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5.

Wildrich Eulenried hatte das Gewehr über die Schulter gehängt, einen schönen schlanken Jagdhund neben sich, der dem Oberförster gehörte, sich aber ganz eng an den neuen, jungen Förster angeschlossen hatte. Wildrich hatte es gut getroffen durch seinen mannhaften Entschluß, die teure Karriere aufzugeben und sich dem fürstlichen Privatoberförster als einfacher Forstgehilfe zu unterstellen. Der ältere Mann hatte wohl zuerst gefürchtet, daß der Herr Forstreferendar, der so dicht vor dem Assessor stand, aufmucken könne, wie Oberförster Ehrlich das bei anderen oft erlebt, aber Wildrich Eulenried hatte das gefunden, was er suchte, eine Stelle, die ihn, den Junggesellen schmal, aber sicher ernährte und endlich mit fünfundzwanzig Jahren selbständig machte. Die Eulenrieder Jungen hatten nie über die Stränge geschlagen, sondern das ihrem Erzeuger überlassen, der aber nun selbst bitter unter seiner Mißwirtschaft litt. – »Der Dankwart wird's schon schaffen«, dachte Wildrich zuversichtlich, während er mit hellen Augen durch eine junge Schonung schritt, die er prüfen sollte.

»Was ich schon prüfen soll ...?« Er sagte es lachend zu sich selbst. »Das ist alles so vorbildlich, was der Oberförster geschaffen, aber lernen will ich – praktisch lernen ...« Und dann hub er an zu singen: »Drauß ist alles so prächtig, und es ist mir so wohl, wenn meinem Schätzle bedächtig a Sträußle i hol.«

Immer tiefer drang er in den Wald ein, der einstmals in nebelgrauer Vergangenheit den Eulenrieds zugehört hatte. Dann hatte der Fürst des Landes die verlotterten Waldungen übernommen und aufgeforstet, und immer hatte er gute Heger und Pfleger gehabt – – »wie der Herre, so's Gescherre«.

Wildrichs Gesicht verfinsterte sich, und sein Singen verstummte. Er hatte ja auch kein Schätzele, dem er ein Sträußle bringen konnte. Wann würden die Brüder überhaupt einmal ans Freien denken können! ...

Er war inzwischen höher gekommen. »Die Maschine langsam angehen lassen!« Diesen guten Spruch hatte er sich auf allen Wanderungen und sportlichen Leistungen zum Vorsatz gemacht. Die Thüringer Berge sind steil, und ein Förster im Revier darf niemals aus der »Puste« kommen. Er schaute um sich. Sofort blieb auch sein Hund stehen. Ein Kuckuck rief, ein anderer antwortete. Wildrich zog seine Börse. Schmal genug war sie, klang aber doch lustig zum Kuckuck hin, wenn man sie schüttelte. Finkenschlag setzte ein: »Nur, nur, dem lieben Gott vertraut!« Und nun lachte ein »Spötter« auf der hohen Buche, und Wildrich, der schon als Knabe alle Vogelstimmen in seiner Kehle hatte, machte es dem Vogel nach. Das war ein langes lustiges Duett. Bis ein Edelfasan aufflog. Ein prächtiges Tier, aber ohne weißen Halsring, wie es den chinesischen Fasanen eigen ist. Wildrich sah dem schönen Tiere nach, wie es durch die Luft strich. Man durfte es nur im Fluge abschießen. Aber dieses Edelwild gehörte dem Fürsten. Vielleicht aber durfte er, Wildrich, schon bei der nächsten Treibjagd, sicher bei der nächsten Suche dabei sein. Dazu konnte er seinen guten Vorstehhund brauchen. Wildrich stand still. Aus welchem Treiben mochte das Edelwild hinausgelaufen sein?

Ich muß noch höher, dachte er. Wenn ich das Glück hätte, die Jagdhütte des Fasanenhüters und seltsamen alten Jeremias Aldermann zu finden, – das Unikum kennenzulernen, nach dem ich schon als Knabe gesucht, das sich aber vor jedem versteckte. Jetzt war der Mann an die Neunzig und kannte noch jedes Stück Wild in seinem Revier. Das war wahrlich ein Forstwart, Wärter und Heger seines Forstes. Wildrich sah etwas Dunkles zwischen dem jungen Grün von Birken lugen, das schiefe Dach einer ziemlich morschen Jagdhütte, die aber mit neuen weißen Brettern aufgemuntert war. Ein zweites graues Etwas hockte auf einer niedrigen Leiter und hantierte mit einem Teerquast. »Weidmannsheil!« rief Wildrich und war mit wenigen Sätzen vor der Hütte. –

»Weidmannsdank!« krächzte es zurück. Es war, als ob ein alter Rabe schrie.

»Wer bist du? Ein Förster? Kenne dich nicht. Hast den Stutzen weidgerecht umgehängt und die Uniform. Aber Kreuz, Kringel und Zwieback fehlen. Was bist? Und was willst du bei mir da heroben? Schöne Thüringer Maidli gibt's nicht bei mir, und darauf seid Ihr Jungen ja aus. Hatte mal zwei Schmucke bei mir. Längst weg! All beid verschandelt, – verschandelt.« Der Alte spie aus. –

Wildrich dachte, »Ich bin schon richtig. Jeremias Aldermanns armes Gehirn treibt wieder einmal Blasen, wie immer, wenn er was Neues sieht. Das geht vorüber, ich will seine Freundschaft.«

»Was ich bin? Gar nichts. Was ich will? Die ganze Welt!«

»Das is wenig, 'ne gute Drillingsbüchs is mehr.«

Wildrich lachte, und der alte Forstwart krächzte.

»Sie haben einen bösen Husten, Herr Aldermann. Ich will es meiner Mutter sagen, die weiß einen Tee, der hilft bestimmt.«

»Wie höflich du bist, Forstgehilfe. Hähähä. Die Frau Baronin wird laufen, daß die Hacken fliegen, um dem neunzigjährigen Forstwart Tee zu kochen.«

Wildrich sah ihn verdutzt an. »Woher wissen Sie ...«

»Warum sagst nicht du zu mir. Sagst ja nicht mal zum Herrgott »Sie«; warum zu mir? Aber einen schönen Hund hast. Wenn ich einen Vorstehhund sehe, denk ich, daß meine Fasanen dran glauben müssen.« – Er neigte sich weit vor und faßte Wildrichs Hand. Fragte ihn leise und drängend: »Lebt der Herrgott noch? Weißt was über ihn? Vor vielen Jahren hab' ich ihn mal angerufen. Mein Jammer war groß. Da hat er nicht gehört. Nun wollt' ich ihn nie wieder molestieren ... meinst – er hört wieder?«

»Ja«, sagte Wildrich laut und fest.

Der Alte schnellte förmlich in die Höhe. Die irren Augen wurden ruhig. »Das ist gut, das ist gut. Will dir auch sagen, wer mir erzählt hat, daß du 'n Eulenried bist. Der Wilddieb, der Mergel, war's, – ein zuwiderer Kerl, der uns die besten Böcke wegschießt und nicht zu fangen ist. Forstgehilfe, ich frage dich, was hassest du am meisten auf der Welt?« Er sah wieder blöde drein.

Wildrich wußte nicht, ob er überhaupt jemand haßte, besann sich nicht lange und rief: » Tellereisen und Schlingen.«

»Bruderherz! Ja, du darfst Forstmann bleiben«, krächzte der Alte. Und bekam ein ganz anderes Gesicht. »Ich hab' jeden Förster, der sich in den letzten vierzig Jahren zu mir verirrte, gefragt, was er haßt. Denn ich halt es mit dem Hassen ... Da wurden die Gesichter manchmal grau und braun und rot vor Wut, – und jeder haßte einen Menschen, oder auch zwei und drei, ein ungetreues Weib oder einen verräterischen Freund, – – – kenne ihn nicht. Ich nicht. – – Hasse nur einen und noch zwei Dinge, – just die, die du sagtest, Bruderherz: Tellereisen und Schlingen! Und die legt der Erzhalunke, der Mergel. Aber ich muß ihn leiden, – gebe ihm auch Geld, denn er hilft mir suchen, jawohl, jemand suchen ...«

Und dann verstummte der Alte. Sah wieder blöde drein. Wildrich rüttelte ihn. Aber es war, als sähen die alten Augen da vor ihm in Fernen hinein ...

Und Wildrich entfernte sich. Immer, mit dem Gesicht zurückgewendet, bis der Weg zu steil bergab ging. Viel Geröll lag im Wege. Einmal drohte er zu stürzen, riß sich aber zusammen und hatte nur noch Gedanken für den gefährlichen Abstieg, den Wald, die neuen Schonungen, die Fährten und die verschiedenartigen Losungen des Wildes, das hier seinen Wechsel hatte. –

Ein schwacher Ruf drang durch die Stille. Der Hund stand und horchte. Wie wenn ein Rehkitz klagt oder ein Käutzlein ruft. Er schritt rascher aus, ja zuletzt lief er, denn er hatte eine zweite Jagdhütte entdeckt, die sich aber beim Näherkommen als ein kleines, festes, dunkelgraues Haus erwies, das von wildem Jelängerjelieber umrankt war. Der strömte einen süß-herben Geruch aus, und als Wildrich die Tür aufriß, deren Klinke man unter dem wuchernden Grün kaum entdecken konnte, blieb ein kleiner Zweig an seinem Jägerrock hängen. Wildrich löste ihn rasch von dem Knopf, um den er sich geschlungen, und barg die Ranke in seiner Rocktasche. Er trat in einen ziemlich großen Raum, der mit Urväterhausrat schön ausgestattet war. Auf dem großen Teppich lag eine zarte Mädchengestalt, mit dem Gesicht der Erde zugewendet. Ein fester Stock, mit einer Gummizwinge am Ende, war weit von ihr fortgefallen.

»Wie lange bleibst du, Anne«, stöhnte das Mädchen. »Sieh doch, ich bin häßlich gefallen und kann mich nicht allein aufrichten. Wenn nur der Fuß nicht wieder gebrochen ist ... Du antwortest gar nicht, Anne. So hilf mir doch!!!«

»Erschrecken Sie nicht«, sagte Wildrich leise. »Die Anne bin ich nicht, aber der neue Forstgehilfe, und ich überlege, wie ich Ihnen aufhelfen kann, ohne Ihnen wehe zu tun.«

Er war neben ihr niedergekniet, hatte seinen rechten Arm um ihre Taille geschoben und versuchte den schmalen Körper herumzudrehen. Sie stöhnte leise, und als er ihren Fuß berührte, schrie sie auf. Aber es gelang doch mit Hilfe des Stockes sie auf die niedrige Liege zu schaffen, und da lag nun die Versehrte sehr blaß vor Schmerz und Anstrengung. Sie streckte dem Helfer dankbar die Hand hin.

»Schon einmal hab' ich den linken Fuß gebrochen, was wird Vater sagen!«

»Er ist aber nicht gebrochen«, tröstete Wildrich, – aber, o weh! bös verstaucht. Erlauben Sie? Ich habe ein Jahr Samariter gespielt, das heißt regelrecht studiert. Und nun müssen Sie ja und amen sagen, ehe ich Hilfe hole, daß ich diesen schönen, weißen Schuh herunterschneide, – der Fuß ist hoch geschwollen ...«

Eine scharfe Schere trug er in einem Ledersäckel bei sich, und bald lag der zerschnittene Schuh in seiner Hand. Aber trotz aller Vorsicht beim Ablösen war das Mädchen immer blasser geworden und rang wohl mit einer Ohnmacht. –

»Nur Mut, nur Mut, die Sache wird schon schief gehen«, tröstete Wildrich ungeschickt, und bei sich sagte er: Wo zum Teufel mag diese Anna stecken? Er nahm ein einwandfreies, weißes Taschentuch aus seiner Brusttasche, legte es halb auseinander, tauchte es in den Waldquell, der draußen sprudelte, lief wieder zum Lager und legte das Tuch sorgfältig ausgedrückt auf ihre weiße Stirn. Die Kranke zuckte zusammen: »Anne!« sagte sie leise.

»Es hilft nichts, – ich muß Sie allein lassen«, sagte Wildrich besorgt, – Ihre pflichtvergessene Jungfer wird sich ja ›bei klein‹ einfinden, aber wo soll ich Hilfe holen?« Er öffnete die Haustür. »Komm her, Hallunk«, rief er, und sein Hund sah dem Herrn aufmerksam ins Gesicht. »Hier legst du dich hin, Hallunk und beschützt diese junge Dame.«

Der Hund legte sich gehorsam nieder.

»Und gehst nicht fort, Hallunk, bis ich wiederkomme. – Wird Ihnen wieder ungut, liebes Fräulein?«

Sie lächelte schwach.

»Ich glaube, ich habe Hunger. Aber ich würde nichts genießen können. Doch muß hier im Spind eine Flasche Wein stehen.«

»Wein habe ich bei mir«, rief Wildrich und öffnete gleich eine kleine lederbezogene Jagdflasche, die in einem silbernen Becher steckte. Den zog er ab und füllte ihn.

»Wermutwein! Das beste, was es gibt. Der hält Leib und Seele zusammen. Nur tapfer getrunken!«

»Es ist vielzuviel.«

»Macht nichts. Die andere Hälfte trinke ich. Auf gute Kameradschaft! – Halt dich brav, Hallunke l«

»Warum schimpfen Sie den guten Hund so?. Es steht Ihnen gar nicht.«

»Ich schimpfe nicht, der Hund heißt so.«

Da lachten sie beide, und nun besann sich Wildrich und holte noch ein Mundtuch aus dem Spind. Zusammengelegt und in kühles Wasser getaucht, legte er das Linnen auf den kranken Fuß. In eine weiße Strickjacke wickelte er das Füßchen ein.

»So wird's gehen, gelle? – Aber ich hab' noch keine Antwort, wo ich Hilfe holen soll. Wo wohnen Sie eigentlich? Ist es weit?«

»Nein, ganz nahe.« Sie sah ihn unsicher an. »Im Schloß. Holen Sie mir bitte die Gräfin Wartberg. Wenn Vater da ist, dann ängstigen Sie ihn nicht. Ich habe gar keine Furcht hier zu bleiben, und Hallunke ist ja da ... Guter Hallunke! Ich danke Ihnen, Forstgehilfe.« –

Wildrich stürmte hinaus.

Seine Gedanken jagten sich. »So was kann auch nur mir passieren, das sollten die Brüder wissen. Es paßte eigentlich viel besser für Illo, als für mich. Auf dem ersten Pürschgang gabelt der Jagdgehilfe eine Prinzessin auf!« ...

Sein Lauf wurde unterbrochen. Aus dem dichten Gehölz neben ihm, das einen halb verfallenen Stall barg, traten zwei Leute, die erschrocken vor ihm zurückwichen. Das zierliche schwarze Kleid des Mädchens, die weiße, arg zerdrückte Schürze und das verschobene weiße Häubchen erbosten Wildrich sehr.

»Schandewert«, schrie er das Mädchen an. »Die Prinzessin wartet seit einer Stunde auf Sie.«

Anne schlug die Hände vor das Gesicht und entfloh eilends. »Und du, Mergel, solltest dich auch lieber nicht hier im Revier sehen lassen. Hörst?«

»Ich bin kein Du von Sie!« Mit beiden Händen in den Hosentaschen stand breitbeinig der Wilddieb vor ihm und sah frech in Wildrichs zorniges Gesicht. »Seit mir der Fürst gekündigt hat, bin ich Freiherr wie Sie, verstanden?«

»Es war nur eine Mahnung, Mergel, der Landjäger ist gerade auf der Streife. Du weißt, was du auf dem Kerbholz hast.«

Mit einem Fluch verschwand der Mann wieder im Dickicht, wo die Zweige hinter ihm zusammenschlugen. Wildrich nahm seine Hatz wieder auf. Es ging bergab, und das »Friedenshaus«, der einfache Landsitz des Fürsten X. war bald erreicht. Es war ein altes, gut erhaltenes, weißes Gebäude. Eine schöne, große Uhr mit allerlei Zierrat war in den Giebel eingebaut und ließ zwölf hallende Schläge ertönen. Die Felsen dem Schlosse gegenüber gaben das Echo wieder. Dann folgte ein wunderliches Glockenspiel, etwas zitternd, aber musikalisch rein: »Nun danket alle Gott!«

Wildrich nahm den Jagdhut ab und grüßte mit ihm auch gleich die alte Sonnenuhr vor dem Schlosse, die er schon als Kind gekannt und geliebt hatte.

Ein wunderlich aussehender Mann mit seltsam heller und doch heiserer Stimme rief ihn an. Der Mann saß auf einer grüngestrichenen Bank hinter der Sonnenuhr und fuchtelte mit einem derben Knotenstock.

»He da, Förster, antreten!«

Wildrich kam zögernd näher. Er war verwirrt. Der Mann hatte dichtes, graues Haar, das in dünnen Zöpfen um den ausdrucksvollen Kopf geschlungen war. –

»Was suchen Sie hier«, schnurrte die seltsame Stimme weiter, »ich bin die Gräfin Wartberg.«

Wildrich bezwang sich mannhaft, sein Erstaunen zu verbergen. Die gamsledernen »Büchsen« der Gräfin machten eine wahrhaft groteske Figur aus ihr.

»Setzen Sie die Verwundrungsmütze ab, Forstrat, sie kleidet Sie nicht. – Sie sind wohl nicht von hier?«

»Doch, doch, ganz aus der Nähe. Aber das kann ich jetzt nicht erzählen. Meine Sache ist wichtig. Es muß sofort angespannt werden, zur Jagdhütte können wir das Auto nicht gebrauchen. Aber sofort!!! Herrgott, ich habe mich schon versäumt. Aber die Jungfer ist ja nur bei der Prinzessin und wird ihre Schuld wieder gutmachen wollen ...«

»Sie faseln! Sie sind nicht bei sich. Haben Sie solche Zustände öfter?« Die Gräfin war sehr ärgerlich.

»Ich bitte Sie dringend, Gräfin Wartberg, gleich meiner Bitte zu willfahren. Die Prinzessin ist gefallen und liegt in der Jagdhütte, und wir müssen sie sofort holen.«

»Wie sprechen Sie? Als ob Sie das Befehlen gewöhnt sind und nicht das Gehorchen. Aber natürlich haben Sie recht. Das arme Kind! Von Jugend auf ein Schwachmatikus, hat aber Willenskraft wie ein Mann. Nein, wie zwei Männer. – Dort lungert ein Diener herum. Immer, wenn mein Bruder ausgeritten ist, lungern sie.«

Die Gräfin pfiff gellend auf zwei Fingern, und der Diener stob heran. Sie gab ihm energisch knappen Befehl: »Sie sind sofort mit dem Gespann hier. Niedriger Viktoriawagen!«

»Jawohl, Frau Gräfin.«

»Und nun zu Ihnen, Forstgehilfe. Ich weiß nicht, warum ich mich mit Ihnen beschäftige. Sie sehen jemand ähnlich, der, dem, den man schwer vergessen kann. Warum ich Ihnen das sage, weiß ich nicht ... Sie sehen nicht wie ein Forstgehilfe aus.«

»Bin es aber. Man hat es mir schon von verschiedenen Seiten gesagt, daß ich jemand ähnlich sähe – ›der, dem, den‹. Mein Vater muß wirklich sehr anziehend gewesen sein und auch viel geliebt haben. Ich bin aber verschwiegen, Frau Gräfin.«

»Unverschämt sind Sie. Was geht mich Ihr Vater an? Das ist mir nun noch niemals gesagt worden ... Wie heißen Sie?«

»Wildrich Eulenried.«

»Natürlich. Ben Akiba hat recht.«

Jetzt lachte Wildrich ungeniert. »Ich bin aber damals nicht dagewesen, das war mein Vater.«

Gräfin Wartberg gab ihm einen derben Schlag auf die Hand und streichelte sie gleich darauf hastig. »Ich weiß, daß ich lauter unschickliche Dinge tue«, sagte sie rührend ernsthaft. »Aber Sie bringen mir meine ganze Jugend zurück. Also hat doch der da oben noch eine Freude für mich aufgehoben. Aber wie kommen Sie in diese Montur? He?«

»Die Eulenrieds sind arm geworden. Ich habe die höhere Forstkarriere aufgegeben und bin Forstgehilfe geworden.«

»Einerlei. – Sie werden jeden Tag zu mir kommen und sich mir widmen und mir von Ihrer Familie erzählen.«

»Dazu wird mir Oberförster Ehrlich kaum Urlaub geben.«

»Ja, das kann stimmen. Er ist ein Grobian. Trotzdem will ich Sie oft sehen und sprechen – – – und da kommt der Wagen.«

Wildrich half der alten Dame in den Wagen, und sie deutete gebieterisch, daß er sich ihr gegenübersetze. Wildrich schlugen Herz und Gewissen. Wie mochte es der Prinzessin gehen? War sie noch allein? Er hätte sich niemals aufhalten sollen. Es waren die Hemmungen seiner höfischen Erziehung. Seine Brüder waren andere Kerle, dachte er, sie hatten sich wohl rascher in die veränderte Sachlage gefunden. Ihm war, als drücke ihn die »Montur« an allen Ecken und Enden, – das durfte nicht sein. Er mußte das, was er jetzt war, auch ganz sein.

»Sie sind nicht unterhaltlich, Baron«, bemerkte die Gräfin. »Ähneln darin gar nicht Ihrem Vater. Er war chevalier sans peur et sans reproche

»Gegen uns war er es nicht«, sagte Wildrich kurz. »Aber gegen die Mutter, – freilich – gegen sie war er's.«

Wildrich beugte sich über die Hand der alten Dame und küßte sie. »Verzeihung, Gräfin, – – ich bin etwas aus den Fugen durch den heutigen, seltsamen Tag. Ich glaube, ich habe ganz unvernünftiges Heimweh nach meiner Mutter ...«

Der Wagen nahm jetzt die letzte Steigung. – Die Gräfin zog etwas die Mundwinkel herunter. Diese Frau, nach welcher ihr Junge jetzt Sehnsucht empfand, hatte ihr einst den Geliebten genommen. Unwissend, jawohl. Der tolle Eulenried nahm ja alles im Sturm, was sich ihm entgegenstellte. Im Kriege und in der Liebe. Aber diese Frau war doch schuld, daß der Eulenried zu ihr gesagt hatte: »Lonny, gib mich frei!«

Und bis auf den heutigen Tag hatte sie ihn nicht vergessen können. – Die Gräfin stieß Wildrich an. »Seien Sie nicht schlapp, Baron. Heimweh ist Blödsinn. Und hier sind wir.«

Der Wagen hielt. Wildrich sprang hinaus und half der Gräfin. –

Prinzessin Sybille lag noch so, wie Wildrich sie verlassen hatte, aber ihr Vater saß neben ihr und schien eben den Umschlag erneuert zu haben. Die Kranke sah zufrieden aus.

»Na endlich!« rief der Fürst und zitierte: »›Der Herr, der schickt den Jockel aus, er soll den Hafer schneiden, der Jockel schneid't den Hafer nicht und kommt auch nicht nach Hause.‹ Haben Sie den Jockel wieder mitgebracht, Gräfin? – Und Sie sind der neue Jagdgehilfe?«

»Jawohl, Durchlaucht.«

»Sie haben meiner Tochter erste Hilfe geleistet, ich danke Ihnen!«

Damit wäre nun der Forstgehilfe entlassen gewesen, aber die Gräfin sagte trocken: »Ich habe eine Jugendbekanntschaft erneuert. Dieser junge Mann war meine erste Liebe.«

»Sie sind unverbesserlich mit Ihren Scherzen, Gräfin.« Der Fürst lachte mißmutig. »Wollen Sie ins Revier, Forstgehilfe?«

»Jawohl, Durchlaucht. Ich war zum alten Forstwart hinaufgestiegen und hatte mich schon etwas bei ihm versäumt, – nun will ich zum Oberförster Ehrlich, er wartet schon lange auf mich.«

»Dann gnade Ihnen Gott, Förster. Unpünktlichkeit ist bei Ehrlich das schwerste Verbrechen. Sagen Sie ihm, daß Sie meiner Tochter geholfen haben, – ich danke Ihnen nochmals. Und gehen Sie nur öfters zu Jeremias Aldermann. Bei dem sich verweilen, heißt lernen. Der ersetzt Ihnen die Forstakademie.«

Wildrich verbeugte sich stumm und ging hinaus.

»Die Forstakademie hat er schon hinter sich«, sagte die Gräfin barsch. »Es ist Baron Wildrich Eulenried.«

Prinzessin Sybille schlug die Hände vor das Gesicht.

»Was ist dir, Kind?« fragte der Fürst.

»Nichts, nichts, es überraschte mich nur so.«

»So, so, Baron Eulenried! Ich erwarte ihn jeden Tag zur Meldung. Gewiß hat der eigenmächtige Oberförster ihn nicht zu mir schicken wollen. Na, tut nichts. Jedenfalls ist der junge Mann jetzt Forstgehilfe. Ein mannhafter Entschluß. Gefällt mir. Schon weil der Sohn vom Vater absticht.«

Die Gräfin wandte sich schroff zu ihm. »Ich wüßte nicht, daß Baron Thassilo Eulenried unehrenhaft wäre ...«

»Ruhe, Ruhe, liebe Gräfin. Ich respektiere: Alte Liebe rostet nicht.«

»Vater!« bat Sybille und griff nach der Hand der Gräfin.

Diese lenkte ab.

»Wie kam's, daß dich der junge Eulenried allein fand, Sybille?«

»Weil Anne pflichtvergessen war. Sie hat sich entfernt und ist nicht wiedergekommen. Vater kam auf seinem Ritt hierher und fand mich allein. Er hat mein Mittagessen gekocht.«

Sie strich zärtlich über seine Hand.

»Wenn man eine unvernünftige Tochter hat, die sich gern die Knochen zerbricht oder verstaucht und den Ehrgeiz besitzt, in einer Spelunke zu hausen, wenn sie ein Schloß zur Verfügung hat, muß man sich auf allerhand Überraschungen gefaßt machen. – Laß gut sein, Kind. Deine Spatzenration zu bereiten, hat mir Spaß gemacht. – – – Also das war ein Sohn von Eulenried, der sein schönes Gewese runtergewirtschaftet hat – – dafür kriegt er nun mal Uhrmacherenkel und dickköpfige Bauernbuben ...«

»Immer noch besser, als allein zu sterben«, sagte Gräfin Wartberg.

Der Fürst sah sie zornig an, aber sie hatte nur sich selbst gemeint. – – – – – – – – – –

Als Wildrich aus der Hütte getreten war, sah er ein Mädchen hinter dem Jelängerjelieberstrauch kauern. Sie weinte.

»Was tun Sie hier?« herrschte Wildrich sie an. »Wollen Sie nicht endlich Ihrer Herrin zu Hilfe kommen? Seine Durchlaucht selbst ist drinnen ...«

Da rannte das Mädchen davon ohne Antwort und war bald im Walddickicht verschwunden.

»Die geht uns noch vor die Hunde, – ich hab's gesagt«, rief der Kutscher. »Schon länger zieht sie mit dem Wilddieb herum, denn daß er einer ist, darauf nehm ichs Sakrament. Wenn ihm auch nichts bewiesen werden konnte.«


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