzessin lassen den Herrn Baron zu sich hinüber bitten«, meldete ein Diener. Herzlich lachte der Fürst: » Ce que femme veut, Dieu le veut

Ein großer Widerwille stieg in Wildrich auf. Seine Wunde brannte wieder.

»Man spielt Schindluder mit mir«, dachte er grimmig.

Eine Tür wurde aufgetan und schloß sich hinter ihm. Die Prinzessin war allein. Er trat rasch auf sie zu.

»Erschrecken Sie nicht«, sagte er bitter. »Wir sollen das Märchen aufführen: › La belle et la bête‹ – ›Die Schöne und das Untier‹. Sollen wir ihnen dies Vergnügen gönnen? Oder darf ich Sie lieber bitten, mich sofort zu entlassen? Ich kann's nicht ertragen, Ihnen Grauen zu bereiten.«

»Grauen? Ich verstehe Sie nicht. Einsamkeit bringt manchmal Grauen. Bleiben Sie, Eulenried! Sprechen Sie! Ich höre Ihre Stimme so gern.«

»Prinzessin, Sie beschämen mich.«

»Denken Sie, Eulenried, ich möchte so gern einmal aus der höfischen Rolle fallen. Möchte Ernstes und Frohes durcheinander schwatzen, sogar Unschickliches. Zum Beispiel, daß ich richtiges Heimweh nach Ihnen hatte. Das schickt sich doch sicher nicht für ein Mädchen. Aber mir ist, – als hätte ich gar keine Zeit mehr, auch nur das kürzeste Leben zu leben ... Und Sie sind so ritterlich. Gelt, ich darf Ihnen alles sagen ...?«

»Das dürfen Sie. Und was soll höfische Sitte zwischen uns? Ich will auch aus der Rolle fallen, will Ihnen sagen, daß ich wie ein Huhn ohne Kopf herumstolperte, seit ich Sie nicht mehr sah. Ist das nicht ein ganz unmögliches Geständnis?«

»Oh – es beglückt. – Es ist so neu. – Mir ist's, als seien wir Spießgesellen und könnten lauter schöne Abenteuer bestehen. Gräfin Wartberg will keine Abenteuer für mich. Jungmädchenfreundschaft kenne ich nicht. Meine Standesgenossinnen hatten immer andere Interessen als ich. Kavaliere und Pferde. Was sollen sie mir. Seit mir der Arzt meinen edlen Renner ›Ajax‹ verboten hat – –, oh, ich hatte ihn sehr lieb!«

»Darf ich ihn ersetzen?« rief Wildrich ungestüm und unbesonnen. – In die Stille, die diesen Worten folgte und in der sich zwei junge Menschenhände und Herzen fanden, trat Gräfin Wartberg herein. Ihre schwarzen Beerenaugen wanderten zwischen beiden hin und her.

»Was erzählen Sie der Prinzessin für Geschichten, Eulenried?« fragte sie etwas scharf. »Nebenbei bemerkt, Sie sehen schauderhaft aus.«

»Das haben mir schon allzu viele gesagt. Nur die Prinzessin nicht. Das Feingefühl tut so wohl.«

»Ich bemerke, daß Sie während Ihres Boxkampfes unhöflich geworden sind, junger Mann. Hat der Wilddieb Ihre guten Manieren getroffen?«

»Ich weiß nicht, ob diese zwischen meinen beiden, jetzt schwer versehrten Augen saßen. Aber Gräfin, – ich bin Forstmann und kenne es nicht anders, als daß es aus dem Wald herausschallt, wie es hineingerufen wird.«

»Ich glaube, Sie vergessen sich, Forstgehilfe.«

Die Prinzessin hob beide Hände.

»Gräfin, – in meinem Zimmer ist kein Forstgehilfe, sondern nur mein Freund Baron Eulenried.«

Sie war streitbar geworden, die liebe, junge Sybille. Wildrich empfand es mit hoher Freude.

»Ich darf mich verabschieden, Prinzessin«, sagte er. »Und ich werde mir die Erlaubnis Seiner Durchlaucht holen, daß ich wiederkommen darf, wenn ich menschlich aussehe. – Es bleibt bei unserer Verabredung. Ich ersetze den ›Ajax‹.«

Sie nickte ihm strahlend zu.

Er verbeugte sich vor der Gräfin und ging. Sie folgte ihm auf dem Fuße. Da mußte Wildrich freilich an ihre linke Seite treten und ihr willfahren, als sie auf eine etwas entfernte Bank lossteuerte.

»Was sind das für Faxen?« fragte sie mit verhaltener Stimme, denn es arbeiteten Gärtner in der Nähe. »Was haben Sie für Geheimnisse mit unserer kleinen Gnädigen?«

»Schweigepflicht«, entgegnete Wildrich ernsthaft. »Aber es würde Frau Gräfin auch nicht interessieren.«

»Mich bewegt alles, was Sybille angeht«, sagte sie weicher, als man es je von ihr gehört.

»Wir erzählten uns Märchen aus Heriditasufuturanien. Sie kennen den Ort nicht, Gräfin?«

»Nein. Nicht mehr. Aber ich habe Sie gekannt, Wildrich, als Sie noch so klein waren.«

Die Gräfin gab mit Daumen und Zeigefinger eine ganz unmögliche Kleinheit an. »Damals traf ich im fürstlichen Park zwei dienstbare Geister, die Sie wohl bewachen sollten. Sie lagen in einem derben Bauernwägelchen, wie es Ihr Vater liebte. Die beiden pflichtvergessenen Mädchen scharmuzierten damals im Walde mit zwei Jägerburschen, und ich konnte, unbeobachtet von ihnen, den Kinderwagen mit Inhalt – (Wildrich verneigte sich) nach dem Schlosse des Fürsten schieben. Ihre Eltern konnten wir sofort durch Eilboten beruhigen. Bis der kleine Wildrich dann abgeholt wurde, habe ich mit ihm gespielt ... und jetzt wird er unartig gegen mich –«

»Gräfin, ich wußte nichts von dieser feinen, lieben Geschichte, und weiß nicht, warum man mir dies Kabinettstückchen vorenthielt. Aber ich danke Ihnen verspätet von ganzem Herzen ... Doch ich weiß auch nicht, weshalb Sie mir zürnen, Gräfin. Sie waren doch anfangs gütig zu dem Forstgehilfen, und ich war Ihnen zugetan. Aber seit – seit – ich glaube, seit Sie die Falbelkleider tragen – – –«

»Jetzt muß ich Ihnen wieder den Mund verbieten, kleiner Wildrich. Man darf die Zügel nie bei Ihnen locker lassen. – Am liebsten würde ich Sie › Du‹ nennen, – man sagt bekanntlich eher ›Du Schafskopp‹, als ›Sie Schafskopp‹«

Wildrich lachte laut. »Gräfin, tun Sie es doch! Aber wir haben keinen Sekt zum Anstoßen.«

»Wo kaufen Sie Ihre Frechheit, Eulenried. Das Geschäft muß glänzend an Ihnen verdienen.«

Nun wurde er ganz ernst. »Ich bin mit so gutem, ernstem Willen hierher gekommen, Gräfin, und habe nur Fehlschläge zu verzeichnen. Die Anschnauzer ringsum haben mich etwas rabiat gemacht. Ich bitte um Verzeihung, und zugleich um das angekündigte ›trauliche Du‹, da Sie mich ja von ›sooo klein‹ auf kennen.«

»Genehmigt. Aber wie willst du mich nennen, Wildrich? ›Tante‹ ist ein unmögliches Wort zwischen uns beiden.«

»Das ist es. Und da ich eine feste Burg brauche, in deren Schutz ich mich manchmal flüchten kann, werde ich sagen, wie der weiland Fürst dieses Landes: ›Wart Berg, du sollst mir eine Burg werden.‹«

»Du abscheulicher Junge! Aber ich nehme es an. Wann kommst du wieder zur Prinzessin?«

»Sobald sie mich ruft, denn sie braucht mich. Und wenn ich in meinem Beruf eine Scharte ausgewetzt habe, dann komme ich auch ungerufen. Denn ich brauche Sybille

Die alte Dame sah ihn an mit bittendem, mütterlich liebem, mahnendem Ausdruck.

» Nicht zu oft!« bat sie.

Er küßte ihre Hand. »Weidmannsheil, Wartberg!«

Mit ungestümen Schritten eilte er davon, und die Ratgeberin sah ihm wehmütig nach.


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