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12.

Wildrich saß im Sessel neben dem Lager der Kranken. Er war der Gräfin Wartberg gefolgt, die ihn anmeldete. Aber der Fürst, der lange bei seinem Kinde geweilt, nahm die Gräfin gleich wieder mit fort.

»Wir müssen heute menschlich, nicht höfisch denken, liebe Wartberg.«

Dann schloß sich die Tür hinter ihnen.

»Sybille!«

»Wildrich!«

»Was sprechen zwei junge Menschen zusammen, die sich lieb haben und sich scheiden müssen?

»Mein armes Lieb!«

»Ich bin nicht arm, du bist bei mir. Aber du siehst nicht gut aus, Wildrich, bist du krank?«

»Nur etwas verjagt und überanstrengt. – Aber du, meine Sybille?«

Wildrich war erschüttert von dem Verfall des süßen Geschöpfes vor ihm. Und die Gewißheit, von der Dr. Krück gesprochen, raubte ihm alle Fassung.

»Nicht doch, Wildrich. Denk, ich habe noch nie einen Mann weinen sehen. Im Schloß da darf man nicht weinen, wie in einer Hütte. Wie gern hätte ich's manchmal getan. Aber jetzt habe ich keine Ursache. Ich bin so glücklich, habe gar keine Schmerzen. Nur meine Gedanken quälen mich. Wildrich, ich habe nichts geschafft im Leben. Hatte so wenig Pflichten. Jede Magd habe ich beneidet. Und als ich es durchgesetzt hatte, – vor zwei Jahren, – oh, wie schwer hat man es mir gemacht, – da spürte ich, daß die Krankheit einsetzte, an der meine Mutter so rasch siechte – Wildrich – da nahm man mir die Arbeit wieder fort ... Es ist so hart, so beschämend – Drohne zu sein.«

»Sybille, – sie segnen dich alle. Glaub es mir! Ich komme in soviele Hütten, spreche mit Waldarbeitern, – und überall höre ich deinen Namen. Du hast soviel Liebe gesät in dem einen Jahr. Nichts geht verloren im Weltall, glaub es mir.«

Die Kranke lauschte. Ihre Augen sahen in Fernen. »Ich habe deine Stimme so lieb, Wildrich. Wie gut, daß man dich zu mir gelassen hat. Ich habe soviel Aufträge für dich. Ja, – du mußt eine Menge Päckchen forttragen zu meinen Schützlingen – – – ich grüße sie alle.«

Ein Weilchen schlummerte sie.

»Alles will ich tun, Sybille. Man nennt dich den ›guten Engel von Ilmenbach‹. Willst du mehr? Sybille, ein Kind, die kleine Pauline vom Häusler Balian, hat mir eine Puppe für dich gegeben. Das Kind ist krank wie du, – die sehr häßliche Puppe soll dich trösten. Ich blöder Geselle hab alles vergessen über meinem Haß gegen den Mergel ...«

Sybille lächelte matt. »Bring mir die Puppe. Das gute Paulinchen! Wildrich, wir hassen zuviel. Du mußt auch dem Fürsten sagen, daß er die Anne nicht verkommen läßt, – Mergels Braut. Und wenn das Kind da ist, soll es in gute Pflege kommen. Hörst du, Wildrich? Du bist kein Pharisäer. Die Anne hat ja nur geliebt. Ich habe drüber nachgedacht, daß ihr viel vergeben werden muß. – Wildrich, ich bin sehr müde ...«

»Sybille! Geh nicht von mir! Ich habe dich so lieb. Bleib bei mir!«

Er bettete ihren Kopf an seine Brust. Mit leidgeschärften Sinnen sah er, wie die Schatten sich senkten. –

Nach einer Stunde kam Elisabeth Eulenried herein. Sie hatte treulich vor der Tür des Krankenzimmers geharrt. Hie und da war ein dienstbarer Geist zu ihr geschlichen und hatte weinend gefragt, wie es stünde. Und dem Fürsten hatte sie Bericht erstattet. Er saß gebückt in seinem Schreibstuhl, die gefalteten Hände auf der Tischplatte ausgestreckt.

Elisabeth hatte Sybille aus Wildrichs Arm gehoben und wieder in die Kissen gebettet. Wie ein schlafendes Kind sah das Prinzeßchen aus. Wildrich sprang auf und straffte sich. Fahl war sein Gesicht und erstarrt in Leid. Er warf keinen Blick zurück, ging mit leeren Augen durch das Zimmer in die große Halle und durch das Spalier der Dienerschaft. Eine junge Magd weinte jäh auf. An der Gräfin Wartberg ging er vorüber, sie sah ihm entsetzt nach und ging schwankenden Schrittes in das Totenzimmer. Ein alter, im fürstlichen Hause ergrauter Diener klopfte an das Zimmer seines Herrn, den er herausbat. Alle grüßten den Fürsten schweigend. Er war immer der Vater seiner Leute gewesen, und so waren sie heute eine Familie.

Vor dem Portal des Schlosses hielt ein Wagen. Der Arzt war zu einer Frau gerufen worden, die in Kindesnöten lag. Jetzt wollte er Wildrich anreden, sah aber, daß dieser aus den Fugen war. Er eilte ins Schloß. – Wildrich ging in seinen Wald. Die Tannen dufteten betäubend stark. Ein Käutzchen klagte. Wildrich empfand alles wie einen ungeheuren Schmerz. Er nahm die Richtung nach der Waldhütte des Jeremias Aldermann. Dann fiel ihm ein, daß dieser ja nicht mehr droben hauste, sondern vom Pastor in das freundliche Altenteilerhaus geholt war, wo er ruhig dahinlebte und einstweilen nicht von schwarzen Vögeln heimgesucht wurde. Wildrichs treuer »Hallunk« kam von der Oberförsterei angejagt, um mit Freudengeheul an ihm emporzuspringen.

»Sei brav, Hallunk. Komm her! Siehst du nicht, daß unser Wald trauert? Hallunk, unsere Herrin ist gestorben – –« Der Hund winselte leise. »Komm, Hallunk! Du bist ja der einzige von allen Menschen, der wußte, wie es um mich stand, gelle, Hallunk? Und nun haben wir an nichts mehr zu denken, als daß wir den Mergel jagen. Und zur Strecke bringen. Hörst?« Der Hund heulte auf. Wildrich wußte, daß er verstanden wurde. »Ich habe keinen Urlaub jetzt, Hallunk deshalb müssen wir zur Oberförsterei zurück. Urlaub hatte ich nur, um mein Lieb sterben zu sehen ... Wir wollen immer unsere Pflicht tun gelle, Hallunk?« – – –

»Mensch, Jagdgehilfe«, rief der Oberförster, »Sie steigen im Wald umher und melden sich nicht vom Urlaub zurück? Wie geht es der Kranken? Warum sind Sie nicht dortgeblieben? Ich hatte es dem Fürsten versprochen ...«

Plötzlich packte er Wildrichs Arm. »Eulenried wie sehen Sie aus? Herrgott, ich bin ja kein Unmensch. Setzen Sie sich!«

»Nein, ich kann wohl noch stehen. Wollte mich gehorsamst zurückmelden vom Totenbett der Prinzessin Sybille. Komm, Hallunk, wir wollen den Mergel jagen –«

»Hiergeblieben!« donnerte der Oberförster. »Meinen Sie, ich lasse Sie mit hohem Fieber auf den Pürschgang? Der Mergel ist in ein anderes Revier geflüchtet.«

»So will ich ihn suchen gehen. – Ich bitte Sie, Herr Oberförster! Helfen Sie mir! Auf diesem Pirschgang werde ich viel lernen, weil ich viel verarbeiten muß. Die verlassene Jagdhütte vom alten Jeremias Aldermann ist die beste Schulstube für einen Förster. Ich möchte sehen, wie sich Rehe und Füchse ›Gutenacht‹ sagen.«

»Soviel Not hat mir noch kein Gehilfe gemacht, wie Sie, Eulenried. Und sehen aus so hohlen Augen heraus, als hätten Sie nichts mehr zu verlieren. Das ist aber Unsinn. Im übrigen haben Sie mir in den letzten Wochen so viel Freude gemacht, daß ich nicht anstehe, Ihnen zu sagen, daß Sie doch noch einmal ein tüchtiger Jäger werden können. Aber in dem heutigen Zustande nicht! Und der wird wohl etwas andauern. Es ist alles übersteigert bei Ihnen, Eulenried. Sie sind Schwärmer. Für die heutige Zeit taugt das nichts. Wir trauern alle um unsere Prinzessin, weil Engel nicht alle Tage geboren werden.«

»Ich traure nicht um die Prinzessin, – ich traure um meine Braut.«

»Das ist etwas anderes, Eulenried. Ich hatte keine Ahnung. – – Wohl, – ich gebe Ihnen drei Tage Urlaub. Ich sehe Sie vor Dienstantritt bei der Beisetzung der Toten.«

»Ich bleibe im Walde, bis sie vorüber ist. Der Fürst wird mich verstehen ... Weidmannsheil!«

Den Weidmannsdank vernahm er nicht mehr. Wildrich war fortgestürmt, und der Oberförster sah ihm kopfschüttelnd nach. –

Die Jagdhütte des Jeremias Aldermann lag friedlich da. Aber Wildrich wunderte sich, daß ein schwacher Rauchfaden durch den kleinen Schornstein zog und stieg rascher dem Gipfel zu. Der Vorplatz war sauber aufgeräumt und gefegt. Auf einem kleinen Schemel im Schutze einer Tanne kauerte Jeremias Aldermann. Und eben tat sich die Tür der Hütte auf, und vorsichtig umherlugend trat ein junges Weib auf die Schwelle. Heftig erschrocken blieb sie stehen. Die Tasse in ihrer Hand klirrte, sie hatte wohl dem Greise Atzung bringen wollen.

»Was tust du hier, Anne?« herrschte Wildrich sie zornig an.

»Will er dir was?« krächzte der Forstwart. »Gib es ihm tüchtig! Man soll uns in Ruhe lassen. Ich will in meinem Walde sterben, nicht bei den Leuten im Dorf.«

Er trank gierig die warme Brühe, die ihm das Mädchen mit der Tasse zum Munde führte.

»Der Alte war uns ausgerückt«, sagte Anne trotzig, »und ich bekam Weisung, zu ihm zu kommen und ihn zu pflegen.«

»Wo ist Mergel???« Wildrich hatte ihr Handgelenk umklammert.

»Was weiß ich? Hab ihn seit Wochen nicht gesehen.«

»Du lügst. Der Mergel hat dir die Nachricht vom Alten gebracht.«

»Sie lügt«, krächzte der Greis. »Wir lügen alle. Es ist Jägerlatein. Und die, so es nicht kennen, lügen desgleichen. Lustig ist es. Der Mergel – –«

Anne preßte ihre Hand auf seinen Mund. Wildrich kam ihm zuhilfe, und der Alte lachte blöde: »Der Mergel ist ein braver Mann. Hat meinen Sohn beerdigt. Den Ringfasan. Dort ist sein Grab. Steine sind drauf gegen die Füchse. Und Tannen. Mein Sohn starb im Wald. Der Ringfasan. Seine Brut ist verludert. Ich will hier oben hundert Jahre alt werden. Im Dorfe sterben sie früh.«

»Ja!« sagte Wildrich laut. »Heute ist die Prinzessin gestorben.«

Gellend schrie Anne auf.

»Sie lügen! Ja, jetzt lügen Sie. Man hat mich nicht zu ihr gelassen, – ich mußte sie sprechen. Herrgott, ich wollte sie um etwas bitten, – bitten – ich will sie sehen, will sie sehen ...«

Kopflos stürzte Anne davon.

»Warum tut sie so laut?« fragte der Greis ruhig. »Immer wenn Leute in den Wald kommen, dann wird er laut. Und sie lassen Lärm zurück, wo Stille war.«

Er ließ sich vom Schemel hinuntergleiten. Wildrich half ihm, sich auf den warmen Waldboden zu legen. Ging in die Hütte, die sauber aufgeräumt war, holte ein Kissen, dessen blauweißer Überzug reingewaschen war und schob es unter den Kopf des Alten. Der schlief gleich ein. Wildrich setzte sich zur Wache neben ihn. Das Gewehr schußbereit und auch den Revolver in Reichweite. Nach einer Weile empfand er brennenden Fieberdurst. Er sah Heidelbeeren in der Nähe, streifte sie ab, sie kühlten gut seinen Gaumen und den heißen Mund. Nicht weit hatte er zum Waldquell, der aus dem Felsen sprang. Mit der hohlen Hand fing er das eiskalte Wasser auf und goß es sich über den Kopf. Badete sein Gesicht darin. Dann setzte er sich wieder auf den alten Platz und sah Aldermanns Augen. Seine Sinne schienen wach zu werden.

»Da bist du ja, Forstgehilfe. Hast dich lang nicht sehen lassen.«

»Wo ist Mergel?« fragte Wildrich.

»Immer hast du es doch mit dem Mergel. Der ist Wildprethändler geworden.«

»Schuft!« knirschte Eulenried.

»Sieh, es steht überall Wild, das niemand abschießt. Meine Augen sind trübe, weißt du. Und dann bin ich altmodisch, sagt Mergel« – Weil doch das Wild dem Fürsten gehört, – das scheniert mich, weißt du, bin doch sechzig Jahr in seinen Diensten. Aber den Mergel scheniert es nicht, nein, den nicht.«

»Schuft!!!«

Die Fieberhitze war gewichen, aber die Schamröte stieg Wildrich ins Gesicht. Er hätte wohl den Rehbock finden und abschießen müssen, aber er hatte nur an den menschlichen Feind gedacht. – Hatte um der einen Pflicht die andere versäumt. Träumer! Pfui Teufel!

»Wann kommt Mergel wieder?«

Der Alte lachte. »Das weiß wohl nicht mal der da oben.«

»Doch, der weiß es.«

»Mergel sagte, – was sagte er doch? – Wenn jemand fragt oder mich sucht, dann weißt du nichts. Vor dem dritten Tag bin ich nicht da. Heute morgen ging er fort.«

»Also ist er hier, vielleicht ganz in der Nähe«, dachte Wildrich.

Anne kam wieder heraufgestiegen. Trotz des anstrengenden Weges war sie blaß, und wie es schien, fror sie in der Julisonne.

»Ja, sie ist tot!« sagte sie tonlos. »Die Fahne hängt halbmast, und die Leute binden Kränze. Man hat mich nicht an den Sarg gelassen, – – – und ich wollte sie doch bitten, – bitten – – – sie ist tot!«

Sie rang die Hände in bitterer Verzweiflung.

»Wer ist tot?« schrie der Alte. »Mein Weib ist tot, meine Tochter ist tot. Alles verschandelt, alles verschandelt – – – «

»Die schwarzen Vögel«, sagte Anne und wollte in die Hütte gehen.

»Bleib!« rief Wildrich. »Ich muß noch ins Revier. Aber ich komme wieder. Ich bleibe in der Nähe. Du wirst mich nicht verraten. Warst ja einmal anständig, ehe du den Mergel kennenlerntest.«

»Ich bin es noch!«

»Die Tote hatte dich lieb, Anne, ich weiß es. Und sie hat für dich gesorgt über ihr Leiden und ihren Tod hinaus. Es wird für dich gesorgt.«

»Für mich? Was liegt an mir? Für das Kind sollte sie sorgen, – daß es ein ehrlicher Mensch wird ...«

»Ja, das wird der Fürst tun, dieser Vater aller Witwen und Waisen in Ilmenbach.«

Und Wildrich schoß es durch den Kopf, daß er ja dieses junge Geschöpf zur Witwe, das ungeborene Kind zur Waise machen wollte.

»Warum hast du den alten Jeremias am Reden gehindert? Du hieltest ihm den Mund zu, daß er beinahe erstickte.

»Wir haben beide Angst vor Mergel. Er droht dem Alten, und mich schlägt er. Ein paarmal hätte ich ihn schon verschergen können. Meinst, ich könnt's vertragen, daß er ein Aasjäger ist? Meine Leute vordem waren Forstwarte.« Sie schlug sich die Hände vor das Gesicht. »Aber das Petzen war mir so gemein. Und ich hatte ihn gern, und er wollt mich heiraten und besser werden. Es sind schon mehr Wilddiebe brave Förster geworden. Aber nun weiß ich, daß er mir untreu ist. Die schwarze Bertha läuft ihm nach, und er kriegt Weisung von ihrem Bruder, wo in den fremden Revieren das Wild wechselt. Jetzt sind sie auf den Rotbock aus, der jeden Abend auf der Buchenwiese heraustritt ...«

Der Haß der verratenen Liebsten stand in ihren Augen, in dem blassen Gesicht. –

»Das weiß ich alles, was du mir da sagst.«

»Nein, Sie wissen gar nichts. Und vor Sonnabend kommt er nicht zurück, hat zu tun ...«

»Bring jetzt den Alten zu Bett, Anne ... Wenn's auch nur wenig geregnet hat vorhin, er könnte sich erkälten auf dem feuchten Boden.«

Anne tat, wie ihr befohlen, sah aber dem Jäger mit seltsamen Blicken nach, wie er rasch und vorsichtig einen schmalen Pirschsteig verfolgte.

Über Wildrich kam wieder das Fieber. Die Abendnebel waren heute ausgeblieben. Als Wildrich die Kanzel erreichte, hatte er freie Sicht auf die Wiese. Drei Rehe waren schon herausgetreten. Wildrich wartete geduldig. Und da kam der Bock langsam äsend aus der Dickung heraus. Im Licht des aufgehenden Vollmondes sah der Jäger das starke Wild ganz deutlich. Als er die Entfernung auf hundert Schritt schätzte, hob er langsam die Büchse hoch, ging mit dem Korn mitten ins Blatt und schaute scharf durch die Kimme. Dann krümmte er den Finger, und der Schuß hallte über die Wiese. Wildrich sah, daß das Wild »gut zeichnete«, als es nach dem Blattschuß in hoher Flucht davonraste. Wildrichs Hand hatte nicht gezittert, trotz allem, was auf ihn eingestürmt war. Er hatte den roten Bock weidgerecht erlegt, und der Oberförster würde endlich zufrieden sein. Nun hieß es, sich vorsichtig in die Oberförsterei zu schleichen, damit ihn niemand in der Nähe des Schlosses gewahren konnte. Er wollte sich einen Jägerburschen sichern, der mit ihm den Bock suchte. In der Zeit, bis er den Weg gemacht und den Helfer gefunden, würde das Wild verendet sein. Es war alles in kurzer Zeit geschehen. Die Freude über seinen schönen Bock hatte sein Herz leichter gemacht und seine Schritte beflügelt. Er fand auch gleich einen stämmigen Jägerburschen, der mit ihm zurückstieg auf die Höhe. Unter einer jungen Fichte lag der verendete Bock. Wildrich nahm den Hut ab. Feierlich war ihm zu Sinn. Sein erster starker Bock. Holte sich von der Fichte den Bruch und zog ihn durch den frischen Schweiß des Wildes, steckte ihn dann an den Hut.

»Das sieht lustig aus«, meinte der Jägerbursch. »Sie können stolz sein. Aber es paßt gar nicht zu unserer großen Traurigkeit. Die Prinzessin war arg gut ...«

»Weinst du um sie, Bursche?«

»Sie hat meine Mutter unterstützt, sie hat auch alles für mich getan seit Jahren. Die kannte ja nichts anderes, als abgeben, – abgeben. Die Leute sagen: Was wird aus uns ohne den guten Engel von Ilmenbach?«

»Du hast ihr einen schönen Nachruf geschenkt, Bursche, dafür bringst du diesen Taler deiner Mutter. Sag ihr, er käme im Namen des guten Engels von Ilmenbach. Dann glaub mir, Junge, die Prinzessin würde sich ebenso über den Bock gefreut haben wie ich.«

Das fand zwar der Bursche etwas anmaßend gedacht, aber er nahm freudig das große Geldstück. Beide trugen nun das schwere Wild an Vorder- und Hinterläufen bis an den Waldrand, und hier brach Wildrich den Bock auf. Er tat es nach altem Brauch in seinem Jägerkleid, denn er kannte den schönen Spruch:

»Der Jäger bleibt im Schmuck gekleidet,
Wenn er des Waldes Wild entkleidet.«

»Eine vornehme Arbeit wird nicht in Hemdärmeln getan.« Das waren Sprüche, die ihn ein echter Jäger gelehrt.

Der Bursche horchte mit großen Augen. »Sie müßten Forstlehrer werden«, sagte er bewundernd. »Ich habe heute viel bei Ihnen gelernt. Der Herr Oberförster weiß auch 'ne Menge, aber er gibt nichts ab. Er schimpft zuviel.«

Das Wild war entkleidet. Wildrich nahm noch ein vom Regen durchtränktes Moospolster und wischte das Innere des Bockes damit sauber. –

Es war nun spät geworden. Der Bursche half den Bock in den großen Jägerrucksack zu verstauen. Der Kopf schaute oben heraus. Wildrich würde das prächtige Gehörn zu Hause absägen. Es sollte später ein Schmuck seines Zimmers werden.

»Wir müssen eilen«, sagte Wildrich. »Du wirst den Rucksack dem Oberförster überbringen mit Weidmannsheil von seinem Jagdgehilfen. Ich hole mir aus meiner Stube einen zweiten. Ich will auch Herrn Ehrlich nicht stören, aber seine Frau will ich um etwas Dringliches bitten. Halte dich bereit, Konrad, nachher mit mir noch einmal zu Aldermanns Jagdhütte hinaufzusteigen. Du sollst mir Decken tragen.«

Die Oberförsterin sah schier entsetzt auf Wildrichs Hände, die vom Wildschweiß gerötet waren.

»Ich bitte Sie um eine Schüssel mit heißem Wasser, Frau Ehrlich«, sagte Wildrich leise. »Ich will mich waschen, aber es soll niemand wissen, daß ich hier bin. Ich habe meinen ersten Bock erlegt.«

»Das ist doch gar nicht möglich«, sagte die gute Frau sehr befremdet. »War das der Schuß, der in den Feierabend rollte? Mein Mann war beim Fürsten. Im Schloß konnte sich niemand denken, wer von den fürstlichen Jägern auf Jagd ginge, wenn gerade die Fahne halbmast aufgezogen ist. Und nun waren Sie der Schütze? Da hab' ich mich recht in Ihnen getäuscht ... Wir alle. Sie hatten doch vorher wahrlich genug Zeit ...«

»Sprechen Sie nicht weiter, Frau Ehrlich. Die Prinzessin wollte mich zur Jagd auf den roten Bock begleiten – – hat es sich immer gewünscht. Den Schuß hab' ich ihr zu Ehren abgegeben. Und nun hab' ich noch eine Bitte. Ich muß droben beim Aldermann bleiben, solange ich Urlaub habe. Kann die Anne, die ich oben traf, und die sich vor dem Mergel fürchtet, ein paar Nächte bei Ihnen bleiben? Das Mädchen ist nicht schlecht, nur verführt, und wie von Sinnen, daß Prinzessin Sybille gestorben ist, ehe sie für Annes Kind sorgen konnte – – –«

»Was für Sachen, was für häßliche Sachen«, jammert Frau Ehrlich. »Ich bin eine altmodische Frau und muß nun so etwas mit einem jungen Mann besprechen ...«

»Ob alte Frau, ob junger Mann, wir sind doch Menschen. Und Sie, gute Frau Oberförster, bekannt als Mutter der Bedrängten.«

»Ja, und nun bedrängen Sie mich auch. Aber – schicken Sie nur die Anne. Allein da droben bei dem Irren – – wie ist der nur dem Pfarrer entwischt? – – Das kann ich nicht verantworten. Gehen Sie nur, Herr von Eulenried, – gehen Sie, man zu, machen Sie hin – – es ist schon dämmrig.«

»Den Konrad nehme ich mit, Frau Ehrlich, er soll die Anne gleich herunterbringen, damit sie nicht fällt, wissen Sie, der Weg ist steinig, sie könnt' sich Schaden tun.«

»Was für Sachen, was für Sachen«, brummelte die Frau, – – so was muß ich mit jungen Leuten besprechen ...«

Aber dann hatten die »jungen Leute« schon den Bergsteig eingeschlagen, nachdem sie Rucksack und Decken aufgeladen. Nach einer kleinen Weile riß Wildrich plötzlich die Tür wieder auf.

»Frau Ehrlich, haben Sie Hallunk nicht gesehen? Er geht mir ab. Hatte geglaubt, er würde mir hier entgegenspringen, denn ich hatte ihm geboten heimzugehen.«

»Ich hab' ihn niemalen gesehen. Es ist heikel, wenn man seinen Hund Hallunk ruft. Es könnt ein anderer auf sich beziehen. – Soviel Halunken gibt's.«

Wildrich stürmte davon.

Anne kam ihnen schon entgegen. Sie war sehr verstört. »Ich habe so Angst!« stammelte sie hilflos. »Der alte Jeremias ist in den Wald gegangen. Er hätte Töne gehört, wie wenn ein Kind weint. Wie soll ein Kind hierher kommen?«

»Ich werde ihn suchen gehen, komm, Anne! Hol dir rasch Nachtzeug und sonst nötigen Kram für zwei Tage. Der Konrad bringt dich zur Oberförsterin. Red nicht dagegen. Ich muß hier oben bleiben. Rasch, rasch! Es wird spät. Noch eine Frage: Hast du Hallunk gesehen? Er ist nicht im Tal, wohin ich ihn schickte.«

Sie lief ins Haus, kam schnell wieder, mit einem Korb, der an ihrem Arm hing. Konrad nahm ihn ihr ab. Im Fortschreiten sagte sie: »Hallunk? Nein. Es kann nicht Hallunk gewesen sein.«

»Was meinst du, Anne?«

Wildrich rief es ihr nach, sie war schon ein Stück weitergelaufen.

Kaum verständlich hallte es zurück: ›Das Weinen hebt an im Walde ...‹

Wildrich lief in den Wald hinter dem Felsen. Er hatte den Jeremias Aldermann krächzen hören. Der Alte kam ihm schon entgegen. Mühsam humpelte er, auf seinen Stock gestützt, er taumelte hin und her.

»Alles verschandelt, alles verschandelt. Jagdgehilfe, du hast unrecht. Wirst sehen, der da oben lebt nicht mehr. Die Totenglocke läutet oftmals. Wer kann's sein? Wer hat's getan?«

»Komm, Jeremias, du mußt ins Bett. Den Tod kannst du dir holen in der Nässe und dem Nebel.«

»Den Tod? Der ist schon da. Dort liegt er im Dickicht. Alles verschandelt. Und nicht weidgerecht. Der Mergel ist Wildprethändler. Aber ein braver Mann, – er hilft suchen ...«

Wildrich trug den Alten mehr, als er ihn führte, legte ihn ins Bett, wickelte ihn warm ein.

»Ich bleibe die Nacht bei dir«, sagte Wildrich – aber der Alte war schon eingeschlafen. Da hing Wildrich den Rucksack wieder um, den er schon abgelegt und sah sein Gewehr nach. Dann stieg er wieder hinter die Felsen, suchte das Gebüsch und bog die Zweige auseinander. – Er schrie auf in Zorn und Schmerz. Wahrlich, nicht weidgerecht war sein schöner Hund erschossen worden. Mit einer Schlinge erdrosselt lag Hallunk zu seinen Füßen. – Wildrich hob ihn auf seine Arme. Noch nicht lange konnte der Tod eingetreten sein. »Guter Hallunk! Braver Hallunk!«

Die Worte, die Prinzessin Sybille damals in der Jagdhütte gesagt hatte, wobei sie den Kopf des Hundes streichelte, die wiederholte er jetzt unablässig. Guter Hallunk, braver Hallunk! Mit schweren Schritten trug er den toten Freund durch den Wald, an den Felsen und der Hütte vorbei und legte ihn auf den Waldboden auf denselben Fleck, da er den Ringfasan eingegraben hatte. Dann holte er sich Hacke und Spaten und grub wieder ein tiefes Grab, in das er den toten Kumpan legte. Saß dann wohl eine Stunde lang auf derselben Stelle. Dachte nicht an Sybille, Vater, Mutter oder die Brüder, dachte nur an den Tod des Mergel. –

Die Nacht war schwer und schwül. Das Graben der Grube, aus der viel Steine gefördert werden mußten, hatte Wildrich ermüdet. Er schlief gleich ein, als er die Glieder streckte. In der Nacht wütete ein Gewitter, wie man es eben nur in den Bergen erleben kann. Dazu ein Sturm, der die Bäume und gerade die hochragenden knickte und die schwanken zur Erde bog. Ein Krachen und Bersten füllte den Wald und die Luft. Wildrich schlief, aber der Greis auf dem Lager wachte, fieberte und schrie zu Gott.

»Du lebst nicht mehr, aber du könntest es Engeln gesagt haben, daß sie Sühne auf die Erde bringen. Recht soll Recht sein, Unrecht – Unrecht. Es hebt ein Sterben an von Mensch und Tier. Aber was tat die zarte Prinzessin Böses? Ich trug sie auf meinen Armen, und sie streichelte mein zernarbtes Gesicht mit den weichen Händlein. Was tat der Fürst? Er beschützte die Armen, die Kranken, die Notleidenden. Er gab uns von seinem Gelde und lebte einfach dahin. Warum mußte das Sybillchen sterben? Wie mein Weib, meine Tochter, die verschandelt wurden. Mergel wird ihn finden, den ...« Er krächzte, er rang mit den schwarzen Vögeln. – Wildrich spürte einen Biß in seinem Arm.

»Was tust du, Jeremias? Was fehlt dir? Herrgott!« – Er machte sich frei ... Da schlief der Greis schon wieder, aber seine Stirn war mit eiskaltem Schweiß bedeckt. Wildrich deckte ihn wieder zu, führte ihm ein Glas kühlen Wassers an den trocknen Mund, in das er etwas Kranewitter gegossen. Das Wasser floß aber wieder fort, und Wildrich mußte es mit einem Tuch fortwischen. – Draußen klangen Schritte, derbe, nägelbeschlagene Schuhe. Es war sechs Uhr früh.

»Mergel!« dachte Wildrich und griff nach dem Gewehr, das in der Ecke stand. Aber er ließ es stehen und nahm den Revolver vom Holzstuhl, der an seinem Bette stand. Er lugte durch einen Spalt der Tür, an die jemand geklopft hatte. Draußen stand Hermann, der langjährige Diener, Haushofmeister, Gärtner und Kutscher seines Vaters. Was war er nicht, der brave Hermann? Den er für seinen Todfeind gehalten hatte. – Dieser Mergel war wie eine Krankheit in seinem Körper und seinem Gemüt.

Er öffnete den Riegel des Ladens und dann die Tür.

»Es ist doch nichts geschehen, daß du so früh kommst, Hermann?«

»Scheenen guten Morjen«, lautete die fröhliche Antwort. »Geschehen is nichts, als daß Frau Baronin Mutter Angsttraum hatte. Das haben die vornehmen Damens öfters. Und ich sollt einen Brief an den jungen Herrn Baron bringen, derzeit zum Spaß Jagdgehilfe beim Oberförster Ehrlich.«

»Das ist kein Spaß, guter Hermann, sondern bitterer Ernst. Gib her!« Während er den Brief öffnete, fragte er: »Also alles munter? Vater, Mutter und Tante Hermine wohlauf?«

Wildrich kannte die langatmige Art des Berichtens dieses alten, treuen Dieners und wollte deshalb gleich Vorspann geben.

»Alles wohlauf. Nur der alte Herr krank, die Frau Mutter hat Herzbeschwerden und viel Schmerzen, das gnädige Fräulein ihre schwere Migräne, wie öfters. Zu dienen, alles wohl!«

Wildrich las:

Wir hörten solange nichts von Dir. Aber Du sollst Dich deshalb nicht um uns sorgen. Der Tod unserer Prinzessin geht uns allen nahe. Der Fürst soll sehr gealtert sein. Vater ist krank. Das unsichere Herz, der Jähzorn und der schwere Rotwein. Drei schlechte Weggesellen. Gott schütze Dich, lieber Junge und Deine Brüder! Ich selbst – habe freilich viele Schmerzen, aber ich vergesse sie oft. Hab andere Sorgen, aber auch Freuden am jungen Paar, den Dankwarts. – Der biedere Vater Kreihorst ist des Lobes voll, wie Dankwart die Ernte angepackt hat, wie umsichtig er ist. Seit der ungetreue Administrator das Gut verließ, arbeiten alle Insten rascher und besser, und die scharfen Augen »unseres Schwiegervaters«, wie Tante Hermine sagt, – ich fürchte, um ihren Bruder, Deinen lieben Vater, zu ärgern – – diese Augen sehen alles, und noch etwas mehr: Gutes und Schlechtes. Der Himmel hat auch die Ernte gesegnet, was seit Jahren nicht der Fall war. Alles geht, wie bestellt. Und Deine liebe Schwägerin Elisabeth ist eine vorbildliche Landwirtsfrau. Mein Schmerz ist, daß Dein lieber Vater sie nicht anerkennt. Aber sie hat eine feine Art, es zu ignorieren. Mir ist sie recht eine Tochter. Und gesund! Ach das gute, reine Bauernblut, Wildrich, – es geht doch nichts darüber. Gelle? Wir sind da einer Meinung. Und doch geht die Elisabeth daher, als hätte sie immer ein Krönchen getragen, noch bevor ihr Dankwart das siebenzinkige aufsetzte. Trägt sie erst die Krone der Mutterschaft – – Gott mög's mich erleben lassen! Nun hab' ich mir etwas meine Angst von der Seele geschrieben ... Jawohl Angst um Dich. Es mag wohl das Gewitter sein. Und Du wirst dem Hermann Bericht mitgeben, daß Du wohlauf bist. Hermine geht zur Beisetzung unseres teueren Engels von Ilmenbach. Dort wird sie Dich sehen. Aber ich will nicht so lange warten. Morgen kommt sie in die düstere Fürstengruft, dies holde Kind des Waldes. Ich möchte sie wo anders wissen. Aber sie wird überall gut schlafen. – Dieser Liebling Gottes und aller Menschen. Gib mir bald durch Hermann Nachricht.

Deine Mutter in Tränen.

Nachschrift: Ich, der Backfisch von sechzig Jahren, Hermine, tätige sie, wie nochmal ein Pensionsmädchen. Wir sind hier eine unnützige, langweilige Gesellschaft und würden besser in die modrige Fürstengruft passen als das Sonnenseelchen Sybillchen. – Ihr drei Staatsbuben fehlt uns. Aber seit Du mich geküßt hast, Du unbotmäßiger Neffe, mag ich Dich gar nicht mehr sehen aus Angst vor dem Rotwerden. Deine Mutter aber sehnt sich halbtot nach Dir und sieht scheint's Gespenster. Das tue ich nicht, bin mehr für Fleisch und Bein.

Deine bodenständige Tante Hermine.

Wildrich strich liebkosend über den Mutterbrief und dachte eine Weile versonnen nach.

»Mein guter Hermann, Feder und Papier habe ich nicht zur Hand. Bring du meinen Lieben gute Nachricht. Ich bin gesund, wenn auch etwas aus den Fugen. Aber die Mutter soll sich nicht sorgen. In ein paar Tagen, wenn wieder Ruhe in Schloß und Hütte eingetreten ist, kann ich vielleicht die Burg aufsuchen. Jetzt liegt meine Pflicht hier. Der alte Jeremias ist mir krank geworden. Er ist fertig mit seinen Kräften. Möchte ihn nicht so allein sterben lassen ...«

Wildrich zeigte auf die Hütte, und der alte Diener lief behende hinein und kam nach kurzer Zeit wieder.

»Der ist sozusagen allein gestorben«, meinte er ruhig. »So ein Waldschrat macht das am liebsten allein ab. Werde es in Ilmenbach melden, und wenn der Herr Baron mich braucht, komme ich wieder rauf. So eigentlich Diener bin ich nicht mehr, wir bedienen uns alle selbst. Und die Tante Hermine, Verzeihung, das gnädige Fräulein, hat neulich sogar mich bedient, als ich den Hexenschuß hatte. – Und wenn sie so aus meinem Zimmer ging, dachte ich, wie sehr ich doch volksverbunden bin.«

Ein klein wenig nur lächelte Wildrich. »Mein guter Hermann, bring meine Grüße nach der Burg. Gelle? Sag der Mutter, – rechtschaffen Heimweh hätte ich, – ja – – sag es recht eindringlich – – –«

Er drückte dem treuen Boten kräftig die Hand. Es sah aus, als wollte er ihn dringlich forthaben, und Hermann hastete davon, schüttelte aber besorgt den alten Kopf. – Wildrich ging in die Hütte, stand lange vor dem Häuflein kümmerlicher Menschlichkeit, das ihn beinahe wie erstaunt aus den toten, halboffenen Augen ansah, als ob es sich wundere, daß der Sensenmann auch den Waldwart zur Erntezeit gefunden habe. – Wildrich deckte ein weißes Tuch über den Toten, räumte die Kammer gut auf und bestreute den Boden mit weißen Sand, den er in einem Holzkübel fand. Legte auch kurze Tannenzweiglein drauf, die er mit seinem Jagdmesser von dem Baum herabholte, unter dem der Freund und Heger des Waldes in gesunden Zeiten immer gesessen und sein Pfeifchen geraucht hatte. – Friedlich sah das Stübchen aus. Und er wußte, der alte Diener würde nicht versäumt haben, die Totenfrau zu bestellen, die dann alles Nötige veranlaßte. – Im Tal läuteten die Glocken. Sie galten wohl noch der Prinzessin, aber es konnte sein, daß sich schon Hall und Schall für den treuen Diener seines Fürsten, den Waldphilosophen Jeremias Aldermann, hineinmischte.

Den Berg hinauf kam Anne. Der Weg fiel ihr schwer, sie blieb oft stehen, unglücklich und gehetzt sah sie aus.

»Die Leute sind garschtig mit mir«, begann sie, ohne die Tageszeit zu bieten. »Keiner gönnt mir ein Wort, überall jagen sie mich fort ...«

»Guten Morgen, Anne«, entgegnete Wildrich ruhig. »Jeder Mensch sucht zuerst die Schuld beim andern. Aber da tust du groß Unrecht. Du hast dem Erzhalunken Mergel zur Flucht verholfen, jetzt jagt man dich, weil niemand vor ihm sicher ist. Meinen Hund hat er mir erdrosselt ... gestern hab' ich das treue Tier eingescharrt. – Bist dem Diener Hermann begegnet? Er sollte mir die Totenfrau schicken.«

»Für den Hund oder für den Mergel?« fragte sie wild. Sie schien wie von Sinnen.

»Für den Jeremias Aldermann. Es stirbt alles, was mir lieb ist ringsum.«

»Versündigen Sie sich nicht! Ihnen leben Vater, Mutter, Brüder. Mich haben die Meinen über die Schwelle gestoßen. ›Geh hin, Dirn‹ hat der Vater gesagt, und die Mutter hat keinen Finger gerührt ... sind das auch Eltern? Und wenn der Jeremias tot ist, dann wird seine Hütte beschlagnahmt. Ich hab dann kein Obdach mehr und muß ins Wasser gehen –«

»Dazu hast du kein Recht mehr. Dein Leben gehört deinem Kinde. Aber meine Braut hat für dich gesprochen, wir werden alle für dich sorgen, – sagte dir's schon.«

»Ihre Braut???«

»Ja, das war die Prinzessin.«

Anne wankte in die Hütte.

Es wurde ein Tag voll Unrast. Wildrich empfing gebetene und ungebetene Gäste. Die Totenfrau waltete ihres Amtes und berichtete wortreich, daß Jeremias Aldermann seinen Sarg bereits seit Jahren in dem Bodenverschlag der Hütte verwahre, und es sei nur natürlich, daß aus solch unheimlichem Verschlag die schwarzen Vögel über ihn gekommen wären, von denen er immer gefaselt habe. Der Sarg wurde gefunden, ein Sterbehemd lag darin, etwas vergilbt, aber sonst ohne Fehler.

»In der Ewigkeit werden wir alle zu weißgewaschenen Jungfrauen«, orakelte sie. Und die Umstehenden nickten beistimmend, obgleich sich niemand von ihnen weder den alten Waldschrat noch die Totenfrau als weißwaschene Jungfrawe denken könnt. Endlich schwankte der leichte Tannensarg auf den Schultern von sechs Männern, die ausgelost waren, den Berg hinunter auf den Friedhof des Dörfleins, wo er in das Beinhaus kommen sollte, bis die dreitägige Frist vorbei sei. Aber der Fürst empfing den Sarg an der Wegscheide zwischen Dorf und Schloß, und der schlichte Tannenschrein wurde in die Schloßkapelle gestellt, dicht neben den prunkvollen Sarg der jungen Prinzessin. Und der gütige Schloßherr sprach laut eine Predigt, der selbst der ordinierte Pastor von Ilmenbach gespannt zuhörte. Es war aber nur ein Spruch, denn die Stimme versagte dem Fürsten:

»Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über vieles setzen. Gehe ein zu deines Herren Frieden.«


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