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6.

Am andern Tage erledigte Wildrich erst alle Aufträge, die ihm von seinem Lehrherrn gegeben waren. Dieser hatte es sehr eilig, denn er war zum Fürsten befohlen worden. Und wenn sich der Fürst ganz leutselig als einfacher Gutsherr ihm gegenüber gab, so war doch seine Pünktlichkeit bekannt, wie sein Jähzorn.

Der Oberförster nahm Wildrich bei seinem Rockknopf. »Eigentlich wollte ich eine Philippika gegen Sie loslassen, Forstgehilfe Eulenried, aber ich muß sie vertagen. Doch mache ich Sie drauf aufmerksam, daß es dann eine Abreibung wird, nicht von schlechten Eltern. Der gestrige Tag war kein guter Anfang für Ihre mittlere Forstkarriere. Im Walde herumzustromern, anstatt zu lernen, – – – und in 'ner Kutsche spazierenzufahren. – – Sie sind wohl des Deubels. – – – Also – – auf später. Heute haben Sie frei. Aber man kann auch an Ferientagen lernen. Weidmannsheil!«

»Weidmannsdank! – Na, wenn das keine Philippika war –«, dachte Wildrich. »Aber wenn ich lernen soll, dann steige ich noch einmal zum Jeremias Aldermann hinauf.« –

Er ging durch seinen Wald recht wie ein Glücklicher. Daß er sich an die Kandare genommen und gar nicht aufgemuckt hatte, das tat ihm selbst wohl. Er würde sich wohl noch öfters anfauchen lassen müssen, ob zu Recht oder zu Unrecht, das konnte er noch nicht entscheiden. Basta, er hatte diese Laufbahn gewählt, – nicht um seinetwillen. – Um der Heimat willen.

Er sang: »Das ist des deutschen Waldes Kraft, daß er kein Siechtum leidet, und alles, was gebrestenhaft, aus Leib und Seele scheidet.«

»Ich meine, ich bin zum Jäger geboren«, so sprach er sich selbst Mut ein. »Ich habe Freude, innige Liebe zu allem Getier, bin nicht zur Mord- und Schießlust veranlagt. Ich habe Freude an allen Bäumen, sie find meine Freunde, ich spreche zu ihnen. Ich glaube gar nicht, daß man Jäger werden kann, – man muß schon als solcher geboren sein. – Ich kann auch meine Lex, die ich auf der Universität gelernt habe – und Eberswalde – hei – mir soll mal einer an den Wagen fahren. Aber jetzt will ich von der Pike auf dienen, und der ›blöde‹ Forstwart soll mich lehren und der gescheite Oberförster. In der Mitte stehe ich: Aber ich weiß, alle beide sind sie mir noch über. Braucht aber nicht so zu bleiben ...«

Aus einem Gebüsch, Gestrüpp von Unterholz sprang ein Mann auf Wildrich zu. Böse Augen sahen ihn stechend an. Wildrich faßte das Gewehr fester. Der andere lachte.

»Nur nicht übermütig sein, – ich bin auch versorgt.«

»Was wollen Sie, Mergel? Ist das eine Art, jemand anzusprechen?«

»Ja, das ist so meine Art. Besonders bei dringlichen Fragen. Wie kommen Sie dazu, meine Braut beim Fürsten zu verschergen? Gekündigt hat man ihr, vielmehr, man hat sie verjagt und dann Knall und Fall entlassen. – Und sie hat doch schon Jahr und Tag bei der ewig kranken Sybille ausgehalten – – – Schandewert.«

»Vor allen Dingen lassen Sie mich sofort los, Mergel.« Wildrich schüttelte den Burschen ab. »Sie haben wohl wieder mal getrunken?«

»Denk nich dran. Saufen tun nur die großen Herrn. Mir fehlts Geld. Aber Antwort will ich haben. Meine Braut kann keine Stelle bekommen, wenn sie verjagt worden ist.«

»Sie hat sich selbst verjagt«, sagte Wildrich ruhig. »Hat ihren Dienst gar nicht wieder angetreten, nachdem sie gröblich ihre Pflicht verletzt hatte. Und daran sind Sie schuld, Mergel. Und daß Sie keine anderen Worte für die gütige Prinzessin haben, die Ihre ›Braut‹ und deren ganze Familie ernährt und versorgt hat, – das ist wirklich schandewert.« –

Mergel lachte laut. »Warum sind Sie nicht lieber Pfaffe geworden, Forstgehilfe Eulenried? Predigen können Sie. Aber als Sie gestern mit der Sybille ›zugange‹ waren, sind Ihnen ein paar Rehe abgeschossen worden. Von mir beileibe nicht, ich habe mich an Wildpret schon überfressen. Aber Sie dürfen nicht von Pflichtvergessenheit reden – – immer an die eigene Nase fassen.« – Mergel verschwand im Dickicht.

Mit heißem, rotem Gesicht stieg Wildrich weiter, kam an der fürstlichen Jagdhütte vorbei, drückte auch die Türklinke nieder und überzeugte sich, daß sie verschlossen und auch die Fenster von innen verriegelt waren. – Weiter stieg er. Er war heute ohne Hund, den hatte die Prinzessin noch behalten. Das sollte wohl eine Ehrung für ihn sein. Und es freute ihn. Er hatte ja sein gutes Gewehr, und jagen wollte er nicht. Zwei Rehböcke gingen ab. Durch seine Schuld. Und mit welch hohen Tönen hatte er noch vor einer halben Stunde von dem ›zum Jäger geboren sein‹ geredet. –

Sein Wald war mit einemmal verdunkelt. Oder waren es seine Augen, in denen heiße, unmännliche Tränen brannten. – – –

Der alte Jeremias Aldermann saß vor seiner Hütte. Er hatte heute seinen guten Tag.

»Weidmannsheil!« krächzte er vergnügt. »Wo hat man seinen schönen Hund? Man sollte nicht ohne Hallunk ausgehen.«

»Mir ist schon einer begegnet«, sagte Wildrich düster. »Und es ist ein grauer Tag heute.«

»Aber ich hab' dich doch singen hören, – an diesen Felsen ist guter Hall und Schall.«

Wildrich wehrte ab. »Ja, das war vorher.«

»Zum Rätselraten langt's nicht mehr, wenn man neunzig ist«, sagte der Forstwart. »Sags oder sags nicht, was dich drückt, es ist mir all eins. Die Jugend hat Lachen und Weinen in einem Sack –«

»So klein bin ich nicht mehr, Aldermann. – Laßt's gut sein. Es hat mir gestern so gut bei dir gefallen, und der Fürst sagt, ich könnte alles von dir lernen. Er hat dich die Forstakademie genannt.«

Der Alte lachte, daß Wildrich ihm beispringen mußte und den Rücken klopfen und einen »Kranewittern« reichen, bis er sich beruhigte.

Dann frohlockte der Alte. »Hat er das gesagt, der Fürst? Das ist ein guter Mann. Hat ihm also meine Wissenschaft genützt? Denn bei mir ist er in die Lehr gegangen. – Freilich hab' ich auch ein paar Jahre schweigen müssen. Das war, als der Herrgott mit ihm redete ... Jo, jo. Der ist immer der allerbeste Lehrmeister, auch wenn er prügelt. Und dann erst recht.« –

Er verlor sich eine Weile in Gedanken, aber sein altes graues Gesicht war ganz erhellt. Endlich fragte er: »Was willst du lernen vom alten Forstwart, vom Waldschratt, du junges Blut?«

» Wie ich ein rechter Weidmann werden kann?«

»Mehr nicht? Bist ja einer. Deine zwei Augen sind Jäger, zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt.«

»Nicht so, nicht so«, Forstwart. Sprich als Lehrer, der einen Dümmling vor sich hat.«

»Also gut. Ich mein, – du mußt den Akademiker ganz vergessen, hörst? Mensch sein ist alles. Ist mehr, als alle Titel der Welt es sagen können. Weißt, Junge, die Leut sagen, ich hätte da oben meine Fünf nicht beisammen. Hab sie aber doch. Wenn nicht die schwarzen Vögel kommen ... Und der Herrgott sagt: ›Selig find die Einfältigen.‹ Und der Fürst hat es auch schon zu mir gesagt, eben weil er mehr Mensch als Fürst ist. – Die Leut! – Förster, es ist gut für die Menschen, wenn die Leut denken, man war da oben nicht richtig. Und merken gar nicht, daß sie selbst ganz und gar verbogen sind. – Weißt den Unterschied zwischen Leut und Menschen? Leut gibt's wie Sand am Meer, – Menschen sind rar. Wirst es schon gespürt haben, denn du hast die Augen dazu. Laß sie links liegen, die Leut, halt dich an die Menschen. – Und wenn du mal heiratest, dann nimm dir einen Menschen, damit dein Weib keinen Leut gebiert.– Habe selbst mal einen Menschen geheuert, – – den Himmel auf Erden hatt' ich – – – Alles verschandelt, alles verschandelt, – Jesus... !«

Wildrich sah, daß die schwarzen Vögel über den Alten gekommen waren. Sacht verließ er den Raum. – »Hier will ich Wandel schaffen. Der Alte darf nicht allein sein. Aber wer wird hier bleiben wollen? Eine tüchtige Frau muß her, eine Jungdirn fürchtet sich zu Tode hier oben. Bis ich aber eine Hilfe für ihn habe, schaff' ich meine Liege herauf, damit ich des Nachts bei ihm bin und er versorgt ist. Mit dem frühesten bin ich dann wieder im Dienst.«

So redete er vor sich hin, der Wildrich, und es war ein großes Freuen in ihm.

Diese Freude verdarb ihm sein Lehrherr gründlich.

Wildrich trat in die Studierstube, die war ein Museum von seltenen Jagdtrophäen. Der Oberförster lief aufgeregt hin und her, wie ein Raubwild im Zwinger. Das aufgehellte Gesicht seines Jagdgehilfen brachte ihn noch mehr in Harnisch.

»Mensch! Forstgehilfe von drei Deubels Gnaden ! Zwei Rehböcke gehen ab. Haben Sie gehört? Und Sie machen ein Gesicht, als wollten Sie mir eine besondere Riesenfreude überbringen. Wenn Sie etwa denken, ich führe Sie jetzt an meinem Arm zur Prinzessin Sybille und drückte Ihnen selbst das Vorlesebuch in die Hand, dann is das 'n Irrtum.«

»Ja, das ist wohl ein Irrtum, Herr Oberförster, denn ich verstehe kein Wort von dem, was Sie sagen.«

»Sie Neugeborenes! Und ich wollte Ihnen zuerst Abbitte tun, weil ich glaubte, Sie hätten gestern gebummelt, oder gar geschlafen, anstatt ›frei zu haben‹, nämlich zum Lernen. Verstanden? Und nun läßt Seine Durchlaucht eine ›Schwade‹ los, als wären Sie, Gott weiß was, – weil Sie die Sybille betreut hatten, wie eine Mutter. Schöne Mutter ... ! Sie sollen Vater von Rehböcken sein, aber nicht Mutter von Prinzessinnen – – – Herr ...«

Der Oberförster hatte sich schier unvernünftig gesteigert.

»Ich habe nie den Ehrgeiz gehabt, Mutter zu werden«, wagte Wildrich zu bemerken. Er war siedendheiß vor Zorn, daß er sich zu Recht auslümmeln lassen mußte. Zu Recht!«

Der Vorgesetzte war plötzlich unheimlich ruhig geworden. »Ihre Bemerkung, Forstgehilfe Eulenried, ist durchaus ungehörig ...«

»Jawohl das ist sie, und ich bitte um Entschuldigung.«

»Na, es ist gut, daß Sie nicht die gekränkte Leberwurst spielen. Vorleser von Prinzessin Gnaden ist besser. Jeden Tag nach Feierabend sollen Sie ins Schloß kommen. Mensch, haben Sie schon gehört, daß ein rechter, echter Forstgehilfe Feierabend macht?«

»Ich will ja gar keinen Feierabend«, rief Wildrich – ich will nichts als die Scharte auswetzen.«

»Das ist sicher das erste vernünftige Wort, was Sie seit Jahr und Tag ausgesprochen, Eulenried.«

»Nein, Herr Oberförster. Das war, als ich zu meinem Vater sagte, ich wolle Forstgehilfe beim Oberförster Ehrlich werden ...«

Der Vorgesetzte knurrte. Aber Wildrich dachte nach dem Händedruck, den er empfing, seine Rechte müsse auf der Erde liegen ... Aber er hatte sie doch an seinem Arm, wenn auch in veränderter Farbe und Form.

»Wollen Sie mir eine Audienz beim Fürsten verschaffen, Herr Oberförster? Ich bringe dann alles in Ordnung.«

»Audienz? Gibt es bei ihm nicht. Sprechstunde hat der Fürst. Er ist Kräutersammler und gibt seinen Untertanen Tee. Jeder Leidende darf zu ihm kommen, und in schweren Fällen schickt er ihn auf seine – des Fürsten Kosten – zu Doktor Krück, dem tüchtigsten Arzt in ganz Thüringen. Kleine Piemeleien werden mit Tee geheilt. Kommt ein leidlich gesunder Querulant, bekommt er Rizinus. Augenblicklich ist seine Mitsammlerin, die Serafine Lenz, bei ihm.«

Wildrich verzog keine Miene. »Welch poetischer Name!«

»Ja. Und trotzdem sie gänzlich zahnlos ist, bekommt sie jedesmal einen harten Taler von Durchlaucht, damit sie etwas zu – beißen hat. Ja, so ist er, unser Oberhaupt. Immer für praktisches Christentum. Aber daß er Sie, den ich mir für meinen Wald anbändigen wollte, für Faxereien in Anspruch nimmt, – für salbadrige Geschichten, wie sie Weiber lieben, das verzeihe ich ihm nicht, wenn auch unsere Prinzessin Sybille ein Engel ist.«

»Ich kenne weder Engel noch Weiber, Herr Oberförster, ich kenne nur meine Mutter und die Schwester meines Vaters ...«

»Wenn das ein Rüffel sein soll, den Sie Ihrem Vorgesetzten erteilen, so stecke ich ihn ein. Bin ein widerhaariger Krabauter, ich weiß. Aber ich habe Sie gern, Forstgehilfe Wildrich, wenn Sie auch vorläufig nur ein Wildrich und kein Forstgehilfe sind. Das mußte ich Ihnen einmal sagen. Also Hals und Beinbruch.«

Wildrich stand jetzt hochaufgerichtet und stramm da.

»Ich wünsche mir keinen besseren Vorgesetzten, Herr Oberförster.«

»Linksumkehrt – marsch!« kommandierte dieser. – Aber ehe sich noch die Tür hinter ihm schloß, rief er: »Also wir sind jetzt sozusagen Liebesleute.«

Es ward Wildrich froh und leicht ums Herz.

Er schritt ins Friedenshaus und wurde der Prinzessin gemeldet. Dann stand er vor ihr und sah die tiefen Schatten um ihre Augen und die krankhafte Blässe auf den Wangen.

»Es geht Ihnen nicht gut, Prinzessin?«

»Nein, nicht sehr. Aber der Fuß wird bald geheilt sein. Ich bin eben ein Schwachmatikus. Alles greift mich an, und ich möchte doch so gern Bäume ausreißen.«

»Ach nein, das Bäumefällen überlassen Sie mir. Lieber noch pflanze ich, – die Schonungen, die Kinderstuben unserer deutschen Bäume, sind helle Freude für mich. Und ich muß noch soviel lernen, Prinzessin. Verstehen Sie mich auch recht? Ich kann nicht Vorleser bei Ihnen werden. Man ist unzufrieden mit mir. Ich genüge nicht. Das zu wissen, ist ein erbärmliches Gefühl für einen Mann.«

Sybille wurde noch um einen Schein blasser. »Gewiß verstehe ich das. Aber – aber – es war der Wunsch meines Vaters ...«

»Und gar nicht auch der Ihre?« Wildrich schämte sich eigentlich seiner Frage, da er ihr ja doch nicht dienen konnte. Es war so lieb, mit ihr zu plaudern. Solange hatte er kein schönes, liebliches Mädchen gesehen, immer nur am Schreibtisch gesessen, gebüffelt und Pandekten gewälzt. –

»Doch – ich hatte auch den Wunsch, daß Sie mir manchmal Gesellschaft leisteten. So herrliche Bücher besitze ich, aber das Lesen greift mich an. Mir fehlt eben die Mutter ...«

»Und Gräfin Wartberg?«

»Ja, die ist gut, aber zu laut. Wenn sie auch ganz ruhig mich etwas fragt, erschrecke ich jedesmal. Und sie hat Bücher aus dem vorigen Jahrhundert, – jedesmal schlafe ich ein. Ich möchte von Nord- und Südpolexpeditionen hören, von Fliegern und Zeppelinen, von Sven Hedin und unsern Kriegsschiffen. Auch bei ernster Politik würde ich nicht einschlafen.«

»Das ist allerhand!« meinte Wildrich lachend. »Wir wollen einen Pakt machen, Prinzessin. Einmal in der Woche, vielleicht am Sonntag werde ich Ihnen ein bis zwei Stunden vorlesen. Das muß gehen. Aber nicht zu regelmäßiger Zeit, die Schädlinge des Waldes dürfen nicht in Sicherheit gewiegt werden.«

»Ich danke Ihnen. Sie sollen mir vieles erklären, vielleicht alles. Ich bin sehr dumm geblieben durch das viele Kranksein, – und ich hatte einen Hauslehrer, der viel in den Stunden schlief.«

Gräfin Wartberg kam herein. Sie hatte laut lachen hören. Und wenn sie auch zuzeiten gamslederne Hosen trug, so durfte doch niemals ein Forstgehilfe in Gegenwart einer Prinzessin laut lachen.

Wildrich verbeugte sich stumm und verließ das Zimmer. Er spürte, daß die Gräfin ihn nicht mehr so gern sah wie früher.

Vor dem Schlosse führte ein junger Diener einen Hund an der Leine. Und dann wurde Wildrich fast umgerissen. Die Leine entfiel dem Burschen, und Hallunk sprang mit Freudengeheul an Wildrich in die Höhe.

»Hallunk – ja ja, ich bin's, alter Gesell, – ruhig, Gott sei Dank, daß ich dich wiederhabe. Aber du mußt dich hoffähig benehmen. So, so – schön und gut. Armer Kerl, hast mich so vermißt?« Er wandte sich zu dem Diener: »Melde es der Prinzessin, daß ich meinen Hund wieder mitgenommen habe ins Revier.«

Er stieg aufwärts nach Jagen Vier. Und Hallunk wußte, was Dienst war und wie weit die Wiedersehnsfreude sich kundtun durfte.

Ganz dicht hielt er sich an seinen Herrn. Es war dämmrig geworden. Mit Jägeraugen sah Wildrich um sich, über sich und vor sich. Der Hund spitzte die Ohren, gab aber nicht Laut. Wildrich ließ die Leine locker. Der Hund lag mit der Nase auf der Erde, er hatte eine Spur aufgenommen. Lautlos folgte ihm Wildrich. Sein Hund führte ihn zuerst ein Stück auf der breiten Waldstraße, welche die Holzfäller mit ihren Karren benutzten, dann stand er plötzlich still und bog scharf nach links, wo ein echter Jägersteig, ein Pürschweg begann. Die Spur war kaum zu erkennen, aber Hallunk nahm sie sicher auf. Einmal winselte er kaum hörbar und sah seinen Herrn an, dann strebte er weiter. Plötzlich nahm Wildrich die Leine kurz und zog den Hund ganz nahe an sich heran. Er lockerte sein Gewehr und brachte es in Anschlag. Vor ihm, an einer kleinen Böschung, die ihn noch halb verdeckte, kniete ein Mann. Wildrich erkannte ihn sofort an seinen eckigen Bewegungen, die noch mehr hervortraten, weil er an irgendeinem Gegenstand rupfte und zupfte. Es war Mergel. »Hände hoch«, rief Wildrich.

Mit einem wilden Fluch warf sich der Wilddieb herum. Er suchte nach seinem Revolver, der etwas weiter fortlag. Augenscheinlich war er völlig überrascht worden.

»Hände hoch, Mergel! Machen Sie sich nicht unglücklich ...«

Wildrich behielt das Gewehr im Anschlag. »Hallunk, paß auf!«

Der Hund war gut dressiert. Er trat leise knurrend dicht neben den Wilddieb. Wildrichs Fuß stieß jetzt an den Revolver.

»Hallunk, paß auf!« rief er noch einmal, dann warf er die kleine Waffe mit starkem Schwung weit ins Gebüsch.

In diesem Augenblick bekam er einen furchtbaren Faustschlag zwischen die Augen. Aber Hallunk packte zu gleicher Zeit fest zu, und Mergel schrie gellend auf.

»Halt fest, Hallunk, braver Hund!«

Mergel war in die Knie gebrochen. »Rufen Sie den Hund zurück, – Sie sind ein Schinder, – ich kann nicht mehr.«

Wildrich fühlte, wie sein linkes Auge zuschwoll, das Blut aus der Nase ließ sich nicht stillen. Er schluckte es und spie es wieder aus. Ihm wurde ganz elend. Aber jetzt hatte er die Fangschnur aus der Jagdtasche gerissen.

»Bestie!« stöhnte Mergel. »Schinder, Herr wie Hund.«

»Solange Sie noch schimpfen, sind Sie munter – und Sie haben mich zuerst geschunden. Also geben Sie mal ganz gutwillig die Hände her. Sobald ich Sie richtig gefesselt habe, darf Hallunk loslassen. So! diese Jägerknoten halten fest.« Er zog noch eine Leine durch den Knoten.

»Wenn Sie ruhig mitgehen, Mergel, lasse ich Sie beim Oberförster verbinden. Im anderen Fall binde ich Sie an diesen Eichbaum, lasse Hallunk als Wache und hole den Landjäger. – Können Sie gehen? Sie sehen, ich bin halbblind durch Ihren Schlag geworden, aber ich habe ja meinen Hallunk. »Laß los, Hallunk!«

Das Tier gehorchte sofort. Dann half Wildrich dem Wilddieb beim Aufrichten. Der Mann sah käseweiß aus, Wildrich gab ihm ein Glas aus seiner Feldflasche. – »Vorwärts!« gebot er. »Sie gehen voraus, wissen ja Weg und Steg. Beim Totenstein dürfen Sie sich mal setzen. Auf dem der vorige Forstgehilfe erschossen wurde ...«

Mergel warf ihm einen tückischen Blick zu. »Ist nicht nötig«, knurrte er.–

Ehe sie aber gingen, beugte sich Wildrich und hob den toten Fasan auf.

»Aasjäger«, sagte er verächtlich. Nicht einmal weidgerecht im Flug konnten Sie ihn abschießen. In einer Schlinge haben Sie die Henne gefangen. Die einzige Freude, vielleicht die letzte, die der alte Forstwart hatte, – pfui Teufel! Mit dem Jagdmesser abgeschlachtet, das wertvolle Tier. Und wo sind die Jungen, die nicht von der Mutter wichen?«

Mergel zuckte die Achseln. »Wären ja doch umgekommen«, sagte er gleichgültig. Für die Bratpfanne noch nicht geeignet, besser als Luderlockung für Füchse.«

»Aasjäger«, sagte Wildrich noch einmal. Aber er rührte den Verachteten nicht mit einem Finger mehr an, und dieser schwur ihm hundertfältig Rache.

»Vorwärts!« Der Verwundete stolperte voraus auf dem steinigen Wege. Aber Wildrich spürte jetzt kein Mitleid in seinem heißen Zorn. »Ausgeruht wird beim Totenkreuz«, gebot er noch einmal hart.

Man hatte es in nicht langer Zeit erreicht. Scheu wich der Wilddieb am Stein vorüber. Seine Augen waren zur anderen Seite gewandt. »Hinsetzen!« befahl Wildrich. Mergel zerrte an seinen Fesseln, aber sie hielten fest. –

»Ich will nicht«, schrie Mergel. Aber er blieb zitternd an dem Stein mit dem Holzkreuz stehen, und Wildrich las langsam und laut: »Hier wurde Förster Friedrich Brinken von Schurkenhand erschossen.«

Mergel zitterte vor Wut. »So lassen Sie uns doch gehen«, schrie er, »ich will nicht ausruhen, ich will, daß ich verbunden werde. Wie können Sie sich unterstehen, mir diese salbadrige Litanei vorzulesen?«

» Du warst es«, sagte Wildrich laut. Da bekam Mergel einen Tobsuchtsanfall. Er warf sich auf die Erde und schrie gellend. Wildrich setzte sich auf den Totenstein, ließ den Verbrecher toben und fühlte, daß der große Blutverlust ihn schwach machte. Er zog ein Jägerpfeifchen aus der Tasche und ließ es durch den Wald schrillen. –

Sie kamen von allen Seiten. Das Friedenshaus war ja in der Nähe, und den Pfiff: »Wald in Not!« kannte jeder.

Der Landjäger war auf Suche nicht gar zu weit gewesen. Der war zuerst zur Stelle.

»Mein Gott, Förster, wie sehen Sie aus? Welches Weidmannsunheil ist hier geschehen? Was, Teufel, ist das nicht Mergel? Endlich geschnappt? Hast Schlachtefest gehabt? Schuß?«

Wildrich erhob sich etwas schlapp. »Mein Hund hat ihn festgehalten, wohl etwas zu fest. Ich läge auch sonst wohl schon verscharrt.«

»So so. Steh auf, Mergel!«, befahl der Landjäger, »ich nehme dich gleich mit.«

»Ich gehe nicht, ich will verbunden werden im Schloß.«

»Jawohl, verbunden wirst du. Meinst, ich ließ dich verrecken, wie du den da in seiner Not sterben ließest?« Er zeigte auf die Inschrift des Totenkreuzes.

»Ich war's nicht! Das ist nun schon so lange her, und niemals laßt ihr mich in Ruhe. Der Teufel soll's euch bezahlen.«

Langsam setzte sich der seltsame Zug in Bewegung. Die von unten heraufkamen, redeten laut durcheinander.

»Der Mergel, – der Mergel ist geschnappt worden. Nun kann man wieder mal nachts schlafen – Förster, was trägst du da? Das ist ja der Ringfasan? Jesus, was wird der Alte sagen. Der Ringfasan war schier sein Sohn.« –

»Der Alte? Der segnet den, der ihm flucht. Und so ein Schuft nimmt ihm die letzte Freude – – –«

Der Haß eines ganzen Dorfes folgte dem Wilddieb nach. Der Landjäger holte sich noch einen Gewährsmann und Begleiter aus der Menge, beide führten dann den Gefangenen mit sich fort. –

»Wo willst hin, Förster? Siehst miserabel aus.«

»Zum Oberförster. Ich habe heute noch nichts gegessen, nur getrunken, – mein eigen Blut. Schmeckt aber nicht.«

»Da kommst grad recht. Aus der Küche der Frau Ehrlich riecht es nach Speck und Zwiebeln.«

Die Oberförsterin schlug die Hände zusammen.

»Da hab' ich ihn nun in Wohnung und Verpflegung, und dann sehe ich ihn niemalen, und wenn man ihn sieht, ist er zum Vergraulen. Du liebes Herrgöttchen, wo ist Ihr schönes Gesicht abgeblieben?«

»Wo ist der Oberförster?« fragte Wildrich.

»Drinnen sitzt er und ißt wie ein Scheunendrescher. In den Pausen schimpft er. Auf Sie, Forstgehilfe. Aber jetzt müssen Sie essen.«

»Ich will nichts als einen Zuber mit Wasser, wer setzt ihn in meine Stube?«

Da meldeten sich viele. Er war beliebt, der Eulenried.

Der Zuber war bald mit warmem Wasser gefüllt, der zweite Jagdgehilfe schrubbte Wildrich ordentlich ab. Der ließ sich alles gefallen, aber als der Helfer sich entfernte, konnte er nur dem Vorgesetzten berichten, daß der Forstgehilfe Eulenried ihm unter den Händen eingeschlafen sei.

»Ja, so ist es, Durchlaucht«, meldete der Oberförster noch am selben Abend. –

»Es ist ein Staat mit den Herrn Jagdgehilfen, die vorher auf hohe Schulen gegangen sind und Examina gemacht haben. Und vollends ein Baron. Der Eulenried schläft immer noch. Und was wird aus dem Fasan?«

»Den bringe ich selbst hinauf zum alten Jeremias Aldermann. Das Tier war sein alles. Ein toter Freund bleibt auch ein Freund. – Sie dürfen auch nicht vergessen, daß der Eulenried den Wilddieb fing. Den Schädling! War das keine Tat?«

»Und was für eine! Ich hab' ja auch den Kerl gern, aber er schläft immer noch, und er wird morgen noch schlafen. Vorläufig ist er blind. Beide Augen zugeschwollen. Ich brauche aber einen sehenden Jagdgehilfen.«

»So werde ich ihn erstmal ersetzen«, lachte der Fürst. »Stellen Sie mich nur ein. Die Hauptsache ist der gefangene Mergel.«

Es zeigte sich aber, daß der Mergel gar nicht gefangen war. Die Tür des Verschlages, darin die Pritsche stand, auf der er vom Bader verbunden ward, stand weit offen. Die Stricke um seine Hände waren durchschnitten. Nur ein blutiges Tuch fand sich noch. Der Landjäger meldete alles verbittert und blaß vor Wut über die eigene Blamage.


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